Stabilisierung der Parteienlandschaft: erste Befragung zu den Wahlen 2023

Heute publiziert die Tamedia-Gruppe die Umfrage von LeeWas zu den eidg. Wahlen 2023. Sie hält Gewinne für die GLP und FDP sowie Verluste für die GPS fest.


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Die aktuellen Parteistärken
Gemäß Institut LeeWas bleibt die SVP mit 26% die stärkste Partei. FDP und SP folgen, mit je 16%. Die Mitte (vormals CVP,und BDP separat) kommt auf 13%, die Grünen liegen bei 12% und die Grünliberalen bei 9%. Die ausgewiesenen Stärken in Promillen sind in der obigen Tabelle ersichtlich. Sie zeigen, dass die GLP und die FDP außerhalb des Unsicherheitsbereichen etwas zulegen, die Grünen etwas verlieren. Alles andere ist umfragetechnisch stabil.

Signifikante Gewinne und Verluste
Die gegenwärtigen Gewinne der Grünliberalen überraschen nicht. Die junge Partei hat bei den kantonalen Wahlen regelmäßig zugelegt. Sie betreibt beim Klimawandel, der Technologieförderung und der EU-Frage moderate Sachpolitik. Sie sammelt Enttäuschte rechts und links. Sie hat in der laufenden Legislatur am meisten Volksabstimmungen gewonnen. Das alles hat ihr eine gute Presse beschert.
Eher überraschend ist, dass auch die FDP zulegt. In der Mehrheit der kantonalen Wahlen verlor sie noch, wenn auch zunehmend durchsetzt mit Lichtblicken. Bei den eidg. Abstimmungen ist sie vom 1. auf den 3. Platz zurückgefallen, stellt man ihr Parolen und die Mehrheit der Stimmenden ab. Mit der Renteninitiative (Jungfreisinn) und der zur Individualbesteuerung (Frauen) hat sie aber zwei Volksinitiativen zustande gebracht – ein Novum für sie. Ausgewechselt hat sie gerade noch rechtzeitig das Parteipräsidium. Damit ging auch eine deutlichere Akzentsetzung zu rechtsliberal einher.
Schließlich die Grünen: Sie verlieren zwar, halten aber von den gut 6 Prozentpunkten, die sie 2019 gewonnen haben, deren fünf. Das war nicht zwingend zu erwarten, selbst wenn die kantonalen Wahlen mehr versprachen. Doch sind da noch Echoeffekte von 2019 dabei. Die Partei pflegt weiterhin den Spagat zwischen Bewegungs- und Parlamentspartei. Sie profiliert sich mit klimabezogenen Volksinitiativen und hat ihre diesbezüglichen Basisaktivitäten beibehalten. Doch blieb der große Erfolg bei eidg. Abstimmungen bisher aus, ja, bei der Frontex-Entscheidung im Frühjahr gab es einen herben Dämpfer.

Von der Labilität zur Stabilität
Wenn alle anderen Parteien verglichen mit 2019 gleich stark bleiben, ist das für die Mitte, die SVP und die SP bereits ein kleiner Trost. Denn vor drei Jahren gehörten sie noch zu den VerliererInnen. Auch in den kantonalen Parlamentswahlen seither weisen sie ein Minus aus.
Überhaupt, verglichen mit den Wahlen 2019 hat sich das Parteiensystem wieder gefestigt. Große Sprünge zeichnen sich jedenfalls heute nicht ab. Das ist nach erheblichen politischen Auseinandersetzungen wie der Kontroverse zur Pandemie- oder Sicherheitspolitik-Politik nicht selbstverständlich. Es bestätigt, dass auf eine labile Wahlen in aller Regel keine zweite derartige folgt.
Wenn es einen neuen Trend gibt, geht er am ehesten zu einem wieder gestärktes Zentrum mit einer besser erkennbaren, liberalen Akzentuierung.

Sinkende Temperatur für Neuwahl des Bundesrats
Bleibt das so, könnte es nicht zuletzt die Bundesratswahlen beeinflussen. Zwar ist der Leistungsausweis seiner Mitglieder unterschiedlich, und Spekulationen über Rücktritte da und dort dürften bis zum Wahltag bleiben. Aber handfeste Hinweise, dass es auch eine parteipolitische Neuwahl braucht, liefert die jüngste Tamedia-Umfrage nicht.

Doch das Wahljahr mit Baustellen folgt erst noch
Klar:Das ist die erste von mindestens zwei Umfragen gut ein Jahr vor den Wahlen. Es braucht noch eine Bestätigung. Und das Wahljahr selber hat noch gar nicht begonnen. Baustellen gibt es von Versorgungs-, über Klima- und Europa- bis zu Renten- und Gesundheitsfragen genug, die Stoff für politische Debatten und allfällige Veränderungen in den Parteistärken liefern können. Monothematisch wie 2019 dürfte es nicht werden.

Claude Longchamp