ParteipräsidentInnen und Wahlenentscheidungen

Wer nüchtern analysiert, geht von sachpolitischen Präferenzen aus, mit denen WählerInnen Parteiprogramme beurteilen. Wer etwas impulsiver ist, weiss, das Parteiidentifikation heute über Köpfe mit Ausstrahlung hergestellt wird. Ich empfehle den heute gewählten PräsidentInnen und ihren Parteien einen Mix!

Eine systematische Analyse der Einflussfaktoren auf Wahlentscheidungen zeigt, dass bei vier der fünf grössen Parteien in der Schweiz das Profil des Präsidenten die Wahl mitbeeinflusst hat. Einzig bei den Grünen war das nicht der Fall. So gesehen ist die GPS der Sieger des samstäglichen Wahlmarathons, denn FDP, CVP und eben die GPS bestimmten heute ihre Parteispitzen neu.

Die Grünen entschieden sich für Frauenpower. Die beiden neuen Nationalrätinnen, Adèle Thorens aus der Waadt und Regula Rytz aus Bern, sollen die Partei (sprachregional differenziert) in die Zukunft führen. Damit wurde der bisherige Präsident, Ueli Leuenberger, abgelöst, dem es, trotz perfekter Zweisprachigkeit, nicht gelang, die verschiedenen Sensibilitäten dies- und jenseits des Röschtigraben gewinnbringend zu vereinen. Das letzte Wahlbarometer 2011 zeigte nämlich nur bei den Grünen keine nachweislichen Effekte des Präsidenten auf die Wähleransprache. Mit der Rückkehr zu Präsidentinnen, knüpft die GPS dort an, wo sie bis vor 4 Jahren stand und Wahlerfolge feierte, und sie kann sich in Präsidentenrunden sichtbarer von SP und GLP abgrenzen.

Anders beurteilen muss man die Präsidentenwahlen bei FDP und CVP. Die CVP bleibt bei Christophe Darbelley, dem Walliser Nationalrat, während die FDP neu auf Philipp Müller, dem Aargauer Volksvertreter, setzt. Beide Parteien punkteten gemäss der gleichen Untersuchung 2011 beschränkt mit ihren PräsidentInnen im Wahlkampf. Die CVP verbessert sich mit dem heutigen Entscheid nicht, während die FDP den Anfang sucht. Symptomatisch für die FDP, dass sie ihren mit ihrem bisherigen Leutchturm den Anker in der deutschsprachigen Schweiz auswirft, und ihn in die Richtung auswirft, wo sie bisher von der SVP konkurrenziert wurde. Themenkorrekturen in Migrations- und EU-Fragen haben diesen Schritt vorbereitet, jetzt geht es um einen neuen kommunikativen Auftritt, um einige der bisherigen Schwächen anzugehen. Nur bei der CVP dominiert das Bisherige. Wohl setzt man darauf, dass der mediengewandte Christophe Darbelley vorerst nicht gleichwärtig ersetzt werden kann, die grosse Rochade in ein bis zwei Jahren stattfindet und für den Neustart der Partei eh die frühere Präsidentin und heutige Bundesrätin Doris Leuthard zuständig ist.

Die systematische Auswertung des Wahlbarometer 2011 lässt erkennen, dass jenseits der Persönlichkeiten von ParteipräsidentInnen ein Mix die Wahlausgänge bestimmt: Momentan will man Parteien, die sich ungebefangen von Geschichten und Geschichte den Herausforderungen der Zeit annehmen. Diese orten, wie es in der Natur der Sache liegt, nicht alle gleich! Aber alle spüren, dass nach den Brüchen in der jüngsten Vergangenheit mehr als nur Bewährtes braucht, das angesichts unsicherer gewordener Verhältnisse in der EU-Frage, in der Energieversorgung, bei Migationsproblemen und belastendenen Frankekursen Zukunftsbewältigung angesagt ist. Mehr oder weniger ist auch klar geworden, dass das Tagesgeschäft viel Flexibilität braucht, diese aber nicht beliebig interpretiert werden darf, sondern in eine werteverankerte Politik eingebettet sein muss. Von den Grünen erwartet man längst ein Feuerwerk zur Erneuerung ökologischer Werte, von der FDP ein Engagement für vernünftige Wirtschaftswachstum und von der CVP mehr Nachdruck für eine zeitgemässe Gemeinschaft. Denn alles, was man dazu gesehen hat, reicht nicht mehr, wirkt etwas abgedroschen und muss schleunigst von den Protagonisten erneuert werden. Das müssen sich Adèle Thorens, Regula Rytz, Philipp Müller und ganz besonders Christophe Darbelley hinter die Ohren schreiben!

Last but not least: Die zentrale Herausforderung für alle neu gewählten PräsidentInnen von heute sind die kommenden Nationalratswahlen. Denn von ihnen erwartet man, dass sie ihre Parteischiffe auf Kurs bringen, 2015 wieder mehr Passagiere befördern. Das beginnt mit der kohärenten politischen Positionierung, vor allem gegenüber der Konkurrenz im Parlament, wenn es um Themen und Mehrheiten geht, aber auch auf den Märkten volatil gewordener BürgerInnen. Der Aufschwung von GLP und BDP zeigt, dass es vor allem im Zentrum einiges zu verbessern gibt.

Die Kursbestimmungen setzen sich in den Wahlkampfvorbereitungen fort, die schonungslos Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken aufzeigen müssen, damit die Wahlkämpfe nicht nur die bisherige Wählerschaft anspricht, sondern auch neue Schichten unter Nichtwählenden, PersonenwählerInnen und parteipolitischen Schwankenden erschliessen.

Denn das ist eine der grossen Gemeinsamkeiten der heutigen Präsidiumswahlen: Mit ihnen hat ein Teil der Wahlverliererinnen 2011 die Segel Richtung 2015 gestellt, der aufbauend an der Schweizer Politik arbeiten und nicht einfach vom Misstrauen in die Zukunft, den Staat und die Politik profitieren will!

Claude Longchamp

Zur Transformation der Parteiidentifikationen in der Schweiz.

Die siebte Vorlesung zur Wahlforschung in Theorie und Praxis an der Uni Zürich beschäftige sich mit der Transformation der Parteiidentifikation in der Schweiz. Hier einige thesenartige Aussagen von der gestrigen Veranstaltung.

Die Wahlnachbefragung 2007 zeigte, dass zwei Drittel der heutigen CVP-Wählenden Väter haben, die Gleiches tun. Bei der FDP beträgt derAnteil die Hälfte, bei SP, und SVP noch einen Drittel, und bei den Grünen ist das gerade bei jedem 20. der Fall.

Die klassischen Theorien der politischen Sozialisation in der Familie zur Entstehung von Parteiidentifikation bilden damit in der Schweiz eher den Spezial-, weniger den Normalfall ab. Zudem, Parteien, bei denen in der überwiegenden Zahl der Fälle gilt, dass die Familie die Zelle der Parteibindungen ist, gehören meist zu den Verlierer-Parteien. Denn sie stützen sich auf die immer gleichen Gesellschaftsgruppen, bei denen sie einen abnehmenden Erfolg haben.


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Parteien, denen die Erneuerung am besten gelingt, haben heute Wählende, die nicht mehr das Gleiche wählen wie ihre Eltern. Vielmehr haben sie gelernt, neue Gesellschaftsgruppen, anzusprechen, die eine Generation zuvor noch kaum Entsprechendes gemacht hätte. Zudem gelingt es ihnen Individuen als Wählende anzusprechen, die sich, abgekoppelt von ihrem sozialen Hintergrund für sie entscheiden. Weltweit analyisiert man das unter dem Aspekt von Dealigment, der Erosion von Parteibindungên, was in der Schweiz aber wenig Sinn macht.

Thomas Milic, der Zürcher Parteienforscher, hat in seiner Dissertation eine der interessantesten Ansätze vorgeschlagen, um solche Phänomen zu untersuchen. Er unterscheidet zwischen unparteilichen, parteilichen und überparteilichen BürgerInnen. Erstere kommen vor allem in den Unterschichten vor, bei Jüngerem, insgesamt bei Unpolitischen, die sich in der Parteienlandschaft nicht wirklich orientieren können, vielleicht hie und da abstimmen gehen, an Wahlen aber kaum teilnehmen. Die Stammwählerschaft der Parteien rekrutiert sich im Wesentlichen aus den parteilichen BürgerInnen. Sie haben eine gefestigte Parteiidentifikation, wie auch immer die entstanden ist. Im Normalfall wählen sie so und stimmen sie auch entsprechend der Parteiparole ab. Die Ueberparteilichen sind das eigentlich neue Phänomen: Anders als die Unparteilichen sind sie absolut befähigt, sich politisch zu orientieren. Sie verarbeiten am meisten Informationen, definieren sich aber nicht mehr eindeutig über Parteien, vor allem über Werthaltungen. Sie sind Feministinnen, Wertkonservative oder Wirtschaftsliberale. Ihre Parteienwahl ist noch gerichtet, aber kaum mehr eindeutig an einer Partei festzumachen, die man auf dauer unterstützen würde. Vielleicht haben sie noch eine Parteibindung, zum Beispiel die aus früheren Zeiten, aber sie entscheiden sich bei Abstimmungen immer häufiger selbständig, und sie wählen mit Vorliebe Personen aus verschiedenen Parteien.

Leider weiss die Wahlstatistik darüber nicht allzu viel, und die empirische Wahlforschung hat erst wenig hierzu zu Tage gefördert. Immerhin, man hat Anhaltspunkte: So wählen, je nach Wahl, 5-10 Prozent der Teilnehmenden mit der leeren Liste, ohne übergeordnete Parteibezeichnung, KandidatInnen, meist querbeet aus den Wahllisten aus. Rund 50 Prozent der Wählenden nutzen die Möglichkeiten des hiesigen Wahlrechts aus und panaschieren. Man könnte es auch so sagen: Sie kennen eine Parteibindung, aber keine exklusive Orientierung mehr. Dabei zeigt, sich, dass diese Phänomene bei CVP und FDP am häufigsten vorkommt, ausgerechnet bei den Parteien also, bei denen die familiale Sozialisation noch am verbreitetsten ist. Mit anderen Worten: Die Parteientscheidung ist ein Ritual, das bei der Personenentscheidung stark ausgehöhlt wird.

Die stärkste exklusive Neueinbindung hat heute die SVP, das wichtigste Gegenprojekt zu den bestehenden Parteien. Ich schätze, dass sie knapp 20 Prozent Wähleranteil bei BürgerInnen macht, die nur sie Partei wählen; hinzu kommen 5-10 Prozent Stimmen, die sie via KandidatInnen auf Listen mit Bewerbungen mehrerer Parteien macht. Bei der CVP liegen die Vergleichswerte bei rund 5 Prozent Exklusiver Parteiwählerschaft, und 5-10 Prozent weitere Stimmen kommen von Panaschierlisten.

Auf der linken Seite ist nur beschränkt eine neue Ausschliesslichkeit in den Parteibindungen entstanden. Etabliert hat sich eine neue Art der Ueberparteilichkeit. Die reicht zwar nicht bis rechts. Man fühlt sich schon noch als Wählerin, als Wähler, die, der rotgrün wählt, mal mehr rot, mal mehr grün, aber auch offen für KandidatInnen anderer Parteien, seien es solche der GLP, der FDP, der CVP, aber auch der EVP, ja selbst der BDP.

In den Termini der Wahlforschung könnte man sagen: Einzig der SVP ist es in den letzten 20 Jahren gelungen, einen neue affektive Parteibindung aufzubauen, die ihren Kern nicht in der Herkunftsfamilie hat. Vielmehr nährt sie sich aus dem täglichen Frust mit der Politik und dem System. Die Neuerung reicht aber nicht aus, um dauerhaft sehr hohe Wähleranteile garantiert zu haben. Speziell mit der Abspaltung der BDP ist eine, via Personenbildungen, relevante Alternative entstanden. Auf linker Seite gibt es eher Strömungen in der Wählerschaft, die mehr sozialistisch, liberal oder konservativ sind, über die sich die Parteien und ExponentInnen links der Mitte mehr oder minder konstant profilieren, um von den Wählenden in einem Mix aus kognitiv-emotionalen Entscheidungen honoriert zu werden. Von alle dem merkt man jedoch noch fast nicht, wenn man sich mit der Wählerschaft der FDP oder CVP beschäftigt.

Claude Longchamp

Gemeinsames und Trennendes in der Umfragen zu den französischen Präsidentschaftswahlen

Frankreich wählt. Am Sonntag findet der erste Wahlgang statt. Der Wahlkampf ruht seit gestern Abend Mitternacht. Ein guter Moment, Bilanz zu ziehen, was die Umfragen festhalten.

Acht Institut beteiligten sich an der Messung der Wahlabsichten zu den französischen Präsidentschaftswahlen. Zwischen Dienstag und Freitag stellten sie ihre Erhebung ein. Bilanziert man die Ergebnisse, überwiegen zuerst die Gemeinsamkeiten.

Alle Umfragen gehen gesichert von einem zweiten Wahlgang aus. In allen ist dafür François Hollande der Favorit. Selbst für den kommenden Sonntag sieht keine Institut mehr Nicolas Sarkozy als eigentlicher Sieger. In zwei Umfragen liegen die beiden Spitzenkandidaten gleich auf, in sechs führt der Herausforderer mit kleinem oder grösserem Vorsprung auf den amtierenden Präsidenten.

Die Ergebnisse der Umfragen variieren nicht wirklich nach dem letzten Erhebungsmoment. Eher dürften Eigenheiten der Institute massgeblich sein. Ifop, TNS Sofres und Opinion Way bilanzieren ein Unterschiedene zwischen den Kontrahenten, LH2 und Harris halten einen Vorsprung für Hollande fest, der jedoch im Sichtprobenfehler liegt. Klare sind die Aussagen dagegen bei Ipsos, BVA und CSA, die von einem Unterschied in der Grössenordnung von mindestens 3 Prozentpunkten ausgehen.

Was den zweiten Wahlgang angeht, bleiben die Abweichungen zwischen den Instituten ähnlich. Ifop und Harris gehen von einem 54:46 für Hollande aus, was der am knappesten erwartete Ausgang ist. Grösser ist der Vorsprung insbesondere bei BVA und CSA, die von einem 57 zu 43 sprechen.

Letzteres bleibt ein wenig hypothetisch. Denn das Ergebnis der ersten Runde kann sehr wohl die Dynamik der Sammlung zur zweiten Runde beeinflussen. Das gilt sowohl für die KandidatInnen, die sich zurückziehen müssen, aber Wahlempfehlungen machen können, als auch für die Wählenden. Dennoch: 8 bis 14 Punkte Vorsprung für den Neuen auf den Alten sind viel.

Ersteres bleibt aus einem Grund etwas vage: Die Sicherheit der Entscheidungen bleibt in allen Umfragen zurück: Zwischen einem Viertel und einem Drittel gibt sich nicht restlos entschlossen. Das hat weniger mit schlecht gemachten Umfragen zu tun, aber viel mit Taktieren der BürgerInnen, was in einem Wahlsystem, das letztlich auf zwei Runden angelegt ist, fast immer der Fall ist. Denn nebst der eigentlich beantworteten Kardinalfrage, wer noch einmal antreten darf, geht es am Sonntag um Geschmacksfragen, wer wie gut abgeschnitten hat und sich in anstehenden Verhandlungen für Ministerien und Aktionsschwerpunkten wie stark einbringen kann.

Claude Longchamp

Desaster für Initiativkomitee gegen Aufklärung in der Volksschule – (k)ein Grund zum Jubeln für Widersacher?

Der Aufklärungsunterricht in der Primarschule ist ein heiss diskutiertes Thema. Mit einer Volksinitiative soll der umstrittene Sex-Koffer, von dem mehr und mehr die Rede ist, untersagt werden. Nur, die Intianten haben sich ein eigenes Ei gelegt: Eines ihrer Mitglieder wurde vor Jahren wegen sexuellen Uebergriffen bei einer Minderjährigen bestraft.

“Fehlerstart einer Volksinitiative”, titelte die NZZ in ihrer Online-Ausgabe gestern. Heute erkundigte sich die (neuerdings konservativ ausgerichtete) BaslerZeitung bei mir, was vom ganzen zu halten sei. Bange Frage: Ist die Intiative diskreditiert, bevor sie wirklich zum Thema geworden ist?

Ein wenig erinnere mich das an Sarah Palin, antwortete ich der Journalistin. Die ehemalige Kandidatin für das Amt des amerikanischen Vizepräsidenten habe sich, ganz dem konservativen Trend folgend, gegen Sex vor der Ehe ausgeschlossen. Mitten im Wahlkampf musste sie bekannt geben, dass ihre eigene, unverheiratete Tochter ein Kind erwarte. Scheinheiligkeit pur! Der Glaubwürdigkeit Palins hat das nicht genützt, den Republikanern indessen nicht wirklich geschadet!

Ganz vergleichbar sind die beiden Beispiele indessen nicht. Denn Sarah Palin hatte sich als Kandidatin der Republikaner in Kürze ein globales Image verschafft. Sie war breit bekannt, als die Gunrühmliche eschichte bekannt wurde: als beigesterte und fürsogliche Hockey-Mom, die ihre Kinder zum Training fährt und abholt! Politisch hatte sie damit nicht wirklich punkten können, kommunikativ hatte sie ein perfektes Bild von sich entworfen. Das fehlbare Mitglied aus dem Initiativ-Komitee gegen den umstrittenen Sex-Untericht auf der Unterstufe der Schweizer Schulen ist dagegen nicht nur weitgehend unbekannt; es gibt kein gesellschaftlich verankertes Bild von ihr. Und so wird es in der Versenkung enden!

Die entscheidende Frage ist indessen, ob das nun auch die Volksinitiative diskreditiert oder nicht?

Ich habe hier eine eigene Position, entwickelt aus dem Dispositionsansatz zur Entscheidfindung gegenüber Volksintiativen; diese lautet: Der Unterschriftenstart ist erschwert; in erster Linie aber durch die Negativ-Presse, die auf die Exponenten der Initiative wirkt. Ob eine Intiative die nötigen 100’000 Unterschriften zusammenbringt oder nicht, hängt jedoch nicht davon ab. Vielmehr ist entscheidend, ob es eine genügend grosse Zahl Sammlungswilliger gibt oder nicht. Und das wird nicht durch das mediale Image einer Initiative beeinflusst; nein, es hängt von der Klarheit der Stossrichtung eines Volksbegehrens ab, das eine Forderung aus der Gesellschaft aufnimmt. Das traue ich dem Initiativ-Komitee auch nach dem Desaster zu. Ja, man könnte noch einen Schritt weiter gehen: Attacken aus den (Elite)Medien motivieren die fordernden Minerheiten mit starker Ueberzeugung erst recht, für eine (aus ihrer Sicht) besser Welt aktiv zu werden!

Eine nochmals andere Frage stellt sich, wie ein solches Volksbegehren in den Behörden aufgenommen wird; wie Bundesrat und Parlament reagieren. Zudem will man zurecht wissen, wie die Chancen in der Bevölkerung, sprich, bei einer Volksabstimmung, sind. Da lohnt es sich von drei Gruppen auszugehen:

. der Kernwählerschaft, die das klar Anliegen unterstützt, aus weltanschaulichen Gründen oder aus Interesse;
. der Kerngegnerschaft, die dem Anliegen sicher nicht zustimmen wird, aus ebensolchen Gründen, und
. der schwankenden, wenig entschlossenen Wählerschaft.

Ersterer ist die Initiative wichtiger als die Zusammensetzung des Komitees. Man wird sich da nicht beeinflussen lassen – weder heute noch morgen. Bei letzerer ist alles umgekehrt – aber gleich. Bleiben die schwankenden BürgerInnen, denn letztlich die Sache nicht so wichtig ist: Sie legten sich erfahrungsgemäss erst im Abstimmungskampf fest. Der findet voraussichtlich in 4 Jahren statt. Und dann zumal wird man die Panne beim Initiativ-Start vergessen haben.

Für mich schlüssige Analysen der Unzufriedenheit mit der Schule ausgehend von den Harmos-Abstimmungen zeigen, dass das Kernpotenzial der neuen Initiative beim gesellschaftskonservativen BürgerInnen liegt, die sich mit ihrem Familienbild vom mainstream abgrenzen wollen. Sie finden sich heute nicht nur in religiösen Kreisen, auch in der ländlichen Bevölkerung vor allem der deutschsprachigen Schweiz. Profitieren kann die Initiative auch von einer gewissen Reformmüdigkeit gerade im Umfeld der betroffenen Lehrer und Schulbehörden.

Eine gesicherte Mehrheit sei das nicht, sagte ich Andrea Fopp von der BalserZeitung heute – aber eine respektable Minderheit. Ihre Gegenfrage lautete: Könnte mit dem Volksbegehren daraus eine Mehrheit werden? Mein Antwort lesen sie morgen im Interview mit der BaZ …

Claude Longchamp

Volksinitiativen: Stolpersteine und Erfolgsfaktoren

Das ist kein Seminar, das sich speziell an die FDP richtet. Denn es geht bei den Stolpersteinen und Erfolgsfaktoren für Volksinitiativen nicht bloss um die Unterschriftensammlung. Vielmehr bietet sich das Berner NPO-Forum an, Akteuren in diesem Bereich generell einen Spiegel vorzuhalten und Empfehlungen für eine gute Politik zu formulieren.

Die Themenpalette des Seminars, das am 15. Mai 2012 in Bern stattfindet, ist gegeben: Behandelt werden die rechtlichen Voraussetzungen von Volksinitiative, eine Checkliste zu Fehlern, die man beim Texten vermeiden sollte, eine Uebersicht über (Miss)Erfolgsfaktoren im ganzen Prozess, eine Analyse der Unterschriftensammlung, der Umgang mit den Behörden zwischen Einreichung und Abstimmung sowie Kampagnenführung.

Die Referentin sind bunt gemischt zusammengesetzt: Es sprechen Barbara Perriard von der Bundeskanzlei, Heribert Rausch, Professor für öffentliches Recht an der Uni Zürich, Aline Trede, Kampagnenleiter beim VCS, Meinrad Vetter, Kadermann der economiesuisse, und Stefan Batzli, Campaigner.

Selber werde ich eine Uebersicht geben, von der Initiierung bis zur Umsetzung einer Volksinitiative. Es geht mir um Benmarks und Fallstricken. Um gute und schlechte Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit.

Sicher, ich werde von der Abstimmung ausgehen, das kenne ich am besten und es ist und bleibt das Nadelöhr eines jeden Volksbegehrens. Ich will indessen nicht dabei stehen bleiben, vielmehr eine Volksinitiative als (Lern)Prozess der Meinungsbildung für InitiantInnen deuten, welche die Politik, die Behörden und die Oeffentliche Meinung mit ihrem Anliegen wirksam beeinflussen wollen.

InteressentInnen für diese Anlass finden mehr Informationen – und Anmeldeunterlagen unter NPO-Forum.

Claude Longchamp

Im Kanton Thurgau legt die BDP am meisten zu – es verliert vor allem die SVP.

Der Kanton Thurgau hat gewählt. Gestärkt worden ist damit in erster Linie die neue Mitte. Elektoral verloren hat vor allem die Rechte. Die Wahlbeteiligung ist auf dem historischen Tiefststand.

Die Wahlsiegerin im Kanton Thurgau heisst BDP. Sie erobert 5 der 130 Grossratssitze und erreicht damit auf Anhieb Fraktionsstärke. Gewinne gibt es auch für die GLP (neu 6), EDU (neu 6) und SP (neu 19). Grosse Verliererin der Parlamentswahlen in Ostschweizer Kanton ist die SVP. Zwar bleibt sie grösste Partei, duch verliert sie mit 10 Abgängen einen Fünftel ihrer bisher 51 Sitze. Kleine Verluste gibt es auch für die GP (-2/9), EVP, CVP (je -1/5 resp. 21). Halten kann sich die FDP (18).

Wahlanalysen im eigentlichen Sinne liegen aus dem Kanton Thurgau noch keine vor. In den ersten Kommentaren wird auf die neue Wahlkreiseinteilung verwiesen, welche kleinere Parteien begünstige, und auf die BDP als neue Partei, welche das Lager rechts der Mitte neu aufgemischt habe. Für die Verluste der SVP werden auch äussere Faktoren verantwortlich gemacht, so die Involvierung eines (wiedergewählten) SVP-Mitgliedes des Parlamentes in die Hildebrand-Affäre.

Festhalten muss mab zu allererst, dass die Wahlbeteiligung sank. Mit 30.8 Prozent erreichte sie den historischen Tiefstwert für den Kanton. Gegenüber 2008 bedeutet dies einen Rückgang von 3,1 Prozentpunkten, oder anders gesagt: Ueberschlagsmässig hat sich jeder 10. Wähler, jede 10. Wählerin vor vier Jahren nicht mehr beteiligt. Demobilisierung wird damit zum wichtigste Stichwort jeder Analyse.

Doch der Reihe nach: Stellt man nicht auf die Sitzzahlen, sondern auf die Prozentwerte zu den Parteistärken ab, resultieren die gleiche Gewinnerinnen- und Verliererinnen. Indes, die Proportionen sind anders. So verliert die SVP anteilsmässig weniger; es bleibt aber immer noch ein Rückgang von einem Siebtel. In Prozentpunkten beträgt der Verlust 5.3 Prozent; neu kommt sie auf 30.5 Prozent. Zweitergrösste Verliererin in die CVP. Sie büsst 2 Prozentpunkte ein und kommt neu auf 13.9 Prozent. Die GP hat einen Rückgang von 1.5 Prozentpuntken (neu7.7%), während die EVP von 5.2 auf 4.8 Prozent fällt.

Die grössten Gewinne gibt es wiederum für die BDP, sie kommt bei ihrer ersten Wahl auf 4.8 Prozent. Auch die GLP legt mit einem Plus von 3,4 Prozentpunkten recht kräftig zu; neu hat sie einen Anteil von 5.9 Prozenten. EDU und SP verstärken sich um je 0,6 Prozentpunkte. Die SP ist neu bei 13,6, die EDU bei 4,6 Prozenten. Marginal zulegen kann hier auch die FDP, die sichvon 14 auf 14,2 Prozent verbessert.

Damit überholt die FDP die CVP zwar nicht in der Mandatsstärke; bei der Wählerstärke ist sie neu die Nummer 2, hauchdünn vor der CVP und der SVP. Dahinter folgen GP, GLP, EVP, BDP und EDU. Die GLP überholt damit die EVP und die EDU, letztere wird auch von der BDP überholt.

Die Bilanz lautet damit: Gestärkt worden ist damit in erster Linie die neue Mitte. Elektoral verloren hat vor allem die Rechte, marginal auch die Linke: von Polarisierung, aber auch von Rechtsrutsch keine Spur mehr!

Ohne Wählerstromanalysen bleibt es Spekulation, wer von wem Wählende gewinnen konnte. Aus der Erfahrung heraus kann man aber vermuten: Die Demobilisierung hat namentlich der SVP geschadet, sie hat auch eine negative Wanderungsbilanz zur BDP. Diese und die GLP sind wohl auch Konkurrentinnen für die CVP, letzter in erster Linie auch für die GP.

Wellen geworfen haben die Thurgauer Wahlen 2012 keine. Von einem Aufbruch, wie er noch 2004 und 2008 zu spüren war und die Wahlbeteilgung ansteigen liess, war diesmal nichts mehr zu spüren. Gestoppt worden ist dafür der Rechtsruck des Kantons, wie die SVP auf Spitzenwerte kam.

Die erheblichen Wahlverluste für die wählerstärkste Partei reihen sich in die Serie ein, die spätestens bei den Nationalratswahlen sichtbar wurde. Angefangen hat sie jedoch mit den Parlamentswahlen im Kanton Zürich vor genau einem Jahr. Seither sind verschiedene Hochburgen der SVP erfasst worden. Hauptgrund ist, dass die Mobilisierungsfähigkeit stark nachgelassen hat. Das beginnt bei den Kampagnen, die nicht mehr im gleichen Masse zünden wie man das gewohnt war, was sich negativ auf die Medienaufmerksamkeit auswirkt. Es setzt sich aber auch bei den umstrittenen Personen fort, die vor allem vom Durchschnitt der WählerInnen kritischer beobachtet und beurteilt werden als auch schon. Neu ist, dass dieser Trend weg von der Homogenisierung auch eine Kantonalpartei erfasst haben, die als gemässigt galt, am ehesten noch wie eine traditionelle Volkspartei politisiert.

Profitiert haben davon verschiedene Parteien, im Thurgau beispielsweise die EDU; sie füllt einen kleine Teil des entstandenen Vakuums. Darüber hinaus wiederholt sich das Wahlergebnis bei den gesamtschweizerischen Nationalratswahlen 2011 auch in anderer Hinsicht. Denn mit der BDP und GLP haben zwei neue, unverbrauchte Parteien, die im Zentrum politisieren Erfolg. Den vermisst vor allem die CVP, er bleibt aber auch bei der GP aus, während FDP und SP etwas besser wegkommen als dies gesamtschweizerisch der Fall war.

Claude Longchamp

Perspektiven 2025: Bilanz für die Schweiz ein Jahr nach der Veröffentlichung

Vor genau einem Jahr legte der Bund den Bericht Perspektiven 2025 vor. Was dann sein wird, wissen auch die AutorInnen aus der Bundesverwaltung nicht. Deshalb haben sie eine Trendanalyse vorgenommen und mit Szenarien weitergedacht. Hier resümiere ich, was davon das Politsystem betrifft – und frage, welche der Aussichten heute plausibler resp. unplausibler denn je erscheinen.

Die Trendanalyse für die Schweiz ist treffend. Das politishe System und dessen Umweld werde zunehmend komplexer, schreiben die Autoren des Berichts Perspektive 2025. Damit einher gehe eine Entwicklung Richtung sinkender Handlungsfähigkeit des Staates, gekoppelt mit einer sinkenden Leistungsfähigkeit des Politsystems. Gründe dafür werden vielerorts gesehen: im Einfluss internationaler Trends, in der zunehmenden Verschränkung von Innen- und Aussenpolitik, in der steigenden Verflechtung von Politik und Wirtschaft durch das Lobbying, via die Individualisierung, verbunden mit einer wachsenden Mobilität, in der wachsenden Aufgabenlast des Staates, der zunehmend schwierigeren Finanzierung seiner Tätigkeit und dem Druck der Oeffetnlichkeit, der von immer kritischeren Medien ausgeht.

Im politischen System am meisten gefordert sehen die amtlichen Berichterstatter das Milizsystem, die Governance der Verwaltung und den Föderalismus, was den Ruf nach institutionellen Reformen vermehren wird.

Was tun?

Eine Antwort gibt es nicht, denn es gibt nicht nur die schweizerische Antwort auf die Herausforderungen. Sie müssen, so der Perspektiven-Bericht, auf die Entwicklung des internationalen Umfeld abgestimmt sein. Da wird zwischen regionalen (sprich: europäischen) und globalen (ebene weltweiten) Veränderungen unterschieden. Kombiniert gibt das vier (logisch) denkbare Szenarien, die zu je einem Motto für das kommende staatlichen Handeln führen.

. die globale wie regionale Integration mit dem Motto “Globalität und Mobilität”
. die globale Integration mit regionaler Fragmentierung mit dem Leitspruch “Wiedergeburt asiens”
. die globale Fragmentierung mit regionaler Integration, angeleitet durch “Europa als Gestaltungsmacht” und
. die globale wie regionale Fragmentierung, mit der Handlungsanweisung: Rückbesinnung auf Schweizer Traditionen”.

Im ersten Szenario stehen alle politischen Lampen auf grün. Die Weltordnung ist multipolar, Grossmächte agieren friedlich nebeneinander und das Konfliktpotenzial ist gering. Entsprechend sind die Internationalen Institutionen relevant, und sie werden von der Schweiz aktiv genutzt.
Im zweiten Szenario erstarkt nur Asien, die USA stagniert, die EU schwächelt. Die regionale Blockbildung nimmt zu, das Konflitkpotenzial bleibt aber beschränkt. Internationale Organisationen können sich nur auf einer veränderten Basis konsolidieren; ein Prozess, der von der Schweiz nicht mitbestimmt werden kann.
Im dritten Szenario wird das Schweizer Umfeld unipolar. Nur die EU ist sicher und stark, während die USA und Asien zu ferne Bezugspunkte darstellen. Die internationalen Verhältnisse sind fragil, das Konfliktpotenzial entsprechend hoch Das alles blockiert internationale Institutionen. an der EU führt kein Weg mehr vorbei.
Im vierten und letzten Szenario sind die globalen Machtverhältnisses unklar. Das Konlfiktpotenzial ist rundherum gross. Es bilden sich ad-hoc Allianzen, was die internationalen Organisationen alt aussehen lässt.

An dieser Stelle interessiert sich der Perspektiven-Bericht für die Folgen für Wirtschaft, Gesellschaft und Umwelt. Wer davon mehr wissen möchte, kann sich den Bericht runterladen oder bestellen.

Mich interessiert im Moment vor allem die Frage, welche der vier Szenarien, genau ein Jahr nach der Veröffentlichung des Bericht, an Plausibilität gewonnen resp. verloren haben?

Antworten sind erbeten, denn nur eine Bestimmung der Entwicklungen auch ausserhalb der Schweiz macht einen Entscheid über die Ausrichtung im Innern rational!

Claude Longchamp

Hinweise auf erhellende politische Bücher

“Das beste Buch über Politik: Welches Werk, das Sie jüngst gelesen haben, hat Ihren Horizont in Sachen Politik am meisten erweitert?”


auch ein gutes Buch …

Genau das wollte ich gestern von meinen neuen Twitter-Followern wissen. Spontan geantwortet haben mir:

@hp_rubi: Walter Wittmann und Stéphane Hessel
@DBinswanger: Pierre Rosanvallon, La société des égaux
@def_izit: schwer zu sagen – halte “Colin Crouch, Postdemokratie, dt.-edition suhrkamp” nach wie vor als höchst aktuell
@ArminWolf: Drew Westen: Political Brain / Daniel Kahnemann: Thinking Fast and Slow (mehr Ökonomie, trotzdem)
@belzig: Asterix der Gallier
@MadMenNa: Götz Aly: “Warum die Deutschen? Warum die Juden?” Interessanter Zus.-hang zw. (fehlendem) Liberalismus und Antisemitismus.

Zunächst habe ich hab zu danken! Denn beileibe nicht alle vorgeschlagenen Bücher habe ich bereits gekannt. Klar, Asterix und die Gallier habe ich schon als Jugendlicher gelesen – und einigermassen memoriert. Wittmann und Hessel habe ich auch in meiner Bibliothek – sie sind mir, ehrlich gesagt, aber zu grobe Vereinfacher.

Crouch wiederum habe ich auf diesem Blog schon besprochen, und ich habe es in einem Workshop zum Thema “Wer regiert die Welt?” zur Diskussion gestellt. Die Reaktionen waren sehr unterschiedlich; geblieben ist mir ein Vorschlag, in der heutigen Zeit besser von der “Postdiktatur” zu sprechen. Kahnemanns schnelles und langsames Denken bin ich grad am Lesen – mehr dazu später! Denn vorschnell sollte man ihn nicht beurteilen …

Nicht wirklich gekannt habe ich die drei andern Bücher. Die kurze Recherche zeigt mir, dass sich alle irgendwie mit Demokratie beschäftigen, den Ursachen ihres Versagens, den bedrohlichen Herausforderungen und den Notwendigkeiten der bürgerzentrierten Ansprache.

Zum Pariser Historiker Rosanvallon, dem es um Ungleichheit als Bedrohung der Demokratie geht, halte ich vorerst fest: “Depuis la naissance de l’idée démocratique, les conditions de la pérennité du régime occupent les esprits. Une démocratie ne survit que si un minimum d’égalité se maintient entre les individus qui la constituent. Comme l’écrivait Rousseau, qu’un homme ne puisse en acheter un autre, voilà la moindre des exigences. Il n’est pas envisageable, pour les révolutionnaires français et américains, que les inégalités économiques puissent ternir l’éclat de l’égalité postulée entre les hommes. Celle-ci “était considérée comme une qualité démocratique, et pas seulement comme une mesure de redistribution des richesses”, précise l’historien. Les belles pages qu’il consacre à l’égalité comme valeur matricielle des révolutions, de part et d’autre de l’Atlantique, sont précieuses (et même piquantes quand on apprend qu’en 1789, la démocratie vibre à “l’électricité morale” produite par la prise de conscience d’un lien nouveau entre les hommes). Surtout, elles nous éclairent, en miroir, sur ce moment particulier que nous vivons, qu’on peut qualifier d’une formule : la panne de l’égalité (et de la gauche, par voie de conséquence).”

Aly, dem deutschen Politikwissenschafter, geht es um das spezielle Verhältnis von Deutschen und Juden. Gemerkt habe ich mir vorerst die These: “Warum die Juden? Warum die Deutschen? Diese beiden Fragen harren seit 1945 einer Antwort. Götz Aly gelangt in seinem neuen Buch zu verstörenden Einsichten. Er beschreibt Fortschrittsscheu, Bildungsmangel und Freiheitsangst so vieler christlicher Deutscher während des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Dagegen begeisterten sich die deutschen Juden für das Stadtleben, für höhere Bildung; sie wussten die Chancen der Moderne zu nutzen. Die trägen Nicht-Juden sahen ihnen mit Neid und Missgunst hinterher. Aus Schwäche erwuchsen zuerst Sehnsucht nach kollektiver Stärke, dann Rassendünkel und am Ende mörderischer Antisemitismus. Götz Aly ermöglicht es, den Holocaust als Teil der deutschen Geschichte zu verstehen.”

Schliesslich habe ich auch zum amerikanischen Psychiater Westen, der sich mit politischer Kommunikation in demokratischer Absicht, beschäftigt, einen Merksatz: “In politics, when reason and emotion collide, emotion invariably wins. Elections are decided in the marketplace of emotions, a marketplace filled with values, images, analogies, moral sentiments, and moving oratory, in which logic plays only a supporting role. Westen shows, through a whistle-stop journey through the evolution of the passionate brain and a bravura tour through fifty years of American presidential and national elections, why campaigns succeed and fail. The evidence is overwhelming that three things determine how people vote, in this order: their feelings toward the parties and their principles, their feelings toward the candidates, and, if they haven’t decided by then, their feelings toward the candidates’ policy positions.”

Gerne nehme ich die Anregungen zu guten Büchern über Politik auf – und die Zeit dazu werde ich mir gönnen!

Claude Longchamp

PS: Ach ja, die Liste kann jederzeit fortgesetzt werden!

Wer Sarkozy und wer Hollande favorisiert.

Jeden Abend, punkt 18 Uhr, erklärt IfOP den Stand der Dinge bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen. Sarkozy hat gewisse Chancen im ersten Umgang die Nase vorne zu haben. Für den zweiten ist er einzig bei den Rechten, Rentnern und Landwirten der Favorit.

IfOP setzt 2012 ganz auf die Methoden „rolling“. Befragten wird jeden Tag, zuerst 333 innert 24 Stunden, jetzt, gegen den Schluss, 900 täglich. Erhoben werden die Daten via Telefon und Internet. Die erhaltenen Ergebnisse werden gewichtet, nach Geschlecht, Alter, Beruf und Region und Agglomeration, um ein quotengetreues Abbild Frankreichs zu haben.

Jeden Tag werden die aufsummierten Resultate der letzten drei Befragungsscheiben veröffentlicht. Aktuell ergibt dies:

1. Umgang: Sarkozy (28.5%) vor Hollande (27%)
2. Umgang: Hollande (54%) vor Sarkozy (46%)
3. Wunschpräsident: Hollande (38%) vor Sarkozy (33%)
4. Wahrscheinlicher Präsident: Hollande (39%) vor Sarkozy (26%).

Hauptproblem des amtierenden Präsidenten ist demnach, dass ihm letztlich nur seine überzeugte Anhängerschaft noch eine Trendwende zutraut. Hoffnungsträger der Nation ist der glänzende Sieger von 2007 keineswegs mehr. Vielmehr riskiert er, in der Ballotage als Präsident der Franzosen und Französinnen gar abgewählt zu werden.

Der Wahlkampf hat diese Bilanz nicht wirklich ändern können. Einzig was den ersten Wahlumgang angeht, ist es dem Rechten Sarkozy gelungen, den linken Widersacher zu überholen. Indes, der Vorsprung bleibt, mit 1,5 Prozentpunkten, gering. Zudem war es, mit den Attentaten in Toulouse als Auslöser, keine Kampagnenereignis, dass das einleitete.

Hoch ist die Polarisierung zwischen beiden Favoriten gemäss Detailanalysen in politischer Hinsicht. Beschränkt fällt sich nach Berufsgruppen aus, wo die Landwirte klar zum Präsidenten halten, derweil namentlich obere und mittlere Kader eher hinter dem Herausforderer stehen. Bloss noch gering ist sie nach Alter, denn beide haben, für den ersten Wahlgang, Defizite bei den jüngeren Altergruppen. Kaum nennenswerte Unterschiede gibt es in den Wahlabsichten der Geschlechter; Sarkozy hat einen minimen Vorsprung bei den Frauen, wenigstens am Anfang.

Was die zweite Runde angeht, liegt Sarkozy, nebst bei den WählerInnen seiner UMP und jenen des FN einzig noch bei Landwirten und RentnerInnen vorne. Sie bilden den Kern seiner Unterstützung. Alle anderen Gruppen neigen eher zu seinem wahrscheinlichen Nachfolger, insbesondere auch die Modem-Wählenden aus dem politischen Zentrum.

Mit der neuen Methode hat IfOP auf die Herausforderungen der Instant-Analysen via Internet-Befragungen reagiert. Zudem wollte man Ereignis-Anlaysen betreiben. Ersteres ist gelungen; die Web-Seite von Paris-Match, welche die Resultate exkulisv präsentiert, wird gut frequentiert. Zweiteres hat bis jetzt kaum etwas gebracht, aber eigentlich eher deshalb, weil es an wirklichen Ereignissen im Wahlkampf fehlte.

Gross sind die Unterschiede zu den Resultaten mit der bisher verwendeten Methode übrigens nicht. Vielleicht sind die Ergebnisse von IfOP ein Pulsschlag rechter als die der anderen Institute. So sah die Erhebung von BVA, die ebenfalls heute veröffentlicht wurde, François Hollande selbst im ersten Umfang knapp vorne. (Heute doppelt CSA nach und sieht Sarkozy ebenfalls schon von Beginn weg in Rücklage).

Claude Longchamp

Fünf Gründe dafür, dass eine Volksinitiative in der Umsetzung scheitern kann

Adrian Vatter, Direktor des Instituts für Politikwissenschaft an der Uni Bern, schaut auf die Gründe, warum (in der Schweiz) die Umsetzung von Volksinitiativen harzt. Die NZZ, die den Beitrag gedruckt hat, bringt ihn leider nur print.

Fünf Gründe hat Adrian Vatter aufgrund einer Studie seiner Mitarbeiterin Bettina Stauffer eine harzige Umsetzung angenommener Volksinitiativen identifiziert:

. eine knappe Zustimmung in der Volksabstimmung;
. eine deutliche Ablehnung im Parlament;
. hohe Umsetzungskosten
. (juristische) Unklarheiten bezüglich der Bedeutung zentraler Begriffe und
. eine Nicht-Vereinbarkeit mit dem Völkerrecht.

Aktuelles Beispiel ist die Zweitwohnung-Initiative. 4 der 5 Kriterien erfüllt sie: Einzig aus der völkerrechtlichen Sicht gab es weder im Vornherein noch im Nachhinein keine Einwände; dafür kumulieren sich die anderen Ursachen gleich mehrfach:

Die Volksabstimmung ging mit 50,6 Prozent Ja und 13,5 (von 23) Kantonsstimmen denkbar knapp aus.
. Im Nationalrat waren 61 dafür, 123 dagegen; und im Ständerat votierten 10 für die Sache, die von 29 Kantonsvertretern abgelehnt wurde.
. Zwar sind die Umsetzungskosten nicht bekannt, alle gehen aber davon aus, dass sie vor allem in den betroffenen Regionen erheblich sind.
. Schliesslich hat auch der vor allem juristisch entfachte Streit, bis oder ab wann eine nicht-bewohnte Wohnung eine Zweitwohnung ist gezeigt, das eine der Hauptbegriffe interpretationsbedürftig ist – ganz unabhängig vom gegenwärtigen politischen Streit, ob die 20 Prozent Limite für Beweiligungen ab sofort oder ab Ende Jahr gilt.

Der Hintergrundsbeitrag in der NZZ zählt zahlreiche weitere Beispiele auf, deren Umsetzung ebenfalls Schwierigkeiten bereitete: vom Preisüberwacher bis hin zur Ausschaffungsinitiative gibt es eine ganze Reihe, die den Fallen nicht entgingen – allen voran die Alpen-Initiative.

Die AutorInnen fassen das so zusammen: “Eine Volksinitiative hat nach der ersten grossen Hürde der Annahme durch das Volk (und die Kantone, cal) noch lange nicht alle Hindernisse überwunden, sondern steht erst am Anfang. (…) Entscheidend ist der politische Wille beim Bund und vor allem auch in den betroffenen Kantonen.”

Man kann es damit bewenden lassen; man kann aber auch darüber hinaus gehen. Denn letztlich bedeutet das nichts anders, als Volksentscheidungen dann auf Schwierigkeiten in der Umsetzung stossen, wenn es einen institutionell gut verankerten, verweigerungsfähigen Akteur gibt. Darauf sollten sich Initianten gleich zu Beginn einstellen, denn die Wahrscheinlichkeit , auch im Vollzugsprozess bestehen zu müssen, sind parallel zur jüngst gestiegenen Zahl Volksinititiven, die angenommen wurden, zugenommen.

Claude Longchamp