GLP und die politische Mitte sind die erwarteten Sieger der Zürcher Kantonalwahlen

Die GLP ist der erwartete Sieger bei den Zürcher Kantonalwahlen. Das geht aus dem Instrumentenvergleich von Wahlumfragen und Wahlbörsen hervor. Beide Messverfahren sehen in der Folge eine gestärkte Mitte hervorgehen, in der die Grünliberalen zum dominanten Partei würden.

tabzh

10 Tage vor Wahl dürfen in der Schweiz keine neuen Umfragen publiziert werden. Das verlangen die Richtlinien des Branchenverbandes der Umfrageinstitute. Sie gelten für demoskopische Instrumente, nicht aber für quasi-demoskopische. Deshalb wird es ab heute keine weitere Repräsentativ-Befragung zu den Kantonsratswahlen in Zürich geben, während die Wahlbörse bis zum Wahltag fortgesetzt werden wird. Brauchbare Instrumentenvergleich können damit nur jetzt gemacht werden.

Der grösste Unterschied zwischen Umfrage und Börse resultiert bei der SP. Die letzte Wahlbefragung gibt ihr gerundete 21 Prozent; die aktuelle Wahlwette 18 Prozent. Vor vier Jahren lag man effektiv bei 19,5 Prozent. Das ist genau in der Mitte der beiden Messwerte.

Auch bei der BDP gehen die Ansichten etwas auseinander. Die Börse sieht sie bei 4,5 Prozent und damit ganz nahe bei der entscheidenden 5 Prozent-Marke für den Einzug ins Parlament. In der Umfrage machten die BDP-Bekundungen genau 2 Prozent aus. Erwähnenswert ist schliesslich der Unterschied bei der EVP, die gleich wie die BDP in der Wahlwette besser abschneidet als in der Repräsentativ-Befragung.

Die Wahlbefragung von Isopublic, die Wahlabsichten eines Querschnitts misst, legt in der Trendbetrachtungen einen Meinungsumschwung nahe, der von einem Rechts- zu einem Linksrutsch führte. Als Grund dafür wird die Wende durch den Japan-Effekt angeben. In der Wahlbörse, die Erwartungshaltungen eruiert, findet sich davon wenig. Gewinn- und Verlusterwartungen schwanken nur wenig.

In einem Fall ist die Reihung der Parteien anders: Die Börsianer erwarten, dass die GLP die GPS knapp überflügelt; die Befragung geht von einem ebenso knappe Vorsprung der älteren auf die jüngeren grüne Partei aus. Faktisch geht es hier darum, wer sich als vierte Partei im Zürcher Kantonsparlament etablieren kann.

Politisch gesprochen erwarten die Börsianer eine klare Konzentration der Kräfte Richtung Zentrum, focussiert auf die GLP und die BDP. Die vier kleineren Parteien werden zusammen bei 26 Prozent gesehen. Das wären 8 Prozentpunkte mehr als vor vier Jahren. Damit würde man sogar die Linke (SP/Grüne) konkurrenzieren, die von 30 auf 28 sinken und sich die Rechte (SVP/FDP) von 46 auf 42 Prozent zurückbilden aber immer noch stärkster Block bleiben würde.

In der Umfrage ist die Abstufung klarer: 43 Prozent für die Rechte, 32 für die Linke und 21 Prozent für das Zentrum, abgesehen von 4 Prozent für Kleinstparteien. Die Wahlverlieren würde damit wiederum die Rechte, halten könnte sich aber die Linke und Gewinnerin wäre das Zentrum.

Welches Messinstrument 10 Tage vor der Wahl brauchbarer ist, wird man erst am Wahlabend entscheiden können. Bis jetzt schnitten Repräsentativ-Befragung vor Wahlen meist etwas besser ab.

Claude Longchamp

Der Japan-Effekt: eine Auslegeordnung

Die Wahlforschung hat einen neuen Term, den Japan-Effekt. Damit ist gemeint, dass das Erdbeben im Pazifik, der Tsunami an Japans Ostküste und insbesondere der Reaktorunfall in Fukushima Einfluss haben auf die Wahlen in andern Ländern wie der Schweiz haben.

scanzh
Quelle: Tages-Anzeiger

Das Tages-Anzeiger bringt den Japan-Effekt im Zusammenhang mit einer kleinen Serie von repräsentativen WählerInnen-Befragungen durch Isopublic zu den Zürcher Kantonswahlen auf. Die favorisierte vor knapp einem Monat die SVP, nicht zuletzt wegen der Attacke auf Wahlkampfleiter Hans Fehr an der Albisgüetli-Veranstaltung und der darauf folgenden medialen Debatte über linksextreme Gewalt. Die aktuelle Erhebung spricht für Vorteile der GLP und der SP. Bei den Regierungsratswahlen zeigen sich Wahlchancen für die grüne Kandidatur, Probleme für einen Bisherigen der SVP.

Löblich ist der Kommentar von Edgar Schuler in der heutigen Ausgabe des Zürcher Blattes (leider nicht auf dem www erhältlich). Denn er nimmt zwei Gedanken auf, die Reaktionsweisen von Politikern auf Ereignisse, und die Bedingheit von Umfragen und Wahlen von solchen Momenten. Hier interessiert nur letzteres. Die Rede ist dabei von “October Surprise”. Gemeint ist damit, dass überraschende Ereignisse im Monat vor den Wahlen, selbst die Entscheidungen über den US-Präsidenten anfangs November beeinflussen können. Erinnert sei an das Ausbrechen der Finanzmarktkrise, die den Republikanern schadete, den Demokraten nützte und Obamas Siegeszug mitbegründete.

Nun sind solche Feststellungen für Oeffentlichkeit vielleicht neu, für die Fachwelt nicht. Seit Langem differenziert diese zwischen lang- und kurzfristigen Einflüssen auf Wahlresultate. Langfristig wirken sich beispielsweise der soziale Wandel aus, ebenso wie die Neupositionierung von Parteien oder Aenderungen im Wahlrecht. Kurzfristig von Belang ist die Entwicklung von modernen Wahlkämpfen. Lange ging man dabei eher von einer Verstärkung der Trends über den Moment hinaus aus, während sie heute ein Spektakel der Mediengesellschaft sind. Für die ist typisch, dass sich Medien und Parteien vermengt an die Wählerschaft richten, dafür Botschaften aus der Situation heraus so platzieren, dass sie im Idealfall ein Meinungsklima erzeugen oder von einem solchen profitieren.

Mit gutem Grund kann man solche Einflüsse aus den Ereignissen in Japan theoretisch annehmen. Sie haben mit der Focussierung der Aufmerksamkeit auf den möglichen Super-GAU die Weltgesellschaft aktualisiert. Die haben vielerorts politische Reaktionen ausgelöst, namentlich in Deutschland und der Schweiz die Ausstiegs- und Moratoriums-Diskussion neu entfacht.

Empirisch gesehen haben wir dagegen kaum Erfahrungen mit Stärke und Dauer solcher Effekte. Der Unfall in Tschernobyl prägte das öffentliche Klima während Monaten, liess namentlich die Grünen bei den Wahlen in Zürich und der Schweiz erstarken, und zeigte in der Kernenergiefrage über Jahre hinaus Folgen für Einstellungen, teilweise auch für das Verhalten. Doch ist das nur ein Beispiel, das schwer zu verallgemeinern ist. Allenfalls sogar mit veränderter Komplexität zu rechnen, weil die BürgerInnen nach Tschernobyl keine Erfahrung hatten, wie solche Prozesse ausgehen, seit dem Reaktorunfall in der Ukraine indessen schon.

Erste Anhaltspunkte für die aktuelle Interpretation nur die Wahlen angesichts des Japan-Effektes: zum Beispiel in Sachsen-Anhalt, wo die Beteiligung stieg und namentlich die Grünen zulegten. An diesem Wochenende kommen sowohl die Entscheidungen in Baden-Württemberg, Rheinland-Pfalz sowie auch die in Baselland hinzu. Bis dann ist mit Sicherheit Vorsicht angezeigt.

Für mich gilt: Wahlprognosen werden unsicherer, strukturell wegen der Meinungsbildung in der Mediengesellschaft, aktuell wegen den Ereignissen in Japan. Für alle Beteiligten ist in solchen Situation nur eines hilfreich: das induktive Vorgehen durch genaue Beobachtung und Analyse der Phänomene, die sich wiederholen, ist brauchbar, um zu lernen, wie sich die Entscheidfindung bei Wahlen verändern und wie sie damit prognostiziert werden können.

Claude Longchamp

Wahlen in Genf: die Erstanalyse des MCG-Erfolges

73 VertreterInnen in den Genfer Gemeinde-Exekutiven stellt das Mouvement Citoyen Genevois seit diesem Sonntag – das sind 61 mehr als bisher. Denn die Protestbewegung, bisher nur in 3 Kommunalregierungen vertreten, weitet den eigenen Aktionsradius auf 19 Municipalités aus. Mit diesem Erfolg war man der grosse Sieger bei den Genfer Gemeindewahlen.

SUISSE ELECTIONS MUNICIPALES GE
Eric Stauffer und sein MCG feiern den neuerlichen Wahlerfolg in Genf.

Politologe Pascal Sciarini analysiert in der welschen Presse von heute das Phänomen MCG wie folgt: Entstanden ist es rund um die Grenzgänger-Frage. Die frontaliers dienen dabei als willkommene Projektionsfläche für Vieles: den Stau auf den Strassen, die Unsicherheiten am Abeitsplatz, ja selbst für die steigenden Mietzinse. Denn wer auch nur sporadisch komme, möchte irgendwie für immer bleiben, ist die Logik.

Wie alle populistischen Bewegungen arbeitet das MCG mit dem Gefühl der Unsicherheit – und hat damit vor allem bei Polizisten erfolg. 2005 trat man auf kantonaler Ebene erstmals an; 2009 folgte die Bestätigung im Kantonsparlament. Jetzt gelang der Bürgerbewegung der eigentliche Durchbruch. 73 Genfer Gemeinderäte gehören neuerdings ihr an. Auf 10 bis 12 Prozent Wähleranteil schätzt der Direktor des Genfer Instituts für Politikwissenschaft den Neuling in der Parteienlandschaft.

Gearbeitet wird vor Ort, in den Vororten und Quartieren, aber auch via Medien, die gerne über das Neue berichten. Reduzieren könne man die Bewegung nicht auf ihren Präsidenten, Eric Stauffer, sagt der Fachmann. Der stehe zwar im Zentrum des öffentlichen Interesses, habe aber zahlreiche Stellvertreter, lieutnants, mitgezogen, weiss der Politikwissenschafter. Das stabilisiere.

Wenig Gesichertes weiss man über die Wählerschaft des MCG. Vermutet wird vor allem, dass es unzufriedene WählerInnen anderer Parteien anziehe. Denn die Wahlbeteiligung bei Genfer Wahlen schnellt nicht einfach nach oben. Nimmt man die Gewinne und Verluste von diesem Wochenende, beschränken sich die Wanderungen mit Sicherheit nicht einfach auf die SVP. Denn die verlor nur wenig. Stärkere Einbussen erlebten die halbfusionierten FDP/Liberalen, aber auch die linke Solidarité. Sciarini vermutet denn auch, dass deren Wählerschaft direkt von ganz links nach ganz rechts wechselt -aus Protest über das Versagen der staatlichen Programme. So ist die Solidarité in der Vortsgemeinde Vernier ganz aus den Behörden gekippt worden.

Wo genau man stehe, will das MCG nicht sagen. Klar ist der populistische Appell, offensichtlich auch die Nähe zur Rechten, sucht man doch die Kooperation mit Rechts gegen Links. Vertreten werden aber auch soziale Anliegen, um die unteren Schichten anzulocken, glaubt der Politanalyst. Bei Grünen und SP, hat das bisher wenig geklappt; gebrochen wurde aber deren mehrheit im prestigeträchtigen Stadtgenfer Parlament. Und: Solange das MCG von den Rechtsparteien nicht als gleichwertige politische Kraft anerkannt werde, werde man sich von fall zu fall positionieren, um als kräftige Zunge auf der Waage der Mehrheitsbeschaffung zu funktionieren. Einfacher werde das Regierung in Genf so nicht, bilanziert Sciarini.

Das grosse Ziel des MCG ist es schon länger, bei den Nationalratswahlen 2011 Sitze zu machen – am besten auch ausserhalb des Kantons Genf. Zuammen mit der Lega dei Ticinesi möchte man eine eigene Fraktion rechts der SVP gründen können. Ob es dazu kommt, kann man aber auch bezweifeln. Denn der Vorteil von Bewegungsparteien wie dem MCG ist es, schnell und präzise auf lokale Probleme reagieren können.

Doch genau das macht es auch schwer, das lokale Erfolgsprojekt in andere Kantone zu exportieren. Denn schon in Lausanne, aber auch in Neuchâtel sind die Verhältnisse zwar gleich strukturiert, aber anders konnotiert. Deshalb gelingt es der SVP nur schwer, im Tessin und in Genf Fuss zu fassen, während kantonale Bewegungen wie die Lega oder das MCG kaum über ihre Kantonsgrenzen hinaus kommen.

Claude Longchamp

Amstutz dank Mobilisierungsfähigkeit gewählt – Wyss mit Support aus der Mitte und FDP nur knapp geschlagen

Die Karte kennt man. Das zentrale Muster der Erklärung zur jüngsten Ständeratswahl im Kanton Bern war der Stadt/Land-Gegensatz. Zwischenzeitlich haben wir gerechnet. Adrian Amstutz lag am Ende wegen seiner Mobilisierungsfähigkeit vorne, Ursula Wyss holte die Mehrheit der Stimmen von SP bis FDP.

strw2011

Adrian Amstutz kam im 2. Wahlgang auf 76 Prozent der Stimmen aus agrarischen Gemeinden. In touristisch geprägten Kommunen schaffte er es auf 68 Prozent. 67 Prozent waren es in agrarisch-gemischten Gemeinden, und Mehrheiten von 58 resp. 56 Prozent resultierten in Pendler- resp. Industriegemeinden. Gegenden, die durch Landwirtschaft, Industrie oder Tourismus geprägt sind, waren auf seiner Seite. Ursula Wyss erzielte ihr bestes Ergebnis in den städtischen Zentren, 65 Prozent der Stimmen gingen da an sie. 57 Prozent waren es in den einkommensstarken Gemeinden, 52 in den suburbanen und 50,4 in den periurbanen Kommunen. Sie ist die PolitikerInnen der Dienstleistungsgesellschaft.

Dieses Raumprofil hat Auswirkungen auf die parteipolitischen Affinitäten der beiden KandidatInnen im zweiten Wahlgang. Genaue Prozentwerte lassen sich hier nicht benennen. Doch können Affinitäten bestimmt und Wahrscheinlichkeiten geschätzt werden – etwa im Vergleich zu den Grossratswahlen 2010:

Erstens, beide KandidatInnen legten aufgrund der zusätzlichen Mobilisierung zu. Bei Amstutz ist der Effekt allerdings einiges höher als bei Wyss. Der linken Bewerberin gelang es aber besser, sich bei den WählerInnen anderer Parteien zu empfehlen.

Zweitens, Amstutz wurde im zweiten Wahlgang mehr als im kantonalen MIttel unterstützt, wo seine eigene SVP stark ist. Das gleiche gilt auch, wenn es sich um EDU-orientierte Gemeinden handelt. Schwach trifft dies auch für Kommunen mit einem erhöhten EVP-Anteil. In den beiden letzten Gemeindegruppen legte er von 1. zum 2. Wahlgang zu. In den SVP-Gemeinden hatte er sein Potenzial dagegen schon im ersten Wahlgang weitgehend ausgeschöpft.

Drittens, bei Wyss ist der parteipolitische Hintergrund breiter als beim Gewählten. Sie wurde stärker als im Mittel gewählt, wo die SP stark ist, die Grünen und/oder die PSA. Doch zeigen Gemeinden mit FDP-, GLP-, CVP- und GFL-Orientierung erhöhte Zustimmungswerte für die Sozialdemokratin. Stärker geworden ist im zweiten Wahlgang der Support für sie vor allem dort, wo es vergleichsweise viele GLP- und FDP-Wählende hat. Etwas verbessert hat sie sich auch in den klassischen linken Gemeinden, mit starker SP oder GP-Präsenz.

Viertens, nicht entscheidbar ist, ob die BDP auf die eine oder andere Seite tendierte. Eine eigentliche Bewegung in die eine oder andere Seite konnte die noch junge Partei nicht auslösen.

Was heisst das alles? Der Wahlsieg von Ständerat Adrian Amstutz wurde weitgehend durch seine eigene Partei erkämpft. Sein bekanntes Hardliner-Profil, verstärkt durch klar werberische Positionen in der Oeffnungs- und Armeefragen liess sich exemplarisch für die Mobilisierung von Personen einsetzen, die bei typischen konsens-orientierten Angeboten nicht angesprochen fühlen. Dieses Profilierung erschwerte es aber, über die direkt angesprochene, konservative Wählerschaft hinaus, zahlreiche Parteigänger zu finden.

Ursula Wyss bot in vielem das Gegenstück zu Adrian Amstutz. Doch die SP hat ihre Schlagkraft bei der Mobilisierung über die eigene Wählerschaft hinaus nicht so verbessern können wie die SVP. Dafür war ihre parteipolitische Abstützung breiter. Eine klare Mehrheit von Rotgrün, aber auch eine kleine Majorität der kleinen Mitte-Parteien und der FDP dürfte ihr die Stimme gegeben und damit dem Rückstand verkleinert haben.

Partei- und Personeneffekte nach amerikanischem Muster mischten sich bei dieser Wahl exemplarisch. Das zeigt sich auch an der Polarisierung. Amstutz griff mit relevanten Themen seine Gegnerschaft an. Diese reagiert mit negative voting auf das negative campaigning. Gemeint ist damit, dass man jene Kandidatur nicht wählte, die einen mehr ärgerte. Die Bilanz am Ende der Kampagne gab dem Sigriswiler recht – doch nur knapp.

Der Mercedes-Stern über der Zürcher Politlandschaft

Peter Moser, Politikwissenschafter und Leiter des Statistischen Amtes des Kantons Zürich, ist wohl der Innovativste unter den amtlichen Datenverarbeitern. In der heutigen NZZ legt er in Bild und Wort dar, wie er die parteipolitische Landschaft seines Kantons strukturiert sieht.

politische_landkarte_zuerich_fullSize_1.9807098.1299569930

Seit dem Erscheinen des Schweizer “Atlas der politischen Landschaften” von Michael Hermann und Heiri Leuthold sind wir uns zweidimesionale Analysen des politischen Raumes gewohnt. In vielfacher Hinsicht konnte gezeigt werden, dass die klassischen Links/Rechts-Dimension mit der Polarität zwischen mehr Markt und mehr Staat durch eine neue Identitätsdimension mit nationalkonservativen und international-progressiven Werten überlagert wurde.

Umstrittener ist aber, ob daraus effektiv eine Vier-Felder-Tabelle mit linksliberal, rechtsliberal, sozial- und nationalkonservativen Quadranten resultiert wie bei Hermann unterstellt, oder beispielsweise ein Mercedes-Stern, wie ihn Moser vorschlägt. Seine Ueberlegung ist, dass dass die wichtigste Polarität zwischen links und rechts unverändert spielt, es jedoch eine analoge Aufteilung des konservativen Lagers – mindestens in Zürich – nicht viel Sinn macht. Denn der Gegensatz dazu ist schweizbezogener Konservatismus. Deshalb bevorzugt Moser eine analytische Aufteilung mit drei Strahlen: dem konservativen, dem linksprogessiven und dem rechtsprogressiven.

Bei Abstimmung konnte der Kantonsstatistiker schon mehrfach zeigen, dass man damit sinnvolle Analysen der Ja-/Nein-Anteile, aber auch der Beteiligung machen kann. Dabei geht es dem Analytiker nicht nur um die Extreme, die eindeutig verteilt sind, sondern auch um die Profile der Parteien im Schnittfeld der drei Strahlen. Er kommt zu folgenden Schlüssen.

SVP: Der Erfolg der SVP basiert auf einer Umkrempelung von der Bauern- und Gewerbepartei mit klarem Interessenprofil zur Volksapartei mit schweizerisch-konservativen Werten. Gewachsen ist sie eben nicht nur auf dem Land, sondern in Teilen der Agglomerationen. Deren Gemeinsamkeit ist, dass es Gemeinden mit problematischen Auswirkungen der Globalisierung sind, wie die Zuwanderung wenig qualifizierter Arbeitskräfte oder die Entwertung der traditionellen Fähigkeitspotenziale. Die so entstandene Desorientierung in der Bürgerschaft wird durch die klaren und einfachen programmatischen Antworten aufgefangen.

Rotgrüne Wählerschaft: Die Kernwählerschaft von SP, GP, teilweise auch der GPL rekrutiert sich aus gut ausgebildeten Spezialisten, namentlich im Bildungs- und Gesundheitsbereich, die beim Staat oder in der staatsnahen neuen Dienstleistungswirtschaft beschäftigt sind. Die eher unscharfe Abgrenzung zwischen den Parteien führte lange zu einer hohen Fluktuation innerhalb des Lagers. Etwa zur Hälfte kann man in diesem Schema auch die GLP erklären; die andere Hälfte resultiert aus der Attraktivität des Neuen, insbesondere bei JungwählerInnen. Dem Wind der internationalen Konkurrenz waren diese Schichten bisher nur beschränkt ausgesetzt, was sich aber mit der qualifizierten Zuwanderung und vermehrten Konkurrenz an Universitäten, in Spitälern und der Kommunikationsbrache ändern könnte.

FDP: Die Verluste der FDP binnen 30 Jahren können nicht einfach mit dem Aufstieg der SVP erklärt werden. Ein Hinweise darauf ist der tiefe, bildungs- und einkommensmässige Graben zwischen den WählerInnen der bürgerlichen Parteien. Die Veränderungen der klassischen Rechtspartei hat mehr mit dem demografischen Wandel zu tun, wobei dei FDP vor allem durch das Ableben ihrer Wählenden schwindet, anders als bei der SVP junge Wählende die Verluste aber nicht wettmachen können.

Ich halte das für eine sehr stimmige Analyse der Parteienlandschaft im Kanton Zürich. Die drei Strahlen machen Sinn, die Porträts der Parteien ebenso. Untersuchen kann man damit sowohl Abstimmungen wie Wahlen. Aufzeigen könnte man das Potenzial noch für Parlaments- und Regierungsratswahlen resp. für National- und Ständeratswahlen.

Was man heute schon weiss, verdient sehr wohl die prestigeträchte Auszeichnung eines Mercedes-Sterns!

Claude Longchamp

Ich ziehe den Hut!

Marc-André Röthlisberger ist Mathematiker und am politischen Leben interessiert. Er hat die beste Prognose für den zweiten Umgang zu den Berner Ersatzwahlen in den Ständerat gemacht. Chapeau!

Vor dem 2. Wahlgang zu den Berner Ständeratswahlen wagte der Münsiger Bürger als einziger eine Prognose in Zahlen. Die Polit-Analysten bewerten die Lage zwar nicht anders, aber wager. Für Adrian Amstutz kam er auf 51,5 Prozent Stimmen. Effektiv hatte er 50,6 Prozent – das ist weniger als 1 Prozentpunkt Fehlerquote!

Zwei Mal habe ich von “RM”, wie er auf dem zoonpoliticon-Blog erscheint, Post erhalten: einmal vor der Wahl – einmal nach der Wahl. Im Vorfeld begründete er seine Annahmen, im Nachhinein kritisierte er sie.

Das ist genau das Richtige vorgehen: Mit expliziten Hypothesen arbeiten, das heisst von begründeten Annahmen auszugehen, um dann zu sehen, ob sie sich bestätigt haben. Wenn ja hat mein ein Erklärungs/Prognose-Modell, wenn nein, muss man an einem verbesserten hierzu arbeiten.

18 Tage vor der Wahl lauteten Röthlisberger Hypothesen:

. Die Beteiligung geht zurück, letztlich aber nur wegen, weil von den ehemaligen WählerInnen von Christa Markwalder zahlreiche sich für keine der verbleibenden Kandidaturen erwärmen können. Röthliberger ging von 45 Prozent dieser Wahlerschaft, die so reagieren würden.
. Bei der Stimmenübertragung: Die Jost-WählerInnen gehen weitgehend zu Amstutz, da sie wertkonservativ sind. Die verbleibenden WählerInnen von Markwalder gehen zu 60 Prozent zu Wyss, zu 40 Prozent zu Amstutz.
. Neutralisiert hat er weitere denkbare Effekte, die sich aus der Kombination von Wahlen und Abstimmungen ergeben können, die nur im 1. Wahlgang spielten.

Das Ergebnis daraus lautete: Adrian Amstutz wird gewählt – und zwar mit 51,5 Prozent bei einer Beteiligung von gut 40 Prozent. Die Begründungen: Das Resultat passt ins allgemeine Klima, berücksichtigt die wichtigsten wertemässigen Konfliktlinien und ist Ausdruck des Themenwahlkampfes (vor allem Anti-Eu-Politik) des SVP-Hardliniers.

In der Evaluierung der Prognose kommt Mathematiker Röthlisberger zum Schluss:

. Die Mobilisierungsschätzung stimmte weitgehend.
. Die Annahmen für die (verbliebenen) Markwalder-Stimmen waren korrekt.
. Die Annahmen für die Jost-Stimmen war zu stark in Richtung EVP gewichtet. Im urbanen Umfeld ist die EVP näher bei rotgrün als bei der SVP.

Marc-André Röthlisberger ist ein Wagnis eingegangen. Das sagt er selber. Gut für ihn war, dass er seine Prognose etwas ausserhalb der Oeffentlichkeit machen konnte. Denn die ist nur an “richtig/falsch” interessiert, nicht an der Frage, warum etwas stimmt oder nicht.

Der Prognostiker ist genau nach Karl Popper vorgegangen: Er hat politische Annahmen (Theorie) formalisiert, mit expliziten Hypothesen gearbeitet (Operationalisierung) und ihre Richtigkeit (Verifikation, Falsifikation) überprüft hat. Daraus so kann man nur lernen!

Ein wenig unschlüssig bin ich, weil einiges doch nur Schätzungen sind. Generalisierung über das Beispiel hinaus sind zu erwarten, wenn die verwendeten Parameter abgeleitet werden können. Daran sollte man weiterarbeiten – nicht nur die Spezialisten für Zahlen, sondern auch die für politische Analysen.

Und: Prognosen im 2. Wahlgang sind einfacher als im 1. Das ist eine grössete Herausforderung an die Kunst der Vorhersage bei Ständeratswahlen.

Ich bin stolz, einen so findigen Mathematiker in meiner Leserschaft zu haben!

Claude Longchamp

Berner Ständeratswahlen: Niederönz ist überall

“Niederönz ist überall”, kann man nach den Berner Ständeratswahlen sagen. Denn in der Vorortsgemeinde von Herzogenbuchsee obsiegte Adrian Amstutz mit einer 1 Stimme über Ursula Wyss. Knapp war auch das Ergebnis auch im Kanton. Der neue Ständerat weiss 50,6 Prozent der Stimmenden hinter sich, der Unterlegenen fehlten 3600 Stimmen.

teaserbreit
Der neue Berner Ständerat, Adrian Amstutz, nimmt die Gratulation seiner Konkurrentin im zweiten Wahlgang, Ursula Wyss, entgegen.
Quelle: Bernerzeitung

Zunächst wird man festhalten können, dass die Wahlbeteiligung für Berner Wahlen hoch war: Beide Seiten haben auf Mobilisierung gesetzt, und es hat Wirkung gezeigt. Vor einem Jahr wurde der Regierungs- und Grossrat bei einem Teinahmewert von knapp 31 Prozent neu bestellt. Jetzt gingen 46 Prozent – die Hälfte mehr. Polarisierung, vermittelt durch anerkannte Persönlichkeiten, verstärkt durch zentralisierte Kommunikation bringen die Menschen zum Nachdenken und Handeln. Das lernte uns schon der Wahlkampf 2007, namentlich der der SVP. Und das wiederholte sich jetzt bei der Endausmarchung zu den Ersatzwahlen in den Ständerat im Kanton Bern exemplarisch.

Natürlich, vor drei Wochen war die Beteiligung mit gut 50 Prozent noch etwas höher. Doch damals unterstützen spannende nationale und kantonale Abstimmung die Teilnahme an den Entscheidungen. Wenn diesmal 5 Prozent weniger wählen gingen, heisst das wohl, dass ein Teil der Mitte, der sich weder für Amstutz noch für Wyss entscheiden wollte, zuhause blieb. Das macht vielleicht die Hälfte der politischen Mitte aus; mindestens die die Hälfte gab seine Stimme erneut ab. Wyss legte um 20000 Stimmen zu, Amstutz um 11000.

Zugelegt hat die Sozialdemokratin namentlich in den Zahlkreisen Bern-Mittelland, Biel/Bienne, Thun. Etwas aufgeholt hat sie aber auch im Berner Jura und im Seeland, während sie in Obersimmental-Saanen, Frutigen-Niedersimmental, Interlaken-Oberlhasli und dem Emmental praktisch chancenlos blieb. Diese Regionen bewegten sich eher Richtung Wahlsieger Amstutz.

Mit Adrian Amstutz hatte ein SVP-Ständeratskandidat der neuen Art Erfolg. Er politisiert auffällig, und weiss mit negative campaigning zu politisieren. Denn seine Botschaften gegen den EU-Beitritt und gegen die Abschaffung der Armee waren nicht nur SVP-Programm, sie zielten auch klar auf seine Konkurrentinnen. Das passt gut in die Strategie der Partei von Amstutz, welche 2011 ihre Untervertretung im Ständerat korrigieren möchte.

Mit dem knappen Ergebnis, aber auch mit seinem Profil in Bern wiederholte sich zudem das zwischenzeitlich gut bekannte Konfliktmuster im Kanton Bern: Die beiden Agglomeration Bern und Biel stimmen genauso wie der französischsprache Kantonsteil mehrheitlich links, der übrigen Kanton rechts. Die Spaltung geht durch kleinere Agglomerationen wie die von Thun oder Spiez, von Langenthal oder Burgdorf, wo das mehrheitlich Umland konservativ ist, die Zentren progressiv.

Dazu passt, dass Niederönz, die Agglomerationsgemeinde vor Herzogenbuchsee mit 50,1 Prozent für Adrian Amstutz wählte, und den konservativen Oberländer neben Werner Luginbühl von der BDP zum neuen Berner Ständerat empfahl.

Claude Longchamp

Ständeratswahlen im Kanton Bern: zum Beispiel Niederönz

Morgen wählt der Kanton Bern die Nachfolge für Simonettas Sommaruga als Ständerätin. Wer vorne liegt, weiss man im Verlauf des Nachmittags. Wer nicht solange warten will, macht sich seine eigene Hochrechnung – zum Beispiel mit Niederönz.

19622
Was aus der Wahlurne von Niederönz bei Ständeratswahlen hervorgeht, hat gesamtkantonal Bestand

Das beste kleine Abbild des Kantons im ersten Wahlgang zu den Ersatzwahlen in den Ständerat 2011 war die oberaargauische Gemeinde Niederönz. Bei keiner der vier Kandidaturen war die Abweichung grösser als 1 Prozentpunkt. Und bei der Stimmbeteiligung wich man im untersten Promillebereich ab. Vorne lag Amstutz mit 39.8 Prozent der Stimmen (kantonal: 38.8), gefolgt von Ursula Wyss mit 34.2 Prozent (kantonal 33.6), Christa Markwalder mit 18.7 (kantonal 19.7) und Mark Jost mit 7.3 (kantonal 7.9).

Wenn man es ganz einfach haben will, kann man morgen Sonntag schnell auf das Resultat der Vorortsgemeinde von Langenthal schauen. Denn an ihr kann man schon mal abschätzen, was Sache werden dürfte.

Natürlich sind Einzelbeobachtungen mit Vorsicht zu geniessen. Deshalb empfiehlt es sich, weitere Informationen beizubeziehen. Schauen werde ich in erster Linie auf Vechigen und Kaufdorf in der Berner Agglomeration. Sie waren im ersten Wahlgang ebenfalls recht präzise Trendgemeinde. Das gilt, mit Einschränkungen, auch für Plagne im französischen Kantonsteil und Schwanden bei Brienz in der deutschsprachigen Gegend des Kantons Bern.

Das Interessante an den benannten Gemeinden ist, dass keine besonders gross oder klein ist. Es sind typisch bernische Mittelgemeinden mit etwas mehr oder weniger als 1000 EinwohnerInnen. Keine der Kommunen ist ein Zentrum, jedoch liegt auch keine ganz in der Peripherie. Vielmehr haben sie alle etwas Eingemittetes.

Niederönz beispielsweise hat den klassischen Weg einer Berner Ortschaft hinter sich: Zuerst zähringisches, dann kyburgisches Gut, anschliessend klösterlich via Herzogenbuchsee, dann herrschaftlich bei Bern, kommt es bei der Kantonsgründung zum Amtsbezirk Wangen. Seit der grossen Kantonsreorganisation ist man beim Verwaltungskreis Oberaargau zugehörig. Die Bevölkerungszahl wuchs seit dem 19. Jahrhundert gemächlich an, in den letzten 40 Jahren hat sie sich rasch auf rund 1500 Personen verdoppelt. Aus der ehemaligen Bauerngemeinden auf dem Land wurde so eine Agglogemeinde mit gemischter Wirtschaftsstruktur.

Politisch ist die SVP führend: Bei den Nationalratswahlen gab es einen Anteil von 37 Prozent für diese Partei, gefolgt von der SP mit 20, der FDP mit 15 und den Grünen mit 9 Prozent am WählerInnen-Kuchen. Niederönz kennt damit, wie der Kanton auch, eine bürgerlicher Mehrheit und eine starke linke Minderheit. Entsprechend stimmt man. Bei der Waffeninitiative war man mehrheitlich dagegen, bei Mühleberg II mehrheitlich dafür.

Die grösste Unsicherheit bei dieser einfachen Hochrechnung liegt in der Mobilisierung. Erwartet wird, dass die Teilnahme tiefer sein wird als am 13. Februar. Wenn sie gesamtkantonal gleichmässig zurückgeht, hat das auf die Mustergemeinden keinen Einfluss, wenn nicht schon.

Gespannt warte ich auf die Gemeinde-Resultate morgen!

Claude Longchamp

Voranalysen der Zürcher Kantonsratswahlen 2011 im Vergleich

In vier Wochen wählt Zürich, der bevölkerungsreichtste Kanton der Schweiz, sein Parlament neu. Was sagen die Analysen zu Wahlabsichten und Gewinn-/Verlust-Erwartungen einen Monat vor dem entscheidenden Moment?

Auslosung_der_Listen-Nummer_13_hohe_Aufloesung
Wird am kontroversesten eingeschätzt: BDP gemäss Wählbörse Sieger, gemäss Wahlbefragung irrelevant

Die Börse auf “Wahlfieber” ortet 30 Tage vor der Wahl zwei Sieger: die BDP und die Grünliberalen. Sie liegen, abgesehen von Tagesschwankungen, bei 5 resp. 8 Prozentpunkten. Bei der BDP sind das lauter Gewinne, denn die Partei tritt in Zürich erstmals zu Wahlen an. Bei der GLP, der zweitjüngsten Partei würde das ein Plus von 2 Prozentpunkten bedeutet.

Bei der FDP des Kantons Zürich ist an der Wahlbörse von Stabilität die Rede. Wie bei letzten Wahlen wir ein Wert von 16 Prozent erwartet. Erheblich wären die Rückgänge bei SVP und CVP, beschränkt bei Grünen, EVP und SP, wen die Wettgemeinschaft Recht hat.

Faktisch erwartet man bei den Börsianern, dass es unter den kleinen Mitte-Parteien eine Umgruppierung gibt, während die Linke und Rechte etwas schwächer würde.

Dem widerspricht die bisher einzige Wählerbefragung, von Isopublic für verschiedene Zürcher Medien realisiert. Sie hielt vor drei Wochen einen Rechtsruck fest, mit Gewinnen insbesondere für die SVP. Die GLP hätte gehalten oder leicht zugelegt, die FDP wäre stabil. Kaum messbare Gewinne würden für die BDP resultieren.

Verluste in den frühen Wahlabsichten gab es für die EVP, in beschränktem Masse auch für die Grünen, die CVP und die SP. Hier werden auch Angaben für die Kleinparteien gemacht, die gleich blieben, oder wie die AL minimal zugelegt hätte.

Beide Instrumente sind nicht gleich: Die Wahlbefragung versucht, anhand eines repräsentativen Ausschnitts aus der Bevölkerung, Aussagen über die jeweils aktuellen Entscheidungen zu eruieren, während die Börse Erwartungshaltungen über Gewinne und Verluste unter Wettfreudigen vergleicht.

Internationale Erfahrungen zeigen, dass beide Instrumente in der Regel besser sind als ExpertInnen-Urteile oder Schätzgleichungen, die Wirtschaftslage, Regierungspopularität und ähnliches modulieren. Welche von beiden Tools das bessere ist, kann man nicht generell feststellen, nur fallweise überprüfen.

Claude Longchamp