Bern wählt – das Stadtparlament, die Stadtregierung und das Stadtpräsidium

Bleibt Alexander Tschäppät Berns Stadtpräsident? Kommt es zu einem Mehrheitswechsel im Gemeinderat, der Stadtberner Exekutive? Und wie stark wird das neue Zentrum im Stadtrat, dem Stadtparlament? Das beantworten die Berner und Bernerinnen morgen, wenn sie ihre Behörden für die kommenden vier Jahre bestellen.


Alle wollen in die Stadtregierung – Karikatur zur Berner Wahl 2012 (via Wahlkampfblog)

Die bisherigen Stärkenverhältnisse
Alexander Tschäppät ist bis zur Wahl sicher Berns aktueller Stadtpräsident. Er steht einer mehrheitlich rotgrünen Regierung vor; die SP hat 2 Sitze, das Grüne Bündnis einen, genauso wie FDP und CVP. Im Berner Stadtparlament sind die Mehrheitsverhältnisse etwas offener, denn nach der letzten Wahl hatte sich eine Mitte gebildet, zu der heute frühere Exponenten des linken wie rechts Pols zählen. Die Fraktionen des RotGrünMitte-Bündnisses kommen seither auf 30 Sitze, plus 3 linke Fraktionslose. Die Rechte bringt es auf 19 Sitze plus 1 rechter Fraktionsloser. Die Mitte wiederum vereinigt 17 Sitze, und es verbleibt ein Parteiloser. Nicht eindeutig ist die Zuordnung von Grüner Freien Liste und Evangelischer Volkspartei, die eine gemeinsame Fraktion bilden, welche die Mehrheit ausmacht, wenn sie mit dem linken, resp. mit dem rechten Ratsteil stimmt.

Blöcke und Personen
Trotz 3 Rücktritten im Gemeinderat, Spannung kam vor den Wahlen 2012 nicht auf. Mit einer hohen Wahlbeteiligung ist nicht zu rechnen.
Nach Diskussionen fand sich RGM wieder zusammen und schickte mit Bern-hoch-4 ein Quartett für die fünf Regierungssitze ins Rennen. Einzig bisheriger ist Stadtpräsident Alex Tschäppät. Aussichtsreiche Kandidatinnen sind die bekannten Nationalrätinnen Ursula Wyss (SP) und Franziska Teuscher (GB).
Die Mitte, angeführt vom bisherigen CVP-Gemeinderat Reto Nause, nominierte breit; es kandidieren 5 Personen; 2 von der CVP und je eine von der BDP, GLP, EVP.
Auch auf der bürgerlichen Liste bewerben sich 5 KandidatInnen, 3 von der SVP und 2 von der FDP.
Ambitionen fürs Stadtpräsidium haben 3 Männer angemeldet: Der Bisherige Alex Tschäppät von der SP; Herausforderer sind Alexander Schmidt von der FDP und Beat Schori aus den Reihen der SVP.

Ein Vor-Wahlkampf voller Tücken
Interessanter als der ausgesprochen themenarme Wahlkampf war das Nominierungsverfahren, insbesondere für die Exekutive. Von rechts her hätte man gerne wie 2008 ein gemeinsames bürgerliches Päckli geschnürt, um die Mehrheit zu erringen. Doch die CVP mochte nicht mehr mitmachen und zimmerte die neuen Mitte-Allianz. Zwischen FDP und SVP entstand in der Folge ein Gerangel um die Führung im verbliebenen bürgerlichen Tandem, nicht zuletzt wegen der Kandidatenauswahl, die bei der SVP zur Posse verkam. Aufgewühlt wurde die Situation schliesslich durch den Vorschlag aus der Mitte, für das Stadtpräsidium zu kandidieren. Dies führte umgehend zu weiteren Vorschlägen aus SVP- und FDP-Kreisen, worauf BDP verzichtete und FDP und SVP mit je einer Kandidatur da standen, die sich schon im eigenen Lager konkurrenzieren und kaum Aussichten auf Mehrheiten haben.

Szenarien der Wahlen
Wenns ums Stadtpräsidium geht, rechnet man in Bern allgemein mit der Wiederwahl von Alex Tschäppät. Selbst wenn er mit seinem Lebenswandel bisweilen aneckt; dank seiner Popularität ist er in einer Majorzwahl nur schwer zu schlagen. Auch diesmal war sein Auftritt um Längen besser als der seiner Konkurrenten, sowohl persönlich als auch werberisch. Die höchste denkbare Hürde für den Stadtpräsidenten ist seine Wahl in den Gemeinderat. Denn es ist gut möglich, dass Ursula Wyss und Franziska Teuscher von der frauenfeundlichen RGM-Wählerschaft top gesetzt werden. Sollte es in der Proporzwahl wider Erwarten nur für 2 der 5 Sitze im Gemeinderat reichen, könnte Tschäppät als Ueberzähliger ausscheiden, selbst wenn er die Wahl zum Stadtpräsidenten gewinnen würde. Denn der Einzug in den Gemeinderat ist in Bern Voraussetzung, um diesen auch präsidieren zu können.
Sollten alle drei Bewerber für das Stadtpräsidium Gemeinderäte werden und bei der Stadtpräsidentenwahl keiner das absolute Mehr erreichen, kommt es am 13. Januar 2013 unter den drei Kandidaten zu einer Stichwahl. Sollte es keiner von ihnen schaffen, Mitglied der Stadtregierung zu werden, findet am gleichen Datum ebenfalls zu einer Stichwahl, allerdings wären nur noch die 5 gewählten GemeinderätInnen wahlberechtigt.

Berner Wahlen als Ausdruck des urbanen Wählens in der (Deutsch)Schweiz
Die Ausgangslage für die Gesamterneuerung der Stadtberner Behörden gleicht jener in anderen Grossstädten der deutschsprachigen Schweiz. In den Regierung legt Rotgrün dank geschickter Personalplanung den Takt vor. Die Rechte ihrerseits bekundet Mühe, Allianz zu schliessen, und es mangelt an regierungsfähigen Kandidaten. Immer deutlicher schiebt sich zwischen diese Pole ein buntes Gemisch aus verschiedenen Parteien, das namentlich in den Parlamenten von Belang ist. Deshalb stehen sich bei der Berner Wahl 2012 erstmals drei Blöcke gegenüber.
Der Wandel setzte 1992 ein, als die SP, traditionell Berns stärkste Partei, im bürgerlichen Bern aber isoliert, dazu überging, ein Bündnis aus roten, grünen und Mitte-Parteien zu schmieden. Damit kippten die Mehrheiten im Stadtrat, aber auch im Gemeinderat. Für ihren Strategiewechsel wurde die SP nicht nur belohnt. Zwar stellt sie seither stets den Stadtpräsidenten, doch verliert sie seit 2000 WählerInnen an das Grüne Bündnis auf der linken Seite und an die Grüne Freie Liste rechts von ihr. Verstärkt wurde der Umbau 2008, als die BDP, eine Abspaltung der SVP, genauso wie die GLP, eine Abtrennung von den Grünen, ins Stadtparlament einzogen und mit ihren WählerInnen-Stärken wesentliches zur Bildung der neuen Mitte beitrugen. Die kommende Legislatur wird zeigen müssen, ob daraus eine schlagkräftigen Allianz wird, welche mit eigenen starken Personen die polarisierte Politik mehr als nur fallweise durchbrechen kann.
Bisher sind Bemühungen in diese Richtung in der Regel daran gescheitert, dass vor allem die rotgrünen Parteien die Zeichen der urbanen Politik konsequenter als alle anderen erkannt haben: ohne Frauen in Spitzenpositionen und bei Nominationen für Regierungssitze, aber auch ohne familienfreundliche Politik kann man heute in Grossstädten keine Mehrheiten erringen. Die Rechte hat sich da kaum verändert, die Mitte ist dabei, sich zu wandeln. Doch zeichnen sich jetzt schon die Konturen der nächsten Wahl ab: 2016 dürfte es um die Nachfolge von Alex Tschäppät gehen, für die sich dannzumal regierungserfahrene Politikinnen aus dem rotgrünen Lager jetzt schon in Stellung bringen!

Claude Longchamp

PS: Resultate morgen über Stadt Bern