Veränderte Grosswetterlage wirkt sich auf Wahlabsichten aus

Heute veröffentlichte die Tamedia-Gruppe die erste nationale Wahlumfrage des Wahljahres 2023. Sie zeigt die aktuellen Parteistärken in der Schweiz. Das verstärkt den Eindruck der Restabilisierung. Es legt nahe, dass bei den Nationalratswahlen 2023 die Reihenfolge der Parteien wie vor den Wahlen 2019 wiederhergestellt werden dürfte.


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Die Grünen verlieren in der Umfrage von LeeWas am meisten und liegen hinter der Mitte, wie das vor 2019 bezogen auf die CVP der Fall war. Diese dürfte sich dank der Fusion von CVP und BDP den vierten Platz unter den Parteien und damit einen Bundesratssitz gesichert haben. Dagegen dürften die Aussichten der Grünen auf einen Sitz in der Landesregierung erneut getrübt worden sein.
Die SVP bleibt gemäss Umfrage die grösste Partei. Sie könnte 1.9% zulegen. Leichte Gewinne gäbe es auch für die GLP (+0.7%). Alles andere ist definitiv im Streubereich der Umfrage. Letztlich heisst das, SP, FDP und Mitte haben sich nach den Verlusten 2019 wieder stabil sind.
Nur bei der GLP ist demnach eine Trendfortsetzung von 2019 möglich. Bei den Grünen und der SVP handelt es sich um JoJo-Effekte. Sie gewinnen resp. verlieren einen Teil von dem, was sie 2019 verloren resp. gewonnen haben. Die Pole sind damit nicht stabil. Das deutet auf veränderte Mobilisierung hin.

Vergleiche mit anderen Umfragen und mit kantonalen Wahlen in Zürich
Final ist der Befund nicht. Bis zu den Wahlen 2023 vergehen noch acht Monate.
Die aktuelle Momentaufnahme ist allerdings nicht beliebig. Denn sie bestätigt einiges, was schon das Wahlbaromter der SRG 2022 vorgezeichnet hat. Auch damals verloren Grünen am meisten. Allerdings war die GLP noch im Plus. Das galt auch für die FDP. Der damals diagnostizierte liberale Aufschwung nach der Pandemie-Phase könnte geschwächt worden sein.
Qualitativ werden mit der neuen Umfrage die Ergebnisse der realen Wahlen im Kanton Zürich bestätigt. Auch das verloren die Grünen am meisten, und es legte die SVP am meisten zu. Der Rest fiel in Zürich so gering aus, dass wir schon damals von stabilen Ergebnissen gesprochen haben.
Quantitativ sind die Ausschläge an den Polen aber nicht identisch. Grüne verlieren in der aktuellen Umfrage mehr, auch die SVP gewinnt mehr. Ganz überraschend ist das nicht. Denn die Prognose aus den Zürcher Ergebnissen besagt nur, wer bei den nationalen Wahlen zulegen kann oder verlieren wird, nicht aber wie fiel das sein wird.

Veränderte Grosswetterlage
Den Hauptgrund für den aktuellen Umschwung sehe ich in der veränderten Grosswetterlage. 2019 stand ganz im Zeichen der Klimawahl, geprägt durch einen langen Wahlkampf. 2023 wird durch den Krieg in der Ukraine bestimmt, der auch schon ein Jahr dauert. Der mainstream ging 2019 von den ökologischen Parteien aus. 2023 bieten sich verschieden Kriegsfolgen an: die Flüchtlinge, aber auch die Lebenshaltungskosten kommen vor allem in Frage. Ersteres wird von rechts her bewirtschaftet, letzteres von links her. Aktuell spricht einiges dafür, dass die Wirkungen der Flüchtlingsfrage etwas grösser ist.
Auch das ist nicht ganz überraschend. Denn aus der langjährigen Erfahrung mit Schweizer Wahlkämpfen wissen wir, dass Umwelt- oder Migrationsfragen im weitesten Sinne die entscheidenden Themen im Wahljahr sind: 2003 (Klima), 2011 (Atomenergie) und 2019 (Klima) war es ersteres, 2007 (Ausschaffung) und 2015 (Flüchtlinge) zweiteres. 2023 könnte auch da das Pendel zurückschlagen.