Einschätzungen der Abstimmungsausgänge vom 7.3.2021 nach den ersten Umfragen

Heute sind die ersten Umfragen zu den Volksabstimmungen vom 7 März 2021 veröffentlicht worden. Sie stammen aus dem Tamedia-Verbund und sind zuerst in 20 Minuten erschienen. Was weiss man über den Ist-Zustand der Meinungsbildung, und was kann man nicht erwarten?
Demnach befürwortet eine Mehrheit von 63 zu 35 die Verhüllungsinitiative. Bei den beiden Referenden resultiert ein Unentschieden. Bei den elektronischen Informationsdiensten lautet das Verhältnis 45 zu 47. Beim Freihandelsabkommen mit Indonesien liegt es bei 41 zu 39.

Uebersicht über die Tools

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Erläuterungen: Verhältniszahlen= Ja:Nein; p=Wahrscheinlichkeiten

Noch keine Prognosen
Das darf nicht mit den Endergebnissen am Abstimmungstag verwechselt werden. Dafür ist der Zeitpunkt der Erhebung mit 47 Tagen davor deutlich zu früh. Die Meinungsbildung hat erst eingesetzt. Das sieht man beispielweise an den Anteilen Unentschiedener, oder nicht besser, an den addierten Prozentwerten für Festentschiedene. Das sind bei der Verhüllungsinitiative 80%, beim eID rund 60 und beim Freihandelsabstimmungen rund 50 Prozent. Da ist noch viel Luft nach oben und unten, namentlich bei den Referenden.
Es kommen Schwächen von Umfragen hinzu: früh durchgeführte, reine Online-Umfragen überzeichnen die Opposition häufig, namentlich wenn es sich um Themen handelt, die bei einem Internet-affinen Publikum umstritten sind. Denn die sind in ihrer Meinungsbildung voraus, ihre Position wirkt sich in Online-Umfragen beim Kampagnenstart zu stark aus. Das könnte sich auf die Ergebnisse bei den elektronischen Informationsdiensten auswirken.

Erfahrungsregeln zu Vorumfragen
Wichtiger als solche Spekulationen sind die Erfahrungsregeln, was angesichts der Ausgangslagen im Abstimmungskampf geschieht.
Bei Volksinitiativen erwartet man im Normalfall eine Abnahme der Zustimmung, selbst über die Unentschiedenen hinaus. Das heisst, es kommt zu einem Meinungswandel vom Ja ins Nein. Hauptgrund: Die Nein-Kampagnen entwickeln sich rund um die schwächste Stelle der Volksinitiative. Sie kommunizieren erfolgreich ein “So nicht!”, was bei 10-15 Prozent einen Meinungswandel einleiten kann.
Bei einem Gesetzesreferendum verteilen sich die Unentschiedenen erfahrungsgemäss meist auf beide Seiten, denn es kommt mit vermehrter Information zu einem Meinungsaufbau bei anfänglich Unentschiedenen. Das Verhältnis des Meinungsaufbaus in beide Richtung ist recht offen; es hängt von den Kampagnen ab.
Fix ist das alles nicht, denn man kennt auch abweichende Fälle. Demnach kann die Zustimmung bei einer Volksinitiative steigen, wenn der Problemdruck hoch ist und von den Behörden verkannt wird. Das war letztmals bei der Masseneinwanderungsinitiative der Fall. Stets mehrheitlich war die Zustimmung bei der Abzocker-Initiative.
Bei Gesetzesvorlagen kommt es bei abweichenden Fällen zu einem Zerfall der anfänglichen Zustimmungsbereitschaft. Voraussetzung ist, dass die befürwortende Behörden-Allianz zerfällt. Dann sinkt die Zustimmung, und es wächst die Ablehnung. Die Buchpreisbindung war so ein Beispiel, als sich Bundesrat und Parlament widersprachen. Auch die Kinderabzüge gehören dazu, aber aus einem anderen Grund. Die Nein-Seite nahm mit einem Totschlagargument den Lead ein.

Was das für den 7. März bedeutet

Herrscht jetzt der Normalfall vor, kann die sog. Burka-Initiative angenommen oder abgelehnt werden, aber mit weniger Ja als jetzt. Im Spezialfall geht sie glatt durch. Der Ausgang ist demnach gegenwärtig recht offen.
Beim eDI erwartetet man im Normalfall einen knappen Ausgang und zwar im Ja oder Nein. Im Spezialfall ist es Nein. Voraussetzung dafür wäre aber, dass eine grosse Partei wie die SVP die Seite wechseln würde resp. Kantonalparteien in Serie statt Ja Nein sagen würden. Bis jetzt sieht es trotz organisierter Opposition nicht danach aus.
Beim Freihandelsabkommen mit Indonesien ist die Meinungsbildung an sich noch zu wenig ausgeprägt, um eine genauere Einschätzung vornehmen zu können. Sicher ist das Ja nicht, aber durchaus möglich.

Leicht geänderte Einschätzungen
Wirklich klar sieht man immer noch nicht. Das wird allenfalls korrigiert werden, wenn die Umfragen der SRG vorliegen werden. Bis dann sollte man keine voreiligen Schlüsse ziehen. Gesicherte Einschätzungen werden jedoch erst dann vorliegen, wenn auch der Parolenspiegel bekannt sind, die Werbeanalysen und die Medieninhaltsauswertung dazu.
Immerhin haben sich die Einschätzungen, die wir hier in der frühen Phase des Abstimmungskampfes gemacht haben, leicht verändert. Das hat mit den unterschiedlichen Ergebnissen in den Tools zu tun.
Bisher geschätzt wurde der Ausgang der Volksabstimmungen aufgrund der Schlussergebnisse im Nationalrat, der Inhaltsauswertung der amtlichen Information und der Wettbörse. Die hat bisher für drei Normalausgänge gesprochen, mit einem Nein zum Verhüllungsverbot und zwei Ja zu den Behördenvorlagen.
Neu bewerten wir die Lage wie folgt: Der Ausgang zur Verhüllungsinitiative ist nun «offen». Bei den beiden Gesetzen erscheint eine Ja-Mehrheit nicht mehr gesichert, aber immer noch als «eher wahrscheinlich».
Das entspricht übrigens recht genau den Entwicklungen der Wettbörse «50plus1» in den vergangenen Tagen. Der Trend verwies da auf eine zunehmende Chance der Initiantinnen. Derweil veränderten sich die Einschätzungen der BörsianerInnen zu den beiden anderen Vorlagen kaum.
Mehr dazu, wenn die SRG ihre Umfragen publiziert.