Drei Szenarien für die Nationalratswahlen 2015

Nach den Wahlen im Kanton Basellandschaft gilt es, Zwischenbilanz zu ziehen, wohin sich die Schweizer Parteienlandschaft entwickelt. Ein Ordnungsversuch aus übergeordneter Warte.

Nach den Baselbieter Wahlen wurde verschiedentlich darüber spekuliert, was sie für die Nationalratswahlen bedeuten. Überwiegend zeigt sich raschen Schlussfolgerungen Skepsis gegenüber, denn in jeder kantonalen Wahl hat es nationale und lokale Elemente. Um gesamtschweizerische Trends ermitteln zu können, empfiehlt es sich eher, alle kantonalen Wahlen zu berücksichtigen. Doch kann auch das täuschen. So kannte die SVP zwischen 2008 und 2011 kantonal eine positive Bilanz, verlor dann aber national. Hauptgrund hierfür ist, dass der Wahlkampf vor Nationalratswahlen intensiver, thematischer und polarisierender ist als in den meisten kantonalen Entscheidungen. Das führt zu einer ganz anderen Mobilisierung, deren Zusammensetzung gerade politisch schwer vorweg genommen werden kann.

Anstatt auf Wähleranteile zu schauen, kann man auch die Muster in den Veränderungen betrachten. Genau das sei hier versucht. Im Überblick kennt man drei vorherrschende Muster: die Stärkung der neuen Mitte, die Polarisierung, der Rechtsrutsch. Anbei ihre Phänomenologie, die Indikatoren hierfür und eine Einschätzung meinerseits der momentanen Wahrscheinlichkeiten.

1. Neue Mitte weiter gestärkt
Gemeint ist damit, dass GLP und BDP zulegen.
Hauptgrund hierfür wäre, dass sich der Trend aus den letzten Nationalratswahlen fortsetzt. Zweifel kommen vor allem bei der BDP auf. Zwar konnte die BDP ihre Rolle als Beschafferin von Mehrheiten beim Bankgeheimnis und bei der Energiewende aufzeigen: Doch scheitert das zentrale Projekt . Denn die Union mit der CVP zur Stärkung der Mitte scheiterte am Widerstand der BDP-Kantonalparteien. Dieser Punkt spricht auch nicht unbedingt für die GLP, denn auch sie zog es nach 2011 vor, sich selber zu profilieren, als an einem starken Mitte-Block zu zimmern.
Elektoral steht die GLP gut da. Bei den kantonalen Wahlen legte sie in der Regel zu, in Wahlbefragungen weist sie konstant ein Plus auf. Anders sieht es bei der BDP aus. In Bern stürzte sie gar in einem Gründerkanton ab, immerhin, in Graubünden und Glarus behauptete sie sich weitgehend. Baselland zeigte nun, dass die Partei ausserhalb der Gründerkantone organisatorisch und personell alles andere als gefestigt ist.
Mit anderen Worten: Die neuen, kleinen Parteien mit Tendenz zur Mitte waren die Hoffnungsträger von 2011. Das hat sich teilweise geändert. Die GLP könnte aus dem Ständerat eliminiert werden und im Nationalrat selbst bei gleichbleibender Stimmenstärke Sitze verlieren. Die BDP wird es schwer haben, sich vor allem im Nationalrat zu behaupten.
Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Szenario im Oktober eintritt, halte ich für recht gering, maximal bei 25 Prozent.

2. Polarisierung zwischen rechts und links

Gemeint ist in diesem Fall, dass vor allem SVP und SP zulegen.
Hauptgrund hierfür ist, dass es das Hauptmuster der Wahlen zwischen 1995 und 2003. Ursache hierfür sind polarisierende Themen. Meist sind es Fragen der Migrationen, allenfalls auch der Umwelt, der Wirtschaft oder der Sozialpolitik. 2015 ist ersteres eindeutig gegeben. Migrationsfragen stehen im Sorgenbarometer meist ganz oben. Zudem verharrt die zentrale Frage der Schweizer Politik – die Umsetzung der Masseneinwanderungsinitiative – im politischen Patt. Weder die SVP konnte hier überzeugen, noch haben ihre Widersacher eine umsetzbare Lösung. Vielmehr riskiert die Schweiz hier europa- wie innenpolitisch noch im Wahljahr in eine Krise zu geraten. Kommt hinzu, dass sich die Fragen nach der Aufhebung der Euro-Untergrenze durch die Nationalbank verschärft stellt: Die SVP fordert Deregulierungen für Unternehmungen und politischen Alleingang, die Linke setzt auf Massnahmen, welche die Situation wirtschaftlich abfedert und politisch im Sinne der Annäherung an die EU regelt.
Elektoral spricht einiges für dieses Szenario. Zwar stagnieren SVP und SP im letzten Herbst noch. Bei kantonalen Wahlen weisen sie aber beide ein knappes Plus auf. Die SP profitierte eher in der ersten Hälfte der Legislatur, die SVP in der zweiten. Gleiches findet sich bei Abstimmungen. Bis und mit der Minder-Initiative überwogen die Erfolge von links, namentlich mit der Masseneinwanderungsinitiative wurde die Polarisierung von rechts gestärkt. Massgeblich dürfte hier sein, wie sich die Wirtschaftslage bis Mitte Jahr verschärft und, ob das Thema von einer Seite oder von beiden Polen zur Eigenprofilierung besetzt werden kann.
Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Szenario den Wahlherbst bestimmt, halte ich gegenwärtig für die höchste, wohl bei 45 Prozent.

3. Allgemeiner Rechtsrutsch

Gemeint ist hier, dass das rechte Lager von SVP bis CVP zulegt.
Dieses Muster wäre 2015 nicht ganz neu, denn es kam in Ansätze auch 2007 zum Tragen. Die SVP gewann die Wahl, doch auch die CVP konnte leicht zulegen. Nur bei der FDP.Die Liberalen fehlte ein entsprechender Trend.
Hauptgrund für dieses Szenario ist die Aussicht auf die Bundesratswahlen. Denn bei einer solchen Entwicklung ist damit zu rechnen, dass die BDP aus der Regierung ausscheidet und mindestens Teile der CVP der SVP zum zweiten Bundesratssitz verhelfen. Die gescheiterte Union der Mitte könnte hier die Wende gebracht haben. In den Kantonen wird hier kräftig vorgespurt. Der Trend geht hier Richtung kleiner Konkordanz, neu aber nicht mehr ohne SVP, sondern ohne SP. Baselland war ein deutliches Beispiel, das sich im Kanton Luzern wiederholen könnte. Auch in Zürich ist es denkbar, dass die CVP dank bürgerlicher Allianz wieder eine Regierungspartei wird.
Elektoral sind die Zeichen gemischt. Die SVP ist vor allem in den Kantonen in Fahrt gekommen; bei der FDP.Die Liberalen sind Licht und Schatten gemischt. Negativ bleibt die Bilanz bei der CVP, allerdings vor allem wegen einer herben Niederlage im Wallis. Verbessert hat sich die Befindlichkeit der Parteien. Bei der SVP ist Optimismus nichts Neues, bei FDP.Die Liberalen und CVP schon. Ihre Fortschritte haben sie in einigen kantonalen Wahlen demonstrativ zur Schau gestellt, aber auch in nationalen Abstimmungskämpfen treten sie selbstbewusster auf als auch schon . In Umfragen kommt dies namentlich bei der FDP.Die Liberalen etwas zum Tragen, namentlich deshalb, weil sie die innere Mobilisierung verbessert hat.
Die Wahrscheinlichkeit, dass dieses Szenario im Wahlherbst eintritt, schätze ich auf 30 Prozent.

Theoretisch wäre auch ein allgemeiner Linksrutsch denkbar. Die Wahrscheinlichkeit scheint aber sehr gering. Weder die kantonalen Wahlen noch die Wahlumfragen legen das nahe. Zudem gibt es in verschiedenen Kantonen lähmenden Streit zwischen beiden Parteien . Schliesslich drängt sich wenigstens momentan auch kein rotes oder grünes Thema auf, das die Öffentlichkeit beherrschen würde und die Wahlen bestimmen könnte.

Claude Longchamp