Selten so gestaunt

Am 27. September 2009 kommt es in der Schweiz zu einer Volksabstimmung, um das Ergebnis einer anderen ausser Kraft zu setzen, weil das Parlament das Verlangte nicht umsetzen will. Ein demokratiepolitisch erstaunlicher Vorgang.

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Seltene Einmütigkeit: Der Nationalrat hat den Bundesbeschluss mit 178 Ja bei 1 Gegenstimme und 15 Enthaltungen angenommen, der Ständerat mit 42 zu 0 Stimmen und 1 Enthaltung.

SpezialistInnen erinnern sich: Am 9. Februar 2003 haben Volk und Stände die Vorlage der allgemeinen Volksinitiative mit über 70 % der Stimmen angenommen, obwohl es von links und rechts eine Elitenopposition gab. Dies spiegelte sich gemäss VOX-Analyse aber nicht einmal bei den AnhängerInnen von SVP und SP. Doch konnte sich das Parlament in der Folge nicht einigen, wie man den Auftrag umsetzen solle. Weil es unverändert Opposition vor allem rechts, aber auch von links gab. Deshalb schickte man das Ganze an den Absender zurück, und stimmen wir am 27. September 2009 erneut über die allgemeine Volksinitiative ab.

Mit der allgemeinen Volksinitiative wollte man den Bürgern ermöglichen, mittels allgemein formulierten Anliegen Gesetze einzuführen, anzupassen oder aufzuheben. Das Parlament hätte dann über die Frage entschieden, ob das Anliegen auf Gesetzesstufe oder in der Verfassung umgesetzt wird und wie der entsprechende Artikel genau formuliert werden soll.

Nun will man das alles rückgängig machen: Stimmt das Volk der Vorlage diesmal zu, wird auf die beschlossene, bisher aber nicht eingeführte Erweiterung des Initiativrechts ganz verzichtet. Die Möglichkeit, eine Initiative starten zu können, die zu einer Änderung eines Bundesgesetzes führt, würde zurückgenommen.

Als Beobachter staunt man nicht schlecht, wie Mehrheiten entstehen, und wie sie mit verfahrenstechnischen Begründungen für obsolet erklärt werden können. Und man ist überrascht, dass es zu diesem Rückwärtssalto praktisch keine öffentliche Debatte gibt. Organisierte Gegner werden keine sichtbar, obwohl sie im Parlament auftraten, und die Befürworterschaft des Verzichts hält sich im gestarteten Abstimmungskampf fast ganz zurück, – ganz in der Hoffnung, niemand merkt, was geschieht.

Claude Longchamp