Wenn man auf der Strasse angesprochen wird …

200000 Menschen schauten sich dieses Jahr im Schnitt die bisher vier Wahlbarometer-Sendung an. Ein Kommentar zu den persönlichen Reaktionen.

Wahlbarometer vom 12.08.2011

Ich merke es gut: Auf der Strasse werde ich zunehmend angesprochen. Das ist nach einem Abstimmungssonntag normal, verschwindet nach einigen Tagen aber wieder. Jetzt ist die Entwicklung anders: Seit ich aus den Sommerferien zurück bin, ist die Aufmerksamkeit für Wahlen, Wahlsendungen und Wahlanalysen eindeutig gestiegen.

Was die Reaktionen auf meine Person betrifft, hat es zweifelsfrei mit der Medienpräsenz, vor allem im Fernsehen, zu tun. “Tagesschau” und “10vor10” berichten über das Wahlbarometer kurz, die Spezialsendung mit dem gleichen Titel ausführlich.

Im Schnitt dauern die Wahlbarometer-Sendungen 12 Minuten. Eingeführt wurde die Sendung 2007, nachdem der Publikumsrat bei den Wahlen 2003 moniert hatte, man mache zu wenig Vertieftes aus dem Wahlbarometer. Die Länge der heutigen Sendungen ist gegenüber 2007 nochmals ausgebaut worden. Damit steigt auch die Möglichkeit, mehr Inhalte zu transportieren. Anders noch als 2007 kommen die Parteien in der Wahlbarometer-Sendung nicht zu Wort; die Reaktionen fielen damals zu stereotyp aus.

Konzipiert wird die neue Sendung, wenn unsere Bericht zur Befragung intern vorliegt. Die Auswahl der Themen, die Bestimmung der Grafiken und das Verfassen der Texte besorgt die SF-Redaktion. Ich bekomme den Text kurzfristig zu sehen, damit ich über den Ablauf informiert bin, aber möglichst spontan reagiere.Die Sendung selber wird aufgezeichnet, meist aber in einem Stück gedreht, allenfalls zweimal gemacht, wenn es Unebenheiten drin hatte. Die können von mir sein, vom Moderator stammen, aber auch von der Sprecherin im Hintergrund. Bei dieser Sendung patzen gleich alle drei beteiligten einmal, sodass sie ein Zusammenschnitt aus drei Anläufen ist.

Verfolgt wird das Ganze am Freitag Abend von rund 200’000 ZuschauerInnen. Der Marktanteil liegt meist knapp unter der 20 Prozent Limit. Das ist für eine Sendung zu Politik in diesem Umfeld gut, heisst es in den Gängen des Leutschenbachs. Immer wieder erstaunt bin ich über das Durchschnittsalter der ZuschauerInnen. Es liegt bei 58 Jahren, älter als ich bin. Die Jüngeren sind auf diesem Weg nicht zu erreichen. Nicht zuletzt deshalb wird der Clip auch auf Internet platziert. Da wird rege Gebrauch gemacht, natürlich nie in der gleichen Dimensionen wie man mit einer Sendung am Bildschirm erreicht.

MIt dem Zweikanalsystem für die Diffusion scheint mir auch eine Differenzerung der Kommunikation verbunden zu sein. Die Kommentare in der Internetforen sind nicht selten kritisch, sehr kritisch. Aktiv sind die SRG-Kritiker, die Umfrage-Gegner, und ein paar Bürger, denen die Ergebnisse nicht passen. Ganz anders sind die Reaktionen, die ich auf der Strasse erhalte. Meist werden sie durch ein zustimmendes Lächeln begleitet. Nur im äussersten Notfall begegnen mir das Gehässigkeiten.

Typisch für diese Art von Rückmeldung ist die Frau, die mich heute ansprach. Sie hatte am letzten Freitag ferngesehen. Ich solle weniger schnell reden, meinte sie. Ich nickte ihr zu, meinte aber, ich kann nicht wirklich langsamer. Die Prognosen würden sich auch immer wieder ändern, bemerkte sie. Da schüttelte ich den Kopf. Keine der Aussagen ist für sich eine Prognose, erst die Gesamtbilanz gibt am Schluss ein. Auf jeden Fall sei es interessant, nicht nur die Parteien zu hören, auch über sie etwas zu erfahren, schloss sie das Gespräch.
Gut so, antwortete ich ihr. Immerhin stehen Wahlen an.

Claude Longchamp

Listenverbindungen 2007: GPS profitierte davon, FDP und SVP schadeten sie

Listenverbindungen gehören zu den Eigentümlichkeiten des schweizerischen Wahlrechts. Es ist längst Zeit, dass sie genauer angesehen werden.

Voraussichtliche_Listenverbindungen
Uebersicht über die Listenverbindungen, die sich 2011 abzeichnen (Quelle: Weltwoche)

Ohne Listenverbindungen wäre die GPS im jetzigen Parlament nicht so stark. Sie hätte 4 Sitze, je einen in Zug, Solothurn, St. Gallen und Neuenburg, weniger. Ein Mandat minus hätte für die CVP herausgeschaut; in Zürich und im Aargau wäre je ein Sitz nicht zustande gekommen, derweil man im Jura einen mehr gemacht hätte.

Veritable Verliererinnen wären die FDP und die SVP gewesen. Die FDP hätte zwar den Sitz in Baselstadt nicht gemacht, dafür je einen in mehr In Zürich, Schwyz, Zug, Solothurn und St. Gallen. Die SVP wiederum hätte auf den Jura-Sitz verzichten müssen, wäre dafür aber in Züruch, Freiburg, Aargau und Genf bedient worden.

Bei der SP wäre die Gesamtbilanz 2007 gleich geblieben. In Schwyz und in Genf hätte man profitiert, in Baselstadt und Neuenburg hätte man Schaden davon getragen. Schliesslich hätte die SP in Freiburg keine Sitz gemacht und die GLP in Zürich einen weniger erhalten, hätte es keine Listenverbindungen gegeben.

12 Sitze sind damit 2007 durch Listenverbindungen parteipolitisch beeinflusst worden. Da hätte 6 Prozent der gegenwärtigen VolksvertreterInnen betroffen. Geschwächt worden ist dabei die rechte Seite, während das Zentrum und die Grünen gestärkt wurden.

Damit stimmt nicht mehr eindeutig, was lange die Regel war: Listenverbindungen nützen nämlich nicht mehr ausschliesslich den grossen Parteien. Ob das Zufall ist oder einen Grund hat, weiss man allerdings nicht so genau.

Selbstverständlich kann man die hier vorgeführte Analyse, geleistet von einem Politologenteam der Universität Genf, kritisieren. Sie unterstellt nämlich, dass das Wahlverhalten genau gleich gewesen wäre, hätte es die Listenverbindungen gar nicht gegeben. Bei den meisten BürgerInnen, kann man sagen, spielt das tatsächlich keine Rolle. Bei einer Minderheit kann es durchaus sein, dass Taktik im Spiel ist, etwa nach dem Motto: Wenn die Parteien schon kooperieren, darf ich meine Einzelstimmen durchaus auch verteilen.

Das führt denn auch zur einer Relativierung des strategischen Wählens. Das hat 2011 mehr Auswirkungen auf das Zentrum als bisher, denn es ist durch das neuer Parteien (glp, bdp) fragmentierter denn je. Eine grosse Listenverbindung, ausgehend von der CVP, mindestens die GLP und BDP, allenfalls auch die EVP umfassend, hätte hier Folgen. Daniel Bochsler, Politologe am Zentrum für Demokratie in Aarau, schätzt, dass insgesamt 10 Sitzgewinne alleine dadurch möglich würden. Das ist wahrscheinlich mehr, als die Wahlkämpfe der Parteien bewirken.

Gemacht wird dies indes nicht, weil die Parteien mit ihrem Auftritt in erster Linie ihren eigenen Nutzen maximieren wollen, und Listenverbindungen eher als Rückversicherungssystem für die Restmandatverteilung denn als politisches Kalkül interpretieren. Das sieht man besten daran, dass bürgerliche Allianzen, selbst solche zwischen FDP und CVP zurückgehen, dafür aber, beispielhaft, im Kanton Bern die neue (linksliberale) Piratenpartei mit der neuen (rechtskonservativen) Jimy-Hofer-Liste zusammenspannt.

Claude Longchamp

Baromètre électoral: un instrument tout à fait normalement pendant le processus électoral

Les intervenants au cours d’une campagne électorale sont nombreux. Les partis veulent gagner les élections. Les groupes d’intérêt veulent améliorer les conditions générales de leur organisation. Les militants affirment que leur thème est sous-estimé et les journalistes persuadent chacun des acteurs de mener la meilleure campagne électorale.

4d6edf6d13

Lorsqu’il s’agit de l’influence exercée sur les intentions de vote par toute cette frénésie, tout le monde est innocent. Et lorsqu’il est question des électeurs et des électrices, l’opinion est largement répandue selon laquelle ils ne se décideraient que dans les derniers jours.

Où est le vrai, où est le faux? – Dans la période ayant suivi la seconde guerre mondiale et sur le modèle américain, les enquêtes électorales se sont progressivement imposées en Suisse également. Les enquêtes post-électorales sont incontestées, mais elles intéressent surtout le monde scientifique et les services de planification des hommes de relations publiques. Les enquêtes pré-électorales sont plus attrayantes, elles sont jugées par contre de manière controverse.

Pourquoi ont-elles pourtant encore un sens? – Ce sont tout d’abord les inventaires exhaustifs portant sur les forces des partis, la participation électorale, les thèmes prioritaires et l’image des hommes et femmes politiques de premier plan. Les opinions à propos des questions d’actualités, des valeurs morales des électeurs et de la composition sociologique de l’électorat sont aussi peut-être dignes d’intérêt. Tout cela permet d’obtenir une image réaliste du processus électoral, avant et après les élections.

Les inventaires ne sont pas les seuls effets intéressants en période pré-électorale. Il s’agit aussi de dégager les tendances de la formation des opinions. Car, outre les facteurs à long terme influant sur la décision électorale, comme les préférences de partis au sein de la famille ou le cercle d’amis, des facteurs à court terme jouent également un rôle. Les évaluations de la campagne électorale en font partie au même titre que les avis des parties sur des thèmes précis, et l’intention d’aller voter ou non est tout sauf constant. Pour cette raison, des sondages même sous forme de baromètres ont un sens en tant qu’enquêtes répétitives. Ils ne sont toutefois utiles que s’ils posent toujours les mêmes questions, font appel au même échantillon et sont réalisés par le même institut de sondage.

Et pourtant: les sondages électoraux ne précèdent pas la réalité, ils progressent avec elle. Ils ne sont donc pas, par définition des prévisions.

Le baromètre électoral SRG SSR remplit tous ces critères. Tous les grands partis peuvent utiliser le service public. Les citoyens et citoyennes suisse intéressés peuvent obtenir les analyses. Mêmes les représentations graphiques que les élèves peuvent utiliser pour des exposés, sont disponibles gratuitement sur Internet. Pour l’analyse des tendances nationales pendant l’année électorale, les sondages se sont avérés indispensables. Aucune alternative n’est venue les concurrencer actuellement.

Tous ces services ne découlent pas de soi. Toutes les personnes qui critiquent le baromètre électoral ne devraient pas oublier ce fait, lorsqu’elles font référence à l’un ou l’autre des défauts. Et les partis savent aussi très bien que cela leur reviendrait très cher que de mener leurs propres enquêtes pour savoir où ils en sont dans la campagne électorale.

Plus d’information sur notre nouvelle website en français.

Claude Longchamp

Erosion der politischen Beteiligung an lokaler und kantonaler Politik.

Warum die Wahlbeteiligung in kleinen Gemeinden – bei kommunalen Wahlen – sinkt und in Städten – nationalen Wahlen – steigt.

Als Student schrieb ich in den frühen 80er Jahren gerne über Lokalpolitik. Einer meiner Mentoren meinte damals: Da machen die Bürger noch mit. Denn sei verstehen, worum es geht, und sie kennen die Kandidaten, die sich zur Wahl stellen.

ladner

Das gilt so einfach nicht mehr, wenn man sich die Ergebnisse der jüngsten Studie von Andreas Ladner ansieht, der die Daten zur kommunalen, kantonalen und nationalen Wahlbeteiligung von 1988 bis 2009 analysiert hat.

Zu den Fakten
In Gemeinden über 5000 EinwohnerInnen ist zwischenzeitlich die Wahlbeteiligung bei eidgenössischen Wahlen höher als bei kommunalen. Nur in Gemeinden unter 2000 ansässigen Personen geht man noch eher den Gemeinde- als den Nationalrat bestimmen.
Generell gilt, dass die Beteiligung als kommunalen Wahl gesunken ist. Zwar ist sie in kleineren Gemeinden immer noch grösser als in Städten. Der Rückgang innert einer Generation ist aber gerade dort mit mehr als 10 Prozentpunkten beträchtlich.

Steigende Mobilität und damit verbunden sinkene Ortsverbundenheit sieht Politologe Ladner als einer der Gründe für die Verlagerung an. Die Parteien beklagen Rekrutierungsprobleme, sodass Kampfwahlen zu Seltenheit werden. Das schwächt die Mobilisierungskraft von Wahlen. In den Städten ist das anders, wo die Konflikthaftigkeit der organisierten Politik angesichts steigender Probleme und leerer Kassen grösser geworden ist, was die durchschnittliche Wahlbeteiligung über die Zeit stabilisiert hat, – indes nicht überall das Sitzleder der Gewählten.

Bei nationalen Wahlen kommt das alles noch deutlicher zum Ausdruck. In den Städten geht heute wieder mehr als die Hälfte wählen, auf dem Land sind es weniger als 50 Prozent.

Zur Interpretation
Der Wandel hier angezeigte Wandel der politischen Mobilisierung überrascht nicht wirklich. Denn seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts dachten PolitikwissenschafterInnen im Gefolge von Ronald Inglehards Konzept der kognitiven Mobilisierung in vielen Ländern über die anstehenden Veränderungen nach.

Für die Schweiz kann man sagen: Die Unmittelbarkeit wirkte sich früher in geschlossenen Gemeinschaften vorteilhaft aus; in der Regel hat die grösste Partei der Region dafür profitiert. Zwischenzeitlich haben sich die hierfür wirksamen gesellschaftlichen Bindungen gelockert. Dafür kaum mehr etwas ohne medial vermittelte, politischen Mobilisierung, wobei Milieus durch Netzwerke, persönliche Bekanntschaft durch Medienbekanntheit der Kandidaten und lokal dominante Parteien durch Plattformen für politische Marketing ersetzt worden sind. Wer das nicht erkannt hat, klagt heute über einen generelle Bedeutungsverlust von Politik, während jene, die frühzeitig darauf reagiert haben wissen, dass vielmehr eine Transformation der politischen Partizipation stattfindet.

Zu den Konsequenzen
Das alles wirkt sich zwischenzeitlich auch auf Wahlen in der Schweiz aus: Die nationalen Wahlgänge profitieren strukturell von den Verlagerungen, die Städte auch. Die wahren Verlierer der Umlagerung sind aber nicht die Gemeinden und die kommunale Politik. Vielmehr sind es die Kantone. Denn in vielen von ihnen haben sich die lokalen Mobilisierungsfaktoren abgeschwächt, während die nationalen noch nicht greifen.

Das belegt auch die IDHEAP-Studie: Gab es 1988 noch kaum Unterschiede zwischen der nationalen und kantonalen Beteiligungshöhe, gilt dies heute nur noch für Gemeinden unter 1000 Ansässigen. In allen anderen ist die Beteiligung an kantonalen Wahlgängen zwischenzeitlich noch tiefer als an kommunalen, auf jeden Fall um Einiges geringer als an nationalen.

Oder knapp zusammengefasst in den Worten des Autors: “…, was die These einer Verlagerung des politischen Interessen und einer Nationalisierung der Politik unterstützt.”

Meinem verstorbenen Mentor in Sachen Politberichterstattung rufe ich nach: Auch ich schreibe kaum mehr über kommunale Politik, fast nur noch über nationale. Mittelbarkeit der Politik hat diese nicht einfacher, aber kontroverser gemacht. Das ist die Herausforderung der heutigen Demokratie, die sie lebendig erhält.

Claude Longchamp

Hanspeter Kriesi gratuliert der SVP schon jetzt zum kommenden Wahlsieg.

Geht man die Kommentare zu Wahlbefragungen und Wahlen durch, zeigen sich zwei sehr unterschiedliche Verwendungen der Begriffe Gewinner und Verlierer. Hanspeter Kriesi stützt sich in seiner Gratulation auf die ein Bedeutung.

kriesi
Hanspeter Kriesi, Professor für vergleichende Politik an der Universität Zürich, Autor eines Buches über den Aufstieg der SVP, kommentiert die Ergebnisse des Wahlbarometers

Zunächst: Gewinnerin (oder Verliererin) ist eine Partei, wenn sie hinzu gewinnt, oder wenn sie vergleichsweise verliert. Referenz ist die letzte Wahl.
Sicherste Gewinnerin 2011 ist die BDP. Denn 2007 gab es sie noch nicht. Höchstwahrscheinlich zulegen wird die GLP. Gegenüber 2007 hat sie sich strukturell verbessert. Sie hat sich regional verbreitert. Sie hat in den kantonalen Wahlen zugelegt. Und sie zeigt in allen Umfragen ein Plus, das so gross, dass diese Prognose schon mal gemacht werden kann.
Alles andere ist, heute wenigstens, unsicher: Bei den kantonalen Wahlen haben auch die GPS und die SVP mehrheitlich zulegen können. Die aktuellsten Umfragen verweisen bei der GPS in eine ähnlich Richtung, bei der SVP in die umgekehrte. Bei kantonalen Wahlen verloren haben die SP, die CVP, die FDP. Das neueste Wahlbarometer bestätigt das: die FDP verliert am meisten, die SP am drittmeisten. Bei der CVP ergibt sich aktuelle eine minimal umgekehrte Tendenz.
Zieht man mehr als eine Befragung zu Rate, sind nur die Verluste der FDP konstant. Alles anderen Bewertungen der mittelgrossen und grossen Parteien hängen vom Zeitpunkt der Erhebung ab, denn die dominanten Ereignisse und Stimmungen im Wahlkampf zeigen bei der Mobilisierung und dem Wechselwählen unterschiedliche Wirkungen.

Sodann: Eine Wahl gewinnt, wer am stärksten ist. Das ist die andere Bedeutung des Wortes. Analog verliert man sie, wenn man antritt und nicht gewählt wird. Letzteres ist, im Voraus schwer zu beantworten.
Ersteres kann heute leichter gemacht werden. Denn der Vorsprung der SVP auf die SP beträgt gegenwärtig rund 9 Prozentpunkte. Dass sich da noch etwas Relevantes ändert bis zum 23. Oktober 2011 ist sehr unwahrscheinlich. Das weiss auch Hanspeter Kriesi. So kann hat er nicht zu unrecht, der SVP zu ihrem kommenden Wahlsieg gratuliert, wenn man die zweiten Definition von Gewinn und Verlust verwendet.
Alles andere ist dann auch für den Politologie-Professor schwieriger. Immerhin, sowohl bei kantonalen Wahlen wie auch in Umfragen hat sich hinter der SVP die Reihung SP, FDP, CVP, GPS, GLP und BDP eingespielt. Verändert hat sich das seit in den letzten Monaten nicht. Am knappsten – und damit am unsichersten – ist der Vorsprung der FDP auf die CVP. Gegenüber 2007 ist auch hier die GLP die Gewinnerin. Sie hat die EVP und BDP überholt und sich als sechstgrösste Partei der Schweiz etabliert.

Claude Longchamp

Bei Wahlumfragen interessieren häufig nur Zahlen

Mein Analyseschema, das ich beim heute erschienen Wahlbarometer verwendet habe, kennt keine einzige Prozentzahl. Gerne lege ich es offen, um die Diskussion über politische Zusammenhänge zu lancieren.

Politikwissenschaftliche Schemata zur Wahlentscheidung differenzieren die Einflussfaktoren in erster Linie entlang der zeitlichen Dauer.

zahlen-2011

Zu den langfristigen Faktoren zählen das Wahlrecht, der soziale Wandel und die Verän­derungen im Parteiensystem. Die mittelfristigen leiten sich aus der Politik seit den letzten Wahlen ab und die kurzfristigen Determinanten ergeben sich aus dem Wahlkampf selber.

Längerfristig relevant ist, dass die sprichwörtliche Sta­bilität von Schweizer Wahlen rückläufig ist. Drei Phasen lassen sich unter­schei­den: Die Polarisierung der Parteienlandschaft nach dem EWR-Entscheid (bis 2003), der nationalkonservative Rechtsruck (vor allem die Wahlen 2007) und die Bildung neuer Parteien, die sich sowohl von der Mitte wie auch von den Polen abgrenzen (seit 2007). Insgesamt kann das als Folge der Globalisie­rungs­konflikte mit Marktöffnungen und supranationalen Arrangements interpre­tiert werden, welche die Bedeutung des Nationalstaates in der Politikformulie­rung relativiert haben, in der Bevölkerung aber zu einem Gegenreflex geführt haben. Bezogen auf die Parteienlandschaft relevant ist, dass auf der rechten Seite eine Samm­lung unter der SVP entstanden ist, die zwischen Regierung und Opposition politisiert. Davon hat sich als Folge der Bundesratswahlen 2007 ein Teil der ParteivertreterInnen distanziert und die BDP gegründet. Links der Mitte ist mit der Grünliberalen Partei ebenfalls eine erfolgreiche Innovation entstanden, wel­che die ökologische Ansätze mit marktwirtschaftlichen Instru­menten versöh­nen will und deshalb zwischen rotgrünem Lager und bürgerli­cher Mitte politi­siert.

Die mittelfristigen Faktoren entstanden aus der Konkretisierung der neuen Kon­fliktlinie, die sich sowohl ökonomisch (interessenseitig), als auch kulturell (wert­mässig) bestimmen lässt. In der ersten Hälfte der Legislatur dominierte die Aus­dehnung auf weitere Länder und dauerhafte Verankerung der Personenfrei­zü­gig­keit als zentralem Dossier des bilateralen Verhältnisses mit der EU. Die ent­sprechende Volksabstimmung ging positiv aus. Dennoch kippte die Stim­mung im Jahre 2009 zugunsten migrationskritischer Positionen, was sich in der An­nahme der Minarettverbotsinitiative und der Initiative zur Ausweisung krimi­neller AusländerInnen manifestiert. Das Ganze fand vor erheblicher Erschütte­rungen zentraler Prinzipen der Schweizer Politik statt, ausgelöst durch die Ret­tungsaktion des Staates für die UBS, verschärft durch die Aufweichung des Bankgeheimnisse auf Druck der USA und durch die Doppelbesteuerungsab­kommen mit verschiedenen Staaten, um der grauen Liste der OECD zu ent­kommen.

Die kurzfristigen Bestimmungsgründe von Wahlen zeigen sich am klarsten in der Wahlkampfentwicklung. Diese wird zunehmend durch medial definierte und gerahmte Themen bestimmt. Dabei treten die rein nationalen Streitfragen offensichtlich in den Hintergrund und es machen sich solche breit, die global von Bedeutung sind. Erwähnt seien hier die Kritik an der weltweiten Migration, die Umkehr in der Kernenergiepolitik und die Turbulenzen auf den Finanzmärk­ten. National von Bedeutung ist, dass sich die Rahmenbedingungen von Wahl­kämpfen ändern, beispielsweise beim Einsatz von BundesrätInnen in Par­tei­kampagnen, beschränkt auch durch die Problematisierung von Wahlkampf­ausgaben in der Öffentlichkeit, was nicht alle Parteien gleichermassen trifft. Insgesamt heisst das auch, dass die strategische Orientierung einer Parteikampagne, wie es die SVP mit ihren Super-Wahlkämpfen 2003 und 2007 vorgemacht hat, ohne das Mitmachen der Medien erschwert ist.

Das Wahlfieber schwillt an

Wahlbörsen sind, nebst Wahlbefragungen, ein zwischenzeitlich verbreitete Methode der Analyse von Parteistärken vor Wahlen. Anders als bei Umfragen, geht es nicht nur um (fortgesetzte) Momentaufnahmen. Vielmehr geht es um Prognosen.

wahlfieber

Wahlfieber ist eine der Plattformen, die routinemässig Wahbörsen für Schweiz Wahl anbietet. Das ist auch für die kommenden Nationalratswahlen der Fall.

Gefragt ist, das Wahlergebnis der grösseren Parteien frühzeitig zu schätzen. Jede Schätzung kann aber verändert werden, wenn sich dafür ein Käufer der Parteiaktien findet.

Die Erwartungen zu den Parteistärken für den Nationalrat lauteten am 1. August – oder 10 Tage nach dem Start:

SVP: 28.5 (-0.4% gegenüber 2007)
SP: 19.3 (-0.2%)
FDP.Liberale: 14.4 (-3.3%)
CVP: 13,1 (-1,4%)
GPS: 10.8 (+1.2%)
GLP: 5.3 (+3.9%)
BDP: 3.9 (+3.9%)
Uebrige: 4,7 (-3.3%)

Zulegen würden demnach die neuen Parteien wie die GLP und BDP. Von einem Zuwachs geht man auch bei den Grünen aus. Verluste gäbe es vor allem bei der FDP, beschränkt bei CVP und kaum bei SVP und SP.

Gestoppt wäre damit der Rechtstrend der letzten Wahlen. Vielmehr könnte man von einer Wahl zugunsten ökologischer Parteien sprechen. Das Polarisierungsmuster wäre endgültig zu Ende, die moderaten Kräfte wären aber auf mehr Parteien verteilt.

Damit liegt die Wahlbörse nicht neben dem, was Wahlbefragungen aktuell ergeben. Auch sie gehen von Gewinnen bei GLP und BDP aus und schliessen solche für die GPS je nach Zeitpunkt der Erhebung nicht aus.

Bestätigt wird damit, dass Wahlbörsen den Wahlbefragungen folgen. Ob sie, wie 2007 etwas grössere Abweichungen zeigen als die beste Wahlbefragung wird sich weisen.
In einem sind die Wahlbörsen weniger informativ als die führenden Wahlbefragungen, machen sie doch keine Angaben für die Wahlbeteiligung, dem heute vielleicht wichtigsten Indikator bei Schweizer Wahlen.

Ein Unsicherheit ergibt sich allerdings. Gemäss Hauptwette würden auch die kleinen Parteien zu den Verlieren zählen. Für sie wird aber eine separate Börse erstellt, die andere Schätzungen ergibt. So rechnet man da mit einer GLP-Stärke von 6.9 Prozent. Jene der BDP liegt bei 4.5 Prozent. Selbst die äussere Linke käme demnach auf 3.0 Prozent. Das wäre dann eine noch stärkere Erosion der etablierten Kräfte.

Ich werde die interessante Spielerei jeweils zum 1. des Monats kommentieren, und auch in den letzten 10 Tagen, wie man in der Schweiz keine Umfragen mehr veröffentlichen darf.

Claude Longchamp