“Krise der Konkordanz. Ideen für eine Revitalisierung”, heisst das neueste Buch zu Regierungsreform in der Schweiz. Eine erste Würdigung.
Noch vor Jahresfrist war Politbeobachter Michael Hermann ein glühender Vertreter der Volkswahl des Bundesrates. Das verschaffte ihm Sympathien bei Thomas Held, dem vormaligen Direktor von avenir suisse. Ueber eine solche Aenderung der Wahl von Bundesräten erhoffte sich dieser eine generelle Umkrempelung der Schweizer Politik.
Heute legt Wissenschafter Hermann das Buch vor, das aus dieser Verbindung hervorgegangen ist. Schon die rasche Durchsicht legt nahe, dass es keine Auftragsarbeit mit vordefiniertem Ausgang ist. Entstanden ist aber auch keine Kampfschrift für eine bessere Schweiz.
Propagiert werden mit dem Buch “Krise der Konkordanz” drei konkrete Reformprojekte:
. ein Vertrauensvotum zugunsten der amtierenden BundesrätInnen;
. ein Bundesratspräsidium, im Notfall ausgestattet mit dem Kompetenzen eines Regierungschefs, bei gleichzeitiger Erweiterung des Gremiums auf acht Mitglieder, und
. eine zusätzliche Form der Differenzbereinigung zwischen dem National- und Ständerat durch ein Referendum.
Gerhard Schwarz, der heutige Direktor der Denkfabrik der Schweizer Wirtschaft, der das Buch eng begleitet hat, bringt es im Vorwort auf den Punkt: “Diese Vorschläge sind nicht revolutionär.” Das neue Referendum und das Vertrauensvotum sind zwar neu; entwickelt wurden sie als Versuch, das Parlament, das in Sach- wie auch Personenfragen nicht immer auf Verhandlungsbereitschaft aufgerichtet ist, zu zähmen. Die Aufwertung der Bundeskanzlei zu einem Präsidialdepartement hingegen ist nicht unbekannt, denn es ist bereits in den Papieren zur Regierungsreform in den 90er Jahren des 20. Jahrhunderts vorgeschlagen worden, ohne sich wirklich durchgesetzt zu haben.
Reicht das für die anvisierte Revitalisierung der Konkordanz? Ich neige zu einem “Nein”, denn die Probleme liegen tiefer. Die Krise des Regierungssystems wurde zunächst im gewandelten internationalen Umfeld sichtbar, mit dem die Berechtigung des nach Innen gerichteten Sonderfall Schweiz schwindet. Man realisiert sie in der Dynamik der inneren Räume, auf die der hergebrachte Föderalismus keine Antworten mehr gibt, und in der direkte Demokratie, die nicht mehr für Konfliktregelung, sondern zur Konfliktförderung beiträgt. Ganz zu schweigen von den Veränderungen in der politischen Kommunikation, mit der die Medien zu täglichen Treibern auch für die Regierungsarbeit geworden sind.
Mein Bild der Schweiz heute ist anders: Ich nenne es anomisch, in dem sich Ziel und Mittel von einander abgekoppelt haben. Da nützt es nichts, Retouchen vorzunehmen, da braucht es grössere Würfe. Die Regierungsreform, wie sie der Bundesrat vorsieht, ist auf Klein-Klein ausgerichtet; das Buch von Hermann ist etwas mutiger, aber nicht mutig genug.
Beim Lesen von “Konkordanz in der Krise” bekam ich den Eindhatte ich den Eindruck, ein flüssig geschriebenes Buch in den Händen zu halten, das in vielem informativ ist, konstruktiv-abwägend voranschreitet, aber nicht wirklich auf den Punkt kommt. Symptomatisch dafür ist das Schlusskapitel von genau 2 Seiten Länge: denn da, wo man von einem jüngeren Politbeobachter die Entfaltung der Zukunft Schweiz erwartet hätte, bekommt man institutionelle Verfahrensfragen zu den vorgeschlagenen Reformen serviert.
Claude Longchamp
Ich finde, man hätte mehr hervorheben können, das die Wirtschaft zum Politsystem Schweiz zurückgefunden hat.
Nach Jahren des Säbelrasselns gegen die Konkordanz (“ineffizient”), ist es doch bemerkenwert, dass man jetzt wieder erkennt, dass politische Stabilität etwas Wert ist.
Schade nur, dass es so lange gedauert hat, denn die Kritiken von rechts sind ein wesentlicher Teil der Destabilisierung der Schweiz.
Ein zusätzlicher Bundesrat könnte den Grünen zupass kommen. Denn mit 10 Prozent und keinem Bundesrat sind sie am deutlichsten untervertreten.
Der Sitz von EWS sollte wieder zurück an die SVP, die ebenso untervertreten ist.
Programmiert sind das wiederkehrende Entscheidung des Präsidenten.
@ady
EWS ist von der SVP …. und warum soll sie nun, da sie aus der Partei ausgeschlossen wurde, und im BR einen guten Job macht, durch ein Flasche wie Blocher oder Maurer ersetzt werden?
>Programmiert sind das wiederkehrende Entscheidung des Präsidenten.
Was soll das denn heissen?
Die Kehrtwende der Wirtschaft kommt zum richtigen Zeitpunkt. Im Dezember stehen Gesamterneuerungswahlen für die Bundesrat an. Bedroht ist die FDP, die wichtigste Partei der grossen Unternehmen.
Ohne Konkordanz wären sind die Grünen am nächsten an einem Sitz dran. Sie gewannen in den Kantonen, und sie fügten der Atompolitik den nötigen Schlag. Das ist für die Leute von der Bahnhofstrasse ein Greuel, selbst wenn es am Ende ein Grünliberaler oder eine Grünliberale wäre.
Mit Konkordanz geht es um Frau Widmer-Schlumpf, die keine wirkliche Partei im Hintergrund hat. Ich bin erstaunt, dass das hier gar nicht angesprochen wird. Ohne den Proporz nach Parteistärke ist Konkordanz nämlich eine Fiktion, denn Verhandlungsbereitschaft mit dem Kontrahenten entsteht nicht, wenn man sich nicht genügend vertreten fühlt.
@HH
was nützt mir Konkordanz, wenn sie so missbraucht wird wie zu zeiten, als Blocher noch im Bundesrat war?
Konkardanz hiess damals, so viel zu provozieren wie möglich, mit dem Resulatat, dass Blocher nichts getan und nichts erreicht hat.
Warum hat er nicht einfach das erledigt, was die SVP nun mit viel Aufwand mit Initiativen nachholen will?
Frau Widmer-Schlumpf hat (ohne wirkliche partei im Hintergrund), dass sie handlungsfähig ist, und zwar zum Wohle des Volks. Was man von einigen bisherigen und vom abgewählten Bundesräten nicht sagen kann.
Das Ganze macht nciht viel Sinn. Die Schweiz ist traditionellerweise eine Verhandlungsdemokratie. Die Grösse und die Zusammensetzung der Sprachen sind die Gründe. Ob es auch eine parteiliche Konkordanz braucht, ist strittig. Wenn man sie bejaht, muss man zur Proporzionalität der Vertretungen im Bundesrat und wohl auch im Bundesgericht stehen. Alles andere ist nur Sand im Getriebe. Das Volk wählen zu lassen, auch nur zu bestätigen, ist angesichts der Herausforderungen in den Departemente übertrieben
Auch die Bereinigung von Differenzen im Parlament einer Volksabstimmung zu unterwerfen, führt eindeutig zu weit. Wenn man sich nicht einigt, dann hat das Gründe, die in der Sache begründet sind, da nützt kein Schiedsrichter.
Der frühere Bundesrat Moritz Leuenberger machte meines Erachtens den einzig brauchbaren Vorschlag für den Bundespräsidenten. Dieser hat, wie auch Hermann sagt, die Ueberparteilichkeit zu gewährleisten. Er könnte aus einer Volkswahl hervorgehen, und für vier Jahre gewählt werden. Das würde die Legitimation seiner Entscheidungen über den Departementen hinweg erhöhen. Ein achter Bundesrat nützt da nichts, denn den gibt es mit dem Bundeskanzler heute schon.
Diejenige Partei, die jetzt Konkordanz fordert, hat bei der letzten Wahl Schneider-Ammann unterstützt, und damit ihre Forderung ad absurdum geführt. Die SVP weiss ganz genau, dass eigentlich die Grünen an der Reihe gewesen wäre, und mit der Wahl von Schneider hat sie sich selber ausgehebelt.
Was nützt es, wenn wir an Stelle der Schlaftablette Schneider-Ammann wieder Blocher vorgesetzt bekommen, um dann statt ihm den zweitunfähigsten zu erhalten? Haben wir nicht geug Erfahrung gemacht mit solchen SVP-Politikern, die aus der Lamentier- und Oppositionsrolle nicht herausfinden?
[…] Hermann hat sich in seinem neuesten Buch zur Rettung der Konkordanz dafür ausgesprochen, dass das Volk im Differenzbereinigungsverfahren zwischen den beiden Kammern […]