(Miss)Erfolgskriterien von Volksinitiativen


Bilanz meiner Erfahrungen: Der (nachgewiesene) Problemdruck hinter einer Volksinitiative entscheidet, ob aus dem Aufgreifen von Themen politische Programm via Parlament oder Volksabstimmung wird.

Das NPO-Forum lädt ExpertInnen und PraktikerInnen ein, über Stolpersteine und Erfolgsbedingung nachzudenken. Ich will meinen Beitrag zur Schärfung der gegenwärtigen Problematik mit Referat und Podiumsdiskussion leist. Hier meine These für den heutigen Nachmittag.

Ende des 19. Jahrhundert führte man die Volksinitiative ein. Mit ihre wollte man Teilrevision des Bundesverfassung zulassen, um das schweizerische Grundgesetz der jeweiligen Gegenwart anpassen zu können, ohne jedesmal eine Gesamtrevision vornehmen zu müssen. Ein entsprechendes Instrument auf Gesetzesstufe ist auf Bundesebene nie eingeführt worden.

Die Abstimmungsgeschichte seither kennt drei Phase der Initiativ-Nutzung: Zuerst mit relativ wenigen Initiativen, aber beachtlichen Erfolgsquoten von bis zu 50 Prozent (bis in die 20er Jahre des 20. Jahrhundert), dann eine geringe Verwendung des Instruments mit ebenso geringer Zahl angenommener Begehren (bis Ende der 60er Jahre des 20. Jahrhunderts), und schliesslich eine Intensivierung des Gebrauchs, dem seit einigen Jahren auch verstärke Erfolgsaussichten folgen.

Das alles hat die Zahl der Initiativkomitees, die ihr Glück versuchen, anschwellen lassen. Besonders in Wahljahren ist es zwischenzeitlich verbreitet, Volksbegehren zu lancieren – oder auch nur anzukündigen. Die Bundeskanzlei weist momentan über 30 Initiativen im Sammelstadium aus. KritikerInnen monieren, der Schweiz drohe eine Initiativflut.

Die Politikwissenschaft hat keinen festen Analyserahmen entwickelt, was Kriterien des Erfolgs sind. Diskutiert werden aber drei Stossrichtungen der Bewertung:

. die Mehrheitsinitiative, deren Erfolg sich letztlich nur daran misst, dass ihre Forderungen zu Verfassungsrecht werden
. die Programminitiative, die darauf ausgerichtet ist, mit dem Parlament in Verhandlungen zu treten, um auf Verfassungs- oder Gesetzesstufe Veränderungen zu bewirken, allenfalls unter Rückzug der Initiative, und
. die Sensibilisierungsinitiative, die darauf abzielt, die Oeffentlichkeit für eine Thema zu sensibilisieren.

Die beiden ersten Zielsetzungen sind weitgehend unbestritten. Mehrheitsinitiative sind genau das, was man den zusätzlichen Politikkanal zur parlamentarischen Entscheidung nennen könnte. Es geht um Themen, die Parlament und Regierung verkennen, für dies gesellschaftlich mehrheitsfähige Lösungen gibt, die politisch aber umstritten sind. Programminitiativen haben wir, weil man bestimmte politische Programme realisieren möchte, für die es angesichts der fehlenden Gesetzesinitiative keine Artikulationskanäle gibt.

Der Anteil Volksinitiativen, die zu diesen beiden Typen zählen, bleibt recht gering. In den letzten 10 Jahren gehören 10 bis 15 dazu. Abgestimmt haben wir über das Mehrfache. Das eigentliche Problem liegt denn auch in der rasch steigende Zahl an Sensibilisierungsinitiativen. Zwar greifen sie bisweilen neue, auch relevante Themen auf, doch sehr häufig nicht solche, wo bevölkerungsseitig ein sehr hoher Problemdruck besteht. Dafür ist das Instrument nicht gedache. Denn wenn es für die Mehrheit von Politik und Bevölkerung nicht zwingend, eine Neuregulierung der Verhältnisse vorzunehmen, scheitertd das Vorhaben in der Volksabstimmung eindeutig.

Mit meinem heutigen Referat möchte ich Ursachen der Initiativfreudigkeit in der Schweiz aufzeigen. Einschränkung auf dem Gesetzeswege werde ich keine vorschlagen, denn dafür ist mein Respekt vor dem Instrument des innovativsten Volksrechtes in der Schweiz zu gross. Indes, es geht mir darum, das Bewusstsein der Akteure zu schärfen, die sich angesichts tiefer Einstiegshürden, um ein Volksbegrehen zu lancieren, schnell einmal überschätzen. Eine saubere Abklärung der Chancen, politische gehört zu werden, allenfalls sogar selber Druck aufsetzen zu können, ist meines Erachtens auf jeden Fall aufgezeigt. Mit meinen Ausführungen ziele ich aber auch auf die Medien (oder Teile davon), die in einem wachsenden Masse selbst auf Initiativankündigung aufsteigen und Vorstösse popularisieren, ohne die Relevanzfrage zu stellen.

Kurz: Wer eine Volksinitiative lanciert, lanciert ein Polit-Unternehmen für meistens 5 anspruchsvolle Jahre. Wer nicht in der Lage ist, eine nationale Volksabstimmung zu seinem Anliegen zu führen, überlegt es sich besser, mit interessierten PolitikerInnen Oeffentlichkeit zu schaffen, einen parlamentarischen Vorstoss einzureichen, als sich und andere während eines halben Jahrzehnts mit einer erfolgslosen Volksinitiative zu beschäftigen.

Claude Longchamp