Programm für die Präsentation und Diskussion der Gruppenarbeiten

(zoon politicon) Am kommenden Freitag besprechen wir die Gruppenarbeiten, die Sie eingereicht haben. Wir behandeln 4 Themen, und zwar in der nachstehenden Reihenfolge:

1. “Der aus Christoph Blochers Abwahl resultierte Blocher-Effekt -. gibt es den?”
2. “Der Sieg der SVP im Kanton St. Gallen”
3. “Steigt die Parteitreue der SVP-Wähler seit der Bundesratswahl 2007 an?”
4. “Abstimmungshypothesen als Prognoseinstrument: Anwendung am Beispiel zweier Initiativen in der Schweiz”

Ihre mündliche Präsentation soll auf dem Arbeitspapier beruhen. Präsentieren Sie in genau 20 Minuten

. ihre Fragestellung
. ihr Design
. die Hypothese(n)
. die verwendeten Daten
. die verwendeten statistische Verfahren
. die Befunde
. die Diskussion der Hypothese(n) und
. ihre Antworten auf ihre Fragestellung.

Jede Gruppe beurteilt zudem eine andere Gruppenpräsentation. Die Beurteilung soll 5-10 Minuten gehen. Sie brauchen dazu das Arbeitspapier nicht zu kennen; vielmehr sollen Sie ihre Kritik zur mündlichen Präsentation machen und auf drei Punkte ausrichten:

. Sind die Ergebnisse überraschend/erwartbar, aufschlussreich/banal?
. Ist ihre Herleitung überzeugend/wenig überzeugend, nachvollziehbar/nicht nachvollziehbar?
. Ist die Präsentation verständlich/nicht verständlich und kommt sie zum Punkt/nicht zu Punkt?

Wir bilden hierzu folgende Teams: Gruppe 1 (von oben) beurteilt Gruppe 3 und umgekehrt, Gruppe 2 beurteilt Gruppe 4 und umgekehrt.

Anschliessend diskutieren wir jede Gruppenarbeit 5-10 Minuten im Plenum, und ich geben zum Schluss meine Beurteilung bekannt (5-10 Minuten).

Jeder Zyklus geht so rund 45 Minuten; danach wechseln wir das Thema und die Rollen. Ich freue mich jetzt schon!

Claude Longchamp

Oswald Siggs Lesung

(zoon politicon) Oswald Sigg ist ein zurückhaltender Mensch. Er ist von Beruf Bundesratssprecher. Deshalb ist er vor Volksabstimmungen jeweils auch zuständig für die offizielle Information der Behörden an die BürgerInnen. Und genau diese stand gestern in der “Arena” zur Debatte. Denn die Initiative “Volkssouveränität statt Behördenpropaganda” wurde am 11. August 2004 vom Verein “Bürger für Bürger” mit 106’344 gültigen Unterschriften bei der Bundeskanzlei eingereicht; über sie wird am 1. Juni 2008 in einer Volksabstimmung entschieden.

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“Freie Meinung” – für die einen durch den Bundesrat, für die anderen durch die SVP bedroht (foto: stadtwanderer).

Was die Initiative verlangt und was in der Arena gesagt wurde
Würde die Initiative heute schon gelten, hätte der Bundesrat die Abstimmungsthemen spätestens am 1. Dezember 2007 festlegen müssen. In der Folge hätte er sich, genauso wie die obersten Kader des Bundesverwaltung, der Informations- und Propagandatätigkeit enthalten müssen. Das verlangt die Initiative. Zwei Ausnahmen wären noch erlaubt gewesen: eine kurze Information an die Medien und eine Broschüre an die Bevölkerung.

In der Tat verhält sich der Bundesrat in diesem Fall weitgehend nach dieser Vorgabe, nicht jedoch in allen anderen Fällen. Das macht klar: Die Landesregierung will weiterhin in Abstimmungskämpfen dauerhaft präsent sein können, das Mass des Engagements jedoch der Sache entsprechend dosieren.

Den einschränkenden Grundsatz zur Kommunikation de Regierung gibt die Broschüre eins-zu-eins wieder, die Oswald Sigg produziert hat. Dennoch hielten die Initianten, vertreten durch ihren Präsidenten, in der Arena fortwährend das Gegenteil fest. Mit Bezug auf die Ausnahmen meinten sie, es sei den Bundesbehörden weiterhin möglich zu informieren, ja, die Information der Bürger solle sogar ausgebaut werden. Nur die Behördenpropaganda müsse verschwinden.

Mehrfach wurde in der Sendung darauf hingewiesen, diese Darstellung sei täuschend, und die Arena-Runde wurde aufgerufen, im Bundesbüchlein nachzulesen. Oswald Sigg freute das; er habe sich schon immer gewünscht, dass es zu einer öffentlichen Lesung seines Oevres komme, meinte er lakonisch. Doch blieb es bei diesem Bonmot.

Wer in der gestrigen Sendung auf der Differenz zwischen Geschriebenen und Gesagtem beharrte, wurde aus der Reihe der vorgeschobenen Claquere zur Initiative regelmässig angepöbelt. Das traf selbst mich, was umso mehr irritierte, als der Präsident des Initiativkomitees mich mehrfach als Garanten für das Anliegen zitierte, das man aufgenommen habe.

Meine Position
Selber weiss ich, wie schwierig die Unterscheidung zwischen Information und Propaganda ist. Alle wissen, wo Information anfängt, aber nicht, wo sie in Propaganda übergeht. Das bleibt letztlich Ermessenssache. Der Bundesrat zieht einen ziemlich weiten Informationsbegriff vor, die Initianten einen ganz engen. Ich glaube nicht, dass man in diesem Abstimmungskampf diesbezüglich weiter kommen wird. Denn es mischen sich zu stark parteipolitische, sachpolitische und institutionelle Interessen die Positionsbezüge.

Wichtiger scheint mir, zwischen einem aktiven und einem passiven Kommunikationsverhalten zu unterscheiden. Die Initianten wollen zum passiven Konzept zurück. Selbst wenn ich einiges vom Unbehagen bei Stellungnahmen gegen Initiativen verstehe, das die Initianten äussern, befürworte ich seit längerem ein generell aktives Informationsverhalten des Bundesrates, insbesondere bei Referenden. Mein Argument: Das Parlament ist nicht in der Lage, dem Kommunikationszeitalter angemessene Kampagnen zu führen. Ohne das Engagement des Bundesrates würde, gerade bei Themen, die nicht die Mehrheit betreffen, in der Entscheidung vieles dem Zufall überlassen.

Das hat der Nationalrat erkannt; er hat versucht, die Oeffentlichkeitsarbeit des Bundesrates während Abstimmungskämpfen zuzulassen, aber zu reglementieren. Es soll an Kriterien wie Sachlichkeit, Transparenz und die Verhältnismassigkeit zu binden. Das ist auf jeden Fall ein Schritt in die richtige Richtung.

Das Gesagte und Nicht-Gesagte
Nach der Sendung, beim üblichen Stehbuffet für die Geladenen der “Arena”, kam eine ganz andere Diskussion auf. Die BefürworterInnen aus dem Publikum sprachen vor allem über das Verhalten von BundesrätInnen, das ihnen auf den geist geht. Pascal Couchepin und Micheline Calmy-Rey standen auf der Anklagebank, und Eveline Widmer-Schlumpf wird es bald auch sein, wenn sie in der Arena gegen SVP-Präsident Toni Brunner zur Einbürgerungsinitiative antritt. Aber auch die GegnerInnen aus den hinteren Reihen redeten nach der Sendung vor allem über ihre Aengste. Sie nähren sich aus den Kampagnen der SVP, die in Wahl- und Abstimmungskämpfen im gekauften Raum nach Belieben dominiert.

Und genau das erschwert die Beurteilung der Initiative. Die SVP ist die einzige grössere Partei, die sie unterstützt. Dabei bekommt man den Eindruck, sie tue das, um ihren Kampagnenvorteil zu mehren. Dies wird umso deutlicher, als die SVP auch eine Unterstützung der Parteien durch den Staat strikte ablehnt.

Ohne Regierung oder Parlament in die Pflicht zu nehmen, nach der behördlichen Willensbildung, für die Position, die erarbeitet wurde, in der Oeffentlichkeit einzustehen, funktionieren Abstimmungskämpfe nicht. Das jedenfalls ist die Lehre, die ich aus meinen Erfahrungen mit Abstimmungskämpfen ziehe.

Wenn Oswald Sigg gestern während der Sendung eher schweigsam war, interpretiere ich das so: Er liefert die Grundlagen, um Klarheit zu haben, wer was will. Die Debatte, was dabei besser und schlechter ist, überlässt er gerne den Akteure, die die Entscheidung der StimmbürgerInnen vorbereiten.

Claude Longchamp

Wie Blogger-Kollege Manfred Mesmer, der sich gestern auch als Kommunikationsexperte zur Initiative äusserte, die Sache beurteilt, lesen Sie hier.

Neue Wege der Kommunikation in Abstimmungskampagnen

(zoon politicon) Die SVP geht nach eigenen Angaben neue Wege in der Kommunikation während Abstimmungskampagnen. Sie setzt bei der Einbürgerungsinitiative in Zürich ein Megaplakat ein. Es hat eine Grundfläche von 160 Quadratmeter.

Innovative politische Kommunikation
Seit vielen Jahren ist die SVP dafür bekannt, mit plakativen Auftritten auffällige Abstimmungs- und Wahlkampagnen durchzuführen. Die jüngste selects-Studie belegt den Aufwand, den die SVP bei den Wahlen dafür betrieb, aber auch die Wirkung, welche die Partei so erzielt.

Zu den Innovationen der politischen Kommunikation zählt nach Angaben der SVP, welche in den letzten Jahren in der Schweiz eingeführt worden sind, zählt:

– die Abstimmungswerbung via Telefon
– die Präsenz auf elektronischen Werbewänden in Bahnhöfen
– die Website mit SMS-Dienst für News und offenem Diskussionsforum
– das Online-Game zu aktuellen politischen Themen wie “Zottel rettet die Schweiz” sowei
– kreative Werbemittel, etwa das Trojanische Pferd auf dem Bundesplatz oder der Flyer in
Form eines Schweizer Passes bei der letzten Einbürgerungsvorlage.

Nun setzt die SVP als Teil ihrer Kampagne zur Einbürgerungsinitiative ein neues Werbemittel ein: Heute wurde das grösste Plakat, das in der Schweiz jemals für politische Kommunikation eingesetzt wurde, präsentiert. Es befindet sich an der Aussenfassade eines Parkhauses an der Pfingstweidstrasse 1 in Zürich und misst 11,68 Meter mal 13,57 Meter!

Das neue Medium als Botschaft
Dabei verfolgt die SVP konsequent eine Linie: das Medium der Kommunikation wird zur Botschaft selber. Wir sind anders, wir sind besser, lautet das Motto. Und wenn der politische Gegner bei dieser Innovation nicht mithält, ist das seine Sache.

Dieses Kommunikationsmuster hat Vorteile. Die Medien berichten darüber, weil die Kampagneführung eventartig ist und schon auf der Metaebene einen news-Wert hat. Und sie transportieren so auch immer wieder die Botschaften der SVP-Kampagnen, die sonst schnell als bekannt oder auch parteiisch hinterfragt werden.

Fehlende wissenschaftliche Evaluierung
Leider, kann man sagen, fehlt eine systematische, wissenschaftliche Beschäftigung mit einer Neuerung in der Kampagnenkommunikation, welche die SVP seit einigen Jahren betreibt. Bei Wahlen wurde das jüngst ansatzweise nachgeholt; bei Abstimmungen steht es noch weitgehend aus. So bleibt die Hoffnung oder Befürchtung, dass das Ganze eine Wirkung im Sinne der Urheber hat, ohne dass das geprüft wurden und rational diskutierbar wäre.

Ich schreibe das bewusst nicht wegen der SVP, jedoch wegen der Sozialwissenschaft, die mit der Entwicklung auf dem Gebiet der Kampagnenkommunikation kaum mithalten kann. Für Studierende, die eine Abschlussarbeit in Politik- oder Medienwissenschaft schreiben wollen, eigentlich eine einladende Fundgrube, einen Beitrag zur Entwicklung der Wissenschaft und eine Beitrag zur demokratiepraktischen Debatte zu leisten.

Claude Longchamp

Mehr dazu hier.

Wahlen und Werbung

(zoon politicon) Die Wahlanalyse der Forschungsgruppe “selects”, der heute erschienen ist, wirft die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Wahlergebnis und Werbeaufwand erneut auf.

Schon die Wahlbeobachter, die sich 2007 in der Schweiz aufhielten, problematisierten den Zusammenhang, indem sie auf die Abhängigkeit der Massenmedien von Wahlwerbung verwiesen, und bei ungleichen Aufwendungen der Parteien eine Asymmetrie zwischen Parteien und Zeitungen festhielten.

Nun doppelt das universitäre Wahlforschungteam “selects” nach. Die Wahlwerbung der KandidatInnen seien ungleich verteilt gewesen:

. SVP-KandidatInnen Total: 6,1 Millionen Franken
. FDP-KandidatInnen Total: 5,9 Millionen Franken
. CVP-KandidatInnen Total: 4,9 Millionen Franken
. SP-KandidatInnen Total: 2,5 Millionen Frnaken
. Grüne-KandidatInnen Total: 1,2 Millionen Franken

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Schon im November veröffentlichte die Werbebeobachtungsagentur Mediafocus ein ähnliches Rating. Demnach war sich der sichtbare Werbeaufwand der Parteien, nicht der KandidatInnen in den Medien in den nachstehenden Grössenordnungen:

. SVP: 12,2 Million Franken
. FDP: 6,1 Millionen Franken
. SP: 2,5 Millionen Franken
. CVP: 2,2 Millionen Franken
. Grüne: 0,7 Millionen Franken

Die Datailauswertung der Verteilung der Ausgaben, die wir selber vorgenommen haben, zeigt hier Zusätzliches.

Erstens, alle Parteien konzentrieren sich beim Mitteleinsatz auf die Schlussphase des Wahlkampfes. Die Intensität war im Oktober höher als im September, und sie war im September stärker als im August.
Zweitens, die Dauer der intensiveren Ausgaben hängt von der Gesamthöhe des Budgets ab. Bei Grünen, SP und CVP, welche die kleinsten Aufwendungen betrieben, setzte der werberische Auftakt im wesentlichen im September ein. Bei der FDP gilt ähnliches, allerdings in schon ganz anderen Dimensionen.
Drittens, die SVP-Kampagne hatte dagegen ihren take-off im August 2007. Sie Schäfchen-Kampagne war es denn auch, welche das Klima, indem der Wahlkampf stattfand, einsetzte.

Das wirft die Frage auf, wie Wahlwerbung wirkt: Ich werfe die nachstehende Hypothese in die Debatte: Wahlwerbung verspricht nicht einfach Wahlerfolge. Wahlerfolge ergeben sich dann, wenn man in der Werbung die Top-Position einnimmt. Das garantiert am intensivsten und am längsten zu werben. Und das kann das Klima prägen, indem der Wahlkampf stattfindet, was für den Wahlerfolg nicht unerheblich ist.

Ich nenne das climate-setting in der Wahlwerbungskommunikation. Notabene nicht erst seit 2007, sondern seit 1995, dem Zeitpunkt, seit dem ich den Zusammenhang von Wahlen und Werbung in der Schweiz beobachte. Mehr dazu finden Sie hier.

Claude Longchamp

Wird Demokratieforschung in der Schweiz nun konkret?

Einladung zu den Gastvorlesungen im Rahmen der Besetzung einer Professur für Politikwissenschaft und Leitung des Zentrums für Demokratie Aarau

Mittwoch, 7. Mai 2008, Hauptgebäude: KO2-F-152

08:00 – 08:45 Prof. Dr. Daniel Kübler, Fachhochschule Nordwestschweiz, Basel
„Globalisierung von unten: Die De-Nationalisierung des Politischen“

10:15 – 11:00 Dr. André Bächtiger, Universität Bern
„Wege zum Ideal: Institutionen, Akteure, Kultur und die Qualität demokratischer Politik“

16:15 – 17:00 Prof. Dr. Andreas Ladner, IDHEAP Lausanne
„Size and Democracy”

Donnerstag, 8. Mai 2008, Hauptgebäude: KO2-F-152

08:00 – 08:45 Prof. Dr. Dietlind Stolle, McGill University Montréal
„Politische Partizipation im Umbruch?“

10:15 – 11:00 Prof. Dr. André Kaiser, Universität zu Köln
„Wahlsysteme und Frauenrepräsentation. Ein Vergleich der deutschen Landesparlamente“

Dozierende, Studierende und weitere Interessenten sind zu diesen Gastvorlesungen herzlich eingeladen.

Zürich, 22. April 2008
Prof. Dr. Andreas H. Jucker, Kommissionspräsident
Prof. Dr. Reinhard Fatke, Dekan

Unerwünschte Gäste

Leider gibt es zwei Sorten von Reaktionen auf diesen Blog, die unerwünscht sind. Zunächst zahlreiche spams, doch dann auch immer wieder Beschimpfungen aller Art, die an meine Person gerichtet werden, an meine Arbeit, oder auch an die Sozialwissenschaften generell.
Ich sperre sie diese Arten von Reaktionen systematisch, ich verfolge, soweit möglich, die Herkunft.

C.L.

Kurzer Rückblick auf heute (V)

(zoon politicon) Ziel des heutigen Vorlesungsblocks war es, einen Ueberblick über den Forschungsprozess zu geben. Die Uebersicht soll es den TeilnehmerInnen erleichtern, ihr eigenes kleines Projekt zu realisieren.

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Die Zyklen des Forschungsprozesses
Wir haben gesehen, dass es drei Zyklen gibt, die je einem anderen Ziel dienen:

. die Ausarbeitung einer Fragestellung
. die Behandlung einer (oder mehrerer) Hypothesen und
. die Beschaffung von Fällen und Daten, die zur Prüfung der Hypothese geeignet sind.

Meist werden die drei Zyklen als drei Phasen beschrieben, die einander folgen. Im Idealfall ist das auch so. Im Realfall greifen sie aber nicht sequenziell, sondern meist zyklisch ineinander: Die Prüfung von Hypothese soll diese bestätigen oder widerlegen, damit man weiss, mit welchen Erklärungen man weiter arbeiten soll resp. auf welche man verzichten kann. Allenfalls kann es auch sein, das in dieseer Phase, neue, modifizierte Hypothesen entstehen, geeignetere Aussagen ergeben, als die anfänglichen. Das kann zu Präzisierung der Fragestellungen führen, es kann auch eine erneute Erhebung von Daten bedeuten.

Ziel des Ganzen ist es, geprüfte Aussagen zu machen, die einem helfen, Antworten auf die anfängliche Fragestellung(en) zu geben. Diese sollen im wissenschaftlichen Sinne nicht spekulativ erfolgen, sondern logisch und intersubjektiv nachvollziehbar sein. Sie sollen jedoch nicht nur rational hergeleitet werden, sondern sich auch an der Realität bewähren, also empirisch geprüft sein. Hat man das, hat man auch die Antwort auf die Ursprungsfrage, die gilt, bis man allenfalls eine bessere, das heisst widerspruchsfreiere und gehaltvollere findet.

Ergebnisse aus Forschungsprozessen der angewandten Sozialwissenschaften dienen praktischen Folgerungen. Resultate in der Grundlagenwissenschaft dienen der Konstruktion resp. Sicherung von Theorien. Die theoretischen Folgerungen werden in der wissenschaftlichen Literatur publiziert, sodass sie auch durch dritte nachvollzogen und kritisiert werden können. Die praxisrelevanten Folgerungen finden sich eher selten in der wissenschaftlichen Literatur; ihr Adresse ist der Kunde der Forschung, der den Anstoss zu ihr gegeben hat, weil er in der Regel ein Verwertungsinteresse hat.

Das Arbeitspapier

Im Forschungsprozess selber dominieren Arbeitspapiere. Sie werden für Workshops oder Seminare mit ForschungskollegInnen geschrieben. Sie sind meist technisch abgefasst, gelten als als graue Literatur, die ausserhalb von Forschungsteams nicht verwendet wird. In der Grundlagenforschung es ist wichtig, am Ende eines Forschungsprozesses ein Thesenpapier zu haben, das die gesicherten Ergebnisse in einem grösseren Ganzen verbindet. Und in der Anwendungsforschung braucht es am Ende ein Ergebnispapier, das unabhängig vom Forschungsprozess selber, die gesicherten Befunde und Folgerungen daraus aus Sicht der Forschung für die Praxis festhält.

So nun hoffe ich, sie alle, die Forschen worden, haben das minimale Rüstzeug mitbekommen, um sozialwissenschaftliche korrekt zu arbeiten!

Claude Longchamp

Was leistet empirische Politikforschung?

Norman Blaikie ist Soziologieprofessor in Malaysia und Australien. Er gilt weltweit als der Spezialist, der sich mit der sozialwissenschaftlichen Forschung beschäftigt hat, um für Studierende und Forschende die Frage zu beantworten, was Sozialforschung leistet, warum man sie macht, und wie sie zu geschehen hat.
Ich bringe hier sein mustergültig kurzes Manifest, das er zur Jahrtausendwende publiziert hat, im Original. Man kann es eigentlich “eins-zu-eins” auf die empirische Politikforschung übersetzen.

Claude Longchamp

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A Manifesto for Social Research

1 Social research is about answering research questions.

2 Three types of research questions can be asked: ‘what’, ‘why’ and ‘how’.

3 All research questions can be reduced to these three types.

4 Social research will also address one or more of the following objectives: exploration, description, understanding, explanation, prediction, Intervention (change), evaluation and impact assessment.

5 ‘Why’ questions are concerned with understanding or explanation. ‘How’ questions are concerned with intervention. All other objectives involve the use of ‘what’ questions.

6 Hypotheses are possible answers to ‘why’ and some ‘how’ questions. They are normally expressed as Statements of relationships between two coneepts. Hypotheses direct the researcher to collect particular data.

7 ‘What’ questions do not require hypotheses. Nothing is gained from hazard-ing an answer to a question that simply requires research to produce a description.

8 Research questions are answered by the use of four research strategies: the inductive, deductive, retroductive and abductive.

9 The major characteristics of the research strategies are as follows: the in-ductive strategy produces generalizations from data; the deductive strategy tests theories by testing hypotheses derived from them; the retroductive strategy proposes causal mechanisms or structures and tries to establish their existence; and the abductive strategy generates social scientific accounts from everyday accounts.

10 When a research project includes a variety of research questions, more than one research strategy may be required to answer them.

11 Because research strategies entail different ontological and epistemological assumptions, they may only be combined in sequence.

12 Hypotheses are used mainly in the deductive research strategy as part of the process of testing theory. While the testing of hypotheses commonly involves the use of quantitative methods, it need not do so. The deductive strategy can also use qualitative methods, in which case hypothesis testing is more in terms of a discursive argument from evidence.

13 The abductive research strategy may use hypotheses in the course of gener-ating theory, but in a different way to the deductive strategy. These hypotheses are possible answers to questions that emerge as the research proceeds. They are used to direct subsequent stages of the research.

14 The hypothetical models of possible causal structures or mechanisms that are developed in the retroductive research strategy are not hypotheses. The researcher’s task is to establish whether a postulated structure or mechanism exists and operates in the manner suggested.

15 Social science data normally Start out in the qualitative form, in words rather than numbers. They may continue in this form throughout a research project or be transformed into numbers, at the outset, or during the course of the analysis. Ultimately, research reports have to be presented in words. When numbers are used, they need to be interpreted in words.

16 The use of tests of significance is only appropriate when data have been generated from a probability sample. These tests establish whether the characteristics or relationships in the sample could be expected in the population. Tests of significance are inappropriate when non-probability samples are used, and are irrelevant when data come from a population.

17 As methods of data collection and analysis can be used in the Service of different ontological assumptions, there is no necessary connection between research strategies and methods.

18 Methods of data collection can be combined, in parallel or in sequence. However, it is only legitimate to combine methods in parallel when they are used with the same or similar ontological assumptions. That is, data generated in the Service of different ontological assumptions cannot be combined, only compared. It is legitimate to combine methods in sequence, regardless of their ontological assumptions. In this case, it is necessary to be aware of the implications of switching between assumptions.

19 Case studies are neither research designs nor methods of data collection. They constitute a method of data selection and, as such, require particular procedures for generalizing from the results produced.

20 The results of all social research are limited in time and space. Hence, making generalizations beyond a particular time and place is a matter of judgement. While quantitative data from a probability sample can be statistically gen-eralized to the population from which the sample was drawn, this type of research is in the same position as any other when it comes to moving beyond that population.

Norman Blaikie: Desining Social Reserach, 2000

Der Forschungsprozess in der Praxis

Der fünfte Tag meiner Veranstaltung “Empirische Politikforschung in der Praxis” an der Universität St. Gallen beschäftigt sich mit dem Forschungsprozess. Behandelt werden Ausarbeitung einer Fragestellung, die Recherche in der bestehenden Literatur und Formulierung eines adäquaten Projektes, das nach der Logik der Forschung durchgeführt wird.

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Wissenschaftsstheoretisch ist man bei der Konzipierung von sozialwissenschaftlichen Forschungsprozessen weit. In der Praxis sind die Probleme jedoch meist grösser als in der Theorie angenommen. Das gilt insbesondere für den Prozess der angewandten Forschung, der sich von jenem der Grundlagenforschung in mindestens dreierlei Hinsicht unterscheidet:

1. Faktor “Zeit”: In der Grundlagenforschung hat man meist Zeit, viel Zeit. In der angewandten Forscshung ist das selten so. Die rasche Verfügbarkeit von Ergebnissen ist ein wesentlicher Grund, weshalb man entsprechende Forschung in Auftrag gibt. Wenn es keine spezifischen Theorien und Vorbildstudien gibt, zählt genau deshalb die Erfahrung der Forschungsleitung oder des Forschungsteams. Sie muss helfen, sinnvoll bearbeitbare Fragestellungen zu entwickeln, den Aufwand für zu erstellende oder zu bearbeitende Datensätze abzuschätzen und ein Konzept für die Berichterstattung auszuarbeiten.

2. Faktor “Geld”: Die zweite Einschränkung ergibt aus den Kosten. Die Budgets in der angewandten Forschung sind häufig deutlich kleiner, als in der Grundlagenforschung Das verlangt, sich klarer festzulegen: Ziele vorzugehen, nicht erst zu entwickeln, Arbeitsschritte detailliert zu planen, nicht ad hoc entstehen zu lassen, Verantwortlichkeiten persönlich festzulegen und nicht der individuellen Neigung zu überlassen. Die Optimierung des Forschungsprozesses ist eine permanente Aufgabe gerade von Forschungsinstituten. Inhatliche Ziele, zeitliche Restriktionen und finanzielle Mittel müssen stets im Verbund miteinander bedacht werden. Das Wissen, das für das Projektmanagement erarbeitet wurde, muss hier zwingend integriert werden.

3. Faktor “Kommunikation”: Projekte der Grundlagenforschung sind darauf aus, Artikel in angesehenen Fachzeitschriften publizieren zu können, Schlussberichte an die Adresse Forschungsförderungsagentur zu schreiben und wenn möglich, mit akademischen Arbeiten höhere akademische Grade zu erwerben. Die Kommunikation gegenüber einer spezifischen Kundschaft und auch gegenüber der Oeffentlichkeit als unspezifischer Kundschaft steht im Hintergrund. Das verändert sich in der angewandten Forschung massiv. Die Kommunikation von Ergebnisse ist nicht einfach eine dem Forschungsprozess nachgelagerte, freiwillige Phase; sie ist ein konstitutives Element des Forschungsprozesses selber. Sie muss stets mitbedacht werden; sie muss in ihren spezifischen Formen eingeübt werden, und sie befruchtet so auch die Generierung von verwertbarem Wissen.

Es kommt immer wieder vor, dass ich bei neueintretenden ProjektleiterInnen in unserem Institut, die universitäre Forschung kannten, zuerst ein grosses Staunen erlebt. Liegt ein neuer Datensatz vor, möchten sie sich am liebsten in kleine Kämmerlein zurückziehen, und wenn möglich ein Jahr für sich arbeiten können. Das geht eigentlich nie! Es ist deshalb die Aufgabe von forgeschrittenen ForschungsleiterInnen klar festzulegen, was wann und gegenüber wem kommuniziert wird. Zwischenergebnisse dienen nicht dazu, neue Fragen aufzuwerfen, sondern bestehende zu beantworten. Ich habe nur wenige Projekte erlebt, bei denen man nicht gleich von Beginn weg das erwartbare Ergebnis des Studie nicht Schritt für Schritt mitbedacht hätte.

Am kommenden Freitag geht es mir zuerst darum, die Logik der Forschung, wie sie von der Wissenschaftstheorie erarbeitet worden ist, in die Praxis umzusetzen. Ich werde mich bemühen, die Diskussionen stets im Spannungsfeld von Grundlagen- und angewandter Forschung zu halten.

Claude Longchamp

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Gruppenarbeiten “Empirische Politikforschung in der Praxis”

(zoon politicon) Die kleine Abschlussarbeit gilt als Prüfung im Rahmen der Lehrveranstaltung “Empirische Politikforschung in der Praxis”. Ich erwarte folgendes:

. Sie behandeln ein Thema der Politikforschung.
. Die Behandlung des Themas erfolgt nach den Grundsätzen der empirischen Wissenschaften.
. Sie zeigen im Idealfall auf, was das Ergebnis der Forschung für die Praxis bedeutet.

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In der Themenwahl sind Sie frei. Es braucht keinen direkten Bezug zur Schweiz. Das Thema muss aber zum Stoff der Lehrveranstaltung passen.

Ich rate an, nur Themen zu wählen, bei denen sie vorweg keine aufwendigen Datensammlungen selber erstellen müssen.

Ich erwarte ein ausgearbeitetes Arbeitspapier von 6-8 A4-Seiten. Sie können das Kleinprojekt alleine oder zu zweit machen. Grössere Gruppen machen keinen Sinn.

Der Abgabetermin für das Arbeitspapier ist verbindlich der 9. Mai 2008 auf info@gfsbern.ch.

Ich werde 4 Arbeiten auswählen, die am 16. Mai 2008 während der Veranstaltung präsentiert und gemeinsam diskutiert werden. Die Präsentationationen sollen 20 Minuten dauern. Sie sollen das gleiche Thema wie das Arbeitspapier behandeln.

Die Prüfung kann man auch bestehen ohne zu präsentieren.

Die Themen werden verbindlich am 25. April 2008 festgelegt. Dazu erstellen Sie ein Papier von maximal einer halben Seite mit

. Thema
. Fragestellungen
. Hypothese(n)
. mögliche Daten
. mögliche Verfahren der Datenanalyse.

Aus meiner Sicht sinnvolle Kleinprojekte sind:

1. Analyse der kantonalen Wahlergebnisse seit den letzten Parlamentswahlen zur Frage: Auswirkungen der Bundesratswahlen 2007

2. Steigende Wahlbeteiligung bei Nationalratswahlen: Politökonomische, sozialpsychologische und kommunikative Erklärungsmöglichkeiten

3. Prognosen und ihre Begründungen der Abstimmungsausgänge zu den eidgenössischen Volksabstimmung vom 1. Juni 2008 aufgrund des Dispositionsansatzes

4. Destabilisierung der Schweiz? Polit-kulturelle Indikatoren und Daten für die Verbundenheit, die Apathie und die Entfremdung von der grösseren Parteien mit dem politischen System.

5. Neue Deutungskulturen in der Blogosphäre. Das Fallbeispiel SVP vs. Eveline Widmer-Schlumpf.

6. Folgen des Wertewandels: Politische Partizipation von Männern und Frauen im Vergleich.

Gute Arbeit!

Claude Longchamp