Vom Geld der Parteien

L’Hébdo, das Polit-Magazin der Romandie, berichtet ausführlich über die Ausgaben der politischen Parteien. Die SVP, die grösste Partei in der Schweiz, hat am meisten finanzielle Mittel zur Verfügung. Ein einfacher Zusammenhang zwischen Kampagnen-Geld und Wählenden-Anteil gibt es aber nicht.

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Insider wussten es schon länger. Media Focus erhebt die Plakatzahlen der Parteien und vermisst ihre Inserate. Damit ist einigermassen bekannt, wer wie und wie intensiv wirbt. Publizieren mochte die Zahlen bisher kaum jemand – und wenn, dann in verklausulierter Form.

L’Hébdo, das Magazin der französischsprachige Schweiz, bricht diese Woche das Eis. Es hat den Wert der Politwerbung der fünf grössten Parteien bestimmt, zwischen den Akteuren und über die Zeit verglichen. Hier die Zahlen:

Am meisten Geld für Werbung gibt die SVP aus. Das überrascht niemanden. Die Partei ist in wachsendem Masse permanent präsent. Sie lag bei den letzten nationalen Wahlen vorne, intervenierte bei wichtigen kantonalen Wahlen von der Zentrale aus, und sie ist führend in der Abstimmungswerbung. An zweiter Stelle figuriert die FDP, gefolgt von SP und CVP, die etwa gleich auf sind, während die GPS mit grossem Abstand an 5. Stelle folgt.

Im Vergleich der beiden ausgewiesenen 4-Jahresperioden resultiert eine gut 80prozentige Steigerung zwischen 2003/6 und 2007/10. Ueberproportional sind die Steigerungen bei der SVP und Grünen, gefolgt von FDP, CVP und SPS.

Einen direkten Zusammenhang zwischen Parteisstärke und Kampagnengeld gibt es nicht. Sonst müssten FDP und CVP stärker sein; und sie hätten in den letzten 4 Jahren wachsen müssen.

Im Kommentar zu den Zahlen verweist das Magazin auf die Limiten der Erhebung. Sie sei, angesichts des bisher gänzlichen Fehlens relevanter Zahlen, die vorläufig beste Uebersicht. Von Vorteil sei, dass man Werbung auf kommunaler, kantonaler und nationaler Ebene erfasst habe. Vollständig seien die Angaben mit Sicherheit nicht. So fehle die Werbung im Internet und im direct marketing. Immerhin, mit Inseraten und Plakaten sind die erfahrungsgemäss beiden grössten Ausgabeposten in Kampagnenbudgets von Parteien resp. KandidatInnen berücksichtigt.

Bemängeln kann man an der Auswertung, dass die Ausgaben für Wahlen und Abstimmungen nicht separat ausgewiesen werden. Erfahrungsgemäss setzt das Wahljahr neue Standards, die sich in der Folge bei Abstimmungen einpendeln. Meiner Schätzung nach sind die Kampagnenbudgets im Wahljahr etwa gleich gross wie in den drei darauf folgenden Jahren zusammen, um dann wieder zu wachsen, wenn neue Wahlen anstehen. Das gibt Hinweise, was die Parteien 2007 ausgegeben haben, die mit anderen Schätzungen recht gut übereinstimmen.

Schematisch bleiben die bei dieser Studie wie bei allen anderen die Quellen der Parteienfinanzierung. Links dominieren wohl Mitgliederbeiträge und kleinere Spenden. In der bürgerlichen Mitte sind Beiträge von Wirtschaftsverbänden relevant, und bei SVP nimmt man an, dass wenige Mäzene die Parteifinanzen tragen. Bei den bürgerlichen Parteien dürfte die Finanzierungsart in den letzten Jahren aber geändert haben. Strukturbeiträge sind mit aller Wahrscheinlichkeit verschwunden; sie werden nur noch aktionsbezogen geleistet, verbunden mit Erfolgskontrollen.

Symptomatisch an der Publikation im Hébdo ist, dass die Transparenzerfordernisse steigen. Die Linke wähnte sich lange im Hintertreffen und war immer für Veröffentlichungen, verbunden mit Staatsbeiträgen. Im bürgerlichen Zentrum hat in jüngster Zeit ein Umdenken stattgefunden; Transparenz wird nicht mehr ausgeschlossen, ebenso sind einzelne Exponenten für Abgeltung öffentlicher Leistungen der Parteien durch die Allgemeinheit. Nichts wissen will man davon bei der SVP. Sie sträubt sich gegen jede Transparenz in diesem Bereich – das letzte Tabu der Schweizer Politik, sagt Hilmar Gernet, vormals Generalsekretär der CVP und heute Buchautor in der genannten Sache.

Claude Longchamp

Wer immer regiert, der verliert immer häufiger!

Ueber Parteistärken im National- und Ständerat weiss man einigermassen Bescheid. Anders verhält es sich, wenn es um Kantonsparlamente und Kantonsregierung geht. Schade, sagte ich mir, denn man kann eine interessante Schlussfolgerung ableiten. Parteien, die lange in der Regierung sind, verlieren zuerst an Rückhalt unter den Wahlberechtigten, dann auch in der Regierung. Hier die Argumente.

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28 Prozent der RegierungsrätInnen in den Schweizer Kantonen gehören der FDP an. Sie ist damit die heute stärkste Partei in den Kantonsregierungen, gefolgt von der CVP mit 26 Prozent und der SP mit 21 Prozent. Dann klafft eine Lücke, denn die SVP stellt nur 12 Proeznt der Mitglieder einer Kantonsexekutive, und bis zur GPS mit 5 Prozent gibt es erneut einen deutlichen Sprung.

Stellt man auf die Parlamentssitze ab, ist die SVP heute zuvorderst. 22 Prozent der KantonsparlamentarInnen gehörten ihren Reihen an. Die FDP hat 20 Prozent, die CVP 19 Prozent der Mitglieder in Kantonslegislativen hinter sich. Es folgen die SP mit 17 Prozent und die GPS mit 8 Prozent.

Alle anderen Parteien sind beim einen wie beim anderen Indikator der politischen Repräsentation jeweils unter 3 Prozent.

Ganz fair sind die Zahlen nicht, denn die Gewichten die Sitzzahlen nicht nach Kantonsgrössen, und sie berücksichtigen Effekte nicht, die sich aus der Gremiumsgrösse ergeben. Doch geht es mir hier nicht um gesamtschweizerisch repräsentative Anteile, sondern zeitliche Trends, sodass man mal davon absehen kann.

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Wer ist stärker in Regierung als im Parlament? FDP und CVP sind die Profiteure der Volkswahl von Kantonsregierungen, die in der Regel nach Majorzbedingungen erfolgt. Sie sind Regierungsparteien, seit es den Bundesstaat gibt, und sie politisieren auf der Regierungsebene am ehesten in Zentrumsnähe. Ueber die Jahre hinweg haben die Rivalitäten abgenommen, wachsend sind gegenseitige Empfehlungen bei Wahlen. Deshalb übertreffen sie mit ihrer Stärke in Regierung ihre Stärke in Parlamenten am klarsten.

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Das alles gilt für die SP nur eingeschränkt. Sie ist in den Kantonsregierungen ungefähr nach dem Parlamentsanteil vertreten. Die Volkswahlen schaden ihr nicht, nützen ihr aber auch nicht. Verlierer sind die Grünen, und ganz besonders die SVP. Keine andere Partei ist, gemessen an ihrer Wählerstärke, so schwach in Kantonsregierungen vertreten.

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Wer leidet unter der Regierungsbeteiligung? Die CVP macht hier vor, was Sache ist: Wer in Regierungen dauerhaft sehr stark ist, wie das die CVP bis Ende der 90er Jahre des 20. Jahrhunderts war, dem rutschen die WählerInnen schrittweise davon. Nach eine Phase ohne Konsequenzen auf Regierungsebene, entwickelt sich auch der Anteil an Exekutivmitglieder zurück. Wer regiert, der verliert, und wer im Parlament verliert, verliert bald auch in der Regierung.

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Die FDP ist noch nicht soweit, sie konnte sich höchstwahrscheinlich durch die Parteifusion mit den Liberalen in den Exekutiven retten, vorübergehend müsste man wohl nachschieben. Bei der SP schliesslich öffnet sich die Schere erst seit den letzten Jahren, baldige Auswirkungen sind hier am wenigsten zu erwarten. Umgekehrtes gilt für die GPS, nicht aber die SVP. Ihren elektoralen Gewinn in den Kantonsparlamenten konnte sie bisher nicht in Regierungssitze ummünzen.

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Mit anderen Worten: Die Polarisierung der Parteienlandschaft, in letzter Zeit am Beispiel der SVP gegen Kombinationen der anderen Parteien bringt der Partei Erfolge bei den Parlamentswahlen. Entsprechendes bei Regierungsratswahlen stellt sich aber nur sehr verlangsamt ein. Volkswahlen sind da gar keine Garantie für höheren Erfolg!

Doch ist das gar nicht das Dramatischste an der Beobachtung; vielmehr gilt bei Volkswahlen: Wer immer regiert, verliert immer häufiger!

Claude Longchamp

Basellandschaft: Wo die Gewählten politisch stehen.

Wo stehen die Baselbieter Parteien stehen, beantwortet die Wahhilfe smartvote unter Einbezug der Gewählten. Das lässt eine brauchbare Analyse der Parteienlandschaft zu.

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SVP (24,0%), FDP (15,2), BDP (5,5), CVP (9,3), GLP (4,5), EVP (4,7), GPS (13,7), SP (22.0). So lautet die Reihenfolge der Gewählten im Kanton Basellandschaft von Rechts nach Links (und so ist Anteil unter den Wählenden).

Insgesamt bestätigt sich damit das Bild in anderen Kantonen. Wo die BDP elektoralen Zuspruch hat, ist sich nicht einfach die kleine Schwester der SVP. Vielmehr ist sie die vierte bürgerliche Partei zwischen FDP und CVP positioniert. Der zweite Sieger, die GLP steht auf der Links/Rechts-Achse etwa an gleicher Stelle wie die EVP. Mal ist die eine Partei etwas linker, mal die andere. Im Baselbiet ist das die EVP.

Die Auswertung von smartvote tönt eine zweite Konfliktdimension an – die zwischen konservativ und liberal. Sie ist weniger stark ausgeprägt, weil es hier nicht wirkliche Pole hat. Zwar sind die Gewählten der SVP am konservativsten. Sie unterscheiden sich aber nur wenig von den LandrätInnen der EVP, der BDP, der CVP und der FDP. Liberal heisst aber nicht einfach wirtschaftsliberal, es umfasst auch gesellschaftsliberale Positionen. Da zeichnet nisch die GLP, die GPS und die SP stärker aus als das Mittel.

Die FDP im Baselbieter Landrat macht politisch am wenigstens Sinn. Nicht nur ist sie die Verliererin der Wahl; sie ist kennt auch die grösste Streuung unter den Gewählten. Alles sind rechts, selbstredend, die einen aber liberal, die anderen liberalkonservativ. Noch wenig gefestigt ist das Profil der BDP-Landrätinnen, und auch bei den Baselbieter Grünen gibt es ein erhebliches Spektrum.

Versucht man Cluster mit überparteilichen Gemeinsamkeiten zu bilden, erkennt man schnell, dass heute FDP, CVP und BDP das bürgerliche Zentrum ausmachen. Die SVP erscheint davon etwas in rechtskonservativer Richtung abgesetzt oder auch etwas isoliert – je nachdem wie man sieht. Rotgrün bildet ebenfalls einen Block mit Ueberschneidungen, während GLP und EVP die eigenständigsten Positionen zwischen den Blöcken haben.

Die “BaslerZeitung” entdeckt heute mein Thema vom Sonntag abend: Neu geordnet wurde bei dieser Wahl das Feld zwischen den Blöcken. Unter dem Druck der seit Jahren aufstrebenden SVP haben sich die Schwergewichte der bürgerlichen Parteien, insbesondere der FDP nach rechts entwickelt. Beschränkt gilt dies im umgekehrten Sinne für die Grünen. Ihre Bindungkräfte in die Mitte sind geringer geworden. Das hat Platz gemacht für neuen Gruppierungen, die Erfolg haben, auch wenn man ihre KandidatInnen nicht kennt. Hauptsache ist, sie lassen sich in die Blockbildung zwischen SVP einerseits, SP anderseits nicht einspannen. Das hat vor allem der FDP, beschränkt auch der CVP Stimmen gekostet, und der BDP, der GLP neuen Chancen eröffnet.

Wenn man das alles zusammenfasst, gibt es nicht 5 Zentrumsparteien, wie teilweise analyisert wird, sondern vier: EVP. GLP, CVP und BDP. Eine “Miza”, Zusammenarbeit der Mitte, wie sie jetzt im Baselbiet diskutiert wird, macht aus meiner Warte nicht viel Sinn. Am ehesten noch erscheint mir plausibel, dass die BDP mit der CVP eine Fraktionsgemeinschaft eingeht, und die glp und die EVP sich zu einer Fraktionsgemeinschaft zusammen finden, wenn auch wohl unter Ausschluss gesellschaftlicher Themen.

Claude Longchamp

Ueberall Fukushima-Effekte?

Die Wahlsiege der deutschen Grünen am Wochenende waren spektakulär. In der Schweiz sucht man indessen nach Vergleichbarem. Eine Klärung von Unterschieden – und ein Ausblick auf denkbare Entwicklungen in der Schweiz.

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Spitzenkandidat der Grünen in Baden-Württemberg, Hermann Kretschmann, bei der Verkündigung des Resultates bei den Landtagswahlen 2011.

In Baden-Württemberg steigerten sich die Grünen von 11,7 auf 24,2 Prozent WählerInnen-Anteil. In Rheinland-Pfalz legten die Grünen von 4,6 auf 15,4 Prozent zu. Hier traf es die SPD, bisher alleinregierend am stärksten. In beiden deutschen Bundesländern stieg die Wahlbeteiligung an. Zurecht spricht man in Deutschland schon heute von einem Fukushima-Effekt. Und man kann sagen: Er hilft fast ausschliesslich den Grünen bzw. er trifft die regierenden Parteien.

Dass die Auswirkungen in Deutschland so hoch sind, hat verschiedene Ursachen. Zunächst liegt ein Machtwechsel in der Luft, nicht nur in den Ländern, auch im Bund. Denn die Regierung Merkel ist angeschlagen, nicht zuletzt wegen ihrer mehrdeutigen Kernenergiepolitik. In kaum einem anderen Dossier unterscheiden sich Schwarz-Geld und Rot-Grün so klar wie in diesem.

Und in der Schweiz? Die Gemeinsamkeiten sind nur äusserlich. Zwar hat Energieministerin Doris Leuthard das laufende Verfahren für neue Rahmenbewilligungen sistiert; die vorgesehene Volksabstimmung hierzu findet 2013 nicht statt. Doch löste das bei weitem nicht die gleiche Welle der politischen Mobilisierung aus wie im nördlichen Nachbarland. Kein Mensch forderte deswegen Rücktritt der Allparteienregierung in Bern. Und keine Partei kann sich auf die Fahne schreiben, die Führung in dem Thema alleine inne zu haben.

Der Protest gegen die Kernenergiepolitik Deutschlands bewegte in den letzten Wochen stark. Mehrere Hunderttausend gingen während zahlreichen Demonstrationen auf die Strasse: spontan, von den Umweltverbänden aufgefordert und von den Grünen angetrieben. Aehnliches gab es in der Schweiz nicht – das Frühstück auf dem Gelände der BKW mutete dagegen geradezu familiär an. Ankündigt ist, der richtige Volksaufmarsch finde am 22. Mai in Beznau statt. Was das bringt, wird man erst noch sehen.

Aehnliches ist bei den Baselbieter Wahlen von gestern geschehen. Die Grünen schafften den Eintritt in die Mehrparteienregierung. Von einem grossen Wahlerfolg in den Parlamentswahlen ist der Wechsel nicht begleitet gewesen. Drei Sitz gewonnen hat die Konkurrentin gewonnen, die gemässigte Grünliberale Partei. Die Grünen legten ein Mandat zu. Anders als in Deutschland bracht die SP in Baselland nicht ein; einzig die herben Wahlverluste für die FDP, der stärksten Partei in der Regierung, sind mit den deutschen Phänomen vergleichbar. Fast hätte man dabei übersehen, dass die BDP der eigentliche Wahlsieger war, begleitet von einer SVP, die zur grössten baselbieter Partei avancierte. Ganz unterschiedlich auch der Trend bei der Wahlbeteiligung: keine Spur steigender Beteiligung vermeldete man in Liestal.

Was sind die Ursachen der Unterschiede? Zunächst werden Sachfragen in der Schweiz in Volksabstimmungen entschieden; in Deutschland gibt es das noch nicht, sodass auch die thematischen Weichen bei Wahlen gestellt werden müssen. Sodann finden Kantonswahlen in der Schweiz für Regierung und Parlament getrennt statt; in Deutschland wählt man den Landtag, und die Mehrheitspartei oder -koalition bildet die Regierung. Das erhöht die Bedeutung der Wahl, während man Präferenzen dosiert ausdrücken kann. Schliesslich sind Lokalwahlen in der Schweiz in hohem Massen personzentriert – und zwar nicht einmal als Medien-, sondern als Alltagsphänomen. Das ist in Deutschland ganz anders, denn mit jeder Wahl ist auch das Schicksal der SpitzenkandidatInnen verbunden. Das alles erleichtert die rasche Verarbeitung von Streitfragen in Deutschland – vor allem aus Machtgründen. In der Schweiz gibt es die Möglichkeit, die Frage sachorientierter anzugehen.

Diese strukturellen Unterschiede zu nennen, heisst nicht, dass es in der Schweiz keinen Fukushima-Effekt geben. Solche Phänomen beurteilen kann man in der Regel erst in der Retrospektive. Denn was wir bisher sehen, sind die Differenzen in der kurzfristigen Reaktion. Diese hängt in erster Linie vom Empörungspotenzial ab, das durch emotionale Aufwallungen geprägt wird und durch Parteien für sich eingenommen werden kann. Etwas anderes sind die mittelfristigen Folgen, die sich an einer Neupositionierung relevanter Akteure ableiten liesse. Der Bundesrat hat hier die relevante Vorgaben gemacht, indem er bis im Sommer Szenarien der künftigen Energiepolitik studieren lässt. An diesen wird sich zeigen, wie Energieproduzenten, Wirtschaftsverbände, KonsumentInnen-Organisationen und andere mehr reagieren werden. Der letzte denkbare Fukushima-Effekt ist langfristiger Natur: Er betrifft den Wandel grundlegender Werte in der Gesellschaft, wie das Bekenntnis zur Nachhaltigkeit der Ressourcennutzung, wie den Umgang mit Risiken, die Zivilisationen zersetzen können und wie die Bedeutung der Politik, die dem Allgemeinwohl verpflichtet ist, gegenüber der Wirtschaft, die keine Nachteile gegenüber dem Status Quo in Kauf nehmen will.

Letzteres weiss man wohl erst in Rückblicken erkennen, wie man sie heute zu Unfällen wie jenen in Tschernobyl macht. Massgeblich ist hier eine anhaltende Betroffenheit, denn die Wirkung der Bilder verflüchtigt sich mit neuen Bildern, während übersäuerte Seen, Radioaktivität in der Nahrung und
missgebildete Kinder zu dauerhaften Wahrnehmungsänderungen führen. Vorletztes kann man in vielleicht eins bis drei Jahren abschätzen, wenn klar wird, was die politischen Konsequenzen sind Ersteres kann man, nach den Wahlen in Basellandschaft, in den beiden kommenden Wahlen festmachen, wenn auch Kantone wie Zürich, Luzern und Tessin wählen. Bis dann gilt aber: Abstrakt gesprochen macht es Sinn, nach einem Fukushima-Effekt zu fragen. Konkret geht es dabei um ein Kommunikationsphänomen, das sich unter bestimmten Umständen entwickelt und wenig vorhersehbar ist. Bis jetzt hat es medial voll durchgeschlagen, und sachpolitisch sind die Fronten aufgeweicht. Elektoral fehlt es in der Schweiz noch am starken Beleg, wie man ihn gestern in Deutschland gesehen hat.

Claude Longchamp

Baselbieter Mitte wird parteipolitisch neu aufgemischt

Rechts gewinnt die SVP, links hält Rotgrün. Bei den Baselbieter Landratswahlen 2011 wird die Mitte verbreitert und neu aufmischt. Die BDP und GLP beerben Teile von FDP und CVP.

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Das Wahlergebnis der Landratswahlenb 2011 in Basel-Land (Quelle: Kanton Basellandschaft/Wahlkampfblog)

Die bürgerliche Zusammenarbeit im Kanton Basel-Land, bestehend aus SVP, FDP und CVP verliert nicht nur einen Regierungssitz. Sie hat auch im neuen Landrat 6 Sitze weniger als bisher. Dabei sind die Bilanzen der drei Partner so unterschiedlich wie nur möglich: Die SVP gewinnt 3 Mandate hinzu; 6 Sitze weniger als bisher hat die FDP, und 3 Verluste sind es bei der CVP. Zusammen kommt man noch auf 46 VolksvertreterInnen – eine hauchdünne Mehrheit im 90köpfigen Landrat, die neu klar von der “oppostionellen” SVP angeführt wird.

Praktisch unverändert bleibt rotgrün; einzig der Akzent liegt leicht stärker bei grün. Denn die GPS gewinnt ein Mandat, die SP verliert eines. Zusammen bleibt man bei 33 und damit in der Minderheit.

Neu gibt es im Baselbieter Landrat eine Mitte, die nicht einfach von FDP und CVP mitabgedeckt wird. Vielmehr ist hier Platz für neu und ungebundene Kräfte entstanden. Parteipolitisch gesprochen ist das Zentrum jedoch stark fragmentiert, denn sie besteht neu aus je vier Vertretern der EVP, der BDP und drei der GLP. Damit ist man eigentliche Siegerin der Parlamentswahlen in Basel-Land.

Was daraus wird, muss sich noch weisen. Frohlocken dürfte vor allem die BDP, die nach den Aargauer Wahlen zum zweiten Mal ausserhalb der drei Geburtskantone Graubünden, Bern und Glarus Sitze macht. Und auch bei der GLP wird man Freude haben, galt es doch im Vorfeld der Wahl im Baselbiet interne Spannungen in der jungen Kantonalpartei zu bewältigen.

Für eine Fraktion braucht es 5 Mitglieder. Ausser der CVP schafft das alleine keine. Denkbar sind eine grosse Fraktion aus EVP, BDP und GLP, ein Zweckbündnis aus CVP/EVP einerseits, BDP/GLP anderseits. Positionsmässig würde es am meisten Sinn machen, wenn CVP und BDP kooperieren, und EVP und GLP zusammengehen würden.

Vorläufig bekannt ist die Wahlbeteiligung. Mit rund 35 Prozent ist sie nicht berauschend. Von einem Mobilisierungsfall wird man nicht ausgehen dürfen; die meisten Verschiebungen dürften deshalb eine Folge von WechselwählerInnen-Bewegung sein. Noch gar nicht bekannt sind die WählerInnen-Anteile der Parteien. So wie es aussieht, kann man aber von folgenden Trends ausgehen: Die SVP setzt ihren elektoralen Aufstieg fort. Umgekehrt verliert die FDP in beschleunigtem Masse, und auch bei der CVP weist der Pfeil nach einem Zwischenhoch 2007 voraussichtlich wieder nach unten. Gestoppt dürfte der Einbruch bei der SP im Jahre 2007 sein, während die Grünen leicht zulegen werden. Satte Gewinne gibt es vor allem für die BDP und für die GLP.

Der Japan-Effekt auf die Baselbieter Wahlen bleibt damit bescheiden. Er dürfte den Abstieg der ehemals staatstragenden FDP beschleunigt haben, die trotz Kurskorrektur nach rechts höchstwahrscheinlich in beide Richtungen WählerInnen verlor: an die Adresse der SVP und an jene der Mitte, die parteipolitisch neuformiert auftritt. Alles andere zeichnet sich schon vor dem Atomunfall in Fukushima ab. Zum Beispiel der Durchmarsch der SVP, die erneute eine Abspaltung mit einem Wahlsieg quittiert.

Claude Longchamp

Grüne drängen SVP aus Baselbieter Regierung

Bei den Regierungsratswahlen im Baselland kommt es zu einer Sitzverschiebung. Die Grünen ziehen mit Isaac Reber-Hürzeler in die Kantonsexekutive ein, und sie verdrängen den bisherigen SVP-Vertreter Jörg Krähenbühl.

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Die neue Baselbieter Regierung: Zwick, Reber, Pegoraro, Ballmer und Wüthrich

Im abtretenden Landrat sind SP, SVP und FDP praktisch gleich stark. Mit einigem Abstand folgen CVP und Grüne. Das macht die Verteiligung in der fünfköpfigen Regierung nicht leicht. Erschwert wird dies auch, weil die FDP im Baselbiet traditionell einen Führungsanspruch beansprucht und mit zwei Mandaten in der Regierung vertreten ist. Die Zeche bezahlte in der Regel die Linke, und da mit den Grünen der kleinere Partner.

Bei der heutigen Wahl in den Regierungsrat macht Sicherheitsdirektorin Sabine Pegoraro von der FDP das beste Ergebnis aller BewerberInnen. Ihr Parteikollege, Finanzdirektor Adrian Ballmer, geht als Fünfter noch knapp durch. Auf dem bürgerlichen Vierer-Ticket wird zudem der bisherige Gesundheitsdirektor und CVP-Mann Peter Zwick-Rudin mit dem drittbesten Resultat bestätigt. Den erneuten Sprung in die Regierung schafft dagegen Baudirektor Jörg Krähenbühl von der SVP nicht. Er erreicht zwar das absolute Mehr, doch scheidet er, im bürgerlichen Lager isoliert wirkend, als Sechster aus.

Neu in die Regierung ziehen die Grünen mit Isaac Reber-Hürzeler ein. Zwar hatte man im Vorfeld der Wahl seine Kandidatur ernst genommen, denn vor vier Jahren scheiterte er nur recht knapp. Man sah sie aber eher als Konkurrenz zur SP als zum bürgerlichen Quartett. Dem Bisherigen Bildungsdirektor Urs Wüthrich-Pelloli reichte es mit dem zweitbesten Ergebnis jedoch problemlos. Nicht gewählt wurde dagegen Pia Fankhauser, die neue Bewerberin der SP, obwohl auch sie das absolute Mehr schaffte.

Die Analyse der Ergebnisse in den Regionen macht klar, dass Sabine Pegoraro flächendeckend in den vorderen Rängen steht. Spitzenplätze gibt es in Liestal und Waldenburg. Rudin ist im Laufental an erster Stelle, in den andere Kreisen mindestens vierter. Klar zwischen Stadt und Land polarisiert Wüthrich. In Arlesheim macht er das beste Resultat, in Waldenburg wurde er nicht gewählt. Der Neue in der Regierung, Reber, legte die Basis für seine Wahl in Sissach, während er in Laufen nicht gewählt wurde. Ballmer rutsche ein wenig über all durch. In den ruralen Kreisen schnitt er ein wenig besser ab als in den ruralen. Das gilt im Wesentlichen auch für den abgewählten. Ausser in Sissach und Waldenburg lag er aber überall hinter Ballmer, in Arlesheim deutlich.

Die Baselbieter Regierung bleibt damit mehrheitlich bürgerlich, die FDP hat noch einmal den Lead inne. Dies letztlich aber nur, weil die SVP Opfer einer im Baselbiet unüblichen Abwahl eines Bisherigen wurde. Und ohne die SVP reicht es FDP und CVP im Landrat sicher nicht zur Mehrheit. Dennoch: Die neue Regierung ist grüner und wohl auch linker als bisher.
Claude Longchamp

GLP, SP und Grüne als mögliche Wahlgewinnerinnen im Kanton Luzern

1006 repräsentativ ausgewählte wahlberechtigte Personen im Kanton Luzern hat das Umfrageinstitut Demoscope zwischen dem 14. und 16. März 2011 befragt. Wahlsiegerin wäre die Grünliberale Partei gewesen, die erstmals antritt, gefolgt von der SP und den Grünen. Verloren hätte vor allem die CVP.

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Anders als bei der Wahlbefragung im Kanton Zürich fand die Erhebung im Kanton Luzern vollumfänglich in Kenntnis des Unfalls im Atommeiler von Fukushima statt. Damit können Effekte auf Wahlen, die theoretisch durchaus erwartet werden können, besser abgeschätzt werden.

Wie fast überall kann der Neuling unter den Parteien, die GLP, ausserhalb jeden Zweifels zulegen. Demoscope rechnet mit einem Anteil von gut 3 Prozent. Zwei Prozentpunkte Gewinne könnte es auch für die SP geben, 1 Prozentpunkt mehr für die Grünen. Doch legen alle Parteien in der zweiten Umfrage nur unmerklich zu; beschränkte Gewinne zeichneten sich schon in der ersten Erhebung im Januar 2011 ab. Geändert hat sich seither, dass SVP, FDP und BDP etwas zurückgehen und sich die CVP etwas erholt.

Das würde für eine leichte Verschiebung von rechts in die Mitte und nach links während des Wahlkampfes sprechen, ohne dass daraus ein starker Japan-Effekt abgeleitet werden könnte. Vielmehr hätte sich der Schub der nationalkonservativen Rechten nach der Ausschaffungsinitiative abgeschwächt.

Dasselbe Bild ergibt sich auch bei den Regierungsratswahlen. Am wahrscheinlichsten ist die parteipolitische Konstanz bei personellen Aenderungen. Vorne in der Umfrage liegen der parteilose Bisherige, gefolgt von den amtierenden VertreterInnen von SP und CVP. Unter den Neuen haben der Kandidat der FDP und zwei KandidatInnen der CVP valable Chancen zur Wahl. Der Kandidat der Grünen hat zwar innert zweier Monate zugelegt, liegt aber wie sein Mitbewerber aus den Reihen SVP deutlich zurück.

Iwan Rickenbacher, erfahrener Politanalyst aus der Innerschweiz, sieht im Spitzenergebnis des Parteilosen bei den Regierungsratswahlen ein weiteres Indiz für die wachsende Bedeutung von Personenidentifikationen in der Politik. Derweil erodieren Parteibindungen im Zentrum, was den Traditionsparteien im Kanton Luzern am meisten zu schaffen macht. Die Konkurrenz innerhalb der CVP ist noch nicht entschieden. Aufgeholt hat der Bewerber, der den aktivsten Wahlkampf in den neuen Medien wie der Pendlerzeitung führt.

Die grösste Unsicherheit mit den Umfrageergebnisse ergibt sich ansgesichts 15 Prozent Unschlüssiger unter den Teilnahmewilligen. Das eröffnet Potenziale für Verschiebungen bis am Schluss. Sie sind nicht zu unterschätzen, vor allem wenn es um die Ansprache parteiferner Potenziale geht. Das sind die Personen nochmals massgeblich.

Keine Angaben zur voraussichtlichen Wahlbeteiligung gibt es, wie meist bei Demoscope, keine.

Claude Longchamp

Vom Bedeutungsverlust kantonaler Wahlen

Alles schaut gespannt auf die letzten kantonalen Wahlen: in Basellandschaft an diesem Sonntag, in Zürich am nächsten, und in Luzern und Tessin am übernächsten. Dabei sollte man eines nicht übersehen: nationale Wahlen erleben eine eigentliche Renaissance, kantonale kaum.

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42,2 Prozent der Wahlberechtigten beteiligten sich an den Nationalratswahlen 1995. Das war der historische Tiefpunkt in der Wahlmobilisierung auf gesamtschweizerischer Ebene. Seither nimmt die Wahlbeteiligung zu: um 1 Prozentpunkt bis 1999, um weitere 2 Prozentpunkte bis 2003 und um nochmals zusätzliche 3 Prozentpunkte bis 2007. Extrapoliert auf die Wahlen in diesem Herbst, lässt das, unter gleich bleibenden Bedingungen, eine Beteiligung von 52 Prozent erwarten.

De Gründe sind vielfältig: Die Zahl der KandidatInnen steigt, auch jene der Parteilisten ist zunehmend. Das vermehrt das Angebot. Nachfrageseitig sind insbesondere Protestpotenziale steigend, die gegenüber Diesem und Jenem in der nationalen Politik misstrauisch geworden sind. Schliesslich zeigt ein neuartiger Medienwahlkampf Wirkungen: Ins Zentrum gerückt sind ausgewählte, national bekannte Politunternehmer, an denen man sich reiben kann. Sie haben ihre eigenen Projekte, kommentieren beinahe jede Sachfrage, meist um die thematisiche oder wertmässige Polarisierung anzuheizen. Ergänzt wird dies durch Politikprominenz aus der Mitte, die nicht einmal kandidieren muss, aber hochgradige Identifikationsmöglichkeiten anbietet. Zwar werden die Sitze unverändert in den Kantonen verteilt, der Wahlkampf für National- und in wachsendem Masse auch für Ständeratswahlen wir national oder wenigstens sprachregional geführt.

Bei kantonalen Wahlen findet man nur Teile davon. In der Regel geben die Wahlen in die Regierung den Takt vor, den Bisherige haben meist gute Chancen einer Wiederwahl, was das Interesse in der Regel auf einzelne Sitze reduziert. Der Rest kann im Schlafwagen zur Wahlfeier fahren. Gemieden wird dabei eine sichtbare Nähe selbst gegenüber der eigenen Partei, denn das Majorzsystem erfordert, Stimmen überparteilich zu machen. Allenfalls kommt es lagerbezogenen Blockbildungen und Allgemeinplätzen auf der Ebene von Aussagen. Kandidierende ins Kantonsparlement gibt es je nach Kanton mehr oder weniger; selten haben sie aber kantonale Ausstrahlungskraft. Das verhindert auch, dass sie Themen setzen können, die andere aufgreifen müssen. Via Eigenwerbung und Online betreibt man vor allem Eigenmarketing. Das Medienverhalten ist entsprechend. Die dominante Lokalpresse ist regierungsnah, deshalb auch nur beschränkt angriffslustig; sie fördert vor allem das staatspolitische Interesse.

Die Auswirkungen auf die Wahlbeteiligung sind entsprechend. Als ich vor einem Vierteljahrhundert mit Wahlanalysen begann, galt noch als Regel, dass eine kantonale Wahl an einem nationalen Abstimmungssonntag zu einem erhöhten Beteiligung mindestens im besagten Zählkreis führt. Heute ist alles umgekehrt. Die Teilnahme an kantonalen Entscheidungen ist tiefer; nationale Abstimmungen könnten sie und damit auch das Wahlergebnis beeinflussen, weshalb man gerne eigene Termine für Wahlen in den Regierungs- und Kantonsrat wählt.

Typisch dafür ist, dass selbst im Kanton Zürich, der unter den Kantonen eine noch am stärksten polarisierte Politkultur kennt, die Wahlbeteiligung bei Regierungs- und Kantonsratswahlen tief ist – und auch keine Trendumkehr sichtbar wird. Die bisher geringste Wahlbeteiligung gab es 2007 mit 34 Prozent. Das ist ein Klacks gegenüber dem, was national üblich geworden ist.

Man kann es auch so sagen: Kantonale Wahlen leiden an einem Bedeutungsverlust, ohne dass bis heute eine flächendeckende oder wenigstens im Einzellfall spannende Wende sichtbar geworden wäre. Das relativiert die Möglichkeiten, aus kantonalen Wahlen Parlamentswahlen nationale Trends abzuleiten – was in den nächsten 14 Tage n nicht vergessen gehen sollte. Denn das, was sich bei nationalen Parlamentswahlen in Sachen Mobilisierung seit 16 Jahren entwickelt, zeigt sich bei kantonalen eigentlich nirgends.

Claude LOngchamp

Neues Lexikon zur Wahlforschung

Das Buch hat den seltsamsten Titel, den ich je gelesen habe: “Wahlforschung: Mehrheit, Mierscheid-Gesetz, Erfolgswert, Negatives Stimmengewicht bei Wahlen, Wahlbeteiligung, Nichtwähler, Arrow-Theorem”., heisst es. Der Grund ist ganz einfach, ist es doch ein Zusammenzug aller deutschsprachigen Wikipedia-Artikel zur Wahlforschung.

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Die Ansichten, gehen auseinander, ob man mit Wikipedia unterrichten soll oder nicht.

Die zahlreichen Skeptiker finden, das gehe überhaupt nicht. Die Qualität der Wikipedia-Artikel sei zu unterschiedlich, als dass man sich darauf verlassen solle. Sie zu verbessern, sei Sisyphus-Arbeit, denn nicht die Wissenden oder Gutmeinenden bestimmten ihre Inhalte, sondern die Unwissenden oder Schlechtmeinenden.

Die Optimisten verweisen gerne auf die Weisheit der Vielen: Sie sei offener für alles Mögliche, das neu sei. Und Informationen oder Standpunkte, die jenseits vom mainstream seien, würden durch die rege Nutzung von Wikipedia früher oder später neutralisiert. Der vereinfachte Sprachenvergleich erlaubt es zudem schnell, unsinnige Eigenheiten von Beiträgen zu erkennen.

Selber zähle ich mich zu den Realisten, die nüchtern feststellen, wie oft man selber auf Wikipedia ist, wenn am Computer schreibt und ein Thema behandelt, bei dem man selber nicht Spezialist ist. Das gilt für Studierenden in sehr vielen Bereichen, in die sie sich einarbeiten müssen. Ich bin auch deshalb Realist, weil ich, wo ich Fachmann bin, selber Artikel schreibe, bei denen es mich gar nicht stört, wenn sie übernommen werden.

Natürlich geht man einen Schritt weiter, wenn man aus online-Produkten Bücher macht. Wikipedia gibt es ja jetzt schon, um es im Büchergestell zu platzieren. Doch ist das wieder so unhandlich, dass man es nicht wirklich nutzt. Sonderdrucke, die man leicht einpacken oder auf einem Pult abstellen kann, können da durchaus von Vorteil sein.

Was sind die Stärken, was die Schwächen solcher Bücher? Zunächst sind die Kosten geringer. Sodann ist die Produktion einfacher. Schliesslich wird aus Bisherigem ein Mehrwert erzeugt. Was in einem Buch steht, kann verbindlicher zitiert werden, ist tendenziell auch glaubwürdiger. Last but not least, es gibt immer noch viele Leute, die lieber Geschriebenes auf Papier als auf dem Bildschirm lesen.

Das alles kehrt sich ins Negative, wo auch das Spontane und Flüchtige, das dem online-Medium eigen ist, in eine Buch übergeführt wird. Das beginnt bei Tippfehlern, setzt sich in mangelhaften Seitenumbrüchen fort, und es endet bei unvollständigen Quellenangaben. Auf Internet drückt man da schneller ein Auge zu, in Buchform ist das dann doch heikler.

Das Lesen des Büchleins “Wahlforschung” der Bucher Gruppe macht dennoch über weite Strecken Spass. Das beginnt damit, dass nicht nur das Standardwissen abgebildet wird. So würde man das Mierscheid-Gesetz in einem Fachlexikon nicht finden, denn es persifliert Prognoseverfahren – wenn auch auch auf eine unterhaltsame Art und Weise.

Das Buch ist durchaus informativ, 32 Einstiegsmöglichkeiten, die im Schnitt auf 4 A5 Seiten Relevantes präsentieren. Es hat einen nützlichen Index, mit Sach- und Personenregister, und es zitiert selektiv Fachliteratur, die bis etwa Ende 2009 erschienen ist und sich durchgesetzt hat.

Ich kann mit gut vorstellen, dass es als Nachschlagewerk für EinsteigerInnen dienen kann, seien es Studierende oder Medienschaffende, die nicht jedesmal, wenn sie auf etwas Unbekanntes stossen, das klar umfassendere und tiefgründigere Handbuch von Jürgen Falter konsultieren wollen, das Standard bleibt.

Claude Longchamp

PS:
Ein ähnlich konzipiertes Buch ist schon Mitte 2010 zum Thema “Meinungsforschung” erschienen.

Der Kanton Zürich als Trendkanton bei Parlamentswahlen


Die Wahlen in den Zürcher Kantonsrat werden mit hoher medialer Spannung erwartet. Denn der grösste Kanton der Schweiz wählt ein halbes Jahr vor der Schweiz. Vom schweizerischen Abbild im Kleinen ist deshalb oft die Rede. Ich habe nachgerechnet, was Sache ist – und was nicht.

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Im Kanton Zürich gibt es keine Lega und auch keine CSP mehr. Ob die BDP es schafft, ins Parlament einzuziehen, ist wegen der Eintrittshürde von 5 Prozent unklar. Schweizerisch ist sie im Nationalrat vertreten, und wird es auch weiterhin sein.

Quantitativ sind ist die Ergebnisdifferenzen in Zürich und in der Schweiz namentlich bei der CVP relevant. Schweizerisch gesehen war die (ehemals katholisch geprägte) Zentrumspartei immer stärker als in der Zürcher Diaspora. Die Differenz betrug 1991 noch 10 Prozentpunkte, aktuell liegt sie bei 7. Bei der EVP ist es dafür umgekehrt. Bei den Züriher Kantonsratswahlen schloss sie bisher regelmässig um 3 Prozentpunkte besser ab als bei Nationalratswahlen. Das dürfte auch für die GLP gelten, wenn hier auch keine Verallgemeinerung aufgrund der einzigen Beobachtung sinnvoll möglich ist.

Rechts gibt es einen wichtigen Unterschied: Die Zürcher SVP ist stärker als die Vaterpartei auf schweizerischer Ebene. Die Differenz hat sich jedoch markant zurück entwickelt. Betrug sie 1991 noch 7 Prozentpunkte, schmolz diese 2007 auf gut 1 Prozent zusammen.

Beschränkt man sich darauf, Gewinn- und Verluste der Parteien schweizerisch und zürcherisch zu vergleichen, eignen sich die Zürcher Trends deutlich besser. Letztlich gibt es nur zwei Einschränkungen, welche aber mit der SVP und der SP die zwei grössten Parteien betreffen. So brachen der Zürcher SP 2007 7 Prozentpunkte weg, der nationalen Partei 3,6. Es hat wohl mit dem Wahlergebnis im Kanton Zürich von 2003 zu tun. Denn damals gewann die Kantonalpartei 4,4 Prozentpunkte hinzu, national waren es 0.8. Oder anders gesagt: Zürich ist in Sachen SP volatiler als die Schweiz.

Bei der SVP stimmten die Entwicklungen bis 1999 gut überein. Dann hatte die Zürcher Partei fast 30 Prozent und legte nur noch in kleinen Schritten zu, während die gesamtschweizerisch SVP unverändert stark wuchs. Zwischen 2003 und 2007 macht sie im Nationalrat 2,2 Prozent gut, im Zürcher Kantonsrat noch 1 Promille. auch da ist Vorsicht angesagt.

Bei allen anderen Parteien sind die Trends vergleichbar. Sie stimmen in der Richtung überein, und die Differenzen in der WählerInnen-Stärke ist unter 1 Prozent. Einzig bei der EDU öffnet sich ein wenig eine Schere. Sie wächst im Kanton Zürich, wenn auch bescheiden, anders als national.

Was heisst das für den Abend des 3. April 2011? Wenn die Ergebnisse zu den Zürcher Parlamentswahlen vorliegen, weiss man die schweizerischen Parteistärken nichts Wirkliches. Man kann aber einigermassen abschätzen, wer zulegt, und wer verliert. Vier Einschränkungen mache ich hier:

Erstens, am Unsichersten ist das noch bei der SVP, denn die Trends in Zürich gehen den schweizerischen gerade bei diese Partei voraus. Ein allfälliger Verlust für die wählstärkste Partei im wählerstärksten Kanton wäre damit noch kein klares Signal für das Resultat der SVP im Herbst.
Zweitens, das dürfte, allenfalls in umgekehrter Richtung, auch bei der GLP der Fall sein. Diese Partei ist in Zürich entstanden, und sie ist nirgends so gut verankert wie in diesem Kanton.
Drittens, genau Umgekehrtes trifft auf die BDP zu. Das Resultat in Zürich ist Hinweis darauf, was mit dieser Partei in Graubünden, Bern und Glarus geschieht.
Viertens, kann sein, dass die EVP in Zürich erheblich durch die GLP konkurrenziert wird, mehr als das in allen Kantonen zusammen der Fall sein dürfte.

Eines sei hier noch nachgeschoben: Das alles sind keine Gesetze. Es sind Erfahrungen. Eine Theorie, warum es zahlreiche Uebereinstimmungen in Zürich und der Schweiz hat, gibt es nämlich nicht. Die besten Argumente sind die Grösse Zürichs und der geringe Abstand der beiden Wahlen.

Claude Longchamp