Schwarz und weiss – oder fliessende Uebergänge

Alles ist im Fluss, sagte Heraklit von 2500 Jahren. Das Wasser bewegt sich, reagiert auf das Gefälle, die Steine und den Wind. Und dennoch: Der Fluss behält Konturen, folgt seinem Bett, schwillt im Frühling an und trocknet im Sommer aus. Selbst wenn sich Vieles bewegt, sind wir in der Lage, die Richtung der Flüsse zu erkennen – sehr wohl im grossen Ganzen, auch wenn die Details immer wieder für Ueberraschungen gut sind.

Literaturclub vom 18.10.2011
Cafe Postgass in Bern, wo ich für den Literaturclub meine Bettlektüre fürs Wochenende vorgestellt habe …

Ich war erstaunt, wie in den letzten zwei, drei Wochen, alles was ich gesagt habe, zur unabänderlichen Vorhersage wurde, schwarz auf weiss, ohne fliessende Uebergänge. Geheuer ist mir die mediale Konstruktion der Prognose nicht. Denn sie erhöht das, was man weiss, um das, was man nicht wissen kann.

Da habe ich es geschätzt, dass mir der Literaturclub des Schweizer Fernsehens fünf Tage vor der Wahl eine carte blanche gegeben hat, um ein Buch meiner Wahl vorzustellen. Spontan habe ich zu “Geschichte der Schweiz – einmal anders” gegriffen.

Verfasst wurde das belesene und geistreiche Bändchen von Joelle Kuntz, einer Westschweizer Historikerin, heute als Kolumnistin bei Le Temps tätig. Sie kennt die Deutschschweizer Geschichtsschreibung à fonds, negiert sie nicht, dekonstruiert sie aber als Teil der grossen Mythenbildung. Dem Selbstbewusstsein der Schweiz im Spiegel stellt sie die Strukturen des Landes gegenüber, die die Ueberhöhungen korrigieren, sie mit Tiefe versehen.

Deshalb ist die andere Geschichte der Schweiz eine der Städte, eine des Geldes, eine des Schreibens, die im Urbanen entstehen. Den Nabel der Schweiz findet sie nicht an den Gestaden des Vierwaldstättersees, jedoch in Genf, in Zürich, in Bern. Zürich ist die Lunge der Schweiz, die atmet und den Körper mit frischer Luft versorgt. Bern ist der Kopf, der entscheidet, was richtig und was falsch ist. Und Genf ist die Geburt von Wirtschaft und Staat. Denn die moderne Schweiz, so die These von Kuntz, ist mit der Reformation entstanden, dem Entstehen eines städtisch-bürgerlichen Bewussstseins, das sich von dem katholisch-halbfeudalen der Vorzeiten abgrenzte, das den Landklöstern urbane Kirchen gegenüber stellte, das sich mit dem Kapitalismus verband, der das enge auf sich konzentrierte zur Welt öffnete.

Es wäre zu einfach zu denken, Kuntz sei eine eingebildete Dame aus dem weltgewandten Genf. Wer sich durch die leicht lesbaren 250 Seiten des Buches ziehen lässt, spürt, dass da eine Historikerin über die Schweiz schreibt, die weiss, von was sie spricht, sich aber den Blick durch die bisherige Geschichtsschreibung nicht versperren lässt. Genau deshalb habe ich das Buch ausgewählt, um es in 90 Sekunden zu porträtieren. Denn nicht das Vorherrschend-Eindeutige macht die Schweiz so spannend, sondern das Vielseitig-Paradoxe, das in der Geschichte so oft oszilliert hat, und es auch in der Gegenwart immer wieder tut. Oder im Gefolge Heraklits: Nicht Alles ist im Fluss, aber Einiges bewegt sich. Auch jetzt!

Claude Longchamp

Wahlbörsen zu den Ständeratswahlen teilweise in Bewegung

Seit Start der Wahlbörsen haben die bürgerlichen ZentrumskandidatInnen eher ehtwas zugelegt. Dennoch erwarten die Traders gerade hier Verluste im Vergleich zu 2007.

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Die Wahlbörsen zu den Ständeratswahlen finden eine wachsende Aufmerksamkeit. An jener im Kanton Zürich beteiligen sich zwischenzeitlich 246 HändlerInnen. Von den 13 offen Märkten haben nur 3 weniger als 100 Traders – Uri, Tessin und Waadt.

Seit meiner letzten Zwischenbilanz hat sich nicht alles verändert, einiges aber schon.
. Im Kanton Zürich ist SP-Kandidat Hardegger vom 1. auf den vierten Platz zurückgefallen. Knapp vorher kommen Diener (GLP), Blocher (SVP) und Gutzwiller (FDP).
. SP-Kandidat Cavalli ist im Kanton Tessin vom 1. auf den dritten Rang abgerutscht. Vor ihm liegen neu Lombardi (CVP) und Morisoli (Lega).
. Im Kanton Uri hat SVP-Bewerber Planzer den Spitzenplatz abgeben müssen. Neu sind Stadler (GLP) und Baumann (CVP) vor ihm.
. Kleiner Aenderungen zeichnen sich im Kanton Aargau ab, wo gegenwärtig Giezendanner (SVP) vor Egerszegi (FDP) zu liegen käme.
. Im Kanton Thurgau hat zudem CVP-Bewerberin Häberli-Koller SP-Kandidatin Graf-Litscher überholt.

Keine der Bewerbungen, die nicht schon vor Wochenfrist über dem absoluten Mehr war, ist es heute. Umgekehrt gilt, keine der Kandidaturen, die darüber lag, ist nur unter dem Strich. Sehr nahe ist allerdings Pirmin Bischof im Kanton Solothurn. Da kann man nicht entscheiden, was Sache ist.

Uebers Ganze gesehen hat sich damit eine vorläufig Stabilität eingestellt. Die Ansichten der Trader-Gemeinschaft zu den Ständeratswahlen sind nicht abschliessend, aber weitgehend gemacht. Generell haben die bürgerlichen ZentrumskandidatInnen etwas Boden gut gemacht, meist zulasten der SP oder der SVP. Nur Giezendanner im Aargau trotzt diesem Trend.

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Stand: 18. Oktober 2011

Was die Wahlbörsen zu den Ständeratswahlen Wert sind, ist schwer einzuschätzen, denn der Test wird erstmals gemacht. Am Sonntag abend weiss man einiges mehr. Dann wird sich auch zeigen, ob die übergeordneten Erwartungen stimmen. Gemäss dieser separaten Wetten würden, ähnlich wie im Nationalrat, CVP und FDP verlieren (je drei Mandate Minus), am meisten an die SVP (+3) resp. etwas an SP, GPS und GLP (je +1). Das spricht, wenn es sich bewahrheitet, für eine zunehmende Polarisierung – und für einen Mehrheitsverlust von CVP und FDP.

Claude Longchamp

Harmonisierung statt Polarisierung

Die letzte Woche vor den Parlamentswahlen ist angebrochen – das ist auch die Woche des Blicks von aussen auf die Schweiz. Eine kleine Bilanz zum Gespräch mit der ORF.

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Raphaela Stefandl, bekannte Moderatorin von “Vorarlberg-heute”, ist seit kurzem neue ORF-Korrespondentin für die Schweiz. Das Geschehen beobachtet sie vom grenznahen Dornbirn aus. Heute war sie bei mir in Bern.

Natürlich ging das Gespräch um die Wahlen – und um den Wahlkampf. Ihre These war, der starke Schweizer Franken laste über dem Land. Was bisher ein Vorteil war, kehre sich nun in einen Nachteil. Das hätten die SchweizerInnen kurz vor der Wahl begriffen, weshalb sie im Kampf um die Parlamentssitze nicht aufs Aeusserste setzten, sondern das gemeinsame Interesse betonten.

Da konnte ich nur nicken. Philipp Hildebrand, unser Nationalbank-Präsident, sei zum einflussreichsten Wahlkämpfer geworden, fügte ich bei. Zur vorherrschenden Polarisierung der Politik zwischen rechts und links EWR-Beitritt, habe er, erstmals in einem Wahlkampf, eine Art Harmonisierung geschaffen. Zwar sei die Politik der Nationalbank anfangs des Jahres erheblich ins Kreuzfeuer der Kritik geraten. Christoph Blocher, sekundiert von der Weltwoche, haben sie attakiert, weil man in den rechtskonservativen Kreisen die Intervention beim Wechselkurs für unnötig hielt. Doch dann schwoll der abgehobene Diskurs zum breiten Politikum an. Von der SP eingebracht, drehte sich die Diskussion um die Anbindung des Schweizer Frankens an den Euro. Sekundiert wurde die Linke nicht nur durch Gewerkschaften und Konsumentenschutz; auch die Exportindustrie und der Tourismus machten sich Sorge zur drohenden Arbeitsplatzverlagerung ins Ausland oder den Rückgang der Umsätze. Schliesslich kam es zum Kurswechsel beim Wechselkurs: Nationalbank und Bundesrat entschieden sich, einen Wechselkurs von 1.20 zwischen Franken und Euro mit allen Mitteln zu verteidigen – und beruhigten damit die Lage. Parteipolitische Potenziale für den Wahlkampf bot diese Frage kaum mehr.

2007 war das alles noch anders. Wirtschaftsfragen spielten im Schweizer Wahlkampf keine nennenswerte Rolle. Es dominierten Sicherheitsfragen, rund um die AusländerInnen, die seitens der SVP für die Kriminalität in der Schweiz verantwortlich gemacht wurden. Die Initiative der Nationalkonservativen traf den Zeitgeist und verstärkte ihn, weil sich alle damit und ihrer Symbolisierung mit dem Schäfchenplakat beschäftige. Schliesslich resultierte ein toller Wahlerfolg für die SVP. 2011 war die Einwanderung zwar erneut die Vorgabe der SVP, doch mobilisiert das Thema vor allem nach innen. Das Klima des Wahlkampfes prägten andere Momente: der Atomunfall in Fukushima zuerst, der starken danach und schliesslich der erneute Milliardenverlust der UBS. Keines dieser Ereignisse war geplant, jedes hatte seinen Ursprung im Ausland, wirkte sich aber auf die Befindlichkeit in der Schweiz aus.

Immerhin, ergänzte ich, wenn der Wahlkampf diesmal weniger kontrovers gewesen sei als noch vor 4 und 8 Jahren, habe das auch innenpolitische Ursachen. Die Linke habe nicht mehr auf jede Provokation der Rechten reagiert, denn das habe regelmässig Medienaufmerksamkeit für die SVP-Themen erzeugt. Bei den Zürcher Kantonalwahlen habe man dieses Verhalten erstmals angewendet – mit Erfolg, denn SP und GPS hielten sich, während die SVP erstmals in ihren neuen Hochburgen eine Wahl verlor. Unterstützt worden sei dies durch das Auftreten zweier neuer Parteien, der GLP und der BDP, die, bei übertriebenem Drehen an der Spirale des extremen Positionswahlkampfes für moderate WählerInnen rechts und links ein denkbares Auffangbecken darstellten. Einzig die Kämpen der Jungparteien, fällt mir beim Schreiben dieses Beitrags auf, duellierten sich nach vergangener Art, unterstützt von der Boulevardpresse und gewissen Internetforen, die Gegenwelten schufen, welche auch Vandalismus, besonders gegen Wahlplakate, beförderten.

Mein Gast schrieb eifrig mit, führte das Interview darauf aufbauend, sodass ich gespannt bin, was, voraussichtlich am kommenden Donnerstag, in der österreichischen ZiB2 gesendet werden wird.

Claude Longchamp

Wahlbeteiligung von Tag zu Tag

48,3 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich 2007 an den Nationalratswahlen. 9 von 10 wählten nicht mehr an der Urne, sondern mit der Post. Bei Weitem nicht alle machten das aber vorzeitig, viele zögerten bis gegen den Schluss. Eine Zwischenbilanz zu 2011.

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An diesem Freitag lag, gemäss NZZ am Sonntag, die Wahlbeteiligung in den Städten Zürich, Bern und Genf höher als gleich viel vor den Eidgenössischen Parlamentswahlen 2007. Nur in Basel war sie tiefer als damals. Das alles spricht für eine insgesamt vergleichbare Wahlteilnahme wie bei den letzten Erneuerungswahlen für das Schweizer Parlament.

In die gleiche Richtung gehen auch die letzten Informationen aus den Wahlbeobachtungen: Sowohl das Wahlbarometer der SRG SSR als auch die SRF-Wahlbörse rechnen mit einer Beteiligung 49 Prozent der Wahlberechtigten.

Die briefliche Stimm- und wahlabgabe ist zwar fast überall zum Standard geworden. 9 von 10 nutzen diese Form. Doch wird nicht durchwegs vorzeitig gewählt. Nirgends kann man das besser beurteilen als im Kanton Genf. Denn da veröffentlicht die Staatskanzlei neuerdings Tag für Tag die vorläufigen Werte für die Wahlbeteiligung. Am Samstag dieser Woche lage sie bei 19 Prozent – mit einem mittleren täglichen Zuwachs von rund 4 Prozentpunkten. 2007 beteiligten sich rund 47 Prozent der GenferInnen an den Wahlen.

Hauptgrund dafür, dass man mit der Wahlabgabe zuwartet, ist die Entscheidungsambivalenz. Je ausgeprägter sie ist, desto länger wartet man mit dem definitiven Ausfüllen. Bei Schweizer Parlamentswahlen sind das eher die Entscheidungen beim Ständerat und die Personenentscheidungen im Nationalrat. Sie werden meist später gefällt als der digitale Entscheid, welche Partei(en) man unterstützen will.

In gut einer Woche wissen wir, was daraus wird!

Claude Longchamp

Kantonale Umfragen zu den Wahlen: Tessin überrascht gleich mehrfach

Die Wahlen vom 23. Oktober 2011 werden in den Kantonen ausgezählt, wo auch die Sitzverteilungen vorgenommen werden. Das macht kantonale Umfragen interessant; sie sind aber auch mit Risiken verbunden – wie die jüngste im Kanton Tessin zeigt.

8 NationalrätInnen hat der Kanton Tessin. Gegenwärtig kommen 3 von der FDP (28%), je 2 von der CVP (24%) und SP (18%), und 1 Vertreter stellt die Lega (14%).

Das soll alles anders werden, sagt eine am Mittwoch veröffentlichte Umfrage von ad hoc information. Die Rede ist neu von je 2 Sitzen für FDP (23%), CVP (19%) und Lega (16%), während SP (15%) und SVP (13%) auf je einen kommen würden. Erneut ohne Nationalrat blieben die Grünen. Perfekt wäre die Sensation, denn die Erhebung sieht bei der FDP den schweizerischen Parteipräsidenten Fulvio Pelli nur auf Platz 3, hinter Nationalrat Iganzio Cassis und verdrängt vom vormaligen Präsidenten der Kantonalpartei, Giovanni Merlini.

Am Donnerstag nun doppelte das Giornale del Popolo mit Ergebnissen zu den Ständeratswahlen nach. Demnach kommt es im 1. Wahlgang zu einem eigentlichen Patt: In Führung liegt der Kandidat der Lega, Sergio Morisoli (25%), gefolgt von Fabio Abate (24%), Franco Cavalli (ebenfalls 24%) und dem Bisherigen Ständerat, Filippo Lombardi (23%). Das macht einen zweiten Wahlgang für beide Sitze wahrscheinlich.

Das alles verblüffte dieser Tage nicht nur die politische Oeffentlichkeit, überrascht sind auch die Demoskopen. Spärlich sind die verpflichtenden Informationen, zu dem, was gemacht wurde. Nicht nachvollziehbar sind die Angaben zu den Chancen der Personen. Das Datum der Befragung wird nicht bekannt gegeben, ist aber entscheidend. Immerhin, von 1000 telefonisch Befragten TessinerInnen ist die Rede. Das ergäbe eine Fehlerquote von +/-3.5 Prozentpunkten. Die Projektion von Parteistärken auf Sitze mag zwar gerade auf kantonaler Ebene interessant sein, ist aber bei so engen Verhältnissen ausgesprochen riskant – und gänzlich unüblich.

Claude Longchamp

Als ob besonders junge Frauen nicht wählen wollten.

Zu den Resultaten, welche die Selects-Studie zu den Wahlen 2007 hervorgebracht hat, gehört, junge Frauen würden, ganz anders als junge Männer, vermehrt nicht wählen. Kurz vor der Wahl die vier Jahre alten Ergebnisse zu repetieren, kann trügerisch sein.

Zuerst: Die Wahlbeteiligung ist in der Schweiz ist im internationalen Vergleich tief. Wie sind halt Fans der Abstimmungsdemokratie und der Entscheidung aus Interesse, weniger der Wahldemokratie und der BürgerInnen-Pflicht.
Sodann: Die Wahlforschung zeigt seit vielen Jahren, die Beteiligung an Wahlen hängt stark vom Alter ab. Sie nimmt im Schnitt bis zum 70 Altersjahr zu, verringert sich dann aus gesundheitlichen Gründen. Bei den jüngsten Wahlberechtigten, den 18-29jährigen, klafft aus ganz anderem Grund eine grosse Beteiligungslücke: Eine Disposition, sich politisch regelmässig zu äussern, besteht nicht. Abstimmen aus Betroffenheit mag gehen, Parteipolitik ist einem eher fern.

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Die Selects-Nachbefragung 2007 legt zudem nahe, dass ein grosser Unterschied zwischen jungen Männern und jungen Frauen besteht. Mehrfach wurde darauf hingewiesen, das die Differenz wurde als Folge der Polarisierung gedeutet, die besonders Frauen von der Politik abhalten würde.

Eine Spezialauswertung der aktuellen Wahlbarometer-Daten hierzu zeigt, das dem nicht so ist. Zwischen den Beteiligungsabsichten von jungen Frauen und jungen Männern gibt es keinen Unterschied. Gut zwei Wochen vor der Wahl wollen rund ein Viertel der unter 30jährigen Frauen und Männer an der anstehenden Wahl teilnehmen. Tendenz steigend – oder anders gesagt: Der Wert bis zum Wahltag kann auch höher sein.

Die Wahlbarometer-Daten widerlegen die Annahme einer dauerhaften und gleichgerichteten, geschlechterspezifischen Diffferenz in den Beteiligungsabsichten. Vielmehr zeigen sie, dass das vorherrschende Thema die Teilnahmebereitschaften der jungen BürgerInnen geschlechtsspezifisch beeinflussen: Wenn über Masseneinanderung diskutiert wird, spricht das mehr die jungen Männer an. Wenn es um den Ausstieg aus der Kernenergie geht, bewegt das die jungen Frauen mehr. Seit keines der Themen mehr dominiert, haben die Beteiligungsbereitschaften unter den jungen BürgerInnen keinen geschlechtsspezifischen Charakter mehr.

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Deshalb lanciere ich eine Gegendarstellung: Generelle geschlechtsspezifische Stereotyp zur politischen Partizipation zu bemühen, ist nicht nötig. Politische Beteiligung der jungen Menschen ist situativ, und hängt vom vorherrschenden Thema an. Das man mehr machen sollte, um die nachfolgenden Generationen in die Politik einzubeziehen, ist ganz allgemein gut. Es ist allerdings nicht nur ein Probleme der ganz jungen BürgerInnen!

Claude Longchamp

Szenarien für die Bundesratswahlen vom 14. Dezember 2011

Gegenwärtig bin ich häufiger Gast in ausländischen Botschaften. Mit schöner Regelmässigkeit erwartet man von mir Auslegeordnungen zu den anstehenden Bundesratswahlen. Hier meine Kernbotschaften.

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Niemand weiss, was am 14. Dezember 2011 geschieht. Weil die Bundesversammlung den Bundesrat wählt. Und die Wahl der neuen Bundesversammlung am 23. Oktober 2011 erst beginnt und mit den zweiten Wahlgängen für den Ständerat am 30. November 2011 endet. Die neue Zusammensetzung des Nationalrates kann man noch einigermassen erahnen, die des kommenden Ständerates ist unklarer.

In solchen Situation verzichtet man am besten auf jegliche Prognose. Machbar aber sind aber Szenarien: mögliche Zukünfte, bei denen man zwischen Wünschbarkeit und Wahrscheinlichkeit unterscheidet. Wissenschaftlich von Belang ist nur die Ausprägung möglicher Szenarien, verbunden mit ihrer Probabilität. Entscheidungen zur Wünschbarkeit sind Sache der Politik.

Ich halte (gegenwärtig) fünf Szenarien für hilfreicht; einigermassen realistisch sind drei, wobei zwei noch je ein Subszenario beinhalten:

erstens der Status Quo,
zweitens die Rückkehr zur alten Zauberformel und
drittens die Neudefinition der Regierungskonkordanz.

Status Quo
Beim Status Quo geht man vom Machterhalt aus. Das ist die normalste Logik bei Bundesratswahlen. Es bleibt alles wie es ist. Veränderungen in der parteipolitischen Zusammensetzung sind erst bei Rücktritten angesagt. Und auch dann nur, wenn sich das Parteiegefüge nachhaltig verändert hat. An diesem Szenario interessiert ist vor allem die BDP. Sukkurs erhält sie von der CVP. Auf Status Quo setzen aber auch SP und FDP, denn sie könnte je einen Sitz verlieren. Kein Interesse an dieser Variante hat die SVP. Die sie bliebe bis auf Weiteres halb drinnen und halb drassen. Allerdings, die SP risikiert am meisten, denn sie hat die Nachfolge von Micheline Calmy-Rey im Bundesrat zu regeln. Um diese geht es im letzten Wahlgang. Das ist der Moment aller Wadenbeisser, die sanktionslos zuschlagen können. Ohne Absicherung bei den anderen Parteien wird das für die SP zur Zitterpartie, denn die SVP hat bereits angekündigt, dass sie ihren zweiten Sitz notfalls auch gegen die SP holen wolle.

Alte Zauberformel
Das macht ein vorgängiges Arrangement der interessierten Parteien denkbar. Gefordert sind vor allem SVP und SP, allenfalls auch FDP. Die drei (voraussichtlich auch inskünftig) wählerstärksten Parteien in der Schweiz könnten sich auf die alte Zauberformel einigen. Sie bekämen je zwei VertreterInnen im Bundesrat, die vierte Partei einen. Damit wird das machtpolitische Gerangel beseitigt. Allerdings wäre das auch das Ende der kleinen BDP als Bundesratspartei, und Eveline Widmer-Schlumpf würde abgewählt oder würde sich im letzten Moment zurückziehen. Hauptinteressent an dieser Variante ist die SVP, Denn die Parteienlandschaft hat sich seit 1959, als diese Regel erfunden wurde, massgeblich verändert. Die SVP ist stark gewachsen, die FDP und die CVP sind stark geschrumpft. Neu hinzugekommen sind die Grünen. Das liefert denn auch den Haupteinwand: die 2:2:2:1 Formel findet in der Parteienlandschaft keine wirkliche Entsprechung mehr. Das Subszenario käme dann zum Tragen, wenn die CVP die FDP im Nationalrat überholen sollte. Dann würde nicht nur die BDP-Bundesrätin über die Klinge springen müssen, auch ein FDP wäre dann gefährdet. Das gäbe der CVP die Möglichkeit, der BDP eine Fraktionsgemeinschaft anzubieten, ihre Bundesrätin zu belassen um dereinst den Sitz zu erben. Die SVP würde dann zulasten der FDP bedient. Im Hauptszenario hat die SP ein Problem, denn bei 2 SVP und 2 FDP wäre die Mehrheit, die den Ausstieg aus der Kernenergie hergestellt hatte, nicht mehr gegeben. Die SP würde den Vorwurf riskieren, den eigenen Machterhalt über die Sachpolitik gestellt zu haben.

Neue Regierungskonkordanz
Das dritte Szenario geht davon aus, dass die Regierungskonkordanz neu definiert werden muss. Die Proportionalität der Regierungszusammensetzung würde erhöht, wenn die BDP nicht mehr vertreten wäre, die SVP mit einem zweiten Sitz bedient würde, die FDP aber einen an die Grünen (und da an die GPS) abtreten müsste. Der zweite Wahlgang bei den Bundesratswahlen, der zu Eveline Widmer-Schlumpf liefe genau gleich ab wie im zweiten Szenario, doch dann käme es bei der Wiederwahl eines der beiden FDP-VertreterInnen zu einer neuerlichen Wende: Sollte die FDP die Parlamentswahlen klar verlieren, die CVP nicht wirklich gewinnen, Rotgrünschwarz aber eine Mehrheit in der Bundesversammlung haben. wäre ein solcher Ausgang denkbar. Er hätte den Vorteil, dass die Regierungsmehrheit weiterhin von Parteien gebildet würde, die in Sachen Kernenergie ausstiegswillig sind. Ein wenig wahrscheinliches Subszenario hierzu wär, dass sich die abgewählte Eveline Widmer-Schlumpf gegen die FDP austellen lasse würde, wofür aber SP, CVP, BDP und GLP eine Parlamentsmehrheit bräuchten. Denn die GPS dürfte einem solchen Vorgehen kaum zustimmen, ist aber Hauptnutzniesserin der Neudefinition der Regierungskonkordanz.

Andere Szenarien
Selbstredend gibt es auch noch weitere Szenarien: eine Regierung ohne SP oder ohne SVP. Doch das wäre der definitive Bruch mit der Regierungskonkordanz. Die Rückkehr zur Zauberformel, 2009 und 2010 bei den damaligen Bundesratswahlen angelegt, wäre die theoretisch reinste Form Konkordanz. Der Verbleib beim Status Quo würde die SVP vor den Kopf stossen, was man zu mindern versuchen könnte, indem der Sitz der BDP beim Rücktritt von Widmer-Schlumpf an die SVP ginge. Die neuen Konkordanzformel hängt in erster Linie vom Wahlergebnis ab. Mit dem wird man auch die Wahrscheinlichkeit der Szenarien bestimmen können.

Uebergeordnete Prinzipien bei der anstehenden Wahl sind die Stabilität des Landes, die Abbildung der politischen Kräfte und die Bestückung der Regierung mit fähigen PolitikerInnen. Das führt fast zwangsläufig zur letzte Frage, die mir in Botschaften regelmässig gestellt wird: Wer wird neu das Aussenministerium leiten? Das ist gar nicht vorhersehbar, pflege ich zu antworten – und mit dem Hinweise zu ergänzen, es sei auch gar nicht so wichtig. Denn anders als in geführten Regierungen, wie der oder die AussenministerIn in der Regel die Nummer 2 der Regierung ist, ist das Prestige des Postens in der Schweiz deutlich tiefer. ChefIn im EDA zu werden, ist eigentlich nur für den Chef im VBS ein Aufstieg.

Claude Longchamp

Wahlbörsen: Zwischenbilanz zu den Ständeratswahlen

Ich war heute in Bern einkaufen. In der Hauptstadt begegnete man zahlreichen KandidatInnen bei den anstehenden Parlamentswahlen. Ständeratsbewerber Hans Stöckli, vormaliger SP-Stadtpräsident in Biel/Bienne, führte Strassenwahlkampf. Und wollte wissen, ob man der Wahlbörse von SRF trauen kann. Hier meine Antwort.

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Zunächst: Wahlbörsen gehören seit 1988 zu Wahlkämpfen. Erfunden wurden sie an der University of Iowa in den USA. Sie haben sich als Informationstool zum Stand der Meinungsbildung zu Parteien und Kandidaten nebst Wahlumfragen etabliert. Theoretisch basieren sie auf der liberalen Annahme, dass Märkte Informationen effizient und genau verarbeiten, denn Marktteilnehmender wollen keines Falls gewinnen, idealerweise gewinnen. Deshalb informieren sie sich umfassender als andere, bilden sich nicht nur eine eigene Meinung, sondern reflektieren auch, was die öffentliche Meinung ist.

Sodann: Wahlbörsen sind nicht geeignet, die klassischen Fragen der Umfrageforschung zu beantworten. Diese lassen sich mit der www-Formel zusammenfassen: Wer (wählt) wen warum? Wahlbörsen eigenen sich aber, um die Frage zu beantworten; Wer gewinnt, wer verliert. Und das nicht nur für sich selber, sondern als Wette mit anderen.

Die SRF-Wahlbörse funktioniert nach diesen Prinzipien. Die Gewinnaussichten sind indessen marginal. Und der Geldeinsatz ist symbolisch. Man kann es auch so sagen: Die Eintrittsschwelle ist unüblich tief. Das eröffnete SpielerInnen, die Freude am Gamblen haben Tür und Tor. Auch politisch Interessierten, die als Gruppe versuchen, die Börsen zugunsten ihrer FavoritInnen zu manipulieren.

Angesichts der Teilnehmendenzahlen bei den Börsen zu den Ständeratswahlen wiegt das umso schwerer, als die Wettgemeindschaften klein (geblieben) sind. Im Schnitt beteiligen sich rund 100 Personen an den Wahlbörsen. Das ist zwar nicht einfach wenig, Missbrauchsmöglichkeiten können aber nicht ausgeschlossen.

Die Grundaussage, die aus den Wahlbörsen zu den Ständeratswahlen entsteht, ist meines Erachtens nicht einfach falsch. Sie ist eine Diskussionsgrundlage. Wie genau so ist, wird sich erst erweisen, wenn der erstmalige Test abgeschlossen ist und die Kurswerte der KandidatInnen anhand der effektiven Ergebnisse evaluiert werden können. Nimmt man die vorläufigen Resultate zwei Wochen vor dem 1. Wahlgang zum Nennwert, kann man Folgendes festhalten:

Erstens, in vielen Kantonen kommt es zu zweiten Wahlgängen. Diese erscheinen in den grossen und mittleren Kantonen als Normalfall.
Zeitens, bisherige können nicht einfach damit rechnen, auf Anhieb wieder gewählt zu werden. Es sind sogar einzelne Abwahlen denkbar, wie das Beispiel Uri nahelegt.
Drittens, in den meisten Kantonen mit Konkurrenz hat es 3 bis 4 ernsthafte Bewerbungen, die es auf 30-40 Prozent der Stimmen bringen könnten.
Viertens, die Allianzbildung für den zweiten Wahlgang wird entscheidend sei, wie die kleine Kammer in der nächsten Legislatur aussieht.

Bedenken bestehen also. Ein besseres Informationstool als das gegenwärtige gibt es zu den Ständeratswahlen indessen nicht.

Mit den Schlussfolgerungen war Hans Stöckli jedenfalls sichtbar zufrieden.

Claude Longchamp

Nationalrat: Was uns die verschiedenen Informationstools zum Wahlausgang sagen

Am Donnerstag war ich in Zug. An der Kantonssschule. Im Rahmen einer Studienwoche für 17jährige GymnasiastInnen hielt ich einen Vortrag über Wahlanalysen. Dabei ging es mir unter anderem darum, über Möglichkeiten und Grenzen der Wahlprognose bei Nationalratswahlen zu berichten.

J. Scott Armstrong, der einen dicken Wälzer über Principles of Forecasting geschrieben hat, kommt zu einem wesentlichen Schluss: Kein noch so entwickeltes Prognosetool ist perfekt. Am besten verwendet man deshalb mehrere Instrumente nebeneinander, um zu vergleichen, was sie ergeben. Gemeinsame Ergebnisse sind wahrscheinlicher. Divergente sind Zeichen für Vorsicht.

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Anahnd der verschiedenen Informationstools zu den Nationalratswahlen in 14 Tagen kann man das wie folgt ausführen.

Bisher gibt es: Kantonale Wahlübersichten, WählerInnen-Befragungen und Wahlbörsen.

Wahlübersichten haben einen Vorteil. Sie beziehen sich auf effektive Wahlen. Ebenso gewichtig ist ihr Nachteil. Sie liegen zwischen 6 Monaten und über 40 Monaten zurück. Zudem sind die Angebote unterschiedlich, es variiert teilweise das Wahlrecht, und vor allem die Beteiligung ist ungleich. Wahlbefragungen sind da aktueller. Ihre Qualität hängt aber vom Zugang zur gesamte Wählerschaft ab (zum Beispiel auch zu AuslandschweizerInnen), und sie können durch eine selektive Auskunftsbereitschaft in ihrer Aussagegenauigkeit beeinträchtigt werden. In der Schweiz ist 10 Tage vor der Wahl Schluss mit der Publikation von Umfragen. Das ist dann die Zeit der Wahlbörsen, die bis zum Wahltag gemacht werden (dürfen). Sie basieren auf der Weisheit der Schwärme, der Kollektive, die interagieren. Ihre Prognosegüte hängt von der Zahl der Teilnehmenden ab. Je geringer sie ist, desto eher können einzelne Vögel den Schwarm irreführen.

2007 haben sich, wie es Armstrong sagte, alle Instrumente einigermassen bewährt. Die Kantonsanalyse unterschätzten die CVP, die sie im Wahljahr aufbäumte. Die Wahlbörsen waren bei grossen Parteien gut, bei kleinen aber schlecht. Die Wahlbefragungen waren insgesamt korrekt, überschätzten die SP aber etwas, und bildeten die Stärke der SVP nicht hinreichend genug ab. Die Effekte der letzten Tage, vor allem die Krawalle in Bern, die der SVP genützt haben, wurde als wichtigste Begründung hierfür erwähnt.

Und 2011? – Die aktuellen Tools haben drei Gemeinsamkeiten: Es legen BDP und GLP zu. Es verliert die FDP. Allenfalls auch die CVP. Die Grünen halten sich. Und unklar ist der Ausgang bei SP und SVP, denn die Instrumente widersprechen sich hier. Kantonsanalyse sehen die SVP auf der Plusseite, anders als die SP, die eher verliert, während Umfragen und Börsen tendenziell vom Gegenteil ausgehen.

Politisch gesprochen kann man sagen: Alle Hinweise, die wir heute haben, sprechen von einer Verstärkung der Mitte, allerdings neu auf drei Parteien aufgeteilt. Das relativiert die Polarisierung als bisher klarstes Interpretationsmuster deutlich. Noch ist unklar , ob die Polarisierung fortgesetzt wird, das heisst SVP und/oder Rotgrün zulegen oder nicht. Zwischenpositionen, wie die Mitte/Rechts-Position der FDP, haben es dagegen schwer, nachvollzogen zu werden.

LehrerInnen und SchülerInnen dankten mir für diese Klärung!

Claude Longchamp

PS:
Nur wenige Tage davor hielt ich einen ähnlichen Vortrag in St. Gallen. Das St. Gallen Tagblatt fasst meine Abwägungen unter dem Titel zusammen: “SVP verliert, SP gewinnt“. Soviel zur Zwangshaften Konstruktion einer Prognose durch gewisse Medien.

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“Treffpunkt Bundesplatz”, die grosse Plattform der SRG zu den Parlamentswahlen im Herbst 2011, gehört der Vergangenheit an. Ein guter Moment, um eine Bilanz zu ziehen.

Der Start war verhalten. Denn vor 10 Tagen war schlechtes Wetter – ein Killer für jede Freiluftveranstaltung, wie das beim Treffpunkt Bundesplatz der Fall war. Die SP, die sich an diesem Tag präsentierte, stand förmlich im Regen. Doch dann taute Politbern auf und erstrahlte in der herbstlichen Sonne, welche die Vorstellung der anderen 9 anderen grösseren und kleineren Parteien überstrahlte. Erst am letzten Tag zogen vorübergehend dunkle Wolken auf, wenigstens im übertragenen Sinne, denn die FDP beschwerte sich lauthals, im Parteienporträt schlecht weggekommen gewesen zu sein, sodass ein veränderter Film ausgestrahlt werden musste.

Im Zentrum der regulären Politikvermittlung kurz vor den Wahlen standen PräsidentInnen-Frühstücks im Radio, PolitikerInnen-Diskussionen im Fernsehen und Reden von Hoffnungsträger der Parteien auf dem Bundesplatz. aufgenommen wurde alles in den improvisierten Medienräumen der SRG SSR, zu sehen und zu hören war es jedoch im ganzen Land. 2 bis 3 Kantone waren zudem je einen mit Regierungsdelegationen, Folklore und Souvenirständen zu Gast. Spontan zur Musik aus der Bündner Herrschaft stiess Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf, um sie im Bad der Menschenmenge zu stärken, bevor in weniger als 3 Monaten über ihre politische Zukunft entscheiden wird.

Vom Fernsehen ins Bild gerückt wurden resp. durch das Radio zum Wort gekommen kam in den 10 Tages des Treffpunktes Bundesplatz eine grosse Zahl an Prominenz wie alt-Bundesrat Adolph Ogi, der frühere Staatssekretär Franz von Däniken, die Diplomatin Gret Haller und der Auslandjournalist Haig Simonian. Das gilt auch für zahlreiche ExpertInnen der Analyse von Finanzmärkten, der Lehre in Schweizer Geschichte oder der Lehre in politischer Kommunikation. Ja, zahlreiche Politikwissenschafter gaben sich in diesen 10 Tagen die Hand. Ich selber war ich in den vier Wahlarenen zu Migrationsfragen, zur Gesundheitspolitik, zum Ausstieg aus der Kernenergie und zu Ursachen und Folgen des starken Frankens.

Der Rahmen für alle diese Auftritte war würdig. Im südlichen Hintergrund das Bundeshaus, in dem die ParlamentarierInnen zum letzten Mal in der bestehenden Formation tagten, um rechtzeitig vor den Wahlen den Ausstieg aus der Atomenergie zu besiegeln, die integrierte Versorgungskette im Gesundheitswesen einzuführen und das Namensrecht für Verheiratete neu zu regelen. Auf der östlichen Seite stand die Schweizerische Nationalbank fest in der Brandung der Euro-Krise, welche die Schweiz reich und bedroht zugleich macht, ohne dass man das viel beschäftigten Präsidium viel gesehen hätte, während im Westen die 26 Brunnen, je einen Stand im Bundesstaat repräsentierend, die permanente Erneuerung der Kraft im Bundesstaat durch Wahlen darstellten. Im Norden schliesslich ging es fast nahtlos auf den Bärenplatz über, der an Zeiten erinnert, als die Eidgenossenschaft ihre Autonomie im Kaiserreich erlangte, in die italienischen Kriege aller Herren Länder verwickelt war, rasches Geld machte, was dann zur Reformation, der moralisch-sittlichen Gegenbewegung, führte.

Die Reaktionen, die ich hatte auf die ganze Veransaltung hatte, waren überwiegend positiv. Politik machte für einmal Freude. Angesprochen wurde man an jeder Ecke, und gegrüsst wurden man quer durch alle Reihen. Nicht immer sprach man von den Wahlen, aber immer öfter. Von Hoffnungen war die Rede, die politischen Konfrontation möge endlichen ihren Tiefpunkt durchschritten haben, sodass der Gedankenaustausch unter BürgerInnen und mit PolitikerInnen wieder mehr Beachtung geschenkt werden. Vor allem ältere Leute auf dem Platz schätzen es, dass ein Gemeinschaftsgefühl aufkam. Männer und Frauen jeden Alters spielten mit PolitikerInnen Schach oder klopften mit Mediengrössen einen Jass, und jüngere BürgerInnen genossen es, rasch auf ein Bier oder Cüpli vorbeikommen zu können, um einen Hauch von der anstehenden Entscheidung mitzubekommen.

Ich weiss, auf meinen Reisen durch die Schweiz in diesen Tagen bin ich auch negativen Stimmen begegnet. Die sagten, es sei zu viel, worüber man informiert werde. Es werde auch zu viel Propaganda gemacht. Das erzeuge Zwietracht unter (N)Eidgenossen. Davon zeugten die geteilten Reaktionen in der Presse. Ein ehemaliger Chefredaktor des Schweizer Fernsehens, jetzt bei der Konkurrenz tätig, sprach von einer penetranten PR-Offensive der SRG, welche die Politik in Sachen Online-Werbegelder auf ihre Sache ziehen wollen. Andere JournalistInnen wiederum lobten die Dichte an Informationen, die an interessierte Publikum gezielt vermittelt wurden. Meinerseits bekam ich erstmals einen Eindruck von der viel gepriesenen Konvergenz zwischen Senderarten, Landesteilen und neuen Medien. Vorbildlich empfand ich auf jeden Fall die schnelle und informativen Zusammenfassungen der Kernaussagen auf dem Bundesplatz auf Internet. So war man überall dabei, ohne dass man immer vor Ort sein musste!

Noch besser gefallen hat mir, dass Bern, ganz anders als vor vier Jahren nicht durch Politkrawall zwischen SVP und Schwarzem Block auffiel, sondern als Polit-Schweiz in Erscheinung trat. Wie selten bekam man das Gefühl zu spüren, was man mit Politzentrum meinen könnte. So bleiben mir zwei Hoffnungen auszusprechen: Dass die Wahlen mit einem Beteiligungserfolg ausgehen, und dass die SRG auch in Zukunft in die Hauptstadt investiert.

Deshalb: Auf Wiedersehen, Bundesbernsehen!

Claude Longchamp