Die fiktive Wählerzahl der Parteien

Wie viele WählerInnen haben die Schweizer Parteien? – Eine schwierige Frage.

stimmenanteil
Typisches Beispiel für eine Fehlinformation auf Wikipedia: Stimmenanteil statt Wähleranteil

Diese Frage stellte ich meinen Studierenden in der ersten Veranstaltung zu meiner Wahlforschungsvorlesung. Hierzu legte ich ihnen die obige Grafik vor, mit den Parteistärken, wie man sie überall auf dem Internet findet.
Die Antwort aus dem Saal kam prompt, und sie ebenso prompt falsch!
Denn die 26,6 Prozent beispielsweise bei der SVP 2011 bedeuten nicht, dass die SVP von 26,6 Prozent der Wählenden unterstützt wurden. Vielmehr bekam sie 26,6 Prozent der Stimmen. Das ist keine Spitzfindigkeit, sondern ein wesentlicher Unterschied.

Nur in Einerwahlkreisen für den Nationalrat, wo jede und jeder Wählende genau eine Stimme hat, sind Stimmen und Wählende identisch. Was man gerne übersieht, ist die weitere Definition der Stimmen. Denn in jedem Wahlkreis haben die Wählenden so viele Stimmen, wie Sitze zu vergeben sind. Damit hat es in jedem dieser Wahlkreise mehr Stimmen als Wählende.
Wenn nun ein Wählender, eine Wählende Kandidierende verschiedener Parteien wählt, verteilt sie ihre Stimmen auf deren Parteien. Beispielsweise werden in einem Kanton mit 10 Sitzen 5 Stimmen für grünliberale Kantone abgegeben, 3 für solche der FDP und 2 für die GPS. In der Statistik des BfS erscheint sich diese Person auf die drei gewählten Parteien, entsprechend der Stimmen für deren Kandidierenden.
Mit anderen Worten: Jede Partei hat mehr Wählenden als die ausgewiesene Parteistärke vermuten lässt. Nur gehören sie nicht ihnen alleine!

Bis hierher hat das Ganze noch nichts mit Wahlforschung zu tun. Doch der Clou kommt erst noch! Denn das Bundesamt für Statistik weist nirgends aus, wie viele Personen mindestens eine Stimme für eine Partei abgegeben haben. Somit weiss man letztlich auch nicht, wie viele Wählende jede Partei hat.

Eigentlich ist das ein gutes Beispiel, warum es Wahlforschung braucht, selbst bei der elementarsten Informationsbeschaffung. Nur fehlt diese Auswertung meines Wissens bis heute. Denn der Datenschatz gehört den Kantonen einzeln, und die Werten nicht die Listen aus, sondern die Stimmen der Kandidatinnen.

So bleibt es bei der Fiktion, dass man die Wählerstärken der Parteien kennen würde. Das BfS weiss darum, es weist die Wählerzahl der Parteien als Divisor aus KandidatInnen-Stimmen für eine Partei durch KandidatInnen-Stimmen für alle Parteien aus.
Und nennt es die fiktive Wählerzahl! Das sollte man nicht vergessen. Denn es entspricht dem Stimmen- nicht aber dem Wähleranteil.

Claude Longchamp