Chancenreiche PolitikerInnentypen bei einer Volkswahl des Bundesrates

Wer würde gewählt, würde die Volkswahl des Bundesrates eingeführt. Eine Spekulation über chancenreiche Politikertypen à la Parteipräsidenten wie Christophe Darbelley, Volkstribune wie Thomas Minder und Ausnahmeerscheinungen wie Karin Keller-Sutter.

Gewählt wird nur, wer genug bekannt ist. Das ist eine notwendige, wenn auch nicht hinreichende Bedingung. Denn es kommt die Akzeptanz hinzu. So führen polarisierende Ansichten oder skandalisiertes Verhalten zu Medienaufmerksamkeit, ohne Wahlchancen zu erhöhen, insbesondere nicht bei Exektivwahlen im Majorzverfahren.

Bezogen auf die Volkswahl des Bundesrates gilt es eine Besonderheit nicht zu übersehen. National- und Ständeratswahlen finden letztlich im kantonalen Rahmen statt. Bei einer Volkswahl des Bundesrates wäre indes die ganze Schweiz der relevante Wahlkreis. Selbst VertreterInnen der Kantone Zürich oder Bern müssten einem fünf- bis sechsfach grössren Publikum mehrheitlich bekannt und von ihm auch akzeptiert sein. Lang-, mittel- und kurzfristige Medienpräsenz, aber auch bewusste Imagearbeit als denkbare(r) Exektivpolitiker(in) werden deshalb zur wichtigsten Wahlvoraussetzung bei einer Volkswahl des Bundesrates.


Die 20 meist erwähnte PolitikerInnen 2012/3 in den Schweizer Printmedien (Grafik anclicken, um sie zu vergrössern

Im Nachhinein betrachtet erfüllen die heutigen BundesrätInnen diese Kriterien mehr oder minder. Vor ihrer Wahl in die Bundesregierung wären wohl nur Konsumentenschützerin Simonetta Somaruga, CVP-Parteipräsidentin Doris Leuthard und ihr SVP-Kollege Ueli Maurer bekannt genug gewesen. Bei letzteren hätte es, aufgrund der exponierten Stellung, wahrscheinlich an der nötigen Akzeptanz gefehlt, um in einer Majorzwahl zu reüssieren. Die anderen vier jetzigen BundesrätInnen wären ohne einen aufwendigen Wahlkampf allesamt kaum gewählt worden. Denn Eveline Widmer-Schlumpf war Bündner Finanzdirektorin, Didier Burkhalter und Alain Berset Ständeräte mit vorwiegend kantonaler Ausstrahlung und Johann Schneider-Ammann war einfacher Berner Nationalrat.

Ueberblickt man die national präsenten PolitikerInnen ausserhalb des Bundesrates, stösst man auf einige auffällige PolitikerInnen-Typen: PräsidentInnen der nationalen Parteien, Populisten, Gallionsfiguren von Initiativen, skandalisierte PolitikerInnen und ausgewählte VertreterInnen der kantonale Konferenzen resp. der Städte.

Das wirft die Frage auf, wer bei einer Annahme der Volksinitiative für die Volkswahl des Bundesrates die genuine Wahlvoraussetzungen erfüllen würde. Wahlumfragen helfen hier einen Schritt weiter; im wesentlichen reduzieren sie das Feld auf gewisse PräsidentInnen, Volkstribune, aber auch skandalisierten PolitikerInnen, die alles und jede mediatisieren. Zahlreiche unter ihnen erfüllen aber nur das Kriterium der Bekanntheit; einige polarisieren zu stark, sodass sie nur geringe Akzeptanz finden dürften. Zu den Ausnahmen zählen Personen wie Christoph Darbelley, Thomas Minder, allenfalls auch Karin Keller-Sutter. Sie alle hätten das Potenzial, direkt gewählt zu werden und die Legitimation des Bundesrates zu stärken.


Die populärsten PolitikerInnen der Schweiz, gemäss aktuellen Umfragen (Grafik anclicken, um sie zu vergrössern)

Dennoch bleiben Zweifel, denn die geringe Zahl an Personen, die aufgrund ihrer längerfristigen Profilierung in Frage kamen, führt zwangsläufig zum Schluss, dass auch weniger geeignete PolitikerInnen BundesrätInnen würden, die mit kurzfristigen kurzfristiger der Bekanntmachung den Erfolg suchen würden.

Kollege Mark Balsiger, erfahren in der PolitikerInnen-Beratung, hat hierfür ein interessantes Analyseschema entwickelt, unterscheidet er doch zwischen Anker-, Engagement- und Verpackungsfaktoren einer erfolgreichen Personenwahl. Ersteres hat viel mit der langfristigen Ausrichtung einer politischen Karriere zu tun, und es ist typischerweise an den lokalen Raum in einer Stadt oder einem Kanton gebunden. Derweil lässt sich das andere kurzfristiger beeinflussen, sei es durch das Verhalten der KandidatInnen im Jahr vor der Wahl, sei es durch die Inanspruchnahme professioneller Wahlhilfen. Konkret zählt Balsiger beispielsweise Zeit und Geld als Engagementfaktoren auf, und er fügt Aussehen und Kampagnen als typische Verpackungsfakoren hinzu.

Man kann es drehen und wenden wie man es will: Entweder wäre die Auswahl bei einer Volkswahl des Bundesrates ausgesprochen klein, was die ausgewogenen Zusammensetzung der Bundesregierung erschweren würde, oder aber die Bedeutung von Wahlkämpfen, geführt von Medien und Professionellen im Sinne der Amerikanisierung, würde beträchtlich an Relevanz gewinnen.

Das Argument des permanenten Wahlkampfes, das gegen die SVP-Initiative vorgebracht wird, halte ich bei den gewählten BundesrätInnen für überzeichnet. Bis gewählte Exekutivmitglieder scheitern, braucht es viel. Doch würde die Volkswahl des Bundesrates zu einer raschen Zunahme an kurzen und heftigen Wahlkämpfen im Vorfeld von Wahlen kommen, womit Kriterien wie die breite Akzeptanz unter PolitikerInnen, aber auch die sachliche Kompetenz im Bundesrat leiden dürfte.

Claude Longchamp

Analyse der Inserate-Kampagnen zu den eidg. Volksabstimmungen vom 3. März 2013

Ein Forschungsteam rund um der Berner Politikwissenschafter Marc Bühlmann hat die Inserate in über 50 Tages- und Wochenzeitungen vor den eidg. Volksabstimmungen vom 3. März 2013, die in den letzten 8 Wochen vor der Abstimmung erschienen, ausgewertet. Eine Uebersicht über die wichtigsten Befunde der bisher besten Dokumentation in diesem Bereich.

Intensität der Inseratekampagnen zu den drei Vorlagen der Volksabstimmungen vom 3. März 2013

Grafik anclicken, um sie zu vergrössern

Mit Abstand am meisten Inserate wurden in der Kampagnen zur Revision des Raumplanungsgesetzes geschaltet. Das Gegner- und Befürworterlager hielten sich die Waage. Weniger Inserate gab es zur Abzocker-Initiative, wobei die Nein-Seite klar dominant war. Kaum wahrnehmbar waren Inserate zum Familienartikel, insbesondere nicht solche der BefürworterInnen.

In der italienischsprachigen Schweiz wurden kaum Inserate geschaltet. Bei Familienartikel gilt dies zusätzlich für die deutschsprachige Schweiz. Bei Raumplanungsgesetz gab es sprachregional segmentierte Inserateninhalte. In der deutschsprachigen Schweiz standen sich die Schlagworte “Zersiedelung” und “Steuern” gegenüber, in der Romandie besetzten beide Seite primär die Mietfrage. Testimonials kommen in Pro-Kampagnen häufiger vor als in gegnerischen.

Dynamiken der Pro- und Kontrakampagnen zur Abzocker-Initiative und zum Raumplanungsgesetz


Grafik anclicken, um sie zu vergrössern

Die Dynamik der Inseratekampagnen gleichen sich stark. Generell gilt: Die Intensität schwillt in den Wochen 8 bis 3 oder 2 vor der Abstimmung an, wird danach meist wieder kleiner. Die Gegnerschaft des Raumplanungsgesetzes verringerte ihren Aufwand weniger, sodass es in den letzten 14 Tagen einen Nein-Ueberhang gab. Beim Familienartikel gab es, schon wegen der fehlenden Menge, keine solchen Effekte.

Noch fehlt es an einer ganz dicken Ueberraschung in der erstmals so breit durchgeführten Analyse. Der grosse Vorteil solcher Auswertung besteht aber in der Quantifizierung von Sachen, die man sieht oder merkt, bei dem man sich aber auch verschätzt. So hätte ich keinen so einseitigen Ueberhang der Kampagnen zum Raumplanungsgesetz memoriert gehabt, und einige der sprachregionalen Eigenheiten sind mir schlicht entgangen.

Natürlich wäre es empfehlenswert, das Ganze mit Analysen der Medienstrategien einerseits, mit den Trendanalysen auf Befragungsbasis andererseits zu verknüfen. Denn es lassen sich verschiedene Kombinationen von Kampagnen postulieren, etwa die primär redaktionelle geführt, dann die kombinierte Kampagne im redaktionellen und gekauften Raum. Zudem kann man vermuten, dass Intensitäten der Kampagnen, die Differenz zwischen Ja- und Nein Kampagne und die Betonung einer Hauptbotschaft auf die Meinungsbildung wirken.

Seit den 90er Jahren gibt es unter PolitikwissenschafterInnen Projektideen, Abstimmungskampagnen zu dokumentieren, sie zu vermessen und die Resultate mit anderen Daten zu vernetzen. Bisher hat sich aber keine, mit Umfragen vergleichbar konstant gehaltene Quellensammlung und -auswertung gehalten. Es wäre ein Segen für die Abstimmungsforschung in der Schweiz, würde das dem gut etablierten Team von “Année politique suisse” diesmal gelingen.

Claude Longchamp

Parolen, Parolentreue und Elite/Basis-Konflikte bei Volksabstimmungen

Es ist bekannt, dass nicht immer alle Regierungsparteien hinter einer Behördenvorlage stehen (müssen). Die Abweichungen sind aber zunehmend, teils mit, teils ohne Erfolg. Martina Imfeld und Stephan Tschöpe vom Forschungsinstitut gfs.bern sind im VOX-Trendbericht 2012 den Einzelheiten anhand aller Volksabstimmungen des letzten Jahres nachgegangen. Ein Kommentar-

In drei der zwölf Fälle drangen 2012 Bundesrat und Parlament mit ihren Entscheidungen nicht durch – ein vergleichsweise hoher Anteil: Es scheiterten die Buchpreisbindung und die KVG-Reform in Referendumsabstimmungen; dafür fand die Zweitwohnungsinitiative eine mehrheitliche Zustimmung.

Wie sich die Regierungsparteien positionierten
Am wenigsten behördentreu von allen Regierungsparteien positionierte sich 2012 die SVP. In der Hälfte der Abstimmungen wich sie von der Behördenposition ausdrücklich ab. Erfolg hatte sie damit beim KVG und bei der Buchpreisbindung. Es gelang ihr, nicht nur die eigenen Basis zu mobilisieren, vielmehr votierten die Stimmenden insgesamt gegen die Vorlagen. Wenigstens die eigenen Leute repräsentierte die SVP mit ihre Parole bei den Staatsverträgen vors Volk, dem Sicheren Wohnen im Alter und dem Tierseuchengesetz; in allen drei Fällen befand sie sich damit aber in der Minderheit des Stimmvolkes. Besonders heikel war die Parole gegen die Jugendmusikförderung – eine Vorlage, die von den Stimmenden insgesamt, aber auch von den SVP-Wählenden mehrheitlich befürwortet wurde.

Uebersicht über Parolen und Parolenbefolgung nach Volksabstimmungen 2012

Grafik anclicken, um sie zu vergrössern

Insgesamt viermal stellte sich die SP gegen die Behördenentscheidung. Dreimal sanktionierten ihre Wählenden dies, einmal nicht. Die Ausnahme betraf das Ja zur Initiative Schutz vor Passivrauchen, die in der Volksabstimmung scheiterte, auch mit der Mehrheit der SP-Stimmen. Ganz anders verhielt es sich beispielsweise bei der Zweitwohnungsinitiative und der Managed-Care Reform, wo die SP mit den Stimmen der eigenen Wählenden und anderen obsiegte.

Zweimal wich die FDP mit ihrer Parteiparole von der Behördenposition ab. Bei der Buchpreisbindung sanktionierten die eigenen WählerInnen dies, und die Opposition war auch insgesamt erfolgreich. Ganz in der Minderheit blieb die FDP-Parteispitze indes bei der Jugendmusikförderung. Beim KVG zeigte sich die FDP bis zuletzte loyal zum Behördenentscheid, ohne dass sie damit ihre Wählerschaft überzeugen konnte, und auch in der Bevölkerung damit unterlag.

Grundsätzlich behördentreu politisierte die CVP. Dennoch hat die Partei ein Problem: Beim KVG und bei der Buchpreisbindung, bei denen die CVP den Behördenstandpunkt vertrat, wich die eigene Basis von der Parteiparole ab, und war damit bei der Mehrheit der Stimmenden.

Etwas erschwert ist die Beurteilung der BDP. Sie ist die kleinste Regierungspartei und in Umfragen nicht hinreichend fassbar. Wahrscheinlich stimmte die Parteibasis bei der Zweiwohnungsinitiative wie auch beim Sicheren Wohnen im Alter trotz Nein-Parole dafür.

Eine Bilanz zum gegenwärtigen Funktionieren des Regierungslagers
Gegenwärtig stimmen im Mittel 61 Prozent wie die Behörden, aber mit grossen Schwankungen von 87 Prozent bei der Neuregelung der Geldspiele bis zu 24 Prozent beim KVG. Am meisten Support haben die Behörden bei den BDP-WählerInnen, am wenigsten bei jene der SVP.

Zu den Eigenheit der gegenwärtigen Situation zählt, dass nicht mehr nur einzelne Regierungsparteien aus dem Konsens ausscheren, sondern gleich ganze Reihen. Das ist an sich ein Krisensymptom. Wenn daraus eine Welle des Unmuts entsteht, kann dies auch Teile der Wählenden behördentreuer Parteien erfassen kann und die Vorlage versenken.

Mindestens so klar als Krisensymtom ist zu werten, dass die Parteispitzen mit ihrer Profilierungshaltung bei Volksabstimmungen auch übetreiben. Eklatant war das 2012 beim Nein von SVP und FDP zur Jugendmusikförderung, und auch beim Ja der SP zum Passivraucherschutz. Der krasseste Fall lag bei der ersten Bausparinitiative vor, die von den Spitzen der SVP, FDP, BDP und CVP befürwortet wurde, wobei die Wählenden der CVP und BDP zur allgemeinen Ablehnung der Vorlage beitrugen. Zwischenzeitlich ist ja auch nicht mehr gesichert, dass sich solche Manöver bei Wahlen lohnen. BDP und GLP legen dazu, mit Positionen nahe bei den Behörden.

Fazit: Es ist Bewegung in die Regierungsparteien gekommen – an ihrer Spitze, aber auch an ihrer Basis. Das erleichtert die Uebersicht bei Abstimmungen nicht, 2012 wie 2013. Denn beim Familienartikel und bei der Abzocker-Inititive gab es erneut zwei oppositionelle Entscheidungen. Jede Abweichung der Stimmenden von Behörden ist ernst zunehmen, indes nicht jede abweichende Parteiparole.

Claude Longchamp

Wenn Tote Wahlen gewinnen

Am letzten Freitag hielt ich im Rahmen der Zürcher Uni-Lehrveranstaltung zur “Wahlforschung in Theorie und Praxis” meine Vorlesung zur Mediendemokratie. Gebraucht wird der Begriff, um substanzielle Veränderungen im Wahlgeschehen zu beschreiben, die durch Medien wie Fernsehen und Internet ausgelöst werden. Und er dient auch als Interpretationsrahmen für neue Phänomene.

Zu den Thesen, die im Zusammenhang mit der Mediendemokratie diskutiert werden, gehören die Medialisierung der Politik als Voraussetzung, die Veränderungen des Wahlentscheides durch Potenzierung von Effekte der Entscheidungen über Themen und Personen, ebenso wie aufgrund eines medial erzeugten Klimas. Nicht zuletzt wird davon auch das Stimmungselement abgeleitet.
Als Belege hierfür habe ich die Obama-Wahl von 2008, die Wahl von François Hollande vor Jahresfrist, und der Erfolg von Beppe Grillo in der jüngsten Wahl in Italien erwähnt. Sie alle waren durch starke Personenorientierungen geprägt, die Parteibindungen überlagern sollten. Sie alle entwickelten ein eigentliches Kampagnenmoment, das zum treibenden Faktor der Wahlentscheidung wurde. Und sie lösten die grossen Hoffnungen, die mit der Wahl verbunden wurden, allesamt nicht ein.
Zu meinen Trends in heutigen Wahlkämpfen der Schweiz zählte ich am Freitag die Entstehung von Super-Kampagnen, die nicht nur einer Partei ein Profil, sondern einer Wahl insgesamt eine Bedeutung verleihen. Ich nannte die Radikalisierung der politischen Auseinandersetzung zum Beispiel zu harten Themen wie AusländerInnen oder Kernenergie. Wahlkämpfe finden dabei nicht mehr in geschlossenen Räumen statt, sondern haben bisweilen internationale Ausstrahlung, und das internationale Geschehen beeinflusst sie selbst im Lokalen. Das entsteht mitunter auch durch crossmediale Inszenierungen, vorgenommen von interessierten Akteuren, die sich der Skandalisierung, Dramatisierung, Personalisierung und Emotionalisierung bedienen, um vor einer Wahl ein vorherrschendes Stimmungsmoment zu erzeugen.

Last but not least, erwähnte ich die mit der Medialisierung von Wahlkämpfen verbundene Virtualisierung von Wahlentscheidungen.

Als typische Beispiele hierfür nannte ich die Aargauer Wahlen von 2006, als Doris Leuthart alle Plakate zierte, obwohl sie weder fürs Kantonsparlament, noch für die Aargauer Regierung kandidierte, der CVP aber einen der wenigen Wahlerfolge brachte. Erwähnt habe ich auch die “Bundesratswahl” von Christoph Blocher, der den Nationalrats-Wahlkampf 2007 der SVP mit dem Slogan dominierte, SVP wählen heisse Christoph Blocher stärken. Am Schluss glaubten das alle – fälschlicherweise. Hätte es ein weiteres Beispiel gebraucht, für eine fiktionales Element im Wahlgeschehen, hätte ich an diesem Sonntag Abend mein Exempel bekommen.

Meines Wissens wurde in der Wahl für die Stadtregierung von Lugano 2013 erstmals ein Toter in eine Exekutive gewählt.

Die Reaktionen auf meinen Tweet in dieser Sache waren prominent: Norman Gobbi, der Lega-Nationalrat beschwichtigte mich umgehend mit dem Verweis, nicht der verstorbene Giulano Bignasca, sondern der populäre Ex-Regierungsrat Marco Borradori und der bisherige Lorenzo Quadri hätten für viele Stimmen gesorgt. Und der Tessiner Delegierte in Bern, Jörg de Bernardi, schob heute nach, das Proporzsystem funktioniere nach eigenen Regeln, weil man primär nich Personen, sondern Parteien (und die von ihnen vorgeschlagenen Vertretungen) wähle.

Ich kann verstehen, dass man den ausgesprochen seltenen Befund, das Tote mehr Vertrauen haben als Lebende in einer Wahl, kommentieren muss. Spezifischer Legalismus hilft hier indess nicht weiter; vielmehr ist eine Betrachtung der Zusammenhänge nötig.
Für mich ist es typisch, dass Fiktionales Wahlen in der Mediendemokratie mitbestimmen. Denn die Wahl ist nicht einfach eine Wahl von Programmen oder von KandidatInnen. Durch Propaganda und Werbung hierzu erhält sie eine Rahmung, welche Signifikanz ihr über die Wahl hinaus zukommt. Im einfacher Fall war das eine pietätsvolle Erinnerung an den Tessinere Politiker, der die Lega aufgebaut und ihre Geschicke während Jahren gelenkt hatte. Im mittleren Fall ist es das Interesse der Medien an Figuren wie den unkonventionellen Bignasca, für den man sich, unabhängig von Leistungen und Inhalte, medial interessiert, weil er so klar von der Norm abweicht. Höchstwahrscheinlich trägt seine posthume Wahl in die Regierung der Stadt Lugano aber auch Züge der Identifikation mit Vaterfiguren, wie man sie aus Nordkorea oder Venezuela kennt, die typisch sind für den grassierenden Populismus.

Erinnert sei, dass Jörg Haider nach seinem Ableben als Landeshauptmann in Kärnten von seiner Partei erfolgreich als Symbol eingesetzt wurde, um die Mobilisierung bei den ersten Wahlen in der Post-Haider-Aera zu befördern. Doch niemandem wäre es in den Sinn gekommen, die Geschicke des österreichischen Bundeslandes in die Hände eines Verstorbenen zu legen.
Ich halten es für eine ernsthafte Krise der Demokratie, wenn man Leben und Tod nicht mehr unterscheiden kann. Denn, so frage ich, wie soll man heiklere Sachen wie die parteipolitische Programme zur Steuerung der Zukunft genügend auseinander halten können, wenn das Grundlegendste nicht mehr hinreichend genug differenzieren kann.

Mit den Stimmungsentscheidungen in der Mediendemokratie verbinde ich eben den schleichenden Verlust der Kriterien für Wahres und Unwahres, für Richtiges und Falsches. Bis jetzt betraf das nur Aussagen wie Expertenstandpunkte beispielsweise zu Zahlen über das Asylwesen. Dass man kaum mehr auf gesicherter Basis politische Meinungen äussert, an das hat man sich langsam gewöhnt. Dass Tote zu Exekutivmitglieder werden, ist, jedenfalls für mich, nicht nur ungewohnt, es sollte auch nie mehr vorkommen (dürfen)!

Claude Longchamp

PS:
Auch in Neuenburg verstarb ein Kandidat kurz vor der jüngsten Wahl in den Regierungsrat. Um Klarheit zu schaffen, wer dabei und wer nicht dabei ist, wurde die Wahl um 14 Tage verschoben.

Prognose der eidg. Wahlen 2015

HistorikerInnen seien PrognostikerInnen der Vergangenheit, frotzeln SozialwissenschafterInnen gerne. Ein Blick auf die Wahlvorhersagen der PolitikwissenschafterInnen in der Schweiz zeigt, dass sie recht selten sind. Grund genug, der Prognose der National- und Ständeratswahlen 2015 mein Forschungsseminar auf Masterstufe am Institut für Politikwissenschaft an der Universität Bern zu widmen.

Die GrundlagenforscherInnen überlassen Prognosen gerne der Anwendungsforschung, obwohl Karl R. Popper einst meinte, wer einen Sachverhalt gut erklären könne, könne ihn auch prognostizieren. Das war noch ganz im Denken des deduktiv-nomologischen Wissenschaftsverständnisse, wie es aus den Naturwissenschaften, insbesondere der Physik, stammt. Zwischenzeitlich sind die Sozialwissenschafter etwas vorsichtiger geworden. Es herrscht das deduktiv-stochastische Verständnis von wissenschaftlicher Forschung vor: Hergeleitet werden Zusammenhänge nicht nur aus gedanklichen Konzepten, die Erklärungen wie Vorhersagen gleichermassen erlauben, sondern aus verallgemeinerungsfähigen Beobachtungen, die mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit und einer beschränkten Offenheit erlauben, Aussagen zur (nahen) Zukunft zu machen.

Nun hat die Wahlforschung insbesondere in den USA in den letzten 8 Jahren rasante Fortschritte gemacht, gerade was Wahlprognosen betrifft. Zu den bekannte Umfragen sind Wahlbörsen hinzu gekommen, ebenso arbeitet man mit Modellrechnungen und Expertenpanels, wenn es um die Vorhersage beispielsweise der amerikanischen Wahlen geht. Die Leistungsschau lässt sich sehen: Verschiedene Protagonisten des Metiers kannten den Wahlsieger, seine Elektorenstimmen und seinen Wähleranteil weit im Voraus ganz genau, oder sie mussten sich nach der Wahl mit nur minimalen, letztlich irrelevanten Abweichungen auseinandersetzen.

Ist das auch in der Schweiz möglich, wenn es um National- und Ständeratswahlen geht? Genau das ist die Fragestellung meines nächsten Forschungsseminars an der Uni Bern, das ich im Rahmen des Masters für schweizerische und vergleichende Politik im Herbstsemester 2013 anbieten werde. Bezugspunkt für die Prognose sind die Parlamentswahlen 2015.

Im Seminar wird zuerst der Benchmark der Wahlprognosen in Politikwissenschaft, Oekonomie, Medienwissenschaft, Geschichte und Statistik erarbeitet. Dann werden die wenigen Wahlprognosen in der Schweiz einer kritischen Würdigung unterzogen, so ihrem theoretischen und empirischen Hintergrund. Darauf aufbauend formulieren die Studierenden Projekte, welche zu Verbesserungen in der Wahlprognose zu Schweizer Wahlen versprechen. Es werden die bestens 3-5 Vorschläge ausgewählt, die in der Folge als Gruppenarbeiten ausformuliert werden, und zwar in methodischer und datenmässiger Hinsicht. Die Arbeitsgruppen müssen bis Ende Semester zeigen, was für Vorhersagen sie damit 2011 (oder noch früher) gemacht hätten und, als Kernaufgabe, wie die Vorhersage für 2015 lautet.

Denkbar sind Prognosen zur Wahlbeteiligung, zum Stimmenanteil aller oder einzelner Parteien und zur Sitzverteilung im National- und Ständerat in einzelnen Kantonen oder gesamtschweizerisch. Minimal wird erwartet, eine zutreffende Aussage zu Gewinner und Verlierer zu machen, maximal auch quantitativ zutreffende Angaben. Dabei können Trendextrapolationen und Szenarientechnik angewandt werden. Im Herbst 2015 werden wir dann überprüfen können, was davon stimmte (und falls nicht lernen können, was man noch besser machen kann).

Ich hoffe, damit eine Schritt zurück zur ursprünglichen Motivation zu machen, warum man Sozialwissenschaften betreibt, nämlich die Fähigkeit zu entwickeln, Entwicklungen und Ereignisse vorher zu sehen, die, nicht zuletzt mit der empirischen Ausrichtung der Fächer weitgehend auf die Aufgabe reduziert wurde, Erklärungen für jüngst Vergangenes anzubieten.

Gefordert werden alle sein, die Studierenden und der Dozent.

Claude Longchamp

Der Stammbaum der Schweizer Parteien

Adrian Vatter, Professor für Schweizer Politik an der Uni Bern, hat in der heutigen NZZ eine neuartige Form des Parteienstamms publiziert, die zum neuen Standard werden dürfte.


Grafik anclicken, um sie zu vergrössern

Zum ersten Mal habe ich den Stammbaum der Schweizer Parteien in meinem Staatskundelehrbuch für die Kantonsschule, verfasst vom Parteienforscher Erich Gruner, gesehen. Das war Mitte der 70er Jahre. Seither ist auf diesem Gebiet das einiges erschienen; nichts davon hat mich wirklich überzeugt. Bis heute alles anders wurde.

Die Vorteile der Neubearbeitung durch Politologe Adrian Vatter sind evident: Sie baut auf den grossen Weltanschauungen des 19. Jahrhunderts auf, dem Liberalismus, dem Konservatismus und dem Sozialismus. Sie zeigt auf, wie sich aus Vereinen, Bewegungen, Fraktionen und internationalen Assoziationen zuerst die Sozialdemokratische Partei, dann die Freisinnig-demokratische Partei, die Demokratisch Partei, die Katholische Volkspartei und die Liberale Partei bildeten. Verschiedlich kam es dabei zu Umbenennung, teilweise nur als Markevariante, teilweise als Folge von Fusionen, wie bei der CVP und der SVP. Klar wird aber auch, wie die verschiebenen kleinere aus grösseren Parteien entstanden (so die äussere Linke und die grünen Parteien aus der SP, so die Bauern-, Gewerbe- und Bürgerpartei aus der liberalen Strömung, ohne mit Sicherheit dasselbst zu bleiben, und die äussere Rechte, meist unabhängig oder in Konkurrenz zur BGB/SVP).

Die Grafik ist dem neuen Lehrbuch zum politischen System der Schweiz entnommen, dass von Adrian Vatter auf den Herbst 2013 angekündigt wurde. Schon mit der heutigen Publikation in der NZZ dürfte sie schnell zum Massstab für alle werden, die sich mit der geschichtlichen Entwicklung der Parteien in der Schweiz beschäftigen. Das Historische Lexikon der Schweiz hat in den vergangene Jahren hierzu reichlich Material produziert, ohne dass es bisher in eine neue Uebersicht gebracht worden wäre.

Genau das leistet die neue Uebersicht, die empfehlenswert ist – mit einer kleinen Ausnahme: Das Kriterium der Brücksichtigung von Parteien ist nicht ganz klar. So ist die EDU drauf, die nicht mehr im eidg. Parlament vertreten ist, dafür fehlt das Mouvement Citoyen Genevois (das neuerdings einen Nationalrat hat), man könnte meines, es fehle, weil es keine nationale Partei sei, doch dann müsste auch die Lega dei Ticinesi (mit Nationalrat) weggelassen werden, während nicht nur diee PdA (als nationale Partei ohne Parlamentssitz) drauf sein sollte, sondern auch die 2009 gegründete Piratenpartei (22 Sektionen, wenn auch kein Parlamentssitz).

Im Unterschied zu meinen neuen Ueberlegungen, die ich diese Woche in Vortragsform präsentiert habe, betont Vatter mehr die Genealogie der Parteien, und damit die Kontinuität in der Entwicklung, während es mir mehr darum geht, dass sich Parteien zyklisch erneuern müssen, um auf Veränderungen im Institutionellen oder im Gesellschaftlichen zu reagieren, und sich dabei auch neu erfinden können.

So oder so, es wäre zu wünschen, dass auf der erneurten Basis die Geschichte der Parteien in der Schweiz neu geschrieben würde, mit den grossen Herausforderungen der verschiedenen Epochen, den institutionellen Rahmenbedingungen, aber auch dem soziopolitischen Wandel. Das wäre eine höchst willkommene Erneuerung der Arbeiten, die Erich Gruner als Historiker und früher Parteienforscher in den 60er Jahren an der Berner Uni geleistet hatte. Die Historiker haben mit dem erwähnten Lexikon ihren Beitrag geliefert, jetzt wäre die Politikwissenschaft gefragt!

Claude Longchamp

Die 6. Generation Schweizer Parteien

Zwischen 2007 und 2009 hat die Schweiz mit GLP, BDP und Piraten drei neue Parteien erhalten, die über den Moment hinaus Bestand haben. Ihre Analyse sagt mir, es sei die 6. Generation Parteien in der Schweiz.

Parteigeschichte wird häufig in Form eines Stammbaums geschrieben. Die Wurzeln sind der Liberalismus, der Konsevatismus und der Sozialismus, die im 19. Jahrhundert als Weltanschauungen entstanden. Die Stämme besteht entstprechend aus FDP, CVP, SVP und SP resp. ihre Vorläuferinnen, die sich mit der Zeit teilweise mehrfach verzweigten, sodass zahlreiche kleinere und mittlere Parteien wie die GPS, aber auch die GLP, BDP und EVP hinzu gekommen sind.

Das Bild des Stammbaums suggeriert Konstanz, was historisch nicht wirlich der Fall. Bekannt sind Namensänderungen der Schweizer Parteien; hinzu kommen weltanschauliche Neuausrichtungen, organisatorische Veränderungen und teils substanzieller Wandel im Elektorat. Das alles lässt es sinnvoll erscheinen, von Etappen der Parteientwicklung auszugehen. Sinnvoll ist es meiner Meinung nach, von Analogien aus der Biologie zu sozialwissenschaftlichen Konzepten in der Parteienanalyse überzugehen, wie sie der Funktionalismus (mit dealignment und realigment von Parteibindungen), aber auch die Konflikttheorie mit ihren Cleavages und ihren Regelungen vorgeschlagen haben. Entsprechend propagiere ich mit meinem Referat von heute Abend an der Fachhochschule der Nordwestschweiz in Brugg-Windisch, von eigentlichen Generationen von Parteien auszugehen, für die es in der Regel einen auslösenden historischen Moment, eine relevante Konfliktlinie, eine institutionelle Lösung hierfür gibt, welche das Parteiensystem oder neuen Schichten in diesem nachhaltig geprägt haben.


Tabelle anclicken, um sie zu vergrössern

Als typische Einschnitte in diesem Sinne gelten die Demokratisierungserfordernisse mit der Einführung des Referendums und der Volksinitiative zwischen 1874 und 1891, die Etablierung des Proporzwahlrechtes 1919 und die Erweiterung des Stimm- und Wahlrechtes auf alle Schweizer Erwachsenen 1971. Der jüngste Einschnitt war 1992 mit der negativ verlaufenen Entscheidung zum EWR-Beitritt. Mit dem darauf folgenden Umbruch in der Schweizer Politik sind neue Konfliktlinien entstanden, ist der Rechtspopulismus salonfähig geworden und hat sich namentlich die SVP als Sammelbecken für alle nationalkonservativen Kreise etablieren können.

Man kann sich allerdings fragen, ob die Wahlen 2011 nicht einen weiteren Einschnitt markierten. Auesseres Kennzeichen hierfür ist die wieder gestiegene Volatilität in den der Wahlergebnisse mit dem erstmaligen Verlust für die SVP; auch neue Parteien, die ins Parlament gewählt werden oder sich an Wahlen mit gewissen Aussichten beteiligen, zählen hierzu. Entscheidend aber ist, dass sie anders als in den letzten 20 Jahren nicht mehr an die Polen entstehen und damit die Polarisierung vorantreiben. Vielmehr sind gerade der GLP und der BDP eher moderate Positionen eigen, und auch die Piratenpartei ist bisher weder durch klar linke oder klar rechte Positionen aufgefallen. Ich halte es deshalb für angezeigt, von einer 6. Generation von Parteien in der Schweiz auszugehen, die durch Abspaltungen von bisherigen Parteien entstanden sind oder den gesellschaftlich-medialen Wandel aufgreifen, die mit Wertesynthesen, Stilmischungen und Allianzbildung in bisher ungewohnter Art und Weise experimentieren.

Die Entwicklung des Parteiensystems wäre damit geprägt gewesen durch den Uebergang von kantonalen und nationalen Vereinen (1. Generation) zu politischen Parteien mit einer landesweiten Organisation (2. Generation), durch Prluralisierung der Parteienlandschaft nach dem Zerfall der freisinnigen Vorherrschaft und Reintegration in der Konkordanz (3. Generation) und durch Ausdehnung des Wahlrechtes von den erwachenen Männern auf die erwachsenen Frauen mit Schweizer Bürgerrecht (4. Generation). Typisch für die fünfte Generation war die Polarisierung der Parteienlandschaft mit der Hinwendung zu einem polarisieten Pluralismus, der durch die 6. Generation Parteien wieder aufgebrochen wird.


Tabelle anclicken, um sie zu vergrössern

Selbstredend hängt diese Einschätzung mit der künftigen Entwicklung namentlich von GLP und BDP zusammen. Abschliessende Urteile sind da noch nicht möglich, immerhin zeichnet sich ab, dass der Bestand der BDP stark von der Ablösung von Eveline Widmer-Schlumpf im Bundesrat abhängt, derweil es der GLP gelungen ist, sich namentlich in einer nachwachsenden Generation als gemässigte Kraft im linken Zentrum zu etablieren und einer Partei in zahlreichen Legislativen zu werden. Ein klares Phänomen der Internetgeneration ist die Piratenpartei, indes, ist es ihr weder kantonal noch national gelungen, sich in politischen Behörden festzusetzen und damit die institutionelle Politik mitzugestalten.

Claude Longchamp

Die 1975er Schwelle

Erstmal haben wir Generationsbrüche in der politischen Kommunikation am Beispiel der Mediennutzung in Abstimmungskämpfen untersucht. Betroffen ist davon die Verwendung besonders von Radio, Leserbriefen und Internet, um sich vor Entscheidungen eine Meinung zu bilden.

SoziologInnen schreiben gerne über Generationen und den Generationenwandel. Zum Beispiel über Babyboomer, jene, die in der Nachkriegszeit geboren wurden, mit einer sprunghaften Zunahme der Geburtlichkeit in Ländern, die unter dem Krieg litten; oder über die Generation X, Y und Z, die darauf folgten und hinsichtlich Konsum, Medien, Vorbilder andere Sozialisationsbedingungen erlebten.

Mediennutzung in Abstimmungskämpfen nach Generationensplit vor resp. nach 1975 geboren

Quelle: gfs.bern, VOX-Analysen (Grafik anclicken, um sie zu vergrössern

In der Medienforschung ist es es zwischenzeitlich üblich geworden, von der 1975er Schwelle zu sprechen. Denn wer vorher resp. nachher geboren wurde, zeigt ein anderes Medienverhalten. Im Printbereich betrifft das den Uebergang von Bezahl- zu Gratiszeitungen, im elektronischen Bereich den Wechsel vom Fernsehen und Radio hin zum Internet.

Erstmals hat das Forschungsinstitut gfs.bern die Mediennutzung in Abstimmungskämpfen nach diesem Schema untersucht. Und siehe da: Bei den Volksentscheidungen der Jahre 2008 bis 2012 gibt es in der politischen Kommunikation tatsächlich charakteristische Unterschiede: Wer heute jünger als 37 ist, verwendet Informationen am Arbeitsplatz, Mitteilungen auf Internet, Strassenplakate und die amtlichen Unterlagen häufiger als ältere. Diese wiederum greifen in Abstimmungskämpfen mehr zu Zeitungen, um sie zu lesen, schauen häufiger fern, hören mehr Radio, um sich zu informieren. Damit hängt zusammen, dass sie zahlreicher Leserbriefe mit einbeziehen, Inserate konsultieren, generell mehr Werbung der Komitees beachten, direct mailings nutzen und bei Standaktionen häufiger einen Halt einschieben.

Klar gesagt sei, dass der aufgezeigte split nicht bedeutet, dass die einen nur das eine, die anderen nur das anderen nutzen würde. Die Differenzen sind eher gradueller Natur. Erheblich ist der Generationenwechsel bei Radio und Leserbriefen. Die Nutzungswerte kennen, in den beiden unterschiedenen Gruppen, einen Unterschied von gut 15 Prozent, derweil es beim Internet das Umgekehrte im vergleichbaren Masse gibt. Interessant ist, dass damit auch die politische Information am Arbeitsplatz, lange weitgehend verpönt, bei jüngeren BürgerInnen wieder häufiger verwendet wird, um politische Entscheidungen zu treffen.

Es trifft also zu, dass die Mediennutzung nicht nur quantitativ im Umbruch ist, sondern auch qualitativ – und dass sich der Medienmix in der politischen Kommunikation ändert! In Abstimmungskämpfen für die neuen Generationen neu erfinden muss sich vor allem das Radio. Derweil kann man davon ausgehen, dass Leserbriefe in Zeitungen als typische Form der Meinungsbildung in der Schweiz ein Phänomen älterer Menschen wird, während der Ersatz in der elektronischen Kommunikation via Internet zu suchen ist.

Mehr über Generationen in der Politik, besonders bei Wahlen, gibt’s übrigens am kommenden Montag in meinem Vortrag an der Fachhochschule Nordwestschweiz in Brugg, wo ich über “Parteien für neue Generationen – neue Generationen von Parteien” sprechen werde.

Claude Longchamp