Mehr Profil, mehr Führung und mehr Gewicht in Kontroversen. Gründe für geschlossenere Parteien

Schweiz am Sonntag hat den neu gewählten Nationalrat dargestellt. Die Daten stammen von smartvote, die gehen die Namensabstimmungen wieder. Die Befunde zur Links/Rechts-Positionierung der VolksvertreterInnen und eine Analysen aus meiner Warte.

Was neuerdings auffällt
Zuerst das Faktische: Die grössten Unterschiede unter den NationalrätInnen resultieren zwischen Erich Hess (SVP/BE) und Angelo Barrile (SP/ZH). Beide wurden 2015 neu Nationalrat. Der erste stimmt in der kleinen Kammer seither ganz rechts, der zweite ganz links. Spannender noch sind die neuen Position der Parteien: Die SVP steht ganz rechts, gefolgt von den Vertretern der Lega und des MCG. Danach reihen sich die NationalrätInnen der FDP/Liberalen ein, jene der BDP, der CVP, der GLP und der EVP, während die VolksvertreterInnen von GPS und SP das linke Spektrum abdecken.

Positionen der Parteien auf Links/Rechts-Achse im neuen Nationalrat
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Lesebeispiel: E. Hess ist der rechteste SVP-Nationalrat, A. Aebi der am wenigsten rechts stehende. Gemäss Auswertung mit W-Nominate beträgt die Differenz 0.32. Berücksichtigt wurden 64 SVP-Volksvertreter. Auswertungen ohne PdA (nur 1 Vertreter) und ohne Ch. Markwalder, die als NRP nicht stimmt. Grafik anclicken, um sie zu vergrössern
Quelle: Schweiz am Sonntag, eigene Darstellung

Dann die Würdigungen: Die GPS-NationalrätInnen stimmen fast durchwegs rechts der SP. Einzig die Thurgauerin Edith Graf-Litscher wäre mit ihrer Stimmabgabe in der grünen Fraktion gut aufgehoben. So klar war das bisher nicht. Sodann klafft eine Lücke zwischen EVP- und CVP-VertreterInnen. Jene votieren klar linker, sogar links der GLP, diese rechter, ausnahmslos rechts der glp. Schliesslich ist die BDP die letzte Fraktion, die ihren Standort noch nicht klar umreissen kann. Rosemarie Quadranti könnte im linken Flügel der CVP politisieren, Hans Grunder und Urs Gasche irgendwo am rechten Rand der FDP.
Das Auffälligste für mich an der neuen Auswertung von Namensabstimmungen ist jedoch die Geschlossenheit der ParteivertreterInnen. Das gilt allen voran für die GLP, EVP, Lega/MCG klar deutlicher als für BDP und GPS. Bei den mittelgrossen Parteien liegt die FDP etwas vor der CVP. An den Polen ist Einheit geringer, bei der SVP noch mehr als bei der SP.

Drei Ursachen
Trendanalysen mit anderen Masszahlen (dem Rice-Index) zeigen, dass die Geschlossenheit der Fraktion seit längerem zunimmt. Trendsetter war hier die SP, die seit den 90er Jahren Abweichungen zu verhindern sucht. Es folgten die GPS und die FDP. Bei der SVP und der CVP variiert die Einheit, aber ohne ersichtlichen zeitlichen Trend.
Drei Erklärungen helfen, die skizzierten Entwicklungen einzuordnen:
1. Erstens hat die Medialisierung der Parlamentsarbeit weiter zugenommen. Den Massenmedien gefällt es, wenn politische Parteien ParlamentarierInnen haben, die ihre Meinung direkt zum Ausdruck bringen. Denn so können sie mit den Formationen spielen. Den Fraktionen passt das viel weniger, schadet es doch der klar wahrnehmbaren, öffentlichen Profilierung. Entsprechend haben sie den Druck auf PolitikerInnen mit parteifremden Standpunkten erhöht. Teils gilt das generell, teils wenigstens in den Kerngeschäften.
2. Das hat, zweitens, mit der Professionalisierung der Führungen von Parteien und Fraktionen zu tun, sei es durch die jeweiligen Personen, vor allem aber auch via Parteisekretariate. Sie spuren die Positionierung ihrer VertreterInnen im Parlament neuerdings mit früh erarbeiteten Papier vermehrt vor, und sie setzen sie auch verstärkt durch. Die Vermittlung oder Verhinderung von Auftritten in populären Massenmedien gehört zu den intensiver genutzten Instrumenten. Nur bei den Polparteien gibt es unverändert Ausnahmen, um Positionen abzudecken, die sich linke resp. rechte Konkurrenz aneignen könnte.
3. Der dritte Grund für Geschlossenheit ergibt sich aus der Grösse der Parteien in der Schweiz. Keine kann davon ausgehen, selber eine Mehrheit bilden zu können. Im Ständerat führt dies unverändert zur Suche von persönlich geschmiedeten Kompromissen über Parteigrenzen hinweg. Ganz anders funktioniert der Nationalrat. Angesichts der viel höheren Ausrichtung an Parteimeinungen macht es hier Sinn, das eigene Gewicht in der Mehrheitsfindung durch Blockbildung zu erhöhen.

Teil der Abkehr vom Konkordanzverhalten
Die gelisteten Ursachen sind eine Folge der Polarisierung der Parteipolitik, welche heute namentlich die Arbeit des Nationalrates bestimmt. Sie begann in den 90er Jahren und mit ihr hat sich die grosse Kammer Schritt für Schritt vom Konkordanzmuster entfernt. Konkurrenz zwischen den Parteien mit grundsätzlich verschiedenen Auffassungen, aber auch bei vergleichbaren Position aufgrund des Anspruchs an Themenführung bestimmt das Verhalten der Parteien resp. Fraktionen heute. Stefanie Bailer, Basler Politologin, welche die Professionalisierung der Partei- und Parlamentsarbeit in der Schweiz im europäischen Vergleich untersucht hat, spricht von Verhältnissen, die heute denen in polarisierten Regierungs- und Oppositionssystem durchaus ähnlich sind. Das deckt sich bestens mit dem Urteil des Berner Politologen Adrian Vatter, der das Verhalten im Nationalrats mit dem in einer Konkordanzdemokratie für unvereinbar hält.

Claude Longchamp

Forschungsseminar im HS 2016: Social Media in Wahl- und Abstimmungskämpfen der Schweiz

Vor den Sommerferien noch ein Hinweise auf mein Forschungsseminar an der Uni Bern zur politischen Kommunikation im hybriden Mediensystem der Schweiz.

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Bildquelle: politan.ch

Andrew Chadwick, Londoner Professor für Politikwissenschaft und Kommunikationsforschung, prägte mit seinem gleichnamigen, mehrfach ausgezeichneten Buch den Begriff des “hybriden Mediensystems”. Gemeint ist damit, dass das alte Mediensystem mit Presse, TV und Radio nicht mehr alleine, aber auch nicht ganz verschwunden ist, während das neue Mediensystem mit sozialen Medien aufgekommen, aber nicht dominant geworden ist. Beide haben verschiedene Logiken: Die Top-down-Kommunikation bestimmt das alte System, die bottom up-Kommunikation das neue. Altes und Neues steht nicht einfach nebeneinander, sondern interagiert beispielsweise im buzzfeed-Journalismus wenigstens bisweilen miteinander und bildet so das hybride Mediensystem der Gegenwart.
Genau diese These steht am Anfang meines Forschungsseminars im Herbstsemester 2016, das ich am Institut für Politikwissenschaft der Universität Bern halten werde. Angewendet werden soll sie auf Wahlen und Abstimmungen in der Schweiz. Der genaue Titel verrät etwas mehr: “Digitale Revolution in der politischen Kommunikation – social media in Wahl- und Abstimmungskämpfen.”
Die Einschätzungen unter ExpertInnen zum genannten Thema schwanken stark: Die einen sehen darin unwiderruflich die Zukunft – andere orten einmal mehr eine Medienhype, fern ab von Nutzungszahlen.
Unser Vorgehen soll solche Polarisierungen überwinden helfen, indem wir uns dem Wandel der politischen Kampagnenkommunikation empirisch nähern. Zentrale Fragestellung ist, was sich in der politischen Kommunikation von und zu Parteien, Personen, aber auch über Sachfragen ändert, seit soziale Medien in wachsendem Masse auch in der Politik zur Anwendung kommen.
Mögliche Forschungsthemen sind die Nutzung sozialer Medien durch die Politikerinnen und Parteien, der Einfluss neuer auf alter Medien, Fallstudien zu den Wirkungen sozialer Medien auf die Kommunikation, Mobilisierungseffekte neuer Kampagnen auf die Wahl von Personen oder die Beteiligung an Abstimmungen und vieles andere mehr.
Studierende werden sich aktiv am Erwerb des Forschungsstandes beteiligen, in kleinen Teams eine Forschungsarbeit auswählen, konzipieren und realisieren. Damit sollen sie zeigen, dass sie eine empirische Arbeit verfassen können. Es wird aber auch anvisiert, den bisher eher bescheidenen Wissensstand zum Thema klar zu erweitern. Schliesslich bin ich wie immer bestrebt, eine Brücke zwischen Theorie und Empirie einerseits, Grundlagen- und Anwendungsforschung anderseits zu schlagen.
Vier PraktikerInnen werden uns im Verlaufe des Seminars Einblick in ihre Arbeit geben: Laura Curau von CVP zum Einsatz sozialer Medien im Wahlkampf, Matthias Leitner von der FDP zum Potenzial sozialer Medien in der Parteiarbeit generell, Flavia Kleiner von der operation libero zur Bedeutung von Facebook, Twitter und youtube in der Kampagne gegen die Durchsetzungsinitiative und Dani Graf zum elektronischen Sammeln von Unterschriften für Volksinitiativen und Referenden.
Die studentischen Forschungsarbeiten werden in einem Workshop im Februar 2017 präsentiert werden, an dem die externen Experten dabei sein werden und ich die fachliche Beurteilung machen werde.
Interessierte haben ein Bachelorstudium in Sozialwissenschaften hinter sich, sind idealerweise an der Universität Bern im Master “Schweizerische und vergleichende Politik” eingeschrieben, kennen sich in Fragen der politischen Kommunikation einigermassen gut aus, nutzen soziale Medien und sind bereit, in einem noch weitgehend offenen Forschungsfeld einen Teil der grundlegenden Forschung zu leisten, welche die Praxis in den kommenden Jahren beeinflussen soll.
Bin gespannt, was daraus wird!

Claude Longchamp

Worüber wir am 25. September 2016 abstimmen (3): das Nachrichtendienstgesetz in der politikwissenschaftlichen Analyse

Gegen das revidierte Nachrichtendienstgesetz ist erfolgreich das Referendum ergriffen worden. Schutz der Bevölkerung beispielsweise vor Terrorismus resp. der Privatsphäre stehen sich in der Debatte diametral gegenüber. Noch zeichnet sich nicht ab, wo die Mehrheiten sind. Der Abstimmungskampf hat aber erst jetzt begonnen.

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Die generelle These des Dispositionsansatzes lautet: Abstimmungsergebnisse stehen nicht ein für allem Male fest. Vielmehr entwickelt sie sich in einem politischen Klima, aufgrund der Positionen der meinungsbildenden Kräfte, dem Abstimmungskampf und den Alltagserfahrungen der Bürgerinnen. Im Normalfall kommt es im Abstimmungskampf zu einer Anpassung der Mehrheit der Stimmenden an die der Behörden.
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Das Anliegen
Mit dem revidierten Gesetz soll der Nachrichtendienst des Bundes Telefone abhören, Privaträume verwanzen und in Computer eindringen können. Auch wäre ihm erlaubt, grenzüberschreitende Signale aus Datenübertragungskabeln zu erfassen. Wer bestimmte Begriffe googelt oder in E-Mails erwähnt, könnte ebenso ins Visier der Behörden geraten.
Mi dieser Begründung sammelte das «Bündnis gegen den Schnüffelstaat», eine Allianz aus JUSO, GPS, Piratenpartei und Alternativer Liste, erweitert durch Organisationen wie die Gruppe für eine Schweiz ohne Armee, die Digitale Gesellschaft oder Grundrechte.ch. in nützlicher Frist die nötigen Unterschriften. 56’055 Unterschriften davon waren gültig, sodass es zur Volksabstimmung kommt.
Bei der Einreichung der Unterschriften warnte Fabio Molina, damals noch Juso-Präsident, vor einer Totalüberwachung. Der Nachrichtendienst dürfe auf keinen Fall mehr Kompetenzen erhalten. Beklagt wurde die Missachtung des Rechtsstaates. Das sei eine grosse Gefahr für eine pluralistische Demokratie.

Das politische Klima
Das Vertrauen der Bürger und Bürgerinnen in staatliche Institutionen ist mehrheitlich gegeben. Das gilt auch für Gerichte, Regierungen und Parlamente. Es trifft aber auch auf die Polizei zu.
Das meint nicht, dass es keine Skepsis gegenüber dem Handeln insbesondere der Verwaltung gibt. Diese trifft zum Beispiel den Nachrichtendienst, dessen Arbeit mangels genügender Kontrolle oder wegen geringer Effizienz periodisch in Frage gestellt wird.
Aktuell stehen gleich zwei Gesetzesrevision unter scharfer Beobachtung. Das Nachrichtendienstgesetz, über das am 25. September abgestimmt wird, und das Bundesgesetz zur Ueberwachung von Post und Telefon, zu dem die Referendumsunterschriften noch gesammelt werden. Berichtet wird hier nur über das Nachrichtendienstgesetz.

Die parlamentarische Beratung
Die Befürworter des neuen Nachrichtendienstgesetzes (NDG) bejahten während der parlamentarischen Beratung den Auftrag zur umfassenden Lagebeurteilung durch den Nachrichtendienst des Bundes (NDB). Das Gesetz verschaffe dem NDB bessere Möglichkeiten zur Früherkennung und zum Schutz der Schweiz und ihrer Bevölkerung. Die im NDG vorgesehenen neuen Mittel zur Informationsbeschaffung sind nur dann zulässig, wenn sie zuvor durch drei Instanzen bewilligt worden sind: Bundesverwaltungsgericht, Sicherheitsausschuss des Bundesrates und Chef VBS. Der vermehrte Schutz gegen Terroristen gehört zu den zentral vorgebrachten Argumenten.
Am 17. März 2015 befürwortete der Nationalrat das Geschäft ursprünglich mit 119 zu 65 Stimmen bei 5 Enthaltungen. Am 17. Juni folgte der Ständerat mit 32 zu 5 Stimmen bei 2 Enthaltungen – allerdings mit Differenzen. Nach der Differenzbereinigung, bei der sich die Position des Ständerats mehrheitlich durch setzte, haben beide Räte das Gesetz am 25. September 2015 verabschiedet. Das Ergebnis der Schlussabstimmung im Nationalrat lautete 145 Ja zu 41 Nein bei 8 Enthaltungen. Im Ständerat passierte die finale Fassung mit 35 Ja und 5 Nein; 3 Kantonsvertreter übten Enthaltung.
Gegen das Gesetz waren in der parlamentarischen Beratung die Grünen, während sich die SP gespalten zeigte. Befürwortet wurde das neue NDG durch die bürgerlichen Fraktionen. Bei der SVP und der GLP gab es prominente Abweichungen. Ende 2015 schloss sich die SP-Delegiertenversammlung mit 102 zu 62 stimmen dem Referendum an. In der Fraktion hatte rund eine Drittel für die Vorlage gestimmt.
Bis jetzt haben die folgenden Parteien eine Parole gefasst:
Ja: FDP, EVP (SVP, CVP, BDP)
Nein: SP, GPS
Stimmfreigabe: GLP
Positionierungen von Parteien in Klammern erfolgt aufgrund der Mehrheiten in der Schlussabstimmung im Nationalrat.

Typologie der Meinungsbildung
Umfragen zum Nachrichtendienstgesetz sind nicht bekannt. Generell kann man davon ausgehen, dass Prädispositionen bestehen, denn die Thematik berührt sensible und alltagsrelevante Bereiche. Man jedoch nur spekulieren, wie sie verteilt sind. Das gilt auch für die vorläufige Stimmabsichten.
Ohne weitere Abklärungen gehen wir davon ausgegangen, dass die Meinungen gespalten und nicht abschliessend gemacht sind. Das spricht für eine nicht-vorbestimmt Entscheidung mit recht offenem Ausgang.

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In der Regel bauen in einem Abstimmungskampf zu einer Behördenvorlage beide Seiten ihr Lager zulasten der Unschlüssigen auf. Das Mass der Ja- und Nein-Veränderung hängt von der Stärke der Kampagnen ab. Nur wenn es zu einer eigentlichen Protestbewegung kommt, kennt man auch Bewegungen vom Ja- ins Nein-Lager.
Allenfalls handelt es sich aufgrund der Positionierung der bürgerlichen Parteien um eine positiv vorbestimmte Entscheidung. Unter dieser Bedingung verbessern sich die Chancen einer Annahme in der Volksabstimmung, sofern es nicht zur genannten Protestbewegung während des Abstimmungskampfes kommt.

Bisheriger Abstimmungskampf
Das Bündnis gegen den Schnüffelstaat” warnte bei der Eröffnung des Abstimmungskampfes Ende Juni vor dem gläsern werdenden Bürger.
Nach den Terroranschlägen in Europa sei der Kampf gegen das neue Gesetz nicht einfach, aber umso wichtiger. Argumentiert wurde, dass zahlreiche Terroristen nachrichtendienstlich bekannt gewesen seien, was Anschläge nicht verhindere. Beklagt wurde auch der Kauf von Staatstrojanern, mit dem der Staat den Schwarzmarkt an Programmieren fördere. Betroffen sei schliesslich auf die Medienfreiheit, wenn der Staat alles mithören könne.
Von der befürwortenden Seite war bisher nicht viel zu hören, das über die Standpunkte, die im Parlament vorgebracht wurden, hinaus gehen würde.

Referenzabstimmung
am ehesten vergleichbar ist die voraussichtliche Mechanik der Meinungsbildung mit der beim Biometrischen Pass (2009). Auch damals standen sich Prinzipien der globalen Kontrolle einerseits, der Privatsphäre anderseits gegenüber. Die Vorlage passierte schliesslich hauchdünn mit gut 50 Prozent Zustimmung.
Im Abstimmungskampf legten beide Seiten zulasten der Unschlüssigen zu. Denn in der Ausgangslage hatte die Ja-Seite 39 Prozent Unterstützung, das Nein-Lager 37 Prozent. Jenes verbesserte sich um 11 Prozentpunkte, dieses um 13.
Nicht vorbestimmt waren auch die Volksentscheidungen zu den Tankstellenshops resp. zur Autobahnvignette. Bei dieser baute sich im Abstimmungskampf vor allem die Gegnerschaft auf, derweil bei jener das Ja stärker wurde.

Erste Bilanz
Umfragen zum neuen Nachrichtendienstgesetz sind nicht bekannt. Bis dann wir man von einer nicht vorbestimmten Entscheidung mit noch nicht abschliessend gemachten Stimmabsichten sprechen. Erwartet wird, dass sich Unschlüssige auf beide Seite verteilen werden.
Argumentativ stehen sich Botschaften zu Sicherheit in Zeichen des Terrorismus, Fragen der Privatsphäre und des Rechtsstaates gegenüber. Die Polarisierung verläuft dabei zwischen dem bürgerlichen und den linke Lager.
Der Abstimmungskampf ist vor allem auf der Nein-Seite angelaufen, steckt noch in der Phase der Vorkampagne.
Kompliziert wird die Beurteilung der Chancen des NDG durch das Referendum zum BUePF, das ähnlich gelagert ist, aber eine etwas breitere Opposition unter Meinungsträgern kennt. Abgestimmt wird darüber aber erst zu einem späteren Zeitpunkt.

Claude Longchamp

Worüber wir am 25. September 2016 abstimmen (2): die AHVplus-Initiative in der politiwissenschaftlichen Analyse

Entschieden wird im Herbst 2016 über die Volksinitiative AHVplus der Gewerkschaften. Sie verlangt eine generelle Erhöhung der AHV-Rente um 10 Prozent. Gespalten sind die Parteien zwischen ablehnendem bürgerlichem und befürwortendem linkem Lager. Umstritten ist, ob Einzelreformen oder Gesamtpakete in der Rentenpolitik richtig sind. Der Abstimmungskampf befindet sich erst in der Phase von Vorkampagnen, spezifische Umfragen zu Stimmabsichten liegen noch nicht vor.

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Die generelle These des Dispositionsansatzes lautet: Abstimmungsergebnisse stehen nicht ein für allem Male fest. Vielmehr entwickelt sie sich in einem politischen Klima, aufgrund der Positionen der meinungsbildenden Kräfte, dem Abstimmungskampf und den Alltagserfahrungen der Bürgerinnen. Im Normalfall kommt es im Abstimmungskampf zu einer Anpassung der Mehrheit der Stimmenden an die der Behörden.
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Die Vorlage
Die Volksinitiative “AHVplus: für eine starke AHV” verlangt eine Rentenerhöhung um 10 Prozent. Diese Regelung gilt für alle künftigen und laufenden AHV-Altersrenten. Im Durchschnitt bedeutet dies 200.- Franken mehr Rente für Alleinstehende und 350.- Franken für Ehepaare. Eingereicht wurde die Volksinitiative des Schweizerischen Gewerkschaftsbundes Ende 2013 mit 111 683 gültigen Unterschriften.
Hintergrund der Volksinitiative ist einerseits die Bundesverfassung, wonach es möglich sein soll, mittels Renten aus AHV und Pensionskasse die gewohnte Lebenshaltung auch im Alter weiterzuführen. Anderseits erscheinen die goldenen Jahre der Pensionskassen vorbei, denn Zinsen und Umwandlungssätze sinken seit längerem.

Das politische Klima
Das thematische Klima zur Abstimmung wird durch die Debatte zum Reformpaket Altersvorsorge 2020 bestimmt. Eine Umfrage, im Herbst 2015 von gfs.bern für Pro Senectute realisiert, ortete ein weitgehendes Grundvertrauen der Stimmberechtigten in die Altersvorsorge. Entsprechend dürfen Reformen nicht unterhalb des bisherigen Leistungsniveaus zu liegen kommen. Mehrheitlich akzeptiert sind die Erhöhung des Rentenalters für Frauen resp. der Mehrwertsteuer für die Finanzierung der Altersvorsorge. Realisiert werden sollen sie aber in einem Gesamtpaket.
Eine generelle Erhöhung der AHV-Rente um 10 Prozent lehnten 52 Prozent ab, während 44 Prozent dies befürworteten. Eine feste Meinung hatten 47 Prozent. Erheblich waren die sprachregionalen, altersspezifischen und parteipolitischen Effekte. So zeigten sich Mehrheiten in der italienisch- resp. französischsprachigen Schweiz positiv eingestellt, nicht aber im deutschsprachigen Landesteil. Rentner waren ebenfalls mehrheitlich einverstanden, derweil jüngere die Forderung klar ablehnten. Parteiungebundene, CVP- und SP-Sympathisantinnen und Sympathisanten zeigten eine Zustimmungstendenz über dem Mittel, nicht aber die Wählenden rechtsbürgerlicher Parteien.
Die AHVplus-Initiative klassieren wir als recht populäres Minderheitsanliegen. Hauptgrund ist, dass eine absolute Mehrheit der Stimmberechtigten negativ eingestellt ist, namentlich in der deutschsprachigen Schweiz, bei jüngeren Bürgern und Bürgerinnen und im rechten Lager. Eindeutig ist der Fall in der Ausgangslage jedoch nicht, denn in der zugrunde liegenden Studie wurden nicht Stimmabsichten bestimmt, sondern Einstellungen zu Reformteilen der Altersvorsorge 2020.

Die parlamentarische Beratung
Regierung und Parlament haben sich gegen die Initiative ausgesprochen. Für höhere AHV-Renten sehen sie keinen finanziellen Spielraum. Die Mehrkosten von «AHVplus» würden das Finanzierungsproblem verschärfen, das durch den Eintritt der Baby-Boomer ins Rentenalter an sich auftritt. Dem widersprachen die Initianten. Die spezifischen Kosten von 4,2 Mrd. Franken würden 0,8 Lohnprozenten entsprechen, also 0,4% für die Arbeitgeber und 0,4% für die Arbeitnehmenden. Das sei verkraftbar.
Die Fronten waren weitgehend geschlossen. Abgelehnt wird das Begehren von bürgerlicher Seite, befürwortet wird es im rot-grünen Lager. Im Nationalrat scheiterte die Vorlage mit 131 zu 49 Stimmen. Im Ständerat lautete das Endergebnis 33 zu 9 dagegen bei einer Enthaltung.
Bisher haben die Parteien wie folgt Stellung bezogen:
-Befürwortende Parteien SP (GPS)
-Ablehnende Parteien EVP, (SVP, FDP, BDP, CVP, GLP)
Bemerkung: Angaben in Klammern beziehen sich auf die Mehrheitsentscheidungen im Parlament und sind keine direkten Parteiparolen.
Quelle: www.politnetz.ch, Parteienwebseiten, Stand: Ende Juni 2016
Vorherrschend ist damit auch auf dieser Ebene der Links/Rechts-Konflikt.

Typologie der Meinungsbildung
Bei Volksinitiativen gehen wir an sich davon aus, dass sich die Ablehnung (erst) mit dem Abstimmungskampf aufbaut. Entscheidend sind die Zustimmungshöhe in der Ausgangslage einerseits, der generelle Problemdruck anderseits.
Letzteres ist gegeben. Fragen der Altersvorsorge resp. Rentensicherung gehören seit längerem zu den zentralen Erwartungen der Stimmberechtigten an die Politik. Das spricht für prädisponierte Meinungen. Indes, es besteht kaum Konsens, in welche Richtung die Rentensicherung gehen soll. Vielmehr unterscheiden sich die Rezepte auf der politischen Achse diametral. Meist gibt die CVP dann den Ausschlag.
Dabei kann sich die Gegnerschaft einer Initiative stets auf Schwachstellen einer Initiative stützen. Diese dürfte die Finanzierungsfrage sein. Zudem divergieren die Ansichten darüber, ob man mittels Gesamtpaket oder Einzellösungen die Altersvorsorge reformieren soll.
Wichtigste Begründung der Initianten dürfte sein, dass die AHV-Abzüge vergleichsweise geringer sind als jene für die Pensionskassen und die letzten 40 Jahre nicht gestiegen seien. Zudem können sie auf die unmittelbaren Auswirkungen der Vorlage verweisen, die eine sofortige Rentenerhöhung bringt.

Bisheriger Abstimmungskampf

Bisher eingesetzt hat nur der Vorabstimmungskampf mit ersten Positionsbezügen.
Die Initiativgegner haben sich in einem Komitee Nein zur AHV-Initiative zusammengeschlossen. Nebst den ablehnenden Parteien sind auch der Schweizerische Verband für Seniorenfragen, der Arbeitgeberverband, die Wirtschaftsverbände economiesuisse, Gewerbe- und Bauernverband mit von der Partie. Rentengelder nach dem Giesskannen-Prinzip zu verschleudern, lehnen sie entschieden ab.
Zur «Allianz für eine starke AHV» gehören die Gewerkschaften und die grossen Arbeitnehmerorganisationen des öffentlichen Sektors, Rentnerorganisationen sowie die SP, die Grünen, Juso und die Jungen Grünen. An ihren ersten Standaktionen kritisierten sie namentlich die Entscheidung der Sozialkommission des Nationalrats, welche beantragte, den Umwandlungssatz bei den Pensionskassen zu senken. Negativ betroffen wären die Jahrgänge 1964 bis 1988, also die 28- bis 52-Jährigen.
Der Konnex zwischen beiden Projekten dürfte im Abstimmungskampf bestehen bleiben. Denn das Parlament behandelt die Altersreform 2020 just im September 2016, dann wenn über die AHVplus-Initiative in der Volksabstimmung entschieden wird.

Erste Bilanz
Wie bei allen Volksinitiativen hängt der Ausgang der Volksabstimmung massgeblich von der Meinungsbildung im Abstimmungskampf ab. Zu Beginn ergibt sich ein Fenster zugunsten der Initianten. Danach geht die Themenführung meist an die Gegnerschaft über. Diese kann in der Regel mit einer Schwachstellen-Kommunikation punkten.
Bezogen auf den Ausgang dieser Volksentscheidung erscheint uns aus jetziger Sicht eine Ablehnung wahrscheinlicher als die Annahme, denn es ist mit einem negativen Meinungstrend im Abstimmungskampf zu rechnen.

Claude Longchamp