Ein Wissenschafter mit Strahlkraft – zum Tod von Andreas Ladner

Original in der NZZ,14.2.23

Der Politologe Andreas Ladner ist unerwartet 65-jährig verstorben. Die Schweizer Öffentlichkeit verliert eine wichtige Stimme.


Klare Sprache, kluge Einordnungen: Andreas Ladner.

Mit Andreas Ladner ist ein Pionier der Politikwissenschaft in der Schweiz kurz vor seiner Pensionierung unerwartet von uns gegangen. Eine seltene Kombination zeichnete ihn aus: Ladner war mustergültiger Forscher, begeisternder Dozent und gefragter Gesprächspartner in der Öffentlichkeit.

Der 1958 geborene Zürcher war vielerorts zu Hause. Er studierte an der Universität Zürich Soziologie, Volkswirtschaft sowie Publizistik und promovierte 1990 mit einer Arbeit über die Schweizer Gemeinden. Privatdozent wurde er an der Universität Bern, wo er auch als Assistenzprofessor wirkte. In Lausanne bekleidete er eine ordentliche Professur für Schweizerische Verwaltung und Institutionelle Politik. Dort war er auch seit 2016 Direktor des IDHEAP, des Hochschulinstituts für öffentliche Verwaltung. Er verfasste mehrere politologische Handbücher, die in verschiedenen Sprachen erschienen und seine Bedeutung als Wissenschafter belegen.

Schon früh stellte Ladner seine Kompetenz dem Schweizerischen Nationalfonds und dem nationalen Forschungsschwerpunkt NCCR Democracy als Projektleiter zur Verfügung. Mit Smartvote begleitete er ein erstes Projekt der digitalisierten Politik in die Praxis. Die Universität Zürich beauftragte ihn, ein Zentrum für Demokratie in der Schweiz mitzuplanen. Und durch seine Einschätzungen zur Schweizer Politik war er weit über den akademischen Raum hinaus bekannt: Für die Medien war er ein geschätzter Gesprächspartner, weil er klug einordnete, klar sprach und schnell zur Sache kam.

Kennengelernt habe ich Andreas Ladner Mitte der 1980er Jahre. Wir waren beide von der SP Schweiz eingeladen, neue Wege der Verjüngung der Partei durch Wahl- und Mitgliederwerbung zu suchen. Dabei entdeckten wir schnell gemeinsame Interessen.

Unsere Wege kreuzten sich bis in die jüngste Zeit immer wieder. So war ich meist auch über die weniger bekannten Tätigkeiten Ladners im Bild. Zum Beispiel, dass die Migros ihn einst beauftragte, den Nutzen der Investitionen in den Landesring der Unabhängigen (LdU) zu erforschen. Oder dass ihn die damals noch jungen Grünliberalen des Kantons Zürich zu den Chancen einer eigenen Ständeratskandidatur befragten. Oder dass ihn die SVP Schweiz als Experten zur Frühjahrsklausur nach Bad Horn einlud, als die Partei in die Opposition drängte.

Ladner verzichtete in seinen Analysen auf Provokationen und präferierte stattdessen die faktenbasierte Vermittlung und den Kompromiss. Die staatliche Unterstützung der Parteien sah er in der Konkordanzdemokratie als herausfordernde Notwendigkeit, damit ein komplexes Land wie die Schweiz politisch funktionieren kann.

Als langjähriger Gastdozent in seinen Kursen weiss ich auch: Zahlreiche ehemalige Studentinnen und Studenten Ladners sitzen heute im Stände- oder im Nationalrat, wirken in verschiedenen Kantonen als Volksvertreter, arbeiten in der Verwaltung von Gemeinden, Kantonen und Bund, sind als Parteipräsidenten, Verbandsfunktionäre oder Politaktivistinnen tätig. Der Politologe Ladner hat mehr als eine Generation von Leistungsträgern des schweizerischen Milizsystems ausgebildet und geprägt.

Die vielen Reaktionen auf die Publikation seiner Todesanzeige bezeugen die Wertschätzung ihm gegenüber. Er sei ein Menschenfreund, ein unaufgeregter Ratgeber, ein mitreissender Mentor und ein hochanständiger Berufskollege gewesen, lautete der Tenor.

Andreas Ladners Ableben ist ein grosser Verlust für die Schweizer Öffentlichkeit. Das Beileid gilt seiner Familie, seinen Freunden, seinen Weggefährten und allen Personen, denen nun ein wertvoller Mensch fehlen wird.

Claude Longchamp, Bern