Die vier Irrtümer des Nein-Lagers zum Covid-Gesetz

Kurzfassung meiner Analyse der eidg. Abstimmung zum Covid-Gesetz für #swissinfo; Langfassung hier

Vom Ergebnis mit 62 Prozent Ja zeigten sich am Abstimmungssonntag vor allem die Demoskopen nicht überrascht.
Das Forschungsinstitut gfs.bern, das für die SRG Medien arbeitet, ging aufgrund einer Befragung drei Wochen vor der Abstimmung von 61% Zustimmung und 38% Ablehnung aus. Zudem sprach man schon damals von gefestigten Meinungen.
Dafür gibt es den Fachbegriff der prädisponierten Entscheidung: Bei Wahlen kennt man das gut, bei Sachabstimmungen ist es ein eher seltenes Phänomen. Denn häufig bilden sich die Stimmabsichten erst im Abstimmungskampf und damit recht kurzfristig.
Vier Gründe sprechen dafür.
Erstens: langfristige Meinungsbildung
Die Kontroverse rund um die richtige Pandemiepolitik ist während des Jahres 2020 ausgebrochen. Die Meinungen dazu haben sich längerfristig entwickelt und stabilisiert, da das Corona-Regime tief in den Alltag der Bürger:innen greift.
Dazu passt, dass schon Wochen vor der Abstimmung das Corona-Monitoring der SRG festhielt, die Meinungen zu Covid-Zertifikat seien gemacht. 61% dafür, 38% dagegen. Den Vorwurf des Impfzwangs teilten nur 37% . Das war eine präzise Vorwegnahme des Abstimmungsresultats vom Sonntag.
Zweitens: radikalisierte Nein-Kampagne
Die hohe Aufmerksamkeit der Nein-Kampagne stimulierte die Gegnerschaft. Dabei übersah sie, dass sie selbst das eigene Lager polarisierte. Dies begann mit einem versuchten Sturm auf das Parlamentsgebäude während den wöchentlichen Demonstrationen in der Bundesstadt. Sichtbar wurde danach, wie sich die Jugendbewegung radikalisierte und damit im eigenen wie auch im gegenüberliegenden Lager auf Widerstand stiess.
Eine aufschlussreiche Auswertung der Uni Lausanne spricht sogar von einer Gegenmobilisierung. Anhand der absoluten Stimmen bei der ersten und zweiten Abstimmung zeigt sie, dass es speziell in den bevölkerungsreichen Kantonen Zürich, Bern, Aargau und St. Gallen die Ja-Stimmenden sprunghaft zunahmen.
Lange hatte man diesen Effekt unterschätzt.
Drittens, unterschätztes Institutionenvertrauen
Die Gegnerschaft unterschätzte das Vertrauen in die Behördenpolitik massiv. Dabei spricht die jährlich erscheinende Langzeitstudie über die Sorgen der Schweizer Bevölkerung, das sogenannte Sorgenbarometer, eigentlich eine klare Sprache. Ihm zufolge vertrauen fast konstante zwei Drittel der Schweizer Bevölkerung dem Bundesrat. Das ist entscheidend, gerade wenn dieser unter hohem Druck entscheiden muss.
Bereits vor der Abstimmung analysierte das Forschungsinstitut gfs.bern, dass die Zustimmung klar höher sei, wenn man dem Bundesrat vertraue. Und die Statistiker des Kantons Zürich belegten, dass es sich bei der Gegnerschaft zum Covid-Gesetz um eine Opposition handle, die überwiegend von einer nationalkonservativen, staatsskeptischen Weltanschauung geprägt sei.
Viertens: Geimpfte vs. Ungeimpfte
Wohl gibt es auch einen vierten Grund: Das Virus breitet sich unverändert dynamisch aus. Die Behörden reagierten 2021 mit der Impfung der Bevölkerung darauf. Seit Juni 2021 ist der Anteil geimpfter Einwohner von 35% auf gut 65% angestiegen. Unter den Stimmenden dürften es noch mehr gewesen sein.
Diese Frage polarisiert in der Tat! Denn die Geimpften verstehen die Ungeimpften immer weniger, und sie wollen sich durch sie nicht neuerlich einschränken müssen.
Gestern entschied die schweigende Mehrheit, wohl älter als der Schnitt der Stimmenden, die ihre Schutzbedürfnisse über den Freiheitsdrang der Jüngeren stellte. Sie sehnt sich nach der dritten Impfung, dem Booster. Derweil hofften ihre Widersacher, der Abstimmungskampf könnte zu ihrem Booster werden. Das war ihr Irrtum.