Volksrechte vs. Völkerrecht: zwei Initiativ-Ankündigungen polarisieren das Initiativrecht.

Zwei Wochen nach der Annahme der Minarett-Initiative in der Volksabstimmung wurden heute zwei neue Volksbegehren angekündigt. Staats- und Völkerrechtler schlagen eine “Toleranz-Initiative” vor, während SVP-Präsident Toni Brunner eine Initiative “gegen Beschneidung von Initiativen” in die Diskussion wirft.

Pro Völkerrecht: Toleranz-Initiative statt Minarett-Artikel
Gemäss “Sonntag” wollen die Rechtsprofessoren Jörg Paul Müller und Daniel Thürer einen «Toleranz-Artikel» in der Bundesverfassung verankern. Dieser soll die angenommene Minarett-Initiative ersetzen, um einem kritischen Entscheid des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zuvorzukommen. Materiell vorgeschlagen werden:

● «Die Religionsgemeinschaften nehmen in ihrer Darstellung im öffentlichen Raum, etwa bei Gebäuden, Aufrufen, Kleidervorschriften für ihre Mitglieder oder Symbolen aufeinander und auf das Empfinden und das Wohl der übrigen Bevölkerung Rücksicht.»
● «Sie vermeiden ein bedrängendes Auftreten und tragen zu einem von Toleranz getragenen Zusammenleben bei. Sie fügen sich in ihrem Wirken in die Anforderungen einer demokratischen Gesellschaft ein und respektieren die Menschenrechte aller.»

Damit nehme man die Anliegen der Minarett-Initiative auf, ohne diskriminierend zu sein. In den Worten der Verfasser: «Den Glaubensgemeinschaften wird Religionsfreiheit garantiert. Sie sind aber auch an die Grundsätze des demokratischen Zusammenlebens und an die Respektierung der Menschenrechte gebunden.»

Pro Volksrecht: Keine Beschneidung des Initiativrechts
Gemäss “Sonntagszeitung” reagierte die SVP direkt. Parteipräsident Toni Brunner plant man eine eigene Initiative gegen sämtliche Beschränkungen des Initiativrechts. Das Volk solle die bestehende Verfassung so revidiert, dass gar kein Volksbegehren mehr für ungültig erklärt werden könne.

Bei Annahme der Initiative ergäbe sich so eine Garantie, dass Abstimmungen über alle Fragen erlaubt seien, argumentiert Brunner. Allfällige Verstösse gegen zwingendes Völkerrecht wie das Folterverbot hält er für unproblematisch, da in einer funktionierenden Demokratie davon keine reale Gefahr ausgehe. Wichtig sei aber, dass man über sämtliche international relevanten Themen auch inskünftig abstimmen dürfe.

Die Polarisierung des Initiativrechts
Die Vorwürfe sind fast schon reziprok: Die einen beklagen das Aushebeln der Volksrechte, die anderen das Aushebeln des Völkerrechts. Die wachsende Polarisierung erfasst damit nicht nur die Sachfragen und die Repräsentanten der politischen Behörden. Sie greift immer deutlicher auch auf Institutionen über.

Noch sind beide Vorhaben erst im Stadium der Diskussion, denn vor einer Lancierung gilt es gewichtige Probleme zu lösen: Beim Club Helvetique, der gestern die Toleranz-Initiative diskutierte, hält man nebst der Lancierung einer Volksinitiative auch eine parlamentarische Initiative oder einen Vorstoss des Bundesrates für möglich. Beides würde ein abgekürztes Verfahren bringen, wäre demokratisch aber nicht gleich stark legitimiert wie eine Volksinitiative. Bei der SVP dürfte der angekündigte Kurswechsel zu diskutieren geben: Denn dem Vorteil bei internationalen Verträgen steht der Nachteil gegenüber, dass der Volkswille die Zulassung von Folter nicht mehr ausschliesst.

Was ist wichtiger: Volksrechte oder Völkerrecht?