Wahlen in der Mediengesellschaft: gerade in der Schweiz ein Forschungsthema wert.

Die siebte Zürcher Vorlesung zur Wahlforschung, die ich an der Universität Zürich hielt, beschäftigte sich mit dem Forschungsfeld “Wählen und Wahlen in der Mediendemokratie”. Gerade hier zeigte sich, sie wie gross die Forschungslücken hierzulande sind.

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Medialisierte Impressionen aus dem Wahlkampf 2007

Noch ist es umstritten, ob wir in einer Mediendemokratie leben. Otfried Jarren, der führende Medienwissenschafter der Uni Zürich, scheint das zu bejahen, denn er schreibt bereits Lehrbücher zur politischen Kommunikation in der Mediendemokratie. Und Benjamin Weinmann die Professionalisierung, Emotionalisierung und Personalisierung der politischen Kommunikation bei Schweizer Wahlen für ein Fakt, sodass man von einer erheblichen Modernisierung der Wahlkampfkommunikation sprechen könne.

Meine Beurteilung ist differenziert: Ich bin der Auffassung, dass sich die Kommunikationskulturen vor allem bei Abstimmungen und Wahlen im Sinne eines mediengesellschaftlichen Trends entwickeln. Doch die Institutionen der Schweizer Wahlen machen diese Entwicklung kaum mit, sodass eine Neutralisierung der Veränderungen stattfindet.

Das sieht man etwa beim Werbeaufwand der Parteien, bei ihren Medienkampagnen, bei der Wahlberichterstattung der Massenmedien: Parteien werden auf SpitzenkandidatInnen reduziert, Information durch Emotionsmanagement abgelöst und die Milizler in Wahlkampagnen werden mehr und mehr durch Profis ersetzt. Und dennoch: Es finden keine Bundesratswahlen statt, die Wahlkreise sind unverändert die Kantone und die politische Werbung in Fernsehen und Radio der SRG bleiben untersagt. Das alles spricht für ein “stop an go” der mediengesellschaftlichen Trends in der Schweiz.

Die Wahlforschung scheint aber selbst die Mischung von traditionellen und modernen Elementen der Wahlkampfkommunikation auszublenden. Werden Analyse auf der Mikro-Ebene durch solche der Meso- oder Makro-Ebene ergänzt, konzentriert man sich vorwiegend auf die Kampagnen von Parteien und KandidatInnen. Medienkampagnen wurde noch fast nirgends untersuch oder nicht in den Zusammenhang mit den Wahlergebnissen gestellt.

Schade, denn es gibt offensichtlich interessante Fragestellungen, die noch weitgehend unbeackert sind. Drei erwähne ich hier:

. Die Wahkampfausgaben 2007, soweit sie sich Dingfest machen lassen, variieren fast linear im Links/Rechts-Spektrum. Am meisten gab der Wahlsieger, die SVP, aus
. Der Vergleich der Parteistärken bei nationalen und kantonalen Wahlen spricht dafür, dass die SVP klar verschieden gut abschneidet. National kommt sie auf annähernd 29 Prozent, kantonal im Schnitt auf 22 Prozent.
. Der Wahlkampf der SVP 2009 entspricht dem, was meinen Superwahlkampf nennen könnte. Er setzte wie der keiner anderen Partei auf Themen, Emotionen und Personen. Und erreichte ein eindeutige Propaganda-Dominanz.

Ich will hier kein Plädoyer für einfache und einseitige Zusammenhänge halten. Denn ich weiss, dass die Grünen finanziell keinen aufwendigen Wahlkampf führten und dennoch bei den Parlamentswahlen 2007 zulegen konnten. Ich werbe aber dafür, 2011 klar mehr Energie und Mittel in die Erforschug der Zusammenhänge zwischen Medienarbeit einerseits und Wahlergebnissen anderseits zu investieren – auch seitens der Wissenschaft. um empirisch gehaltvolle Fallstudien zu bekommen, welche die Diskussion der übergeordneten Fragestellungen erlauben.

Claude Longchamp