Zum Stand der wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Integration der Schweiz in die EU

Die (auch auf diesem Blog) neu lancierte Diskussion über das Verhältnis zwischen der Schweiz und der Europäischen Union geht weiter. Die “Berner Zeitung” von heute stellt fest: Noch ist die Schweiz nicht in der EU. Aber die EU ist schon in der Schweiz. Wie soll das weiter gehen?

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Thomas Cottier: “Die Schweiz ist zum zugewandten Ort der EU geworden.”

Für Thomas Cottier, Rechtsprofessor an der Universität Bern, ist das EU-Recht nicht allumfassend wie die Gesetzgebung eines Staates. Vielmehr regelt es ausgewählte Themen, überlässt aber anderes der nationalen oder regionalen Entscheidung.

Europäisch geregelt sind in der Schweiz die Marktöffnung, der freie Personenverkehr oder der Land- und Luftverkehr (Bilaterale I). Hinzu kommen Sicherheits- und Asylfragen (Bilaterale II). Autonom ausgerichtet sind dagegen zahlreiche kantonale und kommunale Gesetze.

Die Einführung europäischer Gesetze begann allerdings schon vor den Bilateralen. Sie setzte 1995 mit dem neuen Kartellrecht, dem neuen Binnenmarktgesetz und der Beseitigen von Handelshemmnissen ein. Seither führe der autonomen Nachvollzug durch die Schweiz oft zum selben Ergebnis wie die Uebernahme von EU-Recht durch Mitglieder, erklärt Cottier: “EU-Recht ist für die Schweiz unumgänglich, wenn sie in Europa wettbewerbsfähig bleiben will.”

Der Nachteil der Schweiz sei bei der Mitbestimmung, denn die Anpassungen nationaler Eigenheiten an europäische Erfordernisse geschehe in der EU. Die Schweiz könne dann nur noch deren Kompromissfindung übernehmen.

Insgesamt bleibe das Niveau der bilateralen Integration aber unter dem eines Mitgliedes, insbesondere in der Finanz- und Steuerpolitik. Erhöht werden müsste bei einem Beitritt die Mehrwertsteuer, wahrscheinlich verbunden mit einer Senkung der kantonalen Steuern. Hinzu kämen jährliche Beiträge in der Höhe von 3 bis 4 Millarden.

Bei einem Beitritt würde sich nach Ansicht des Berner Europarechtlers vor allem das politische System verändert. Nebst der Reduktion des Föderalismus, würde auch das Referendum an Bedeutung verlieren. Denn eine abgelehnte nationale Gesetzgebung, die auf EU-Recht basierte, müsste nochmals zur Entscheidung vorgelegt werden. Würde der Entscheid erneut negativ ausfallen, müsste die Schweiz der EU ein Bussgeld bezahlen. Für Cottier würde damit der Konkordanzzwang, der vom Referendum ausgehe, bei der Bildung der Regierung gelockert. Mehrheitsregierung würden wahrscheinlicher.

Ganz unabhängig davon, warnt der Jurist, sich der Illusionen eines Alleingangs hinzugeben. Die Schweiz sei mit ihrem wichtigsten Handelspartner eng verbunden, das Verhältnis untereinander sei mit sektoriellen bilateralen Verträge geregelt. Diese vor dem Hintergrund einer klaren Vorstellung über den Platz der Schweiz in Europa zu institutionalisieren, sei Aufgabe des Landes, ob es Mitglied werde oder nicht.

Claude Longchamp