Ja. Ja. Nein. Die Abstimmungen vom 28. Nov. 2021 in der sozialwissenschaftlichen Analyse

Gleich drei Studien zu den Abstimmungen vom 28. November 2021 sind diese Woche erschienen: die Medienanalyse von “fög” an der Uni Zürich und die Umfragen, welche “gfs.bern” für die “SRG” resp. “LeeWas” für “Tamedia” erstellt haben. Was sagen sie zum bisherigen Abstimmungskampf und zur Meinungsbildung der Bürgerschaft aus?


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Resonanz und Tenor gemäss Medienanalyse
Die Medienanalyse belegt zunächst die Hierarchisierung der Vorlagen. Die meiste Aufmerksamkeit bekommt das Covid19Gesetz, gefolgt von der Pflege- resp. der Justizinitiative. Das mediale Interesse für das Covid19Gesetz übersteigt sogar alles, was fög in den letzten 30 Abstimmungskämpfen gemessen hat.
Sodann vermittelt die Studie den Medientenor. Positiv ist er nur zur Pflegeinitiative. 58 Prozent der gerichteten Beiträge sind zu ihren Gunsten, 42 gegen sie gerichtet. Das Gegenteil findet sich bei der Justizinitiative. Da sind 63 Prozent der bewerteten Beiträge auf der Nein-, 37 auf der Ja-Seite.
Insgesamt ausgewogen ist die mediale Berichterstattung zum Covid19Gesetz. Die Kommentare sind im Pro, die Nachrichten etwas im Contra. Interviews und Gastbeiträge berücksichtigen beide Seite gleich.
Highlight hier: Bisher bekam keine Volksinitiative, die fög untersucht hat, soviel mediale Zustimmung wie jetzt die Pflegeinitiative.
Verglichen mit Volksabstimmung über das Covid19Gesetz am 13. Juni 2021 zeigt die fög-Studie eine klare Verschiebung der medialisierten Akteure. Breit kommt die mehrheitliche kritisch eingestellte Zivilgesellschaft zum Zug. Die SVP ist die zweithäufig behandelte Gruppe – ebenfalls im Nein, wenn auch nicht so eindeutig. Leader im Pro ist der Bundesrat.

Stimmabsichten, Argumentenbewertung und Beteiligung gemäss Umfragen
Die beiden Umfragen von heute morgen stimmen in der Hauptaussage überein: Wäre letzte Woche, als die Daten erhoben wurden, bereits entschieden worden, wäre die Pflegeinitiative angenommen und die Justizinitiative angelehnt worden. Ein Ja hätte auch beim Covid19Gesetz resultiert.
„LeeWas/20min“ gehen aktuell beim Covid19Gesetz von 68 Prozent Zustimmung und 31 Prozent Ablehnung aus. „Gfs.Bern/SRG“ sehen ein Verhältnis von 61 zu 38. Gross verändert hat sich beides nicht, denn die Zahlen sind praktisch gleich wie in bei der jeweils vorangegangenen Befragung. Ueberraschend ist das nicht, denn das Thema bestimmt die Schweizer Politik seit bald 20 Monaten und im Juni wurde über eine erste Revision des Covid19Gesetzes abgestimmt. Damals waren 60.2 Prozent der Stimmenden dafür.
Gfs.Bern zeigt drei Determinanten der Stimmabsichten: Da ist zunächst der Impfstatus, dann das Regierungsvertrauen, und schliesslich polarisieren die Parteisympathien. Die Mehrheit ist geimpft und Vertraut dem Bundesrat. Die Gegnerschaft kommt verstärkt vor, wenn Bürger:innen nicht geimpft sind, dem Bundesrat misstrauen oder mit der SVP sympathisieren bzw. zu allen Parteien Distanz halten.
Mehrheitlich geteilt werden die Ja-Argumente zu den Direkthilfen, zum Zertifikat und zum Schutz der Spitäler vor Ueberlastung. Populärstes Argumente der Nein-Seite ist der gänzliche Verzicht auf die vorgeschlagene Erweiterung des Covid19Gesetzes. Die beiden Lager am meisten spaltet die Frage, ob es das Zertifikat braucht oder nicht.

Die Wettbörse als Spiegel
Eine Bewertung aller Befunden lässt die Wettbörse von “50plus1” zu, die laufend die Veränderungen in der Wahrnehmung der Kampagnen resp. der Bevölkerungsmeinung spiegelt. Sie rechnet mit einem Ja von 60%plus zur Pflegeinitiative, mit einer mehrheitlichen Zustimmung zum Covid-Gesetz bis zu 60 Prozent und einem Nein zur Justizinitiative, das mindestens 60 Prozent beträgt.

Noch ausstehende Mobilisierung
Etwas offen ist der Ausgang zum Covid19Gesetz, weil die Schlussmobilisierung erst angelaufen ist. Gfs.bern rechnet mit einer überdurchschnittlichen Beteiligung im 55 Prozent Bereich. Wichtigster Faktor ist auch hier das Vertrauen resp. Misstrauen in die Institutionen. Beide Einstellungen begünstigen die Teilnahme etwa gleich stark.
Die Tamedia-Umfragen äussert sich dazu nicht, 20min spekuliert im Bericht, die Gegnerschaft könnte da noch Boden gut machen.

Fazit
Üblich wäre ein Ja zu einer Behördenvorlage und ein Nein zu einer Volksinitiative. Das dürfte bei der Pflegeinitiative anders ausfallen. Sie wäre damit die erste angenommene, gewerkschaftlich ausgerichtete Volksinitiative in der Schweizer Geschichte.
Ob die Behörden auch beim Covid19Gesetz in die Minderheit versetzt werden, hängt vor allem von Struktur der Beteiligung ab. Momentan scheinen Vertrauende und Misstrauende Menschen ähnlich gut mobilisiert.

Claude Longchamp