Ein vierjähriges Bundespräsidium für die Schweiz

Kolumne für Swissinfo, 10. Januar 2019

Die Schweiz hat Macht und Führung bisher achtsam verteilt. Das zeigt sich in der Beschränkung des Bundespräsidenten. Kaum ist er im Amt, ist seine Zeit vorbei. Doch die Gegenwart bietet Eintagesfliegen keinen guten Lebensraum. Sie verlangt Konstanz und Leadership.

Es ist bekannt, ich bin ein Fan des schweizerischen Regierungssystems.
Der Bundesrat und seine sieben Mitglieder leisten gute Arbeit, wenn es um den Zusammenhalt des Landes geht. Zwar brauchte es Krisen, damit nebst dem liberal gesinnten Bürgertum auch Katholisch-Konservative, Bauern und Arbeiter miteinbezogen wurden.
Die Erweiterung gelang mit dem Einbezug von CVP, SVP und SP in den ursprünglich freisinnigen Bundesrat. Spät setzte hierzulande die Öffnung der Männerpolitik gegenüber Frauen ein. Doch auch hier: Nach einem halben Jahrhundert hat sich die Schweiz vom letzten Platz beim Frauenstimmrecht weltweit in den vorderen Drittel bei der Frauenrepräsentation vorgearbeitet.

Symptom: Irrlichternde Europa-Politik

Trotz der unbestrittenen Vorteile sehe ich auch offensichtliche Nachteile unseres bisherigen Regierungssystems.
Die grösste Schwäche besteht in der strategischen Führung. Eklatant sichtbar ist dies gegenwärtig beim Europa-Dossier. Die Forderung nach einem Rahmenabkommen mit der EU als Fortsetzung der Bilateralen liegt seit fünf Jahren auf dem Verhandlungstisch. Erst 2018 machte der Bundesrat einen sichtbaren Schritt nach vorne, allerdings ohne sich der Gefolgschaft der Veto-Player wie Gewerkschaften, Gewerbeverband und Kantone sicher zu stellen.
Bundesrat Cassis, zuständig für die Aussenpolitik, schloss das Abkommen dennoch ab. Prompt widersetzte sich der Gesamtbundesrat. Er ordnete eine innenpolitische Debatte von sechs Monaten an. Die EU stimmte dem zu, wiederholte aber, die Verhandlungen selber seien abgeschlossen.
Genau das will stellt unser neuer Bundespräsident Ueli Maurer nun in Frage. Er verlangt Nachverhandlungen.
Das ist eine erneute Manifestation des Zick-Zack-Kurses in der Europa-Politik. Es verdichtet sich der Eindruck, das Rahmenabkommen sei innenpolitisch eine Totgeburt. Manche meinen, es gehe nur noch darum, wem man die Schuld für das Misslingen in die Schuhe schieben kann.

Diagnose: Führungsvakuum

Meine These ist anders: Das Bundespräsidium ist der institutionelle Teil des Problems. Es ist ein Amt ohne spezifische Aufgaben und Kompetenzen. Es geht aus einer jährlichen, vor allem aber rituellen Wahl hervor. Nichts und niemand garantiert Konstanz in Zielen und Mitteln.
In den Verhandlungen zum Rahmenabkommen vertraten so der Reihe nach Didier Burkhalter (FDP), Simonetta Sommaruga (SP), Johann Schneider-Ammann (FDP, Doris Leuthard (CVP) und Alain Berset (SP) die Farben der Schweiz. Jetzt ist es Ueli Maurer (SVP).
Ihnen stand stets Jean-Claude Juncker, auf fünf Jahre gewählter EU-Kommissionspräsident, gegenüber. Solange man beiderseits substantiell verhandelte, ging das noch durch. Jetzt, wo es hart auf hart geht, wirkt es asymmetrisch: Eine Reihe von Eintagesfliegen, die mit der Kreuzspinne verhandeln.
Schlimmer noch: Der Aussenminister, unterstützt von der Diplomatie, wirkt bloss noch als Organisator. Die politische Führung liegt beim Bundesrat und dem jeweiligen Bundespräsidenten. Wenn Aussenminister und Bundespräsident unterschiede Ziele und Mittel verfolgen, kann dies gefährlich werden.

Lösung: Mehr Führung, klarere Aufgaben

Eine Reform des Schweizerischen Regierungssystems muss beim Bundespräsidenten beginnen. Sie muss die Dauer und die Kompetenzen neu regeln.
Mein Bundespräsident der Zukunft ist für die Gesamtstrategie des Bundesrates zuständig. Diese ergibt sich aus den Legislaturzielen, von den Regierungsparteien vorbereitet, vom Parlament abgesegnet.
Was höchste Priorität bekommt, wird im Präsidialdepartement angesiedelt. Aktuell wäre das die Europa-Politik.
Der Bundespräsident oder die Bundespräsidentin ist dafür zuständig. Ihm oder ihr obliegt es, die strategischen Vorlagen zu erarbeiten und Ergebnisse im Aus- und Inland zu vermitteln.

Neues Modell: Längeres Bundespräsidium

Das klappt mit einer einjährigen, nebenamtlich betriebenen Amtsdauer definitiv nicht mehr. Nötig ist eine Verselbständigung und Verlängerung des Bundespräsidiums. Zwei konkrete Vorschläge wurden in den vergangenen Jahren gemacht: Doris Leuthard befürwortete einen zweijährigen Vorsitz, Moritz Leuenberger eine vierjährige Dauer.
Ich neige zum zweiten Vorschlag. Der erste ist zwar auch eine Verbesserung, und er liesse sich im bisherigen Rahmen realisieren. Es bliebe aber die Doppelbelastung durch Departementsführung und Bundespräsidium. Das hemmt die strategische Arbeit.
Ein vierjähriges Präsidium bietet den Vorteil, die Führung sowohl zu verstetigen, wie auch ihre Aufgaben klarer zum umreissen.

Legitimation: Das Volk wählt die Führung

Ein aufgewertetes Präsidium würde wohl ein neues Wahlverfahren nach sich ziehen. Mir scheint, der beste Ausweg ist die Volkswahl des Bundespräsidenten. Bewerben könnten sich Mitglieder mit einer vollen Legislatur in Frage. Das würde die Verankerung im Gremium und die Qualifizierung in der Sache sichern.
Gewählt würde zu Beginn der Amtsdauer nach einem kurzen, aber intensiven Wahlkampf. Bei dem hätten die Kandidaten oder Kandidatinnen ihre Perspektive des Landes zu formulieren und ihr Leadership unter Beweis stellen. Am Ende würden die Wahlberechtigten demokratisch entscheiden.
Sicherlich müsste man die verfassungsmässig geregelte, angemessene Vertretung der Landesteile sichern, etwa durch die Bestimmung einer oder eines Vize durch den Bundespräsidenten. So könnte die Vertretung der Sprachregionen die politische Ausrichtung des Präsidiums ausgleichen. Und für den Notfall stünde eine Vertretung bereit.

Bilanz: Präsidialdepartement, kein (Minister)Präsident

Eine präsidentielle Demokratie wie etwa in den USA entstände so nicht. Denn die Mitglieder des Bundesrats würden unverändert vom Parlament gewählt. Der Bundespräsident könnte niemanden entlassen. Ausserhalb des Präsidialdepartementes hätte er keine besonderen Befugnisse.
In seinem Rayon müsste er aber vermehrt führen, Querbezüge zu anderen Departementen schaffen, Interessengruppen und Regierungsparteien einbinden. Für seine Politik müsste er mehr Verantwortung tragen und im Parlament die Vertrauensfrage stellen können.
Der Kanton Basel-Stadt kennt bereits heute ein verwandtes System. Die Erfahrungen sind gut. Auch zahlreiche Städte funktionieren ähnlich. Sie alle zeigen, dass ein Präsidium mit dem Kollegialsystem vereinbar ist. Es stärkt dieses sogar, wenn dadurch die absolut nötige Konsenssuche mit der Führung in strategisch wichtigen Themen verbunden wird. Denn ohne dies gibt es auch in anderen Fragen Lagerbildung und Dissens.
Klar ist, dass diese Idee mit der Tradition des “primus inter pares” (dem Ersten unter Gleichen) bricht. Doch genau das ist das Ziel. Denn heute verstehen sich Bundespräsidentinnen bisweilen als etwas “mehr”, ohne das je geregelt wurde, worin dies “mehr” besteht. Das ist neben gewichtigen Vorteilen ein offensichtlicher Nachteil des Schweizer Regierungssystems.