Niall Fergusons optimistische Evolution des Geldes

Sicher braucht es Mut, mitten in der jüngsten Finanzkrise ein optimistisches Buch über die Geschichte des Geldes zu schreiben. Denn da kann man sowohl bei HistorikerInnen oder OekonomInnen, als auch im Publikum leicht durchfallen.

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Niall Ferguson wäre nicht Niall Ferguson, würde er sich der grossen Aufgabe nicht stellen. Denn der britische Historiker mit Jahrgang 1964, der meist in den USA an Elite-Universitäten forscht und lehrt, ist dafür bekannt geworden, Geschichte medien- und damit auch publikumsgerecht zu präsentieren – und zwar nicht nur als origineller Fachmann, sondern auch als genialer Kommunikator. Das sichert ihm, was auch immer er in Angriff nimmt, Zustimmung, wie die der Times, die ihn schon mal zum „brilliantesten Historiker seiner Generation“ erklärt hat.

Im Buch zum „Aufstieg des Geldes“ als eigentlicher Währung der Geschichte beginnt Ferguson zwar im Altertum, genauer gesagt bei den Geldverleihern in Mesopotamien, spannt er den Bogen aber auch bis in die Gegenwart, das heisst die Tage des Jahres 2007, als die ersten Anzeichen der Finanzmarktkrise in den USA sichtbar wurden.

Denn es geht dem Tausendsassa der Wirtschaftsgeschichte in dieser Uebersicht nicht wirklich um die Geschichte der Medici i Florenz, nicht um die Aktiengesellschaft der niederländischen Ostindienkompanie und auch nicht Staatsanleihen aus dem Rothschild-Imperium nach dem Ende der napoleonischen Kriege. Er will auch nicht einfach erzählen, wie vielerorts Versicherungen entstanden, die kollektive und private Vorsorge anbieten, oder politische Programme lanciert wurden, die Privathaushalte animieren, sich auf Immobilienbesitz zu spezialisieren.

Denn im Kern des Buches geht es Ferguson um eine Abstammungslehre des Geldes. Das tönt ein wenig darwinistisch – und es ist es bisweilen auch. Denn es hat mit Fergusons Auffassung von Geschichte zu tun.

Aehnlich wie Herbert Spencer sieht Ferguson die Entwicklung der Gesellschaft als Evolution vom Einfachen zum Höheren. Anders als beim britischen Soziologen ist bei ihm das was sich durchsetzt, nicht einfach gut, aber besser. Deshalb ist die jeweilige Gegenwart immer die beste als bisherigen.

Ferguson verfällt nicht in die Falle früherer Fortschrittsoptimisten, von einer linearen Entwicklung der Menschheit, der Gesellschaften und der Wirtschaften zu sprechen. Vielmehr braucht er mit Bezug auf das Geld die eingängige Formel, dass die Finanzgeschichte Zickzack-förmig verlaufe, die Geldentwicklung sich dabei aber wie ein Sägeblatt immer tiefer ins Holz fresse.

Die Verbesserungen des Geldes als Münze, als Papiergeld, als Guthaben entstehen dabei anders als in der Natur nicht durch äussere Schockwellen, welche die Umwelt veränderten und Anpassungen der Organismen verlangten. Vielmehr leiten sie sich aus den Schwächen der bisherigen Finanzorganisationen ab, die in Schüben schöpferischer Zerstörung durch leistungsfähigere ersetzt werden müssen. Was sich dabei in Konkurrenz behaupte, diversifiziere die Angebote und verbreite sich aufgrund einer eigenen Auslese nach Massgabe der Nützlichkeit.

Geld, schliesst der Historiker seine Einsichten in Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sei immer nur ein Spiegel, der dem Menschen stets und überall zeige, was man wertschätze. Dass dabei Schönheit und Makel zum Ausdruck komme, liege nicht am Geld, eher am Menschen, der unfähig sei, vorauszusehen und sich vernünftig zu verhalten.

Die Lektüre des Buches ist zu allererst ein Genuss. Denn es schreibt ein Autor, der selber belesen ist, es erzälht ein Historiker, der das Vertrauen der Banker geniesst und deren Welt auch aus den privatesten Archiven kennt, und es spricht in Wort und Bild ein Kommunikator, dessen Bücher längst kein Selbstzweck mehr sind, sondern eher Nachschlagemöglichkeiten für TV-ZuschauerInnen oder KonsumentInnen von Video-Botschaften aus dem „Hause Ferguson“.

Doch dann überfällt einem nach 300 Seiten Gelesenem doch die Frage, ob man nicht nur faktenreich durch die Geldgeschichte geführt, sondern auch geschickt abgelenkt worden ist.

Gerade die Metapher der Evolution des Geldes in Analogie der Evolution der Natur verleitet nämlich zur Vorstellung, dass Alles nur natürliche Auslese sei, vor allem aber keine Interessen den Umgang mit Geld antreibe. Gerne hätte man deshalb auch gelesen, wie gerade auch ausserhalb der Geldinstitute ein Diskurs um das Wesen und die Wirkungen von Banken, Versicherungen, Obligationen, Aktien, Optionen, Derivaten entstand, der durchwegs kritischer ausfällt, als wenn man im Cockpit eines Bulldozers sitzt, der sich durch die Umgebung pflügt, im Einzelnen von schöpferischen Zerstörungen spricht, die für die allgemeine Entwicklung nötig sei.

Oder eben: das Buch ist geschliffen wie ein Brilliant, der leuchtet, ohne dass die Botschaft wirklich einzuleuchtet!

Niall Ferguson: Der Aufstieg des Geldes. Die Währung der Geschichte, 2009 (englisches Original 2008)

Bundesratwahlen und die Politikwissenschaft

Bundesratswahlen sind auch eine Leistungsschau für die Politikwissenschaft. Nötig wäre es, bald einmal ein politologisches Handbuch der Bundesratswahlen zu haben, dass den Wissensstand repräsentieren, die Forschung anregen, und die Politberetatung befruchten würde.

Bundesratswahlen kommen zwischenzeitlich häufiger vor als Parlamentswahlen. Und sie sind für die Politikwissenschaft eine gute Gelegenheit, die eigene Sache zu profilieren.

Iwan Rickenbacher in der deutschsprachigen Schweiz, Pascal Sciarini in der Romandie und Oscar Mazzoleni im italienischsprachigen Landesteil sind die Favoriten der Medien. Hinter ihnen sind Andreas Ladner, Michael Hermann, Regula Stämpfli, Georg Lutz, Hans Hirter und Silvano Möckli in Position.

Den Takt der öffentlichen Diskussion geben die Journalisten vor. Sie treiben die Parteien und KandidatInnen. Sie formulieren auch die Thesen, was ist, und lassen diese durch ExpertInnen deuten, manchmal bewerten – und lassen gelegentlich auch Spekulationen meist zu mehr oder minder aussichtsreichen Personen zu.

Eigentliche sollte es gerade umgekehrt sein: Es wäre die Aufgabe der Wissenschaft(en), die Thesen zu den Herausforderungen der Politik, Leistungen (und Misserfolge) des Regierungssystems zu formulieren resp. die Möglichkeiten und Grenzen der Wahlverfahren aufzuzeigen. Das gäbe dann die Basis, auf der einer wissenschaftlich angeleitete Berichterstattung über Wahlen, Kampagnen, Parteien und KandidatInnen erfolgen könnten.

Der Durchbruch zu einer inspirierteren und faktenreichereen Kommentierung von Bundesratswahlen durch PolitologInnen will indessen nicht. Das hat wohl auch selbstverursachte Gründe, denn die politologische Grundlagenforschung zu Bundesratswahlen hinkt der Realität hinten nach, statt sie zu befruchten!

Was der Wahlforschung bei Legislativwahlen in den letzten 20 Jahren teilweise gelang, und sie in eine gute Position vor, während und nach Nationalratswahlen brachte, blieb bei Exekutivewahlen bisher weitgehend aus,

Konkret: Wir sollten ein verbessertes Rating der politischen Parteien haben, das aufzeigen würde, wie die verschiedenen BewerberInnen organisatorisch, programmatisch und personell unterwegs sind, welche politischen Einflüsse zu erwarten sind, wenn sich Partei A oder B, KandidatIn X oder Y in einer Wahl durchsetzt.

Wir sollten auch vermehrt Wissen, welche Kriterien nebst der Parteizugehörigkeit bei einer Wahl effektiv Ausschlag gebend sind, und ob es Zusammenhänge gibt zwischen diesen und den Erfolgen während der nachfolgenden Regierungsarbeit. Ohne das spekulieren wir nur über die Bedeutung von Exekutiverfahrungen, Kenntnissen des Bundes(rats)mechaniken, erworbenen Kommunikationskompetenzen oder mitgebrachten Netzwerkverbindungen.

In den US beispielsweise hat sich die politologische und historische Präsidentschaftsforschung soweit spezialisiert, dass man Einflussfaktoren der Wahlchancen einzeln recht zuverlässig kennt und dass Heerscharen von ExpertInnen das Wirken der Präsidenten in Vergangenheit und Gegenwart nach explizit begründeten Kriterien beurteilen. Das hilft, objektivierte Bewertungen aufzugeben, gerade auch durch WissenschafterInnen und PolitbeoachterInnen.

In der Schweiz greift man bei solchen Gelegenheiten maximal auf das Standardwerk von Urs Altermatt zurück, dass Wahlen und Leistungen unserer Bundesräte in historischer Zeit zusammengestellt hat. Das Handbuch des politischen Systems der Schweiz bietet für die Gegenwart nichts vergleichbares an, sodass der eben emeritierte Freiburger Historiker angekündigt hat, in den nächsten zwei bis drei Jahren eine vollständig überarbeitete Neufassung herauszugeben.

Wann, frage ich, wagen sich die Politologien an eine Lexikon zu Schweizer Bundesratswahlen aus ihrer Perspektive, das den Forschungsstand abbilden und die mediatisierte Politbeobachtung anleiten würde?

Das ökosoziale Manifest

Roger de Weck kennt den Kapitalismus – und kritisiert ihn. Zum Beispiel in seinem jüngsten Buch “Nach der Krise”, das sich wie ein ökosoziales Manifest liest.

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Roger de Weck, designierter Generaldirektor der SRG

Der St. Galler Oekonom, Sohn des ehemaligen Präsidenten der SBG (heute Teil der UBS) schreibt als Journalist mit Vorliebe über die Rolle der Banken im Kapitalismus – meist auch kritisch. Denn mit der jüngsten Finanzkrise ortet er gerade unter den führenden Geldwirtschafter einen dreifachen Wandel: Nicht mehr weniger Regulierungen, weniger Staat und weniger Rücksichtnahme auf die Verlierer seien angesagt, seit die Banken selber ins Wanken geraten sind. Gefragt sei der Staat Tag und Nacht und Regulierungen sind keine Strangulierungen mehr, sondern Stützen im Konkurrenzkampf. Und wer die Banken nicht stützen wollen, wolle den Untergang der ganzen Wirtschaft.

„Kapitalismus als Religion“ ist eines sieben Kurzessays, die der Freiburger Kulturkatholik in Anlehnung an Walter Benjamin 2009 verfasst und zu einem 100seitigen Band zusammengefasst hat. Darin begründet er, wie die Reformation des Kapitalismus aussehen müsse. Angestrebt wird ein ausgewogener Kapitalismus, der sich vom real existierenden absetzt. Vielmehr skizziert de Weck, wie der Kapitalismus demokratisch, nachhaltig und stabil werden könnte. Auf dieser Basis fragt er sich, was nach der jüngsten Krise ein liberaler Kapitalismus sei, der im globalen Rahmen funktionieren könne.

In seinem Manifest geisselt der vormalige Chefredaktor des Zürcher „Tages-Anzeiger“ resp der Hamburger „Die Zeit“ die Gier der Manager, die sich aus dem Ungleichgewicht von Kapital und Arbeit entwickelt habe, das Marktdenken verabsolutiert und die Funktionen des Staates verniedlicht habe. Die Umkehr, die er fordert, begreift genau das als Macht der Oekonomie, der eine Gegenmacht gegenüber zu stellen sei, damit sich auch nicht-ökonomische Werte behaupten könnten.

Demokratie, schreibt der langjährige Kolumnist der Sonntagszeitung, müsse Vorrang vor der Oekonomie bewahren, und die Politik brauche Unabhängigkeit vor Wirtschaftsinteressen. Eine kompetente und leistungsfähige Verwaltung sei unabdingbar, und dürfe als stabilisierender Garant des Staates nicht einfach verhöhnt werden. Auch die Wirtschaft wird in die Pflicht genommen, wenn es um mehr Stabilität geht. Geldhäuser müssten viel mehr Eigenkapital hinterlegen, um für die Risiken, die sie eingehen, mitzuhaften, Spekulation sei zu verbieten, genauso wie Gehalts- und Bonusexzesse. Nicht die Bereicherung müsse belohnt werden, sondern die Investitionen in Volkswirtschaften und Unternehmen. Staat Eigennutz seien soziale und ökologische Ziele angesagt, die auf Eigentum basierten, das verpflichte.

„Liberal“, sagt der führende Intellektuelle in der Schweiz, sei eine Grundhaltung, die es vermeide, staatlicherseits in den Markt zu intervenieren, sich aber nicht scheue, ihn zu regulieren. Oder noch klarer: Wer Staatshilfe beanspruche, müsse mit der Enteignung leben. Denn das was wir heute hätten sei faktischer Staatskapitalismus, verkleidet in neoliberale Ideologie, wenn die Sonne scheine, und Staatsinterventionismus, wenn es regne. Das zu überwinden, werde auf nationalstaatlicher Ebene misslingen, weshalb es eine Weltwirtschafts- verbunden mit einer Weltwährungspolitik brauche, die davon ausgehe, dass alle lebensnotwenigen Ressourcen einen Preis bekämen.

Insbesondere in der Schweiz gilt Roger de Weck als „Linker“. Das rührt daher, dass er einen EU-Beitritt der Schweiz befürwortet. Weltanschaulich trifft das Etikett nicht zu, wie die Lektüre seines Buches „Nach der Krise“ zeigt. Denn der designierte Generaldirektor der SRG sucht nicht die Ueberwindung des Kapitalismus. Vielmehr strebt er einen reformierten Kapitalismus an, der von der Kurzfristigkeit der Bonuskultur und ihrer Implikationen befreit, langfristig ausgerichtet, ökologischen Zielen, sozialen Zwecken und der menschlichen Entwicklung dienlich ist.

Das bringt er in präzisen Worten zu Papier und zwischen zwei Buchdeckel, wie man es sich in der rasch wachsenden Literatur zur jüngsten Finanz- und Wirtschaftskrise wünschen würde. Beim besprochenen Buch hätte man sich gewünscht, dass nicht nur der Ueberbau skizziert worden wäre, sondern auch die Träger der Veränderungen benannt und die Kräfte, die sie stützen, analysiert worden wären.

Immerhin: 1848 verfassten mit den Deutschen Karl Marx und Friedrich Engels ein Philosoph und ein Unternehmer das Kommunistische Manifest. 2009 schrieb mit dem Schweiz Roger de Weck ein Intellektueller das Manifest der ökosozialen Marktwirtschaft.

Was die Wissenschaft in der Praxis aus dem Angriff auf die Klimaforschung lernen sollte

Die Liste der beklagten Fehlleistungen der Klimaforscher und ihrer Vermittler war lang. In Anspielung an den Watergate-Skandal erfand man schon mal den Begriff des “Climategate”. Jetzt liegen erste Untersuchungen über die Forschung und ihre Kommunikation vor, die eher Schwachstellen der heutigen Wissenschaftspraxis erkennen lassen als solche der Forschung.

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klimaforschung der university of east anglia: beklaut, angeklagt und rehabilitiert

Alles begann mit eine Diebstahl: Kurz vor der Klimakonferenz in Kopenhagen tauchten e-mails auf, die aus der Datenbank der University of East Anglia entwendet worden waren. Sie nährten in medialer Windeseile die Vorstellung, die Klimaforscher hätten überzeichnet, ja bewusste Manipulation betrieben. Dies verunsicherte die Verhandlungen der Klimakonferenz in Kopenhagen. Nur kurz darauf musste der UN-Klimarat zugeben, dass sich Fehlangaben zum Rückgang der Gletscher und zu den Folgen der Meeresspiegelerhöhung für die Niederlande in die Berichterstattung eingeschlichen hatten. Das untergrub die Glaubwürdigkeit wissenschaftlich hergestellter Befunde zu Themen, welche politische relevant, sinnlich nicht erfahrbar sind, selbst in namhaften Zeitungen.

Zwischenzeitlich liegen drei Gutachten zur Klimaforschung und ihrer öffentlichen Vermittlung vor. Beteiligt waren das britische Unterhaus, die Royal Society und die East Anglia University selber. Die Forschung selber nehmen sie weitgehend in Schutz. Die Kommunikation ist indessen ein Problem, vor allem dann, wenn sich nicht nur Forschungsergebnisse, sondern auch Berichte von Interessengruppen, die nicht weiter geprüft werden, in die Resultatekommunikation einfliessen. Medial in Fahrt gekommene Kritik entwickelt sich eigengesetzlich, und sie treibt weit herum eigentümliche Blüten.

Empfohlen wird den KlimaforscherInnen, sich offener gegenüber Anfragen zu verhalten und ihre eigenen Resultate offensiver zu kommunizieren. Der Weltklimarat seinerseits muss Qualitätskriterien entwickeln, die klar machen, welche Forschungsberichte berücksichtig werden dürfen und welche nicht. Und an die Adresse der Medien ist gerichtet, dass sie die Unsicherheiten der Forschung ebenso vermitteln müssten wie deren Sicherheiten.

Von aussen betrachtet wird man sagen können: Die Wissenschaft, die sich an die politische Oeffentlichkeit richtet, kann nicht damit rechnen, als reine Expertenstimme wahrgenommen zu werden. Sie muss deshalb neue Wege gehen, ihre eigenen Resultate verständlich und direkt an die Politik heranzutragen. Die Politik ist ihrerseits gehalten, Wissenschaft als eine höchst relevante Stimme zu verstehen, die möglichst unvermittelt in Entscheidungen einfluessen soll. Denn in den Vermittlungsprozess mischen sich zwischenzeitlich Medien, Lobbygruppen, MeinungsmacherInnen und Internetschwärme, welche jede Sache, die wichtig ist, nach ihren Interessen oszillieren lassen, um so auf die Entscheidungfindungen Einfluss zu nehmen.

Eigentlich sollte man angesichts der täglich vermittelten wissenschaftlichen Berichte viel mehr über solche Zusammenhänge wissen und lehren, um Fälle wie die Kritik an der Klimaforschung inskünftig verhindern zu können. Denn das Risiko von Reputationsschäden bleibt unabhängig von Rehabilitationen.

Drei Thesen zum angekündigten Rücktritt von Moritz Leuenberger

Dass Moritz Leuenberger als Bundesrat zurücktreten würde, hatte man erwartet. Angesichts seines dritten Präsidialjahres, das 2011 in Aussicht stand, rechnete man mit einer Demission auf Ende 2011. Nun erfolgte sie heute auf Ende 2010.

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Schulreise 2010: Moritz Leuenberger mochte nicht mehr mitmalen, jetzt will er nicht mehr mitregieren

Moritz Leuenberger überraschte heute fast alle, als das Prestige eines Bundespräsidenten nicht als übergeordnete Frage bezeichnete, das einen Demissionszeitpunkt bestimme. Eher gelte das für das CO2-Gesetz, das er in diesem Jahr verbindlich aufgleisen konnte. Die Feier für den Gotthard-Durchstich nannte Leuenberger als vermutlichen Höhepunkte seiner Zeit als Infrastrukturminister, und genau so wichtig ist ihm, dass der Klimagipfel in Cancun Ende Jahr für seine Nachhaltigkeitspolitik zum grossen Erfolg wird. Doch dann ist definitiv Schluss.

Das alles sind aus der persönlichen Sicht eines Departementschefs nachvollziehbare Gründe für den vorläufigen Verbleib bei gleiochzeitig angekündigtem Rücktritt. Die sechs Monate, die bis zu seinem Ausscheiden verbleiben, öffne indessen auch politische Fragen.

Die vordinglichste Frage ist, ob es bis zur Wahl in der Wintersession nicht zu weiteren Rücktritten kommt. Derjenige des Finanzministers Hans-Rudolf Merz steht schon länger zur Debatte; seit neuestem wird erwogen, dass auch Micheline Calmy-Rey gehen sollte. Letzteres erscheint wenigstens gegenwärtig unwahrscheinlich. Beim FDP-Bundesrat liegen die Dinge jedoch etwas anders. Man spürt es förmlich, dass der persönlich und politisch angeschlagene Ausserrhödler gerne gehen möchte, seine Partei dies aber unter allen Umständen verhindern will. So ist nicht auszuschliessen, dass die Dynamik, die heute ausgelöst wurde, ein Nachspiel haben wird und SP bzw. FDP gemeinsam ihre Sitze im Bundesrat verteidigen werden.

Die zweite Frage ist, ob die parteipolitische Zusammensetzung im Bundesrat gleich bleiben wird. Der lädierten SP sitzen die meist siegreichen Grünen im Nacken. Gerne würden sie als neue Kraft in den Bundesrat einziehen, denn die Regierungsbeteiligung auf Bundesebene wäre ein Argumente gegen die Konkurrenz von grünliberaler Seite. Das Handicap der Grünen ist aber, hierfür jetzt nicht auf die SP-Stimmen zählen zu können, und eine weitere Partei, die dazu gewillt wäre, ist nicht in Sicht. Selbst die SVP ist bei aller Bereitschaft die Linke zu spalten, momentan darauf ausgerichtet, sich selber zu stärken, sei das zulasten der SP oder der FDP.

Die dritte Frage, die sich im Zusammenhang mit der Rücktrittsankündigung von Leuenberger stellt, ist die Entwicklung der laufende Regierungsreform. Dabei geht es zunächst um das Präsidium, dann um die Staatssekretäre, wie es der Bundesrat sieht. Im Parlament diskutiert man aber auch über Sitzzahlen und Departementsaufteilungen. Das UVEK ist unter Moritz Leuenberger gewachsen. Das alleine dürfte die Interessen all jener, die nicht die Nachfolge des Zürcher SP-Mannes antreten wollen, nähren, sich hier zu bedienen, oder selber Anspruch auf das Departement zu erheben.

Nicht zu vergessen ist, dass der Rücktritt Leuenbergers das Wahljahr medial und politisch eben lanciert hat. Personenfragen, Parteienzusammensetzung und Ausgestaltung der Regierungsreform werden 2011 genau so aktuelle sein wie heute, egal wer statt Moritz Leuenberger im Bundesrat sitzt.

Volksentscheid in Bayern: keine Ausnahmen mehr beim Rauchverbot.

Für einmal schaut die Welt nicht in die Schweiz, um das Ergebnis einer Volksabstimmung zu kommentieren. Vielmehr sind die interessierten Augen auf Bayern gerichtet, wo ein strikter Raucherschutz in Gaststätten und Bierzelten angenommen wurde.

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Ausgeraucht. Bayern geht mit einem Volksentscheid als erstes deutschen Bundesland zu einem strikten Rauchverbot in Gasthäusern und Bierzelten über.

Bei einer Stimmbeteiligung von knapp 38 Prozent der 9,4 stimmberechtigten BürgerInnen, votierten 61 Prozent für und 39 Prozent gegen das neue Gesetz. Ministerpräsident Horst Seehofer, gleichzeitig Parteivorsitzender der CSU, mochte das Ergebnis nicht umgehend kommentieren, setzte lieber die Feier zu seinem 61. Geburtstag ausserhalb der Abstimmungslokale fort. Rasch reagierte dafür der Initiant, der Passauer Lokalpolitiker Sebastian Frankenberger. Er zeigte sich überzeugt, dass es jetzt auch in Berlin und Nordrhein-Westfalen entsprechende Vorstösse geben wird und Deutschland damit zu einem umfassenden Rauchverbot tendieren werde.

Im Vorfeld des Volksentscheides in Bayern hatten sich die SPD und die Grünen für ein striktes Raucherverbot stark gemacht. Unterstützt wurden sie von Aerzteorganisationen. Die FDP war dagegen. Die CSU wiederum vermied einne klaren Positionsbezug. Sie hatte zwar das Gesetz 2007 aus gesundheitspolitischen Gründen vorgeschlagen, dann aber die Landtagswahlen 2008 verloren. In der Folge befürwortete sie Schlupflöcher im Rauchergesetz. Faktisch war das Rauchen in Bayern in Nebenräumen, kleinen Gastbetrieben und in allen Bierzelten seit August 2009 wieder erlaubt.

Der zurückliegende Abstimmungskampf polarisierte zwischen dem Schutz der Nichtraucher in Gaststätten einerseits, dem Verbotsstaat anderseits, der es den Gastwirten verunmögliche, eigene Lösungen zu treffen. Die Kampagnen mobilisierten bei weitem nicht so stark wie jene zu Landtagswahlen, doch ergab die Volksentscheidung ein klare Mehrheit zugunsten eines strikten Rauchverbotes. Die Lockerung müssen damit rückgängig gemacht werden.

Von aussen gesehen überrascht die Entscheidung nicht zuletzt auch deshalb, weil auch Bierzelte in das Rauchverbot einbezogen sind. Das ganze erinnert ein wenig an den den Kanton Tessin, dem ersten Schweizer Gliedstaat, der das Rauchen untersagte. Angesichts der Boccalino-Kultur in der italienischsprachenden Schweiz hatte man nicht unbedingt damit gerechnet.

Die Entscheidung in Bayern ähnelt der vor wenigen Wochen im Kanton Solothurn. Auch da wurde eine vom Gastgewerbe verlangte Liberalisierung des Rauchverbots bevölkerungsseitig abgelehnt. Die Lungenliga reichte in der Folge die Unterschriften zur ihrer schweizerischen Volksinitiative ein, welche ein striktes nationales Verbot fordert. Es wird mit einer Volksentscheidung innert dreier Jahre gerechnet.

Das neue Gesetz in Bayern tritt am 1. August in Kraft. Beim nächsten Oktoberfest gilt es also bereits: nun nicht parlamentarisch verordnet, sondern direktdemokratisch legitimiert!

Was auf zoonpoliticon 2010 bisher interessierte

Zoon politicon hat sich im ersten Halbjahr ganz gut entwickelt. Die Nutzungszahlen steigen, vor allem wenn man regelmässig schreibt. Insgesamt sind sie sie doppelt so hoch wie vor Jahresfrist. Höhepunkt waren die Berner Wahlen, die dem Blog bisher unbekannte Besucherzahlen gebracht haben. Ein Teil davon konnte über das Ereignis hinaus gehalten werden, leider nicht alle.

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Hier 10 meist beachteten Beiträge im ersten Halbjahr:

zirka 2200 Clicks: Hochrechnung zu den Berner Regierungratswahlen

zirka 1900 Clicks: Keine Volkswahl des Bundesrates

zirka 1500 Clicks: Eskalationsmonitoring

zirka 1400 Clicks: Meine Top-Ten Buchliste zur politischen Kommunikation

zirka 1000 Clicks: Die Prognose zu den Berner Grossratswahlen

zirka 900 Clicks: Sind wir Menschen alle ein rreemm?

zirka 800 Clicks: 13 Gründe warum Obama Präsident wird

zirka 700 Clicks: Erstmals eine Wahlbörse zu den Berner Grossratswahlen

zirka 600 Clicks: Experiment www.bernerwahlen.ch

zirka 600 Clicks: Wetten, dass … die BDP am meisten zulegt!

Nun sind aber erstmals Sommerferien angesagt. Ich werde bis anfangs August nur gelegentlich bloggen, nicht mehr so regelmässig wie bisher …

Schöne Zeit!