Wenn rechtspopulistische Parteien besonders stark werden …

Eine bemerkenswerte Beobachtung zu den Folgen besonders starker rechtspopulistischer Parteien lernte ich gestern am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich kennen. Wie erwartet zeigt ein solcher Wandel der Parteienlandschaft Effekte auf die Mobilisierung. Anders als vermutet resultieren jedoch nicht einfach höhere Beteiligungsraten in den Unterschichten.

Semesterende. Fast schon traditionellerweise stellen die Bachelor-Studierenden von Silja Häusermann ihre ersten Forschungsarbeiten in der Olivenhalle des Instituts für Politikwissenschaft an der Universität Zürich vor. Diesmal war “Ungleichheit, Demokratie und Partizipation” das Rahmenthema.
“Rechtspopulistische Parteien und partizipatorische Ungleichheit” hiess das Poster von Thierry Joerin – von allen, die ich gestern gesehen und gelesen habe, ist es mir am meisten aufgefallen.

rechtspop
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Mit seiner Ausgangshypothese erlitt Thierry Joerin allerdings Schiffbruch. Denn zu Beginn ging er wie die meisten theoretischen Annahmen davon aus, dass rechtspopulistische Parteien WählerInnen mit einem niedrigen Bildungsniveau so gut mobilisieren können, dass die regelmässig beobachteten Ungleichheiten in Partizipation aufgrund des Bildungsstatus verringert werden. Geprüft hat er dies anhand des European Social Surveys 2012, der Daten aus 21 Ländern zur Verfügung stellt – und wurde überrascht. Die Hypothese musste verworfen werden..
Im Gegenzug resultierte eine relevant andere Beobachtung. Vor allem dort, wo es besonders starke rechtspopulistische Parteien gibt, steigt die Wahlbeteiligung an sich. “Der Effekt auf höher Gebildete ist jedoch stärker als auf niedrig Gebildete”, schreibt der Jungforscher.
Ganz alleine ist Joerin mit seinem Ergebnis nicht. Nachträglich fand er in der Fachzeitschrift “Electoral Studies” eine Abhandlung über die Rolle rechtspopulistischer Parteien auf die Wahlbeteiligung, die in die gleiche Richtung verweist.
In meinen Worten erklärte ich mir das so: Wenn rechtspopulistische Parteien besonders erstarken, polarisiert das die Parteienlandschaft. Das zeigt Effekte auf untere Bildungsschichten, die eine erhöhte Wahrscheinlichkeit zur Teilnahme an Wahlen zeigen. Die Polarisierung hat jedoch auch eine Gegenreaktion zur Folge, gemäss dies auch obere Bildungsschichten vermehrt zur Wahlteilnahme aktiviert werden.
In der Schweiz haben wir das in den letzten 20 Jahren gleich mehrfach erlebt. Mit der Neuausrichtung der SVP in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts nahm die Polarisierung der hiesigen Parteienlandschaft zu. Gestiegen ist damit die Wahlbeteiligung – insgesamt und auch gruppenspezifisch. Der neueste Selects-Bericht zu den Wahlen 2015 legt nahe, dass es Effekte in den unteren und oberen Bildungskategorien gibt, in den höchsten Gruppen jedoch deutlichere.
Was das konkret heissen kann, haben wir bei der Durchsetzungsinitiative drastisch erlebt. Die versuchte rechtspopulistische Mobilisierung erfuhr eine mindestens so starke Gegenmobilisierung. Die VOX-Analyse dazu legte jüngst nahe, dass die scharfe Polarisierung rund um das SVP-Anliegen gerade hinsichtlich der Bildung Auffälligkeiten zeigte. Denn die Studienautoren hielten fest, dass die spezifische Mobilisierung entlang der Bildungsschicht ein wesentlicher Faktor für den negativen Ausgang der Volksentscheidung war.
Eine Theorie zu Folgen der partizipatorischen Ungleichheit bei Anwesenheit starker rechtspopulistischer Parteien ist das noch nicht. So fehlt eine Analyse der Rahmenbedingungen, die dazu führen.
In erster Linie sind das spannende Beobachtungen. Doch genau das ist Forschung. Sie fragt, ob ein Ergebnis ein Einzelfall ist oder generalisiert werden kann. Ist letzteres gegeben, geht die Suche nach Ursachen los, aus denen geprüftes und gesichertes Wissen entsteht.
Der erste Schritt ist gemacht! Wer macht die nachfolgenden?

Claude Longchamp