Das WWWW des Wahlbarometers 1/2015

Vier Thesen zur Standortbestimmung sieben Monate vor der Nationalratswahlen 2015, die ich nach der Analyse des ersten Wahlbarometers 2015 und vor der Publikation in den SRG-Medien abgefasst habe.

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Das erste W: Wer will sich beteiligen?
Gegenwärtig zeigen 48 Prozent der Wahlberechtigten ein Interesse, sich an der Wahl im Herbst 2015 zu beteiligen. Das ist für den frühen Zeitpunkt der Standortbestimmung ein hoher Wert. Bezogen auf die gegenwärtig denkbaren Mobilisierungspotenziale bewegen sich GLP und GPS bereits am oberen Ende. Die schlechteste Mobilisierung kennt aktuell die BDP. Die anderen Parteien kennen eine mittlere, übliche Mobilisierung.
Die gegenwärtigen Teilnahmeabsichten steigen mit dem Bildungsgrad an. In der deutschsprachigen Schweiz sind die Beteiligungsabsichten ausgeprägter als in den anderen Landesteilen, und sie entwickelt sich nach oben. Das spricht für eine ungleich starke Politisierung der Sprachregionen. Eine auffällige Mobilisierung von Protestpotenzialen gibt es wenigstens für den Moment nicht.
Verglichen mit der Wählerschaft von 2011 hat sich die SP in ihrer Mobilisierungsfähigkeit eher verbessert. Verglichen mit der gleichen Wahlbarometer-Analyse im Herbst 2014 ist vor allem die SVP in Fahrt gekommen.

Das zweite W: Was würde man wählen?
Aktuell wäre die Reihenfolge der Parteien fast gleich wie 2011. Nur die GLP und die BDP würden die Plätze 6 und 7 miteinander tauschen. In Prozentzahlen ausgedrückt würden heute die FDP.Die Liberalen etwa zulegen können, die GPS und die BDP hätten dagegen Probleme, ihren Wähleranteil von 2011 zu halten. Die anderen Parteien wären stabil. Generell fielen die Werte für die Veränderungen von Parteistärken geringer aus als bei den letzten Wahlen, was für eine Stabilisierung des Parteiensystems spricht. Seit dem letzten Herbst gibt es aber einen Trend zur Stärkung der bürgerlichen Parteien insgesamt.
Unterschiede in den Wählerprofilen finden sich vor allem hinsichtlich sozio-demografischer Merkmale. Frauen neigen eher zu linken, Männer zu rechten Parteien. Schichteinflüsse finden sich nicht einfach zwischen linken und rechten Parteien, eher zwischen liberal und konservativ ausgerichteten.

Das dritte W: Warum würde man eine Partei wählen?
Von Wahl zu Wahl zugenommen hat die Bedeutung von Themen. Heute ist es der wichtigste Wahlgrund. Motivierend auf die Mobilisierung wirkt auch eine Kampagne, die bei der eigenen Wählerschaft gut ankommt.
Imagemässig mit Themen profilieren können sich meist nur Polparteien. Umweltschutz und Migration zählen in der Regel als Stärken von GPS und SVP. Eine eindeutige Themenführerschaft besteht aber nicht mehr, denn die Positionen beider Parteien in ihrem Kernthema sind umstrittener geworden. Erstmals besetzt die SP kein Thema mehr eindeutig. Potenzial hätte sie aber in der Migrations- und Europa-Frage.
Anders sieht es aus, wenn man auf die Wahrscheinlichkeit abstellt, dass eine bestimmte Person eine bestimmte Partei wählt. Da sind heute ökonomische Fragen rechts der Mitte massgeblich, links sind es Gerechtigkeits-, Umwelt- oder Migrationsfragen. Personenbezüge spielen keine so dominante Rolle mehr wie früher. Die Polarisierung auf der Links/Rechts-Achse bleibt hoch, die Unterschiede in Wertfragen, insbesondere zwischen Offenheit und Unabhängigkeit haben sich etwas eingeebnet.

Das vierte W: Tut der neue Frankenkurs weh?
Die Mehrheit der Wahlberechtigten steht hinter der Entscheidung der Nationalbank, die Euro-Untergrenze aufzuheben. Das gilt, mit Ausnahme der grünen Wählerschaft für alle Parteilager, auch wenn die Zustimmung bei liberalen Parteien höher ist als bei konservativen und linken. Das zentrale Bedenken besteht bei den Folgen für die Exportindustrien; dem stehen aber vorteilhafte Erwartungen für den Konsum gegenüber. Weder Protest, noch Demobilisierung können wir als Folge der Debatte über den Frankenkurs namhaft festhalten; vielmehr dominiert die mehrheitliche Loyalität gegenüber den wichtigsten wirtschaftspolitischen Entscheidungen der letzten Monate.

Claude Longchamp