Mein Einsatzplan für den Abstimmungssonntag

Der Abstimmungssonntag naht. Anbei mein Einsatzplan in den SRF-Medien.

Anbei meine Einsätze für den Abstimmungssonntag. Terminänderungen aufgrund der Aktualität oder dem Resultatefluss sind immer möglich.

Alle Neuerungen werden via Twitter (@gfsbern, @claudelongchamp) verbreitet. Lukas Golder fasst das Wesentliche periodisch auf dem Institutsblog zusammen (www.gfsbern.ch).

1230 TV ev. Trendrechnung Abzocker-Initiative
1237 Radio ev. Trendrechnung Abzocker-Initiative
1300 TV Trendrechnung alle drei Vorlagen
1315 Radio Trendrechnung alle drei Vorlagen
1330 TV 1. Hochrechnung Abzocker-Initiative/Raumplanungsgesetz, kleine Analyse
1345 Radio 1. Hochrechnung Abzocker-Initiative/Raumplanung, kleine Analyse
1400 TV 1. Hochrechnung Familienartikel, kleine Analyse
1415 Radio 1. Hochrechnung Familienartikel, kleine Analyse
1430 TV Reservetermin
1500 TV Hochrechnung Stimmbeteiligung, kleine Analyse
1625 TV Erstanalyse Abzocker-Initiative/Familienartikel
1638 TV Erstanalyse Raumplanungsgesetz
1850 TV Schlussanalyse Abstimmungssonntag

Erläuterungen:
Die Trendrechnung ist schnell, aber unsicher. Es werden keine Zahlen kommuniziert, nur ob ein Ja oder Nein erwartet werden kann, allenfalls, dass (aufgrund der vorhandenen Information) noch keine Aussage gemacht werden kann.
Die 1. Hochrechnung enthält gerundete Angaben zum Volksmehr mit einem Fehlerbereich von +/-3 Prozentpunkten. Angaben zum allfällig abweichenden Ständemehr erfolgen mündlich. Die Hochrechnungen werden halbstündlich aufdatiert, aber nur kommuniziert, wenn sich etwas Relevantes verändert.

Claude Longchamp

Die Positionen der Schweizer Parteien im politischen Raum

Räume haben es an sich, sie sind dreidimensional. Politik wird meist vereinfach dargestellt, auf einer Dimension zwischen Links/Rechts. Jan Vontobel weist einen Ausweg, nun auch Parteipolitik räumlich darstellen zu können.

Die gestern besprochene Lizentiatsarbeit von Jan Vontobel zur empirischen Bestimmung der politischen Positionen Schweizer Tageszeitungen liefert in einem Nebenaspekt eine interessante Positionierungsmethode politischer Parteien.


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Ausgangspunkt ist die Gliederung des weltanschaulichen Raumes in drei Dimensionen, wie es die beiden Geografen Michael Hermann und Heini Leuthold vor knapp 10 Jahren vorgeschlagen haben. Demnach gibt es in der Schweiz Polarisierung zwischen

• links und rechts (wenn es um Sozialstaat, BürgerInnen-Rechte und Landesverteidigung geht)
• konservativ und liberal (wenn man sich über nationale Souveränität, Verhältnis zu Fremden und Reform der Institutionen streitet) resp.
• ökologisch und technokratisch (wenn sich die Kontroverse um Naturschutz oder technischen Fortschritt dreht).

Da diese Dimensionen anhand von Ergebnissen aus Volksabstimmungen aus den 80er und 90er Jahren hergeleitet wurden, hat Vontobel der Idee entwickelt, die Parteien aufgrund der Parolen bei den jeweils 20 typischen Entscheidungen auf jeder Dimension einzeln zu beschreiben. Das Ergebnis lässt sich sehen:

• Die SVP ist demnach rechts, technokratisch und konservativ.
• Die FDP erscheint als rechte, liberale und technokratische Partei.
• Typisch für die CVP ist ihre Position als liberale, rechte und technokratische Partei
• Die SP dagegen ist links, ökologisch, liberal positioniert,
• während die GPS ökologisch, links und liberal ausgerichtet ist.

Quantifiziert können die Parteien im dreidimensionalen Raum wie folgt verortet werden.


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Damit liegt ein neuartiger Versuch vor, die Parteien mehrdimensional zu klassieren. Da es sich dabei um eine begründete und berechnete Charakterisierung handelt, ist sie jenen vorzuziehen, die man intuitiv, gestützt auf Parteiprogrammen oder Medienimages machen kann. Typisch hierfür ist die Auflistung der Positionen im Wikipedia-Artikel zu den Schweizer Parteien, die verschiedenstes mischt:

• SVP: rechtspopulistisch, nationalkonservativ, teils wirtschaftsliberal, isolationistisch
• FDP: bürgerlich, wirtschaftsliberal, gesellschaftsliberal, Mitte-rechts
• CVP: christdemokratisch, bürgerlich, breites Spektrum von leicht links der Mitte bis klar rechts
• GPS: ökologisch, pazifistisch, feministisch, gesellschaftsliberal, links
• SP: gewerkschaftsnah, für starken Sozialstaat, ökologisch, gesellschaftsliberal, links

Natürlich kann man sich angesichts des ermittelten Ergebnisses fragen, ob es wirklich drei Dimensionen braucht. Theoretisch spricht einiges dafür, vor allem für den Zeitraum des ausgehenden 20. Jahrhunderts. Die mit dem Postmaterialismus einerseits, dem neuen Nationalismus anderseits kamen im Gefolge der Waldsterbe-Debatte (1984) resp. des abgelehnten EWR-Beitritts (1992) neue ideologische Strömungen auf, die heute von etwas unterschiedlicher Strahlkraft sind.

Eine Variante hierzu ist es, sich auf zwei Dimensionen zu beschränkten. Gesetzt sind dabei die markanten Unterschiede zwischen der konservativen Position der SVP einerseits, der mehr oder weniger liberalen der anderen Parteien gibt. Denn Fragen der Oeffnung, des Fremden und der institutionellen Reformen unterscheiden die Parteien meist in dieser genau dieser Spaltung.


Quelle: avenir suisse/Hermann 2011

Denkbar ist darüber hinaus, dass die beiden verbleibenden Dimensionen zweimal ähnliches abbilden, nämlich die links-ökologische und die rechts-technokratisch Weltanschauung. Damit wäre man dann wieder recht nahe bei dem, was Michael Hermann in neueren Analysen betont. Denn heute verwendet er selbst bei Zeitvergleichen nur noch zwei Dimensionen, mit ausgetauschten Bezeichnungen für die Hauptdimensionen.

Wie auch immer, die Uebersicht Vontobels muss bei gleichbleibender Methode mit neuen Daten fortgesetzt werden. Erstaunlich, dass bis heute niemand anders auf die Idee gekommen ist, und meines Wissens auch niemand an die Aktualisierung gedacht hat. Werde mich bald möglichst dahinter machen!

Claude Longchamp

Die Position Schweizer Tageszeitungen im politischen Raum

Die Idee ist innovativ: Die Qualitätsmedien der Schweiz politisch zu positionieren. Bestechend ist auch die Durchführung der entsprechenden Untersuchung, denn sie veri- und falsifiziert Eindrücke, die selbst Experten vermitteln. Genau deshalb würde man sich wünschen, dass die so ermittelten Ergebnisse regelmässig aufdatiert und über die Deutschschweiz hinaus ausgeweitet würden.

Man nehme wichtige (Deutsch)Schweizer Tageszeitungen, analysiere deren Kommentare und Nachrichten und ordne die untersuchten Massenmedien ins politische Koordinatensystem ein, um eine Uebersicht über die politischen Positionen Schweizer Tagesmedien zu erhalten.

Geleistet hat dies Jan Vontobel (heute Chefredaktor von Radio Top in Winterthur) mit seiner medienwissenschaftlichen Lizentiatsarbeit an der Uni Zürich. Ausgewählt hat er den Tages-Anzeiger, die Neue Zürcher Zeitung, die Berner Zeitung, die Mittellandzeitung und die Neue Luzerner Zeitung. Untersucht hat er zwei Mal drei Monate in der Zeitspanne von Dezember 2002 bis August 2004, der Zeit also vor und nach den Schweizer Parlamentswahlen 2003. Die Staffelung hat den Vorteil, situative Eindrücke durch eine nationale oder kantonale Wahl zu vermeiden. Berücksichtigt wurden dabei die Nachrichtenbeiträge auf der Front- und den beiden (ersten) Inlandseiten sowie alle Kommentare zu innenpolitischen Themen, egal, wo sie jeweils platziert waren. Geprüft wurden mit den so gewonnenen Daten 3 Hypothesen, deren Test die folgenden Schlüsse zulässt:

Erstens, alle fünf Zeitungen nehmen durchaus eine politische Position ein, die si speziell in den Kommentaren zum Ausdruck bringen. Die grössten Unterschiede resultieren auf der Links/Rechts-Dimension, wobei der Tages-Anzeiger die linke Seite abdeckte, während NZZ, BZ und NLZ nahe der Mitte positioniert sind und die MZ eher die rechte Seite bedient. Auf den weiteren analysierten Dimensionen sind die Unterschiede geringer, denn alle fünf Zeitungen kennen eine insgesamt ökologisch-liberale Ausrichtung, die die der MZ und der NZZ am klarsten, bei NLZ, aber auch BZ etwas eingeschränkt zum Ausdruck kommt. Als Hauptgrund hierfür nennt der Autor die Auswahl, die sich auf regional führende Tageszeitungen stützte, andere Typen von Printmedien aber nicht berücksichtigte.


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Zweitens, im Nachrichtenteil herrscht weitgehend mainstream. Selbst die getesteten Konzepte der „instrumentellen Aktualisierung“ resp. der „opportunen Zeugen“, mit denen Redaktionen Akzente setzen können, ergeben kaum Unterschiede, sodass sich die Kommentierung kaum auf die Nachrichtenauswahl auswirkt. Eher noch gilt, dass sich die Stärke einer politischen Partei die Berücksichtigung ihrer Meinungen bestimmt.

Drittens, parteipolitisch gesehen stand der Tages-Anzeiger im Untersuchungszeitraum der SP am nächsten. Vontobel schreibt, das sei zu erwartet gewesen. Indes, das Ergebnis für die vier anderen Zeitungen überraschte ihn (und macht dies wohl auch bei anderen), denn sie zeigten mit Ausnahme der MZ Affinitäten zu den Grünen (und das selbst dann, wenn man auf die ökologischen Themen verzichtet). Im gewählten Sample an Zeitungen hat die SVP keinen “Medienpartner”, FDP und CVP müssen mit der Distanz des TA umgehen, GPS und SP mit der der MZ, während bei letzerer auch die BZ entfernt ist in ihren Kommentaren.

In der Einleitung zu seiner Untersuchung zitiert Jan Vontobel die bekannte Uebersicht des zwischenzeitlich emeritierten Professors Roger Blum, die er zu Tages- und Wochenzeitungen periodisch veröffentlicht. Er kritisiert dabei sachte das verwendete methodische Vorgehen, das sich nicht auf eine Inhaltsanalyse stützt, sondern auf die Erfahrungen des prominenten Medienwissenschafters, die er mit 10 Kontrollgesprächen validiert. Zwar ist nach der Lektüre der ersten Analyse der neuen Art nicht alles neu. Bei der NZZ und der NLZ weicht die Positionierung aber prominent ab, denn Blum stuft beide als rechtsliberal ein, derweil sie Vontobel (im innenpolitischen Teil) in der Mitte platziert.


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Zu wünschen wäre, dass der stringent entwickelte und klar formulierte Ansatz des Zürcher Medienwissenschafters insbesondere für die Kommentaranalyse weiter gebraucht würde: mit mehr Zeitungen, insbesondere unter Berücksichtigung der mittleren und kleineren Regionalpresse und mit aktuelleren Daten. Denn seit 2002/4 hat die Schweizer Oeffentlichkeit eine bemerkenswerte Kehrtwende Richtung konservativer Deutungen vollzogen, die sich gerade auch im Mediensystem ausdrücken dürfte. Zu erwarten ist nämlich, dass die Weiterverwendung des vorgestellten Analyserasters hilft, die Differenzierungen politischer Positionen im Mediensystem nicht nur auf der Basis von Opportunitäten zu machen (wie das in Medienwächterkreisen gerne geschieht), sondern aufgrund gesicherter Analysen vorzunehmen (und damit einer rationaleren Diskussion zuzuführen). Auffällig ist hierzulande nämlich, wie fleissig man die Positionen der Parteien in Wahl- und Abstimmungskämpfen bestimmt, während man immer noch so tut, als ob die “vierte Gewalt” im Staat reine Transporteure von Nachrichten aus der Politik seien, ohne die öffentliche Meinung auch eigengesetzlich zu bilden.

Claude Longchamp

Wahlforschung in Theorie und Praxis (1): Analyse der Landtagswahl 2013 in Liechtenstein

Meiner erste Vorlesung “Wahlforschung in Theorie und Praxis” im Frühlingssemester an der Uni Zürich behandelte die jüngsten Wahlen in Liechtenstein. Was taugt Wahlforschung, auch wenn man keine Untersuchungen zu WählerInnen-Entscheidungen hat. Eine Kostprobe.

Das Ergebnis der Liechtensteiner Landtagswahl vom 3. Februar 2012 hallt wohl noch nach. Erstmals hat Liechtenstein vier politische Gruppierungen im Landtag; zur FBP, VU und FL sind die DU (“Die Unabhängigen”) hinzu gekommen. Wahlverluste gab es vor allem für die VU, aber auch für die FBP, derweil die DU abräumte, aber auch die FL zulegen konnte. Mit der Regierungsbildung ist die grösste Partei, diesmal die FBP, betraut. Nach Sondierungsgesprächen mit allen Gruppierungen strebt sie eine Koalition mit der VU an, um dem Land Stabilität zu gewähren, wie sie selber sagt.


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Quantitativ sind zwei Ergebnisse der Wahl von Belang: Liechtensteins Wahlgeschichte legt nahe, dass der Zyklus, während dem eine Partei die stärkste im Ländle ist, immer kürzer wird. Die VU hielt sich eben eine Legislatur in dieser Position, die FBP war das zuvor während zweier Amtsperioden, während frühere Konstellationen mindestens sechs Wahlen in Folge hielten. Man kann es auch so sagen: Mit dem EWR-Beitritt ist das Modell Liechtenstein in Bewegung geraten. Debatten um das Fürstenhaus und seine Stellung im Regierungssystem erschüttert widerkehrend das Ländle. Zudem verzeichnet der Volatilitätsindex, die Richterskala für politische Erdbeben, mit 17,6 einen bisher unbekannten Rekordwert. Auch das hat einen Hintergrund: Der Umbruch im Parteien im Parteiensystem Liechtensteins ist gegenwärtig so gross wie noch nie – die aktuelle Situation stellt die bisherigen Krisen in den Schatten.


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Politikwissenschaftlich kann man von einer Erosion der beiden grossen Volksparteien sprechen, wie man das aus anderen Ländern kennt. In der Schweiz hält der Trend seit Ende der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts an: Symptomatisch dafür ist der Niedergang von FDP und CVP, dem vormals ruhenden Pol im schweizerischen Parteiensystem. Allgemein typisch für den Wandel ist, dass die Bindungsfähigkeit von Volksparteien, insbesondere in jüngeren Generationen nachlässt. Hauptgrund hierfür sie die veränderten Sozialisationsbedingungen in individualisierten Gesellschaft, aber auch der Funktionsverlust von traditionellen Parteien. Das eröffnet Spielräume für neuen Parteien, die ihrerseits die Dekomposition von Volksparteien vorantreiben.

In Liechtenstein begann das in den 80er Jahren mit dem Aufkommen der FL. Seit 1993 ist sie konstant im Landtag vertreten. Soziologisch gesprochen ist sie mit dem Wachstum neuer Mittelschichten und ihren veränderten Wertvorstellungen entstanden. Sich selber sehen sich die FL-Wählenden links der beiden grossen Parteien, ihre Wählerschaft ist mehrheitlich weiblich und überdurchschnittlich gut ausgebildet. Das hat Teile der Gesellschaft Liechtenstein von den vorherrschenden Parteien entfremdet.

Ob 2013 der zweite Schritt gemacht worden ist, muss man offen noch etwas lassen. Ein erster Schritt war die Landtagswahl ohne Zweifel, ob der entscheidende Schritt aber schon gemacht wurde, weiss gegenwärtig niemand. Das hängt zunächst mit der gewählten Mannschaft der DU selber zusammen. Denn die kann und will sich programmatisch nicht so schnell festlegen. Das aber erschwert WählerInnen-Bindungen über den Moment hinaus, und es macht die Bewegung nicht unbedingt allianzfähig, um bei Regierungsbildungen verbindlich mitreden zu können.

Meine These ist, dass die DU dann mittelfristigen Erfolg haben wir, wenn sie sich für eine Nischenpolitik rechts der beiden Volksparteien entscheidet. Ich meine damit nicht rechtspopulistisch, aber rechtsbürgerlich.

Eine Nischenpolitik führen heisst, im Auftritt nicht die Volksparteien kopieren zu wollen, aber auch nicht auf den vermeintlichen “Flugsand” zu setzen, der die FL begünstigen würde. Vielmehr heisst es, Interessenpolitik zu machen. Der Umbruch im Finanzplatz Liechtensteins, aber auch beim öffentlichen Budget im Ländle sowie bei den Pensionskassen dürften genügend Platz schaffen, um Interessen abzudecken, die von der Regierungsposition abweichen werden. Soziologisch gesehen sollte sich die DU als Partei der jüngsten Generation profilieren; und es würde nicht überraschen, wenn Wählerbefragungen in Zukunft zeigen werden, dass sie für Männer attraktiver ist als für Frauen, für gut gebildete eher als für normale BürgerInnen.


Quelle: Gabriel/Westle 2012
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Bis auf Weiteres gilt (auch) für Liechtenstein: Traditionelle Parteibindungen weichen sich auf: einmal, weil die bekannten Sozialisationsmechanismen bei Jungen nicht mehr im gewohnten Masse greifen, dann, weil neue Themenlagen die bisherigen Loyalitäten sprengen. Neuorientierungen, kann man vermuten, finden in oberen Bildungsschichten statt, in unteren nimmt die Parteiungebundenheit zu.

Genau deshalb würde ich heute nicht von einem eigentlichen “realignment” im Liechtensteiner Parteiensystem zu sprechen, von “dealignment” aber schon. “Dealignment” kann man dabei mit Erosion umschreiben, ein Phänomen, von dem aktuell die VU als vormalige Mehrheitspartei betroffen ist, das sich aber auch verallgemeinern kann. “Realignment” wiederum wäre Einbindung in neue oder erneuerte Parteien, und zwar auf Dauer. Dazu reicht das Angebot der DU noch nicht.

Deshalb war die jüngste Wahl trotz erheblicher Veränderungen wohl auch nicht “kritisch”, wie die Wahlforschung es nennen würde, wenn sich nachhaltig etwas ändert. Eine “converting election”, wie es Jürgen Falter vor Jahren definierte, war es jedoch schon. Wenn die Veränderung dennoch überdurchschnittlich gross war, hat das, nebst den aktuellen Themen, mit den Rücktritten in der Regierung auch mit der Sperrklausel von 8 Prozent zu tun. Eine solche verzögert die kontinuierlichen Anpassung des Parteiensystems und der Parteistärken an neue Gegebenheiten. Und wenn es dann dazu kommt, ist der Knall umso lauter.

Wie ich die Reaktionen der Studierenden während der Veranstaltung wahrgenommen habe, wie mir aber auch die nachträglichen Fragen, die mir gestellt wurden, zeigt, interessiert die Veranstaltung die 60 Teilnehmenden. Es war wohl mehr, als ein blutleeren Rahmenvortrag zum (gewissen) Wahltheorien – es war durchaus als angewandte Wahlanalyse gedacht, die man aus und für die Praxis macht.

Claude Longchamp

Aufgrund der Genfer Stimmbeteiligung zeichnet sich am 3. März 2013 eine leicht über- durchschnittliche Stimmbeteiligung ab

Nirgends weiss man so viel über aktuelle Stimmbeteiligungen wie im Kanton Genf. Denn an jedem Wochentag publiziert die Staatskanzlei der Zwischenstand der brieflich eingegangenen Stimmzettel. Der Vergleich der täglichen Teilnahmewerte lässt Schätzungen zu, was am 3. März 2013 in Genf und in der Schweiz in Sachen Beteiligung sein könnte.

Kanton Genf: Eingegangene Stimmzettel in Prozent der Stimmberechtigten nach Tagen

Quelle: Kanton Genf, eigene Darstellung
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Eines ist jetzt schon klar: Die Genfer Stimmbeteiligung zu Abzocker-Initiative, Familienartikel und Raumplanungsgesetz wird kein Extremfall. Weder ist sie so hoch wie bei Ausschaffungs- und Steuergerechtigkeitsinitiative (28.11.2010), noch so tief wie beim Tierseuchengesetz (25.11.2012). Vielmehr liegt sie, höchstwahrscheinlich dazwischen.

Aktuell haben 23 Prozent der Stimmberechtigten abgestimmt. Das jedenfalls vermeldete die Genfer Staatskanzlei gestern Abend. Das ist, auf den Vergleichstag bezogen, genau gleich viel wie bei der BVG-Entscheidung im Frühling 2010. Der Schlusswert für die Genfer Beteiligung lag damals bei 49 Prozent.

Eine punktgenaue Prognose ist das nicht, denn die Dynamik in den Tageswerten hängt auch von den Themenbehandlung im Abstimmungskampf ab. Atypisch war namentlich die Abstimmung über die Biometrischen Pässe 2010, die (zumindest in Genf) eine starke Schlussmobilisierung kannte.

Dennoch, ein starker Hinweis auf das, was in Genf am 3. März 2013 sein dürfte, ist der Zwischenstand bei der Stimmbeteiigung schon. Qualifizieren kann man die sich abzeichnende Mobilisierung im westlichsten Kanton der Schweiz als mindestens im „mittel“.
Nun liegt die Genfer Beteiligung meist über der der Schweiz. Ein direkter Rückschluss auf den eidgenössischen Teilnahmewert ist deshalb nicht zulässig. Im Referenzfall lag dieser schliesslich bei 46 Prozent – einem ebenfalls leicht überdurchschnittlicher Wert. Das deckt sich übrigens exakt mit dem, was die zweite SRG-Befragung vor Wochenfrist für die damalige Mobilisierung festhielt.

Spekulationen, die exemplarische Behandlung der Entschädigung für Daniel Vasella in den Medien mobilisiere ausserordentlich, finden damit (wenigstens vorerst) keine Nahrung. Wenn dem so bliebe, würde das nur die These bestätigen, dass Massenmedien aufgrund des Newswertes von Prominenz auf entsprechende Ereignisse übermässig stark reagieren.

Claude Longchamp

Kampagneneffekte oder Zeitenwandel? Der Vergleich der Entscheidungen zum Familienartikel und Familienzulagengesetz

2006 sagten die Stimmenden Ja zum heute geltenden Familiezulagengesetz. Kampagnenanalysen und Vorbefragungen legten schon früh eine Verhältnis von zwei zu eins nahe. Das galt beim Familienartikel, bevor der Abstimmungskampf begann. Doch seither ist alles anders. alles wegen dem Extrablatt oder wegen des Zeitenwandels?

Das wenig umstrittene Familienzulagengesetz
Hans Hirter, erfahrener Abstimmungsanalytiker, kommentierte in der VOX-Analyse die Volksentscheidung vom 28. November 2006 zum Familienzulagengesetz wie folgt: „Überdurchschnittlich oft mit Ja stimmten Personen, die grundsätzlich einen zentralistischen Staat dem Föderalismus vorziehen. Aber auch die Anhänger des Föderalismus gaben den Anliegen ihre Zustimmung zu einer Bundeslösung.” Hauptgrund sei gewesen, die kantonalen Familienzulagen zu harmonieren. Darin bestand weitgehend Einigkeit.

Bei einer Stimmbeteiligung von 45 Prozent, votierten 68 Prozent für die Vorlage. Soziale und ökonomische Merkmale der Stimmenden spielten eine nur untergeordnete Rolle, wie die Nachanalyse zeigte; viel wichtiger war die starke Prägung der Entscheidung über das Gesetz vom Links/Rechts-Gegensatz. Das zeichnete sich schon in der Kampagne ab. SP und CVP waren dafür, SVP und FDP dagegen. Die Basis folgte den Parteien mehrheitlich, wenn auch mit einer Ausnahme: Die FDP drang mit ihrem Nein selbst bei der eigenen Wählerschaft nicht durch. Zudem stimmten auch die Ungebundenen klar für das Familienzulagengesetz.


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Unsere Vorbefragungen für die SRG handelten die Entscheidung im gleichen Tenor ab. Die Meinungsbildung bei Behördenvorlagen mit mehrheitlich positiver Prädisponierung und nur schwachem Abstimmungskmapf gab den Interpretationsrahmen ab. In der Tat, acht Wochen vor dem Abstimmungstag waren 69 Prozent dafür, 3 Woche davor 70 Prozent. Das bekundete Nein lag bei 21 resp. 19. Prozent. Beide Male war die Polarisierung entlang der Parteibindungen am stärksten. Viel Bewegung brachte der Prozess der Meinungsbildung ausser bei der CVP nicht. Bei ihren SympathisantInnen aber erhöhte sich mit der Ja-Kampagen die Zustimmung.

Argumentativ stand die Vision im Vordergrung, eine gut ausgebildete Jugend zu fördern. Diese sollte nicht von kantonalen Unterschieden beeinträchtigt sein. Bei der Gegnerschaft wirkte die Überzeugung, durch die Hintertür werde ein neues Sozialwerk geschaffen, dass zu Staatskindern führe. Beides aber war nicht mehrheitsfähig, genauso wie das Nein zur Vorlage in der Minderheit blieb.


Der umstrittenere Familienartikel

Der Vergleich mit dem Wissen, das wir jetzt schon zur Meinungsbildung haben, die zum neuen Bundesverfassungsartikel in Sachen Familienpolitik läuft, weist neben gewissen Gemeinsamkeiten gewichtige Unterschiede auf.


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Die wichtigste Differenz besteht darin, dass mit dem Abstimmungskampf Bewegung in die Stimmabsichten gekommen ist. Sie begannen, mit 66 Prozent Zustimmungsbereitschaft fast am gleichen Ort wie man gut sechs Jahre zuvor startete. Doch anders als damals hielt das nicht, sondern erodierte in markantem Masse. Die Gegnerschaft holte um zwölf Prozentpunkte auf, liegt nun bei 35 Prozent, derweil die Befürwortung um elf Prozentpunkte auf 55 sank.

Auch diesmal ist die parteipolitische Aufladung wichtiger als gesellschaftliche Trennlinien. Anders als damals, zeigen die Parolen erhebliche Wirkungen. Bei der SVP sank die Zustimmung von anfänglichen 47 auf 31 Prozent, bei der FDP von 59 auf 44 Prozent. Drastischer noch sind die Auswirkungen auf die parteipolitisch ungebundenen BürgerInnen, bei denen die Zustimmungstendenz von 80 auf 48 verringerte. Von dieser Bewegung nicht erfasst wurde auch diesmal das Mitte/Links-Lager.

In der französischsprachigen Schweiz stellt man von diesem Meinungswandel kaum etwas fest. Deutlicher schon kommt er in der italienischsprachigen Schweiz zum Ausdruck, die stärkste Bewegung stellte die SRG-Umfrage aber in der deutschsprachigen Schweiz fest. Das spricht für ein Ost/West-Gefälle in den Ansichten zum Familienartikel.

Wenig weiss man diesmal über die Argumente, was mit dem Abstimmungskampf zu tun hat: Von einer Ja-Kampagne kann man nicht wirklich sprechen. Ganz anders die Nein-Seite. Die Opposition in der Sache kann auf erhebliche Mittel zählen, die in Politmarketing investiert werden.

So ist, anders als damals, keine positive Vision entwickelt worden, die den Familienartikel beflügeln würde. Eher noch wird mit den unmittelbaren Vorteilen argumentiert, welche mehr Krippen für die Vereinbarkeit von Familie und Beruf bringen würden. Genau das wird von der Nein-Seite heftig bestritten. Aufbauend auf dem konservativen Familienbild werden die Argumente von 2006 wiederholt.

Die Ursachen
Um das alles zu erklären, kann man auf zwei verschiedene (vielleicht auch komplementäre) Hypothesen zurückgreifen.


Extrablatt der SVP – Hauptwerbemittel im Abstimmungskampf
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Die erste besagt, der Umschwung ist eine reine Folge von Kampagnen. Würde es zweimal genau die gleiche gegeben haben, wäre zweimal das gleiche geschehen. Damit ist das Extrablatt die Ursache des Extrawandels.


Psychologisches Klima der Schweiz – Demoscope
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Die zweite geht davon aus, dass in der Mitte der 00er Jahre des 21. Jahrhunderts das politischen Klima gekippt ist, von einer eher progressiven zu einer eher konservativen Grundstimmung, in der rechtskonservatives Gedankengut nicht mehr nur in der SVP, sondern einiges darüber hinaus beheimatet ist. Was wir an bildungspolitischen Debatten gesehen haben, wiederholt sich bei familienpolitischen.

Claude Longchamp

Der aktuelle Forschungsbericht zum Familienartikel

Was uns Medienanalysen in Abstimmungskämpfen bringen – und was nicht.

Erstmals haben wir im Rahmen der Berichterstattung zu den SRG-Trendfragen auch den Abstimmungsmonitor des Forschungsinstitut Öffentlichkeit und Gesellschaft (fög) verwendet. Zeit eine erste Zwischenbilanz zu ziehen.

Die Kernaussagen der aufdatierten fög-Medieninhaltsuntersuchung lauten: Die drei Vorlagen kennen einen unterschiedliche Resonanz, die Abzocker-Initiative führt, über den Familienartikel findet die geringste Berichterstattung fest. Bei der Raumplanung überwiegen die positiven Artikel (in den Leadmedien der deutsch- und französischsprachigen Schweiz), bei den beiden andern Vorlagen ist, übers Ganze gesehen, keine Tendenz erkennbar. Das wird anders, teilt man den Abstimmungskampf in Phasen auf.


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Die zentrale Erwartung solcher Untersuchungen ist, dass sich der Medientenor auf die Meinungsbildung namentlich unschlüssiger BürgerInnen auswirkt. Die Erfahrungen, die wir sammeln konnten, zeigen, dass das nicht falsch, aber auch nicht ganz richtig ist. Die Chance, dass die Medienberichterstattung die Meinungsbildung der Bevölkerung beeinflusst, hängt nicht nur von der Richtung der Berichterstattung ab, vielmehr ist auch die Intensität wichtig.

Beim Raumplanungsgesetz ist beides gegeben: gerichtete Berichterstattung und mittlere Intensität. In der Tat zeigt die Analyse der Meinungsbildung der teilnahmewilligen BürgerInnen einen vergleichbaren Trend. Die verbreitete Unschlüssigkeit hat sich verringert, und zwar in beide Richtungen, zum Ja eher mehr als zum Nein. Das hat die vorteilhafte Ausgangslage für das Ja insgesamt nicht verändert.

Bei den beiden anderen Vorlagen sind die Effekte weniger eindeutig – mit Grund meine ich: Die Intensität der Medienberichterstattung ist das schlicht zu gering, um Wirkung zu entfalten. Vielmehr liegt der Schluss nahe, dass die auf Politmarketing aufbauende Kampagnen der Nein-Seite von Belang ist, denn die anfänglich klar positiven Stimmabsichten sind in erheblichem Masse getrübt worden. Das “Extrablatt” der SVP zeigt Wirkung im rechtsbürgerlichen Umfeld, aber auch bei parteiungebundenen BürgerInnen und älteren Menschen. Darüber hinaus sind kaum Einflüsse nachweisbar, sodass eine im politischen Spektrum eingrenzbarer Meinungswandel eingesetzt hat, der das Nein markant ansteigen liess, wobei das Ja in der Mehrheit bleibt. Was weiter geschieht, muss offen gelassen werden. Würde sich der Trend fortsetzen, wäre ein Scheitern der Vorlage denkbar. Dafür bräuchte es wohl aber mehr als eine einmalige Aktion zur Lancierung einer Abstimmungskampagne. Letztlich wissen wir aber erst am 3. März 2013 mehr.

Nochmals anders liegt der Fall der Abzocker-Initiative. Hier wäre die Medienresonanz für Einflüsse sehr wohl gegeben, letztlich ist die mediale Bewertung der Initiative neutral. Richtungsmässige Einflüsse sind deshalb nicht zwingend zu erwarten. Letztlich ist die unüblich lange Phase, mit der über das Problem und seine Lösungen diskutiert wird entscheidend: Die jahrelange Thematisierung hat eine kritische Grundstimmung aufgebaut, die durch die schleppende Behandlung im Parlament noch befördert worden ist. Daraus entstanden ist die aktuelle Konstellation mit einer Verfassungsabstimmung über eine Initiative, gekoppelt mit einem Gegenvorschlag auf Gesetzebene, über den nicht direkt das Volk entscheidet.

Normalerweise würde man sagen, wirkt sich die Verlagerung der Perspektive vom Problem auf die Lösung des Problems gegen die Volksinitiative aus. Wenn dies, wie unsere Befragung nahe legt, nicht der Fall ist, liegt der Hauptgrund darin, dass der Optikwechsel nicht gelang. Das Problem, die Abzockerei, ist bevölkerungsseitig gross und ungelöst, so dass man ein Zeichen setzen muss. Die Nein-Kampagne hatte nicht einfach handwerkliche Fehler, sie fällt in ein Umfeld, das für sie ungünstig ist, und läuft gegen vorgefasste Meinung auf, die durch die aktuellen Ereignisse sicher nicht widerlegt, viel eher bestätigt werden. Das bleibt auch die letzte Waffe, die Drohung mit Nachteilen bei einem Ja meistens stumpf.

Fazit: Medieninhaltsanalysen helfen sehr wohl zu verstehen, was in den Massenmedien geschieht. Hierarchisierung von Abstimmungsvorlagen ist eine ihrer Wirkungen, die sie mittels Aufmerksamkeit steuern. Sie sind auch nützlich, weil sie aufzeigen, wie Medien ereignisorientiert Bewertungen vornehmen. Diese müssen sich aber bei weitem nicht eins-zu-eins auf die Bevölkerung übertragen. Kampagnen auf der einen Seite, Prädispositionen auf der andern kompensieren Medienwirkungen. Sei es, weil die Kampagnen intensiver sind als die Medienberichterstattung, oder weil die vorgefassten Meinungen wichtiger sind als Medienhypes.

Mir jedenfalls hat die Kombination geholfen, klarer zu sehen, was geschieht, und ich würde mir wünschen, man könnte dieses erstmalige Experiment fortsetzen, um an differenzierten Arbeitshypothesen zu Medien- und Kampagnewirkungen arbeiten zu können.

Claude Longchamp

Italien wählt, veröffentlicht keine Umfragen mehr und sagt doch, wer wie wahrscheinlich gewinnt

In den letzten 14 Tagen von der Wahl ist in Italien die Veröffentlichung neuer Umfragen rechtlich untersagt. Formell halten sich alle daran, informell wird die Restriktion mehr und mehr geschickt umgangen. Und das über neue Soziale Medien.

Was in Italien regulär erst im April 2013 hätte stattfinden sollen, wurde nach dem Rücktritt des parteilosen Ministerpräsidenten Mario Monti auf Ende Februar vorgezogen. So wählt unser südlicher Nachbar bereits in einer Woche die beiden Kammern des Parlaments neu.

Fünf Bündnisse stellen sich der Wahl:

• “Italia. Bene Comune”, eine Koalition von Mitte-Links-Parteien mit Pier Luigi Bersani als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten,
• die von Silvio Berlusconi organisierte Koalition verschiedener Mitte-Rechts-Parteien, formell angeführt von Angelino Alfano,
• das MoVimento 5 Stelle, bestehend aus dem Komiker Beppe Grillo,
• die Agenda Monti per l’Italia, eine zentristische Koalition, die sich für eine Weiterführung der bisherigen Regierung ausspricht, und
• die Rivoluzione Civile, eine gemeinsame Wahlliste mehrerer linker und liberaler Parteien mit Antonio Ingroia für das Amt des Regierungschefs.

Die letzten Umfragen, allesamt vom 8. Februar, gaben der Mitte/Links-Koalition im Schnitt 35 Prozent WählerInnen-Anteile. Mitte/Rechts kam auf zirka 30 Prozent, das “M5S” auf knapp 16 Prozent, und für die Allianz von Monti gab es 14 Prozent. Der Rest verteilte sich auf die Rivoluzioni und die übrigen Parteien.

Dabei gilt es zu berücksichtigten, dass diese Angaben unschlüssige WählerInnen nicht enthalten. Je nach Umfrage machten sie 10-15 Prozent aus. Das ist nicht unerheblich, denn in den letzten zwei Wochen kann gerade da noch einiges geschehen.

Nun hat sich (auch) in Italien neuerdings eingebürgert, nicht nur Parteistärken zu kommunizieren, sondern auch Wahrscheinlichkeiten für die Siegchancen zu berechnen. Statistik-Spezialisten leisten dies quasi als Supplement. Zu ihnen zählt Alberto Nardelli, studierter Medien- und Politikwissenschafter, der fast schon im Stile von Nate Silver von sich sagt, nebst Politik „football, film, fashion and food“ zu lieben: Auf 86 Prozent schätzte der Info-Brooker nach der letzten Umfrage die Chance, dass Mitte-Links im Repräsentantenhaus eine Mehrheit haben wird. Seine Berechnungen für den Senat ergaben 54 Prozent Wahrscheinlichkeit. Die grösste Unsicherheit bestand in seiner Optik in der Lombardei. Gewinne Mitte/Linke hier nicht, sei sie auf einen Sieg in allen anderen Regionen angewiesen, um die Mehrheit in beiden Kammern zu sichern, liess er sein 130000 Follower wissen. Namentlich im Veneto erschien ihm das wenig wahrscheinlich, und auch den Ausgang in Sizilien klassierte er als offen.

Spannender hätte es der Blogger, der den Twitter-account “electionista” betreibt, nicht machen können. So schrieb er vor Wochenfrist: „Polls will no longer be published in Italy for the next two weeks, but of course they’ll be taken. Should I come across any, I’ll post any major trends/news here.“

Seither kann man Nardellis muntere Umrechnungen von unveröffentlichten Umfragen zu Wahrscheinlichkeiten via Soziale Medien verfolgen. Seine letzten Neuigkeiten: Nicht mehr 86, sondern 89 Prozent Wahrscheinlichkeit für einen Mitte/Links-Sieg im Repräsentantenhaus, und 51 Prozent für die die Mehrheit der gleichen Koalition in der alles entscheidenden Lombardei.

Claude Longchamp

Was von einem kombinierten Medientenor mit Trendbefragungen vor Volksabstimmungen zu erwarten wäre

Es gilt unverändert: Die Abzocker-Initiative findet von den drei Vorlagen der eidg. Volksabstimmungen vom 3. März 2013 die grösste Aufmerksamkeit. Der Nein-Trend in der Medienberichterstattung scheint seit neuestem aber gebrochen zu sein. Was das für die kommenden Stimmabsichten heisst, sei hier als Instant-Hypothese formuliert.

Die erste Kampagnenphase gehörte den BefürworterInnen der Abzocker-Initiative. Die Medienaufmerksamkeit war hoch, der Medientenor positiv. Höhepunkt in diesem Spannungsbogens war die Parolenfassung der SVP, dramatisiert durch den Zweikampf zwischen Christoph Blocher und Initiant Thomas Minder.

Die Nein-Parole der SVP wirkte wie ein doppelter Wendepunkt in der Medienberichterstattung zur Abzocker-Initiative. Die Aufmerksamkeit liess nach, und der Tenor wurde zunehmend kritischer. Die Nein-Kampagne zeigte Wirkung. Das galt bis vor rund zwei Wochen.

Das zweite Grossereignis, das massenmedial vermittelt wurde, war die Bilanz-Medienkonferenz der UBS, mit der die Boni-Frage angesichts eines defizitären Abschlusses neu aufs Tapet gebracht wurde. Unfreiwillig vorbereitet wurde dieses Medien-Event durch den Abgang mit Daniel Vasella bei Novartis, verbunden mit der umstrittenen Abgangsentschädigung. Das mediale Interesse hatte damit wieder zugenommen, und der negative Trend in der Berichterstattung zur Initiative wich einer insgesamt neutralen Beurteilung.

Der Abstimmungsmonitor der Forschungsstelle für Oeffentlichkeit und Gesellschaft (fög), ein der Uni Zürich angegliederter Forschungsbereich, zeichnet diese Trends aufgrund der Berichte in Massenmedien wie Blick, Le Matin, Le Temps, Neue Zürcher Zeitung, Tages-Anzeiger und 20 Minuten im Wochenrhythmus nach. Erstmals erfolgt dies als Begleitprojekt zum Abstimmungskampf, denn früheren Analysen dieser Art wurden erst im Nachhinein erstellt. Damit erhöht sich der Wert des Abstimmungsmonitors als Instrument der Analyse von kampagnenbezogenen Medieneinflüssen.

Medientenor und Stimmabsichten müssen nicht direkt übereinstimmen. Denn die Meinungsbildung zu Sachvorlagen beginnt bei Beginn des Abstimmungskampfes nicht bei Null. Gut belegt ist, dass in einem variablen Mass Prädispositionen bestehen, die sich aus der Alltagserfahrung mit dem Thema nähren; hinzu kommt die vorbereitende Behandlung des Problems in den Medien. Beides bildet zusammen die Basis der Meinungsbildung unter Kampagneneinflüssen.

Die erste der beiden Befragungen, welche das Forschungsinstitut gfs.bern zu Stimmabsichten und Meinungsbildung leistet, legte nahe, dass die Meinungsbildung bei der Abzocker-Initiative am weitesten gediehen war. Mitte Januar 2012 bekundeten 52 Prozent der beteiligungsbereiten Befragten, eine feste Stimmabsicht zu haben. Beim Familienartikel waren es 44 Prozent, beim Raumplanungsgesetz gar nur 37 Prozent.

Verglichen mit dem Stand der Meinungsbildung bei Wahlen ist das insgesamt viel weniger. Stellt man es zu anderen Abstimmungsvorlagen in der Schweiz in Bezug, kann man bei der Abzocker-Initiative von einer mittleren bis hohe Prädisponierung ausgehen, beim Familienartikel von einer mittleren und beim Raumplanungsgesetz von einer mittleren bis tiefen. Das legt erste Vermutungen nahe zu den Kampagneneinflüssen, denn je geringer die frühe Prädisponierung von Stimmabsichten ist, umso mehr muss es der Abstimmungskampf richten.

Alles in allem wird erwartet, dass die Sicherheit der Entscheidung mit Dauer des Abstimmungskampfes zunimmt. Bei der zweiten SRG-Befragung dürften die zitierten Anteile durchwegs höher ausfallen. Erwartet werden kann auch, dass sich der Medientenor, seinerseits bestimmt durch die Ereignisse, sich auf die Veränderungen der Stimmabsichten zwischen beiden Befragungen auswirkt. Mit anderen Worten: Die Kombination das Abstimmungsmonitors von fög und der Trend-Befragungen für die SRG ist vor allem hinsichtlich der Veränderungen von Entscheidungen von Belang. Beim Familienartikel kann, angesichts der eher positiven Presse, mit einer Zunahmen der (mehrheitlich) positiven Stimmabsichten gerechnet werden, beim Raumplanungsgesetz ist das angesichts der eher kritischen Berichte und der geringen Prädisponierung nicht sicher, während die neutrale Position der Medien insgesamt zur Abzocker-Initiative der Nein-Seite nicht helfen dürfte, ihren Rückstand wett zu machen.

Klar muss sein, dass damit nicht alle Einflussfaktoren genannt sind. Mit Sicherheit müsste man auch die Werbeintensität mitberücksichtigen, aber auch die Meinungsbildung in den Parteien. Mehr dazu später.

Claude Longchamp

Die 3 eidg. Volksabstimmung vom 3. März 2013 zeigen verschiedenartige Links/Rechts-Profile

Bei allen drei eidgenössischen Abstimmungsvorlagen vom 3. März zeichnet sich eine Links/Rechts-Polarisierung ab, allerdings in unterschiedlicher Stärke und mit unterschiedlichen Ausprägungen. Eine Uebersicht.

Wie bei vielen Abstimmungen findet sich bei allen drei Vorlagen, über die am 3. März 2013 entschieden wird, eine Links/Rechts-Polarisierung. Das lässt sich anhand der Fraktionspositionen im Nationalrat zeigen, es wiederholt sich im Parolenspiegel, und auch Umfrageergebnisse können danach befragt und bewertet werden.

Verweisen alle drei Indikatoren (mehrheitlich) in die gleiche Richtung, kann man von einer (mehr oder minder) geschlossenen Parteiposition sprechen. Weichen insbesondere die Umfrageergebnisse von den Entscheidungen der Fraktion ab, kann man von einem (mehr oder minder ausgeprägten) Elite/Basis-Konflikt ausgehen. Kompliziert ist die Bewertung, wenn die Fraktions- und Parteispitzenposition nicht einheitlich ist.

Die Analyse nach Vorlage

Stellt man auf die eidg. Vorlagen vom 3. März 2012 ab, hat die Familienvorlage das klarste Links/Rechts-Profil. Geschlossen im Ja sind SP, GP und GLP, eine leicht gespaltene Befürwortung findet sich bei CVP und BDP, während die SVP leicht gespalten im Nein ist. Am schwierigsten noch ist die Positionierung der FDP: Die Fraktion war mehrheitlich dafür, die Parteispitze dagegen, ihr wird aber von der Frauen-Parteien in der FDP widersprochen. An der Basis überwiegt das Ja über das Nein. Allerdings gilt es festzuhalten, dass die 1. SRG-Befragung vor Einsetzen der Nein-Kampagne und der Parolenfassung auf nationaler Ebene war, sodass sich der Zustimmungswert auch in Negative entwickeln kann.


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Etwas konfliktreicher ist die Polarisierung, wie man sie beim revidierten Raumplanungsgesetz feststellen kann. Eine leicht gespaltene Befürwortung ergibt sich bei SP, GP und GLP. Dem steht eine leicht gespaltene Ablehnung bei SVP und FDP gegenüber. Nicht eindeutig klassierbar sind hier CVP und BDP. Bei letztere ist die Befragtenzahl zu gering, um eine eindeutige Qualifizierung abzugeben; bei der CVP fallt der Entscheid schwer, weil die Parteispitze im Ja ist, es aber auf Kantonsebene Abweichungen gibt und auch die Befragung zu Beginn des Abstimmungskampfes keine Zustimmungsmehrheit aufwies.


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Ziemlich kompliziert ist das Links/Rechts-Profil bei der Abzocker-Initiative. Vordergründig spricht einiges für ein bekanntes Muster: Die bürgerlichen Parteien sind dagegen, die linken dafür. Berücksichtigt man alle verfügbare Information, sind aber nur SP und GP geschlossen im Ja. Alles andere ist unsicher: Bei GLP und BDP verzichten wir angesichts der Fallzahlen in Befragungen auf eine Qualifizierung. Den klarsten Gegenpol zur Linken bildet die FDP; die Fraktion stimmte geschlossen gegen die Vorlage, die Partei empfiehlt, unwidersprochen, das Gleiche, doch gibt es, wenigstens in der ersten von zwei SRG-Befragungen einen tendenziellen Widerspruch an der Basis. Das ist bei CVP und SVP noch etwas komplizierter. Denn die CVP-NationlrätInnen stimmten in der Schlussabstimmung mehrheitlich vor die Vorlage – und auch die Basis tendiert gemäss Befragung ins Ja, derweil die Parteiparole „Nein“ lautet. Bei der SVP schliesslich stimmte die Deputation im Nationalrat mit einer Ausnahme gegen die Initiative, die Basis ist aber mehrheitlich dafür. Die Nein-Parole, welche die nationale SVP fasst wirkt stark löcherig, denn 10 Kantonalparteien haben das Gegenteil beschlossen.


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Sicher bleibt eines: Selbst die Links/Rechts-Polarisierung bei Volksabstimmungen ist in einem Parteiensystem, das durch relative Autonomie der Bundeshausfraktionen einerseits, der Kantonalparteien anderseits gekennzeichnet ist, gar nicht so einfach. Die klare Polarisierung zwischen bürgerlich und links, funktioniert kaum mehr, partiell gibt es eine Polarisierung zwischen mitte/links und rechtsbürgerlich, doch kann man auch unheilige Allianzen von links und rechts gegen das (liberale) Zentrum nicht mehr ausschliessen.

Die Zwischenbilanz nach Vorlage

Die Wahrscheinlichkeit, dass sich der Parlamentsentscheid in der Volksabstimmung wiederholt, ist bei der Familienvorlage am grössten. Ist das nicht der Fall, kommt es zu einer kaum vorhersehbaren Ablehnung, die aus der (beschränkten) Dynamik im Abstimmungskampf erklärt werden müsste.

Etwas offener ist die Situation bei der Raumplanung, denn insbesondere die CVP kennt einen Elite/Basis-Konflikt. Würde er angesichts der Meinungsbildung im Abstimmungskampf grösser werden, wäre auch ein Scheitern denkbar. Ohne das, dürfte die Vorlage aber in der Volksabstimmung passieren.

Bei der Abzocker-Initiative fällt es schwer, den Parlaments- und Volksentscheid zu vergleichen. Zwar resultierte im Nationalrat eine knappe Nein-Mehrheit zur Initiative, sodass sich die Volkskammer entschied, keine Empfehlung herauszugeben. Weil der Bundesrat keine davon abweichende Position vertreten darf, gibt es auch hier keine Empfehlung, selbst wenn man um die ablehnende Position der Bundesregierung weiss. Unterstellt man aber ein mehrheitliches Nein in den Behörden, ist hier ein gegensätzlicher Volksentscheid durchaus möglich. Der Hauptgrund besteht darin, dass die Ablehnung rechts, auf Elite- wie auch auf Basis-Ebene uneinheitlich ausfällt.

Mehr zu dieser Analyse wird man wissen, wenn die zweite SRG-Befragung vorliegen wird. Spätestens am kommenden Mittwoch wird es soweit sein, denn danach ist die Publikation von Befragungen in der Schweiz untersagt.

Claude Longchamp