Wo die Fraktionen im Nationalrat stehen.

In den 90er Jahren gab es ein Debatte über die Perspektiven des Parteiensystem in der Schweiz. Die Polarisierung zu Zeiten des Kalten Krieges hatte sich aufgelöst: bürgerlich vs. links war kein probates Klassifikationsschema mehr. Dafür sprach man von der Tripolarisierung des Parteienlandschaft.

In den 80er Jahren waren die Grünen entstanden, samit der Auto- und Freiheitspartei als Antipoden, und es formierte sich nach 1992 die SVP neu, zu Lasten von FDP und CVP sowie auf Kosten rechter Kleinparteien. Von der Tri-Polarität des Parteiensystems war lange die Rede. Gemeint war damit, dass sich ein nationalkonservativer Pol, ein Zentrumslager und ein rotgrüner Pol herausbilden würde.

Gestern habe ich die politische Landkarte des Nationalrates 2007 bis 2011 im Berner “Bund” gesehen. MIchael Hermann, der Zeichner, hat sie mir zur Verfügung gestellt. Sie hat mich schlagartig an die These der Tripolarisierung erinnert.

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Zunächst: SP und GPS, verstärkt durch CSP und PdA bilden im Nationalrat recht geschlossen das linke Lager. Die beiden hauptäschlichen Partei gruppieren die ihre Volksvertreter nahe um ihr jeweiliges Zentrum. Das ist links und untereinander kaum unterscheidbar. Wirtschafts- und gesellschaftspolitisch sind die Grünen minimal konservativ, die SP ein Müh über dem Strich liberal.

Misst man politische Positionen aufgrund des Abstimmungsverhaltens, bildet die SVP der Gegenpol. Auch diese Fraktion ist in sich weitgehend geschlossen. Mehr oder weniger rechts-konservativ sind sie alle. Auch die zugewandten Parlamentarier der EDU und der Lega.

Die Grafik suggeriert, dass es einen dritten Pol gibt, bestehend aus FDP.DieLiberalen, aus CVP, BDP, GLP und EVP. Denn ihre NationalrätInnen neigen fast alle zu liberalen Positionen, bisweilen leicht rechts der Mitte wie bei der FDP und BDP, resp. links davon wie bei GLP und EVP. Die Geschlossenheiten sind hier geringer als an den äusseren Polen. Besser noch steht die FDP da, schlechter die BDP und stark aufgerissen die CVP. Zwischen dem Gewerkschafter Meinrado Robbiani aus dem Tessin, und dem Gewerbler Arthur Löpfe ist mehr Platz als zwischen allen Parteiexponenten der anderen politischen Parlamentsgruppen.

Das alles spricht für einen sachpolitisch dritten Pol, wie er 2010 in den Gesprächen zur Allianz der Mitte vorübergehend zum Ausruck kam. In verschiedenen Kantonen funktioniert das auch, wie nicht zuletzt die Listenverbindungen zum Ausdruck bringen. Doch auf nationaler Ebene herrscht die Abgrenzung vor: Die Spitzen von FDP und CVP verstehen sich nicht, markieren den eigenen Auftritt, und gifteln in Interviews gegeneinander.

Das geht es nicht um die Sache, aber um die Macht. Beide Parteien beanspruchen zwischen den Polen den Lead zu haben. Die FDP hat dafür mit der LP fusioniert, die CVP kooperiert auf Fraktionsbasis mit GLP und EVP, und mit der BDP gibt es im Bundesrat Uebereinstimmungen. Die Nähe hat zur Folge, dass man meist ähnlich stimmt, sich partei- und wahlpolitisch aber abgrenzt.

Wegen solchen Prestigeüberlegungen stimmt das Seznario, das man vor 15 Jahren diskutierte, nicht. Mehr oder weniger erwartungsgemäss haben sich die Pole entwickelt, während die Parteien und Fraktionen der Mitte gegen den gegenteiligen Weg gegangen sind.

Claude Longchamp

Zur Prognose von Wahlergebnissen

Wahlprognosen haben wieder Konjunktur. Vor allem in der mediatisierten Oeffentlichkeit sind zum unverzichtbaren Bestandteil der Wahlberichterstattung geworden. Leider haat das Bewusstsein zu Möglichkeiten und Grenzen, Stärken und Schwächen mit der Aufmerksamkeit nicht mitziehen können – nicht zuletzt, weil sich die wissenschaftliche Wahlforschung gerade in der Schweiz dem Thema nicht wirklich angenommen hat.

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Das ist in den USA anders, neuerdings auch in Deutschland in Bewegung geraten. Eben erschienen ist unter dem Titel “Die Prognose von Wahlergebnissen” die Konstanzer Dissertation von Jochen Gross, die sich den Wahlvorhersagen zwischen 1949 und 2009 annimmt. Untersucht wurden hier WählerInnen-Befragung, Wahlbörsen und Prognosemodelle. Geklärt wurden methodologische Aspekte, aber auch die empirische Leistungsfähigkeit.

Für Prognosen im eigentlichen Sinne eigenen sich gemäss Gross nur Modell und Börsen. Wahlbefragung erfüllen die Kriterien nicht wirklich, sodass sie fälschlicherweise mit Prognose gleichgesetzt werden. In Deutschland erfüllen die Modellrechungen von Gschwend diese Bedingungen und Wahlbörse, wie sie von der Uni Stuttgart vorgelegt worden sind. Die Leistungsfähigkeit der Tools zeigt indessen, dass alle Verfahren mit gewissen Probleme behaftet sind, egal wie gut ihre konzeptionelle Begründung ist oder der freie Zugang zu Sekundäranalysen gewährleistet wird. Deshalb kann man auch Wahlbefragungen in die Evaluierung miteinbeziehen.

Um die Prognosegüte zu testen, wurden in der Dissertation zahlreiche Hypothesen aufgestellt, die sich allerdings nur teilweise bewährten. Vor allem konnte der in der lehre zentral diskutierte Einfluss der Methodenwahl nicht bestätigt werden. Dies trifft auf den Stichprobenumfang wie auch die Befragungsdauer zu. Nicht belegebar ist zudem, dass at random Stichproben genauer sind als andere Verfahren der Befragtenauswahl. Verifiziert werden konnten hingegen, dass die Prognosegüte von der Wahlbeteiligung abhängig. Je tiefer sie ist, um so schwieriger sind Vorhersagen. Im Zeitverlauf vor der Wahl entstehen die besten Prognosen nicht ganz am Schluss, sondern gegen den Schluss hin. Denn in Befragungen unmittelbar vor der Wahl mischen sich störende Verweigerungseffekte mitein. Schliesslich sind Abweichungen bei kleinen Parteien wahrscheinlicher als bei grossen.

Was Praktiker schon lange sagen, vermutet nun auch die Wissenschaft. Wahlumfragen kommen ohne Gewichtungen nicht aus. Und der Einfluss solche Vorgehensweisen überlagert möglicher Effekte des methodischen Designs. Kritisiert wird dabei, dass bei solchen Ponderationen zu wenig Transparenz herrsche, widersprochen wird aber der verbreiteten Ansicht, dass Affinitäten zwischen Instituten und Parteien darauf eine Einfluss haben. Denn die Phase der politischen Gefälligkeit ist längst jener der professionellen Vorgehensweise gewichen.

So bilanziert die Doktorarbeit: Die Sonntagsfrage weise ein “durchaus passable Prognosegüte” auf, denn sie generiere “im Durchschnitt weitaus bessere Vorhersagen als ihre Ruf nahe legt.” Die Probleme variierten eher wahlspezifisch, denn instituts- oder methodenspezifisch, wie nicht zuletzt das Beispiel der Bundestagswahlen 2005 zeigte. Entsprechend verzichtet die Studie darauf, Wahlbörsen und Prognosemodelle eine systematisch höhere Leistungsfähigkeit zuzuschreiben. Wahlbörsen haben sich in den USA bewährt, sind allerdings nicht systematisch evaluiert worden. Offen gelassen wird die Frage, ob sie von WählerInnen-Befragung unabhängig sind, wie das von den Anbietern meist unterstellt wird. Bei Prognosemodell wird festgehalten, dass auch sie im Einzelfall erstaunliche Leistungen hervorbringen würden, sich die Anwendung aber auf Regierungsmehrheiten beschränkten, nicht auf einzelne Parteien.

So wertvoll die Dissertation auf dem Wege zu einem differenzierten Verständnis von Prognosen und ihren Instrumenten ist, so einseitig ist doch der mitschwingende Unterton, der stark von der akademischen Wahlforschung geprägt ist. Diese hat namentlich in der unmittelbaren Nachkriegszeit, inspiriert von der Psychologie und Oekonomie Fortschritte gemacht. Die Grundlagenforschung beschränkte sich allerdings weitgehend auf die ex-post-Erklärung von Wahlen, für die Gründe identifizierte, die theoretische Rückschlüsse erlauben. Die Prognose wurde weitgehend der angewandten Umfrageforschung überlassen, ohne dass sich da ein permanenter Gedanken- und Erfahrungsaustauch entwickelt hätte. Erst die Konkurrenz durch neuen Prognosetools, die entweder aus der Mathematisierung der Sozialwissenschaften stammen oder aber mit der Weisheit der (interagierenden) Schwärme begründet werden, beginnt sich die politikwissenschaftliche Wahlforschung ihrer Schwächen in der Entwicklung systematischer Prognosen von Wahlen selber bewusst zu werden.

Vieles von dem, was in Deutschland gilt, kann man für die Schweiz auch vermuten, mit aller Wahrscheinlichkeit in noch höherm Masse, wie meine gelegentlichen Kommentare zu diesem Thema erahnen lassen. Typisch hierfür auch, dass sich der Verband der Markt- und Sozialforscher zu Beginn des Jahres nicht Willens zeigte, ein entsprechenden Beobachtungssystem für die Schweiz aufzuziehen, dass die Informationen sichern würde, die für eine kritische Diskussion notwenig wären.

Claude Longchamp

ErstwählerInnen: ein Tabu im Wahlkampf 2011?

Die Jungen spielen im Wahlkampf 2011 fast keine Rolle. Das ist schade! Denn wer nicht angesprochen wird, beteiligt sich auch nicht: zu seinem Schaden, und zum Nachteil für die Demokratie.

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Linda Fäh, Miss Schweiz, und Cédric Wermuth, enfant terrible der Juso, 2011: Jugend und Politik lässt sich nicht einfach auf Schräg&Schön reduzieren (Quelle).

Die ErstwählerInnen müssen in Kampagnen speziell angesprochen werden. Mit geeigneten Themen, mit speziellen Personen und mit Medienkanälen, die ihnen affin sind.

Letzteres geschieht 2011 noch einigermassen: Die neuen sozialen Medien wie facebook sind ein vorrangiges Thema, und da geht es meist auch um junge WählerInnen. Wenn es um jugendlich PolitikerInnen geht, happert es schon mehr. Die “Jung-TürkInnen” in den Parteien waren mal der Rede wert – wegen den SesselkleberInnen in den Parteien. Ansonsten bekommt man den Eindruck, je später der Abend wird, desto eher beschränkt sich das Medieninteresse auf schräge Vögel und hübscher Frauen. Doch sind Linda Fäh und Céderic Wermuth kein Abbild der JungbürgerInnen vor heute.

Ganz schlimm sieht es bei den Jugend-spezifischen Themen aus: Dabei läge alles auf dem Tisch: Das Jugendbarometer 2011 nannte Ausländerintegration, Eintritt ins Erwerbsleben, Sicherheit der Altersvorsorge, Schutz vor Umweltkatastrophen, Kernenergiefragen, Rassismus und Sexismus im Alltag als vorrangige Themen der jungen Menschen, wenn es um Politik geht.

Bei einige Nachteilen, welche die Wahlkämpfe der letzten Jahren hatten: Dank der Polarisierung interessierte man sich vermehrt für die politischen Anliegen jenseits des Mainstreams. Das nützte der Jugend 1999, 2003 und 2007. Gerade die Polparteien setzten auf die Mobilisierung von ErstwählerInnen, und punkteten damit. So wurden SVP und SP zu den Parteien, die bei den ganz Jungen am besten ankommen.

Eine Auswertung der letzten drei letzten Wahlbarometer-Befragungen lässt folgenden Schluss zu: Das ist heute nicht wesentlich anders, aber auf einem deutlich tieferen Beteiligungsniveau. Die SVP kommt bei den den Wählenden zwischen 18 und 21 Jahren auf 27 Prozent, die SP 24, die CVP auf 17 und die GPS auf 9 von Hundert. Der Rest ist fast schon Makulatur.

Erschütternd ist aber, dass gerade mal 17 Prozent der denkbaren ErwählerInnen ihr Wahlzettel abgeben wollen, während 83 Prozent sagen, das gehe sie nichts an und interessiere nicht. Da braucht es nochmals kräftig Gegensteuer – ohne Wehklagen und ohne Wahlzwang.

Denn Politik in der Demokratie setzt auf Mündigkeit. Die schliesst Freiwilligkeit seitens der BürgerInnen mit ein, und sie lässt politische Werbung seitens der Parteien zu. Letztere haben noch 6 Wochen Zeit, ihren Willen zur Erneuerung der Wählerschaft zu beweisen, und auch die Medien können noch mehr als einen Monat aufzeigen, was die BürgerInnen von morgen wollen, und wer sie dabei anspricht.

Zum Nutzen des politischen Nachwuchses und der Zukunft der Demokratie.

Claude Longchamp

Wahlbarometer: Zustimmung zu BundesrätInnen mehrheitlich – Kritik vor allem parteipolitisch motiviert

Im Rahmen des neuesten Wahlbarometers, das heute erschienen ist, haben die Wiederwahlempfehlung (unmittelbar vor dem angekündigten Rücktritt von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey) untersucht. Die ausführlichen Befragungsergebnisse können hier nachgeschlagen werden. Mein Kommentar dazu lautet.

Eines vorneweg: Wir haben nicht die Frage gestellt, wen man selber wählen würde. Denn das setzte voraus, dass es eine Volkswahl des Bundesrates geben würde. Vielmehr haben wir uns danach erkundigt, über welche der bisherigen Bundesratsmitglieder man die Meinung habe, sie sollten am 14. Dezember 2011 wiedergewählt werden oder nicht.

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Die Wahlberechtigten setzen dabei sehr wohl Akzente. Gegenüber allen sieben Mitgliedern vertritt eine Mehrheit die Meinung, sie sollte nochmals gewählt werden. Am klarsten kommt das bei Doris Leuthard zu Ausdruck. 75 Prozent der Wahlberechtigten empfehlen die CVP-Magistratin zur Wiederwahl. Bei Simonetta Sommaruga (SP) sind das 70 Prozent. Didier Burkhalter (FDP) bringt es auf 69 Prozent. Ihnen ist gemeinsam, dass sich nur rund jede achte Personen eine Nicht-Wiederwahl wünscht. Etwas gespaltener sind die Positionen gegenüber Eveline Widmer-Schlumpf (BDP), Ueli Maurer (SVP) und Johann Schneider-Ammann (FDP). Zwischen 65 und 56 Prozent sähen sie gerne weiterhin im Bundesrat, während gut ein Fünftel das Gegenteil vertritt.

Am polarisiertesten sind die Meinungen, wenn es um Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey (SP) geht. Hier wünschen sich 51 die Wahl für eine weitere Amtsperiode, während 35 Prozent das ausdrücklich ablehnen. Stellt man auf die Unschlüssigen ab, kennt Bundesrat Schneider-Ammann den grössten Anteil, indes nicht, weil man ihn nicht kennen würde, sondern weil man sich in der Entscheidung noch nicht sicher ist.

Hinter der Bewertung verstecken sich vor allem partei- und regionalpolitische Präferenzen. Die Gegnerschaft von Calmy-Rey kommt aus dem entgegengesetzten politischen Lager. Nur ein Drittel der SVP-Wählenden möchte sie im Amt behalten. Polarisierend wirkt sie auch bei den parteipolitischen Ungebundenen. Sie empfehlen die Bundespräsidentin zu 46 Prozent für eine weitere Bundesratszeit. Bei Bundesrat Schneider-Ammann geht die Opposition nicht so tief; dafür ist sie breiter. Nur Minderheiten von SP, GPS und GLP möchten, dass er in seinem Amt bestätigt wird. Bei Ueli Maurer reduziert sich das auf die SP- und GPS-Wählenden. Ein beschränktes Problem hat schliesslich Eveline Widmer-Schlumpf. Das Misstrauen ihr gegenüber kommt aus ihrer ehemaligen Partei. Immerhin genau die Hälfte der heutigen SVP-Wählenden würde sie zur Wiederwahl empfehlen.

Hinsichtlich der Sprachregionen haben die Bundesräte Maurer und Schneider-Ammann ein Problem. In der Romandie findet sich keine Mehrheit, welche die beiden weiter empfehlen würde. Bei Bundespräsidentin Calmy-Rey gilt schliesslich, dass sie in allen Regionen umstritten ist. Mit 55 Prozent wird sie am ehesten noch in der italienischsprachigen Schweiz unterstützt.
So bleibt, dass die BürgerInnen gegenüber Abwahlen von BundesrätInnen skeptisch sind. Klare Hinweise auf dringend erwartete Veränderungen gibt es nicht. Immerhin mischen sich aber mehr oder minder klare Zwischentöne in die Beurteilungen, die in erster Linie parteipolitisch motiviert sind.

Claude Longchamp

Rücktritt von Calmy-Rey: Tritt der Wahlkampf 2011 in seine vierte Phase?

Der Wahlkampf 2011 entwickelt sich unüblich lang, ist thematischer denn je, weniger kontrovers als auch schon und aufgeteilt in eigentliche Abschnitte. Mit dem Rücktritt von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey tritt er voraussichtlich in seine vierte Phase.

Lange galt: Die letzten kantonalen Wahlen, insbesondere in Zürich, dem bevölkerungsreichsten Kanton, legt den Tenor für den Wahlherbst fest. Was dann kommt, ist reine Wiederholung.
Doch erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt. Denn die heutigen Wahlkämpfe sind nationalisiert, ja globalisiert. Das zeigt sich am deutlichsten an der Mobilisierungskraft, die zugenommen hat und weit über der von kantonalen Wahlgängen liegt.

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Was heisst das als Rück- und Ausblick auf den Wahlkampf 2011?

Die Swissness-Phase: Die erste Phase im Wahlkampf zu den Parlamentswahlen 2011 wurde noch im Herbst 2010 eröffnet. Lanciert hat sie die SVP mit ihrer Kampagnenankündigung. Das wurde zum spätestens mit der Annahme der Ausschaffungsinitiative für kriminelle AusländerInnen in der Volksasbtimmung vom 28. November 2011 zum Ernstfall. Kreiiert wurde so ein politisches Klima, das traditionelle Werte begünstigte resp. die Unterschiede zwischen Einheimischen und Fremden betonte. Namentlich nationalistische Untertöne polarisierten. Davon profitiert hat die Rechte, insbesondere die SVP, die selbst über eine absolute Mehrheit für sich spekulierte. Der Druck der Oeffentlichen Meinung färbt ab, nicht nur auf die WählerInnen, auch auf FDP und CVP, welche den Swissness-Bezug in ihrem Wahlkampfauftritt mehr den je betonten.

Die Fukushima-Phase: Der Reaktorunfall im japanischen Fukushima eröffnete die zweite Phase im diesjährigen Wahlkampf. Die Themen-Szenerie verlagerte sich fast schlagartig, nicht zuletzt, weil die ersten Wahlen in diesem Umfeld grüne ParteiexponentInnen begünstigten. Schnell reagierten die BDP und ihre Bundesrätin, was die CVP unter Druck setzte. Sie nützte die Gunst der Stunde, und verhalf dem geordneten, mittelfristigen Ausstieg aus der Atomenergie zur Mehrheit in der Bundesregierung. Schwer tat sich dagegen die FDP mit einer Neupositionierung, die schliesslich in eine fast schon symbolische Stimmenthaltung im entscheidenden Moment mündete. Am wenigsten traf es die SVP, ausser dass sie die Lufthoheit über den Wahlkampf verlor.

Die Harter-Franken-Phase: Die dritte Wahlkampfphase setzte im themenarmen Sommerloch mit der Debatte über den hohen Frankenkurs und die Folgen für die Schweizer Wirtschaft ein. Lanciert wurde sie durch die Interventionen der Nationalbank, begleitet durch die Entscheidungen des Bundesrates in Sachen Hilfspaket. Die erneute Themenverlagerung bewirkte eine Sammlung zugunsten schweizerischer Wirtschaftsinteressen. Die SVP musste ihre Angriffe auf den Nationalbankppräsidenten einstellen, gefordert waren im Bundesrat namentlich der Wirtschaftsminister und die Finanzministerin. Die FDP rückte ins Zentrum des Interesses und mit ihr ihr Bundesrat Johann Schneider-Ammann. Namentlich das Hilfspaket wurde für den liberalen Pol der Schweiz zur Belastungsprobe, was die SP ausnützte, sei es bei der Anbindung des Frankenkurses an den Euro, bei der Senkung der KonsumentInnenpreise oder bei der Sicherung der Arbeitsplätze. Nicht übersehen darf man, dass die Wechselkursdebatte vor allem in den Medien stattfindet. In der Bevölkerung der deutschen Schweiz geht es um Migrationsfragen, in der Romandie um die Probleme mit dem Gesundheitswesen.

Die Bundesratswahl-Phase: Ob wir aktuell noch in dieser Phase oder schon in der nächsten sind, lasse ich hier noch offen. Immerhin, der angekündigte Rücktritt von Bundespräsidentin Micheline Calmy-Rey auf Ende Jahr hat die Ausgangslage für die Wahlen verändert. Offiziell wollte man erst nach dem 23. Oktober darüber sprechen, jetzt ist der Schutzwall gebrochen. Die SVP und die GPS haben ihre Interessen bereits angemeldet. Sie zielen auf alle, die übervertreten sind oder speziell auf den zweiten FDP-Sitz. Die SP hat den ersten Schritt früher als erwartet gemacht. Sie risikiert damit, dass ihr die SVP ihren zweiten Sitz im Bundesrat strittig macht. Das würde nicht nur die Debatte animieren, es würde die Polarisierung und damit die Mobilisierung der WählerInnen an den Polen befördern. Im Kanton Bern hat man diesen Frühling bei den Ständeratswahlen gesehen, wie schnell so was gehen kann. Ein Blick in die Zeitungen von heute bestätigt jedenfalls: Die Medien haben das Thema gefunden, auf das sie in diesem Wahlkampf schon länger gewartet haben.

Claude Longchamp

Kann das Stimmvolk Schiedsrichter zwischen National- und Ständerat sein?

Politgeograf Michael Hermann positioniert nicht nur PolitikerInnen und Parteien in seinem Spinnennetz. Er verwendet seine Koordinaten der politischen Landschaft neuerdings auch um die beiden Parlamentskammern und die Stimmenden im Vergleich darzustellen. Ein Kommentar zum Artikel im heutigen Tages-Anzeiger (leider nicht auf dem web).

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Das Volk ist in der Demokratie der Massstab aller Dinge. Das ist auch im neuen smartspider so. Denn was die Stimmenden in Volksabstimmung für richtig befunden haben, bildet die Nulllinie. So wie National- und Ständerat gestimmt haben, lässt sich im Vergleich dazu beurteilen, lautet die neueste Darstellungsidee von Hermann.

Seine Ergebnisse und Bewertungen lauten:

    In Fragen der aussenpolitischen Oeffnung einerseits, der restriktiven Ausländerpolitik anderseits, weichen beiden Parlamentskammer am meisten von der Volksmeinung ab. Sie politisieren hier offener, weniger verschlossen.
    Wenn es um Liberalisierung geht, sind beide Kammern positiver eingestellt. Das gilt für Fragen der Wirtschaft wie der Gesellschaft.
    Praktisch keine Abweichungen zwischen den drei Akteuren lassen sich, übers Ganze gesehen, in der Umwelt- und Finanzpolitik festhalten.
    Schliesslich seien die starke Armee und der starke Sozialstaat erwähnt. Da weicht vor allem der Ständerat von den Volksentscheidungen ab, kaum aber der Nationalrat. Bei der Armeestärkung gibt er mehr Gas, bei sozialen Fragen bremst er eher.

Linker als der Nationalrat ist der Ständerat nicht wirklich. Aber anders. Dass beide Kammern unterschiedlich seien, findet auch Hermann gut. Würden sie beiden gleich ticken, bräuchte es auch nicht zwei Kammern.

Immerhin, Hermann hat sich in seinem neuesten Buch zur Rettung der Konkordanz dafür ausgesprochen, dass das Volk im Differenzbereinigungsverfahren zwischen den beiden Kammern eine Art Schiedrichter-Funktion zukommen sollte. Denn wenn sich National- und Ständerat nicht einigen können, soll das Volk entscheiden, propagierte er anfangs Juli in einem Gutachten für Avenir Suisse.

Da kommt sich der Politgeograf selber in die Quere. Denn in kaum einem Politikbereich sind die Positionen der Stimmenden zwischen jenen der beiden Parlamentskammern. Entweder gibt es keinen Differenzen, oder die Stimmenden und der Nationalrat sind einander verwandter. Müssten jene zwischen den Präferenzen der grossen und kleinen Kammer entscheiden, würde das den Nationalrat stärken. Das würde in zahlreichen Bereichen ohne inhaltliche Uebereinstimmung geschehen. Ein Schiedsspruch zwischen Varianten würde damit zum populistischen Veto werden, gegen das Gebahren der beiden Kammern. Denn wo es eine Kluft zwischen Behörden und Volk gibt, besteht sie aus der Sicht des Souveräns gegenüber National- und Ständerat.

Ich ziehe den Druck auf die PolitikerInnen sich zu raufen vor, bevor man eine verbindliche Entscheidung dem Volk zur Sanktionierung vorlegt.

Claude Longchamp

Interesse für politische Parteien im Internet vermessen

Im Ausland kennt man das Tool schon länger. Bei Schweizer Wahlen propagiert neu die Sonntagszeitung Internetanalysen als Parteienbarometer im laufenden Wahlkampf.

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Nachfrage nach Informationen zu Parteien auf Internet gemäss Google in den letzten 12 Monaten: Der Wahlkampf erzeugte bis jetzt ein geringeres Interesse als die Volksabstimmungen vom November 2010; der Stand gleicht dem bei den Zürcher Wahlen vom Frühling 2011.

SVP vor SP, FDP und CVP. Dies ist die Rangierung der politischen Parteien im neuen Barometer der Sonntagszeitung. Eingestellt hat sich die Reihenfolge in der Woche vom 7. August; seither ist sie stabil. Der Vorsprung der SVP ist kräftig, während vor allem FDP und CVP sehr nahe beieinander liegen.

Das neue sog. Parteienbarometer der Sonntagszeitung basiert nicht auf kantonalen Wahlanalyse. Es brücksichtigt keine WählerInnen-Befragungen, und es stellt auch nicht auf Wahlbörsen ab. Vielmehr basiert es auf eine Medieninhaltsanalyse, einer speziellen allerdings – O-Ton Sonntagszeitung: “Die aufgezeigten Trends stellen lediglich Suchanfragen nach den genannten Parteien dar. Ziel von Google Insights for Search ist es, Erkenntnisse über verbreitete Suchmuster zu liefern. Die Berechnung der Ergebnisse basiert auf verschiedenen Schätzungen. Die Insights for Search-Karte ist für allgemeine Volumenanalysen vorgesehen.”

In der Wahlforschung rangieren solche Tools hinter der Wahlbefragungen und Wahlbörsen nur an dritter Stelle, wenn es um den analytischen Wert zu den Wahlaussichten geht. Das hat seine Gründe: Zuerst die Messeinheit, die Interesse an, nicht aber Unterstützung von Parteien bestimmt; dann das Beobachtungsmedium, das mit Internet eine klare Eigenselektivität hat, und schliesslich die Messtechnik, die von google stammt, und pauschal umschrieben, für Marktforschung geeignet ist.

Vor Quantifizierungen, zum Beispiel zu Parteistärken, sei deshalb ausdrücklich. Etwas zuverlässiger sind Reihenfolgen unter den Parteien. Das Beste an solchen Instrumenten sind jedoch die Zeitverläufe. Denn sie zeigen, dass das Interessen an Parteiinformationen abhängig von Ereignissen ist: Politischen Gross-Events wie herausragende Volksabstimmungen, BundesrätInnen-Wahlen oder eben dem anziehenden Wahlkampf.

Auf die Dauer muss das aber nicht so sein. So zeigt die Uebersicht über die vermessenen Parteiinteressen seit anfangs 2009, dass die SVP im Internetintesse vor der FDP liegt, gefolgt von der SP und der CVP. Die FDP kennt damit mehr Interesse auf Internet als Anteile unter Wählenden. Bei der CVP klafft beides in umgekehrter Richtung auseinander.

Man wird, in den Wochen bis zur Wahl, die Indices der Parteien schnell konsulitieren, um etwas über das Internet-Interesse zu erfahren. Angekündigt ist übrigens auch vom FOeG der Uni Zürich aus, in den letzten 6 Wochen eine vergleichbare Analyse über einen Querschnitt aller Medien mit Parteipräsenzen zu veröffentlichen.

So bleibt die Bilanz: Die Ankündigung eines neuen Parteienbarometers vermag das Instrument kaum einzulösen. Wenn man dessen Ergebnisse mit Prognosen oder aktuellen Wahlabsichten nicht verwechselt, ist es für die Trendanalyse ganz nützlich.

Claude Longchamp

Ständeratswahlen in Bern und St. Gallen: Börsianer machen erste Triage unter den Kandidaturen

Die Börsianer der Wahlwette auf der Plattform von SRF sehen in Bern und St. Gallen je einen Dreikampf um die Ständeratssitze. Keine Bewerbung würde es im ersten Wahlgang schaffen.

Kürzlich wurden die Wahlbörsen zu verschiedenen Ständeratswahlen lanciert. Jene zu den Kanton Bern und St. Gallen sind zwischenzeitlich allgemein einsehbar. Sie vermitteln einen ersten Eindruck über die Wahlchancen Bisheriger, namhafte HerausfordererInnen und AussenseiterInnen.

In St. Gallen führt Toni Brunner (SVP) die Wahlwette an. Es folgen Karin Keller-Sutter, die Neu aus der FDP, und Eugen David, der Bisherige von der CVP. Die Wettgemeinschaft gibt ihnen 47, 44 resp. 40 Prozent WählerInnen-Anteil. Einigen Abstand haben Paul Rechsteiner (SP) mit 34% und Yvonne Gilli (GPS) mit 20%. Noch weiter zurück liegt BDP-Kandidat Gehrig mit 15 Prozent.

In Bern liegt ebenfalls ein SVP-Bewerber an der Spitze. Hier ist es der Bisherige Adrian Amstutz mit 44%, gefolgt vom BDP-Ständerat Werner Luginbühl, der auf 42 Prozent kommt. SP-Kandidat Hans Stöckli rangiert mit 39 Prozent auf dem dritten Platz, gefolgt von Wasserfalls (FDP) mit 30 Prozent und Alec von Graffenried (GPS) mit 27 Prozent. Die anderen Interessenten für einen Ständeratssitz aus dem Kanton Bern sind weit zurück; sie bringen es alle nicht auf 10 Prozent.

Die Bisherigen haben im Urteil der Börsianer keinen eindeutigen Startvorteil. Das kommt Eugen David von der CVP zu spüren, der nur auf dem 3. Platz startet. Schliesslich sei erwähnt, dass man Wahlchancen nicht nur nach Parteistärken beurteilt hat.

Die Wahlwetten legen nach ihrem Start nahe, dass Stöckli in Bern der gewichtigste Herausforderer ist, und es in St. Gallen zu einem Zweikampf zwischen Brunner und Keller-Sutter kommt, bei dem auch David die Zeche bezahlen könnte.

Gemeinsam ist beiden Wahlwetten, dass die Stimmen recht verteilt wurden. Deshalb würde, wenn es so bliebe, auf Anhieb niemand den Sprung zur (Wieder)Wahl schaffen. Alle müssten in einen zweiten Wahlgang. Leider gibt die Börse hierzu keine Auskunft. Dies obwohl alles erst dann entschieden würde.

Die Wahlbörsen der anderen Kantone, namentlich Zürich, Aargau, Solothurn., Thurgau, Glarus und Appenzell-Ausserrhoden werden in den folgenden Tagen publik gemacht.

Claude Longchamp

BundesrätInnen in repräsentativen Bevölkerungsumfragen

Man weiss es, unsere BundesrätInnen haben es nicht besonders gerne, wenn ihr Zuspruch in der Bevölkerung in Umfragen getestet wird. Trotzdem, es kommt regelmässig vor, und es ist an der Zeit, zu den Ergebnissen einen Ueberblick zu verschaffen.

Zeitschriften wie die “Illustré” (zusammen mit MIS Trend) oder Wochenendblätter wie die “Sonntagszeitung” (gemeinsam mit Isopublic) bringen periodisch Uebersichten über die Akzeptanz der einzelnen BundesrätInnen.

Nebst vielen Gemeinsamkeiten der beiden Serien, gibt es auch Unterschiede in der Sicherung der Repräsentativität: So interessiert sich die Sonntagszeitung dafür, wer im Bundesrat in Zukunft eine wichtige Rolle spielen solle oder eben nicht, während Illustré die Aktion der MagistratInnen in den letzten 6 Monaten bewerten lässt. Die Aussagen der Sonntagszeitungen basieren auf rund 1255 Befragten, während sich Illustre mit 600 begnügt. Beide Auftraggeber lassen Interviews in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz durchführen, nicht aber in der italienischen. Isopublic kontrolliert die so entstehenden Ergebnisse zur zusätzlichen Wahlabsichtsfrage aufgrund der zurückliegenden Wahlen. Schliesslich gibt es Unterschiede in der Auswertung: MIS lässt Unschlüssige in der Darstellung weg, Isopublic weisst sie ausdrücklich aus.

Die jüngste Erhebung von Isopublic war in diesem Sommer, präzise zwischen den 8. und 18. Juni 2011; sie bezieht sich auf die aktuellen Mitglieder des Bundesrates. Demgegenüber befragte MIS Trend vor rund einem Jahr einen BürgerInnenquerschnitt, konkret zwischen dem 31. August und 6. September 2010, also noch vor der Ersatzwahl für die zurückgetretenen Moritz Leuenberger und Hans-Rudolf Merz am 22. September 2010.

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Zunächst fällt auf, dass sich die Reihenfolge der BundesrätInnen, die in beiden Umfragen auftauchen, genau gleich bleibt. Das spricht für eine recht stabile Rangordnung unter den Magistratspersonen. Zuspruch aus der Bevölkerung ist nicht einfach etwas bliebiges; vielmehr hat es klare Konturen. Zu diesen zählen die politische Position, die Amtsdauer und die Hoffnungen und Enttäuschungen, die sich daraus ergeben.

Der Zeitpunkt, und damit verbunden die Fragestellungen, beeinflussen jedoch die Messwerte – und so auch die Abstände der BundesrätInnen untereinander. Am deutlichsten schlägt sich dies bei Widmer-Schlumpf nieder: In der Rückwärtsbetrachtung ihrer Leistungen ist sie top, wenn es um die Aussichten in der Zukunft geht, rangiert sie genau in der Mitte der BundesrätInnen. Vergleichbares findet sich bei Burkhalter und Calmy-Rey, indes einiges weniger ausgeprägt.

Konstant sind die Verhältnisse ganz oben und ganz unten: Doris Leuthard ist, egal wann und egal wie befragt, die populärste Bundesrätin, während für Ueli Mauer genau das Gegenteil gilt.

Oder allgemeiner gesagt: Umfragen zu BundesrätInnen geben sehr wohl Grundströmungen in der stimm- und wahlberechtigten Bevölkerung zuverlässig wieder. Die Details der Befragungen beeinflussen die konkreten Prozentzahlen. Deshalb sollte man die nur innerhalb einer Befragungsserie vergleichen, während das generelle Ranking, und Aenderungen darin, sehr wohl etwas über die Akzeptanz der Regierungsmitglieder in der Schweizer Bevölkerung aussagen.

Ein Mechanismus tritt immer deutlicher zu Tage: Unsere BundesrätInnen haben ihre Sache im BürgerInnen-Urteil nicht einfach schlecht, wenn alles vorbei ist. Die Bilanzen fallen unterschiedlich, mehrheitlich aber (knapp) positiv aus. Wenn es dagegen um die Zukunft geht, hagen wir Zweifel, wegen diesem und jenem. Das tritt vor allem Personen, über deren Rücktritt öffentlichen spekuliert wird.

Claude Longchamp