Steckbrief WissenschafterInnen: Braucht es Intellektuelle, Fachleute, Gelehrte oder AkademikerInnen?

Auf scatterplot, einem blog aus der welt der amerikanischen universitäten, habe ich eine interessante Typologie gefunden, was WissenschafterInnen (nicht) sein sollten. Vier Rollen werden unterschieden, die mich angeregt haben, mich in meinem Umfeld umzusehen. Eine kleine Charakteristik an Wissenschaftertypen – mit einem grossen Augenzwinkern!

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Was nur sollen angehende WissenschafterInnen werden?

Intellektuelle
Intellektuelle verstehen es, redend oder schreibend zu intervenieren. Sie rufen dazwischen und beeinflussen so den Gang der Dinge. Ohne Medien würde sie gar nicht gehen. Denn diese bieten Intellektuellen erst den Raum, den sie brauchen, um sich zu entfalten. Intellektuelle erkennt man daran, dass sie sich für ein Projekt einsetzen, eine Idee verfolgen und ein klares Wertemuster haben, und das mit Verve. Deshalb wissen sie auch, wie die Zukunft aussieht – jedenfalls aussehen sollte. Hierfür setzten sie sich unablässig ein. Details interessieren Intellektuelle nicht, vielmehr wollen sie das Ganze verständlich machen oder mit ihrer Kritik das Falsche in der Entwicklung diskreditieren. Intellektuelle haben gelernt zu stören, ohne dass sie das selber wirklichen stören würde. Allerdings, gerade unter den WissenschafterInnen, werden Intellektuelle immer seltener.

ExpertInnen
Kein Experte, keine Expertin ohne Fakten. Wer es mit Fachleuten zu tun hat, begegnet keinen Gesinnungsmenschen. Dafür gelegentlich Datenhubern. Denn ExpertInnen sind von einem überzeugt: Daten sind die neutralste Form der Beschreibung von Realität. Diese hat es den ExpertInnen angetan, sie können es nicht lassen, sie immer wieder zu analysieren. Experten sind Informationsverarbeiter mit klar umgrenztem Sachgebiet. Die besten Fachleute arbeiten am klarsten nach den Regeln der Vernunft. Das verspricht Vorteile – für wen auch immer. Den Managern, den Politikerinnen und den ChefredaktorInnen stellen sie ihr Wissen zur Verfügung. Vertrauen in ihre Arbeit und anerkannte Kompetenz begründen ihre Glaubwürdigkeit – und die ist ihr Kapital, gerade wenn die Logik und die Statistik in der Vermittlung nicht mehr weiterreicht. ExpertIn zu sein, ist heute der verbreiteste Wunsch unter WissenschafterInnen.

Gelehrte
Welches Phänomen auch immer ein Gelehrter (oder eine Gelehrte) aufgreift, ihm oder ihr eröffnet sich damit unverzüglich das ganze Universum unserer Kultur. Gelehrt zu sein heisst, weise zu sein. Dafür braucht es Geduld, die sich meist erst im Alter einstellt. Denn frühestens dann ist man mit der ganzen Geistesgeschichte der Menschen vertraut, bei den antiken Philosophen wirklich zuhause, und hat man die Werke der Kirchenväter ausgiebig studiert. Gelehrte dürfen aber nicht nur in der europäischen Vergangenheit heimisch sein, sie müssen auch eine Hauch der östlichen, ja fernöstlichen Lehren in sich aufgenommen haben. Gelehrte sind immer auch ein bisschen ein Guru. Das Publikum ist ihnen nicht egal, am besten ist es aber nicht zu zahlreich, denn das erlaubt es, sich austauschen und vertiefen zu können. Denn wer Gelehrte wissen: Wer das Glück hat, ihne zu begegnen, will danach inspiriert sein.

AkademikerInnen
AkademikerInnen schliesslich haben vor allem einen Lebenslauf, der ihre bisherige Karriere dokumentiert. Für Akademiker ist es wichtig, viel geschrieben zu haben. Publizieren nennen sie das, ohne dass sie sich wirklich für Publizistik interessieren würden. Denn entscheidend sind nicht die LeserInnen, sondern ist die Bibliographie. Möglichst lang soll sie sein und aufzeigen, wie gut man vernetzt ist. Entsprechend zitiert man auch. Oder auch nicht. Denn AkadmikerInnen wissen eines: Andere AkademikerInnen entscheiden über den weiteren Verlauf ihres Erfolges. Deshalb eifern AkademikerInnen akademischen Vorbildern nach. Und beobachten genauestens, was andere AkadmikerInnen mit vergleichbarem Ruf machen, könnten sie doch dereinst KonkurrentInnen sein, wenn es um eine gute Stelle geht, um Gelder für Forschungen, um Ehrungen, die man so gerne dem eigenen Lebenslauf noch beifügen möchte.

Und nun?
Was nun braucht die Wissenschaft? Nichts davon, von allem etwas oder einen ganzen bestimmten Typen. Sachdienliche Hinweise sind erwünscht.

Von Uebermenschen und Kleinbürgern, Regierungen, Parlamenten … und Verwaltungen

Dieter Freiburghaus, bis vor kurzem Professor für europäischen Studien am IDHEAP, der Kaderschule der Schweizer Verwaltungen, nimmt zur laufenden Diskussion zu überforderten Bundesräten und Regierungsreform Stellung. Weniger den Bundesrat kritisiert er, mehr das Parlament, und er verschweigt, dass hinter allem eine starke, ausgleichende Verwaltung steht. Davon hätte man aus berufenem Munde gerne mehr gehört.

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Dieter Freiburghaus, emeritierter Professor am IDHEAP, wo er jahrelang die Kader der Verwaltungen von Bund und Kantonen ausgebildet hat.

Zuoberst in der politischen Hierarchie sieht Freiburghaus Volk und Stände. Sie bestimmen das Zweikammern-Parlament der Schweiz. Dieses wählt den Bundesrat und das Bundesgericht. Und es übt die Oberaufsicht aus, wie es sich seit 1848 geziemt!

Gewollt sei, so der Mathematiker, Oekonom und Politikwissenschafter, dass wir auf Bundesebene keine starke Regierung haben. Eigentlich haben wir überhaupt keine Regierung, keinen Ministerpräsidenten, keine Richtlinienkompetenzen, keine verbindliche parlamentarische Mehrheit, keine Parteidisziplin und keine kohärente Regierungspolitik. Es sei das Vorrecht des Parlamentes, das zu zuersausen, was es vorgelegt bekomme. Und Gleiches dürfe mit den Referenden auch das Volk, bisweilen auch die Stände. Das alles sei dann zusammenfasst “Konkordanz”!

Angesichts schwacher Strukturen für den Bundesrat erwarteten wir, dass Uebermenschen die Defizite kompensieren würden. Schlimmer noch: Die medialen Uebermenschen müssten kleinbürgerlich wie wir selber sein, damit wir uns mit ihnen identifizieren können. Klappen werde das alles nie

Das Parlament, so urteilt der Wissenschafter in Pension, habe mit dem GPK-Bericht seine Verantwortung wahrgenommen. Es habe einen Splitter im Auge des Bundesrates entdeckt. Und es übersehe geflissentlich den Balken in seinem eigenen. Daran müsse man arbeiten, wenn man weiter kommen wolle.

Die Schweiz habe die Finanzkrise besser bewältigt als die meisten anderen Staaten, hält Freiburghaus dem Klagelied entgegen, in das er selber eingestimmt hat. Warum? Wegen der Verwaltung, möchte man in Ergänzung zum Kommentar von Freiburghaus in der NZZ beifügen. Darüber würde man IDHEAP-Professor, der sein Leben lang dessen Kader ausgebildet hat, gerne mehr erfahren.

Denn das Funktionieren der Administration als Hemmschuh in starken Zeiten ist eine gängiges Thema der gängigen Staatskritik. Ihre Wirkung als Stabilisator in Krisenzeiten ist dagegen bisher kaum diskutiert worden.

Konsolidierte Allianz der bürgerlichen Mitte im Kanton Graubünden

Die bürgerliche Mitte siegt bei den Parlamentswahlen im Kanton Graubünden. Neu ist die FDP stärkste Partei im Grossen Rat in Chur.

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Die Bündner wählen in 39 Wahlkreisen ihr Kantonsparlament nach dem Majorzverfahren, weshalb es auch keine sinnvolle Angaben zu Parteistärken aufgrund von WählerInnen-Anteilen gibt.

Seit kurzem tritt die FDP Schweiz wieder selbstbewusster auf. Mit der CVP und der BDP bildet sie zudem seit diesem Frühsommer eine “Allianz der Mitte”. Ziel ist es, bürgerliche Zentrumspolitik gegen die Forderungen von Links und Rechts besser durchsetzen zu können.

Bei den Bündner Wahlen gelang der FDP erstmals wieder ein richtiger Coup. Sie legte im Parlament um vier Sitze zu, und sie ist neu die grösste Fraktion, wenn sich in Chur die Kantonsvertretung versammelt.

Die FDP kann sich den fast schon einmaligen Luxus leisten, in Regierung wie auch im Parlament mit der BDP Mehrheiten herzustellen zu können, und wenn dies nicht geht, gemeinsam mit der CVP über den Grossen Rat mehrheitsfähig zu sein.

Eigentlicher Verliererin in Graubünden ist die SVP. Sie hat zwar neu vier statt zwei Sitze wie vor der Wahl. Trotz kleinen Sitzgewinnen verfehlte sie die Möglichkeit, selber eine Fraktion bilden zu können. Verglichen mit den 32 Sitzen, welche die Partei nach der letzten Wahl, aber vor der Parteispaltung hatte, kommt das Resultat einer Dezimierung gleich.

Mehr oder weniger übergegangen sind diese Sitze zur neu gegründeten BDP. Diese konnte 26 der 30 Mandate, die sie geerbt hatte, bei diesen Wahlen bestätigen. Mit anderen Worten: Zwischen 85 und 90 Prozent der WählerInnen, die vormals SVP wählten, dürften den ausgeschlossenen PolitikerInnen gefolgt sein, 10 bis 15 Prozent sind bei der alten Partei geblieben. Das ist klar anders als in den Kantonen Bern und Glarus, wo die SVP die Mehrheit der bisherigen WählerInnen halten konnten, und wo sie sich mit Neumobilisierungen einerseits, Wechslergewinnen anderseits fast schadlos halten konnte.

Die BDP gewann, anders als in Bern und Graubünden, ihre Stimmen nicht bei der FDP (und CVP). Das dürfte die Kooperationsbereitschaft der Parteien, die national neue die Allianz der Mitte bilden, fördern. Denn es ist für die FDP wie für die CVP einfacher, die BDP national zu stützen, wenn diese nicht bei ihren enttäuschten WählerInnen Stimmen macht.

Die Bilanz in Graubünden ist eindeutig: Die FDP ist stolze Wahlsiegerin, ihr stehen alle Türen für die Mehrheitssuche offen, und das bürgerliche Zentrum geht solide konsolidiert in die neue Legislatur. Links und rechts davon ist in Graubünden nicht viel Platz, um andren Parteien Entwicklungsmöglichkeiten zu eröffnen. Das Majorzwahlrecht und die politische Kultur, welche Stabilität begünstigen, zeigten heute ihre gestaltende Kraft im Alpenkanton.

Oder etwas zugspitzt: Letztlich steht nicht die Welt Christoph Blochers für den Kanton Graubünden, mehr die von Eveline Widmer-Schlumpf, welche den SVP Uebervater im Bundesrat ablöste.

Bündner Regierungsrat: Es geht auch ohne SVP

Die parteipolitische Zusammensetzung der Bündner Regierung bleibt trotz personeller Erneuerung unverändert; die SVP verpasst den Einzug in die Kantonsexekutive nach der Parteispaltung von 2008.

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Die neue Bündner Regierung: Barbara Janom Steiner (BDP), bisher, gewählt mit 24’623 Stimmen, Hansjörg Trachsel (BDP), bisher, 20’530, Martin Schmid (FDP), bisher, 25’720, Mario Cavigelli (CVP), 19’800 und Martin Jäger (SP), 16’034

2006 heiss es, es seien die langweiligsten Regierungsratswahlen der Bündner Geschichte gewesen. Entsprechend beteiligten sich nur 24 Prozent der Wahlberechtigten. Sie bestätigten die bis anhin bekannte Zusammensetzung: 2 SVP, je eine Vertretung von CVP, FDP und SP.

Doch dann kam es zum Ausschluss der kantonalen SVP aus der nationalen Partei, weil die damalige Bündner SVP-Regierungsrätin Eveline Widmer-Schlumpf ihre überraschende Wahl in den Bundesrat angenommen und so Christoph Blocher aus der Bundesregierung verdrängt hatte. Beide SVP-RegierungsrätInnen und 30 der 32 Grossrätinnen wechselten darauf hin zur neu gegründeten BDP.

Diesmal war die Spannung vor den Bündner Regierungsratswahlen deutlich grösser. Nur 3 Bisherige kandidierten, während 2 Regierungsräte wegen der 12jährigen Amtszeitbeschränkung zurücktreten mussten. Total bewarben sich 10 Personen als Bündner Regierungsrat, 6 davon mit Wahlchancen. Entsprechend veränderte sich die Beteiligung, betrug sie doch gut 36 Prozent.

Keine Tradition hat es im Kanton Graubünden, bisherige Regierungsmitglieder aus parteipolitischen Gründen abzuwählen. Das war auch diesmal so: Die beiden bisherigen BDP-VertreterInnen und der amtierende FDP-Regierungsrat wurden problemlos bestätigt, obwohl es im Wahlkampf wegen des Suizids des Polizeichef zu schweren Vorwürfen an die Justizministerin aus den Reihen der BDP gekommen war.

Die beiden frei gewordenen Sitze beanspruchten die SP, die CVP, welche ihre vor 12 Jahren verlorene Doppelvertretung im Regierungsrat zurück haben wollte, und die SVP, die seit der Parteispaltung in der Opposition politisiert. Sie gingen heute an die CVP und an die SP. Damit ist der Regierungsrat personell erneuert, parteipolitisch bleibt er sich aber gleich.

Die SVP scheiterte damit mit ihrem Versuch, wieder in die Bündner Kantonsregierung einzuziehen recht klar Dies obwohl die nationale Parteiprominenz nichts ausliess, für den eigen Kandidaten und die neu gegründete Partei zu werben. Der Wahlkampf wurde gerade von der SVP mit massiven Werbemitteln betrieben und zur Richtungswahl stilisiert. Gelohnt hat es sich nicht, denn die SVP erreichte weder ihre Wahlziele nicht.

Sie kassierte damit seit langem ihre erste grosse Wahlniederlage. Der Parteiausschluss fast der ganzen Parteielite, die klar zur Eveline Widmer-Schlumpf hielt ist sicherlich der selbstverschuldete Grund. Erwähnt werden muss auch das Wahlsystem in den Bündner Kreise, dass für kantonale Parlamentswahle mit dem Majorzelement atypisch ist. Und schliesslich wird man hinzu fügen müssen, dass dort, wo die parteipolitische Kleinarbeit im Lokalen, im Gewerbe und in Gemeinde nicht gemacht wird oder werden kann, Wahlerfolge sich auch bei hohem Mitteleinsatz im Wahlkampf nicht einfach einstellen.

Mehr als diese Schlüsse aus den Bünder Wahlen zu ziehen, wäre wohl aber verfehlt.

Die Umkehrung des Wertewandels in den Niederlanden

Wenn die Niederlande politische nach rechts rückt, kann man nicht einfach zur Tagesordnung übergehen. Schliesslich galt das Land lange als Frontstaat im säkularisierten Calvinismus, gekennzeichnet durch rationale und individualistische Einstellungen.

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Stärkste Partei in den niederländischen Wahlkreisen 2010

In seiner berühmten Klassierung der politischen Kulturen zählt der amerikanische Politikwissenschafter Ronald Inglehart die Niederlande zu jenen Staaten mit dem ausgeprägtesten Wertewandel. Zur Gruppe des protestantischen Europas gehörend, kennt sie eine hohe Betonung individueller Seltentfaltungswerte, welche die des kollektiven Ueberlebens weitgehend überlagern. Aehnliches gilt für säkular-rationale Werte, die klar vor den traditionell-religiösen rangieren.

Diese Niederlande rückte diese Woche politisch weit nach rechts. VerlierInnen der nationalen Wahlen sind die traditionellen Christdemokraten und die linken Sozialisten (SP), beschränkte Verluste gab es für die gemässigten Sozialdemokraten (PvdA). Klare GewinnerInnen sind ist die nationalliberale “Partei für Freiheit” (PVV), begleitet von der rechtsliberalen “Volkspartei für Freiheit und Demokratie” (VVD). Zulegen konnten zudem die kleine sozialliberale D66 und die Grüne Partei.

Spektakulär ist insbesondere der Aufstieg der Freiheitspartei. 2006 trat sie erstmals bei nationalen Wahlen an und erreichte 6 Prozent der Stimmen. 4 Jahre später sind es gut 15 Prozent. Augenfälligstes Merkmal der Partei ist es, dass sie nur ein Mitglied, ihren Anführer Geert Wilders, hat. Alle anderen sind nur als Sympathisanten und Spender willkommen, womit man am demokratischen Charakter der Partei zweifeln kann. Selbst in der Partei rumort es deshalb; Franktionskollege Hero Brinkmann forderte Mitten im Wahlkampf die Demokratisierung der Partei.

Wilders selber stammt aus der liberalen VVD. Er trennte sich 2004 von ihr, um eine pointiert nationalliberale Politik verfolgen zu können. Vordergründig geht es ihm um den niederländischen Sozialstaat, hintergründig um seine Wirkungen auf Migrationen. Aktuell kämpft die Freiheitspartei an vorderster Front gegen den Islams.

Legendär hierfür ist, dass Wilders das Tragen von Kopftüchern durch Musliminnen vom Besitz einer Lizenz abhängig macht will, deren Kosten prohibitiv wirken sollen. Finanziell profitieren sollten seiner Meinung nach die Frauenhäuser.

Bei den Kommunalwahlen im Frühling 2010 trat die Partei der Freiheit in zwei Städten an; in Den Haag wurde sie gleich zweistärkste Partei. Der Stimmungstest verschaffte ihr inner- und ausserhalb der Niederlande viel politisch-mediale Aufmerksamkeit, die sich in der aktuellen Wahl, mehr noch als, in allen Umfragen erwartet, auszahlte.

Historisch hat die Freiheitspartei in den Niederlanden mehrere Vorläufer wie die Boerenpartij oder die Centrumsdemokraten, die in den 60er resp. 80er Jahren immigrationskritisch ware. Aber auch die Partei von Pim Fortuyn, welche 2002 aus dem Nichts zweitstärkste Partei wurde, nach der Ermordung des Parteiführers aber zerfiel, gehört hierzu.

Unterstützt wird Wilders von konservativen US-amerikanischen Think Tanks einerseits, radikalen Siedlern in Israel anderseits. Meist spricht man, aufgrund des Auftritts des Parteiführers, meist von einer rechtspopulistischen Partei – eine Kennzeichnung, welcher die Partei selber nicht widerspricht.

Die niederländische Parteienforschung bezeichnet sie auch als neo-rechtsradikal, weil sie nicht die rassistischen Orientierungen zeige, wie die bisherigen Rechtradikalen, mit ihnen aber den generellen politischen Standort teilt.

Gut denkbar ist, dass es in den Niederlanden bald zu einer Rechtskoalition unter Führung der Liberalen von Mark Rutte kommt, in der nebst den bisher regierenden Christdemokraten auch die oppositionelle Freiheitspartei Einsitz nimmt. Politische Uebereinstimmungen gibt es sehr wohl, in der Fiskal- und Sozialstaatspolitik, wenn auch die trennenden Elemente, vor allem die demokratischen Grundhaltung der Freiheitspartei, unübersehbar sind.

Zwar hat Wilders PVV keine Mehrheit, reflektiert sie aber die Unzufriedenheit einer respektablen Minderheit im Land. Es ist durchaus denkbar, dass man das von Inglehart gekennzeichnete Bild der Niederlande das bald schon revidieren muss. Denn der frühere Liberalismus von Gert Wilders mutierte vorerst zu einem rechten Nationalliberalismus, der sich mit Einstellungen eines neochristlichen Kulturkampfes zu mischen beginnt. Das Säkulare und das Rationale in den Werten der niederländischen Politkultur wird dadurch erheblich relativiert.

Das zeichnet einen Weg der Umkehr des westeuropäischehn Wertwandels vor, der auch andernorts Erfolg haben könnte.

Schuldenbremse, Volksabstimmungen und Parlamentsentscheidungen

Diese Woche war ich auf Einladung der Schweizerischen Generalkonsuls in Düsseldorf und hielt eine Rede vor der lokalen Deutsch – Schweizerischen Vereinigung. Das Thema war die Direkte Demokratie im aktuellen Umfeld. Hier ein kleiner Auszug daraus zum Schuldenmachen und zur Schuldenbremse in direkten und parlamentarischen Entscheidungen.

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“Richtig ist, dass es zwischen dem Steuernverständnis einerseits und Volksabstimmungen anderseits einen interessanten Zusammenhang gibt: Vereinfacht ausgedrückt gilt, dass direkte Demokratien zu tieferen Steuern führen als repräsentative. Denn die Stimmbürgerschaft ist, wenn sie über die eigenen Steuerleistungen befinden muss, zurückhaltender als Politiker und Politikerinnen.

Zwar gibt es zwischen rechten und linken Parteien Unterschiede in der Steuerpolitik. Doch die Gemeinsamkeiten sind nicht zu übersehen: Letztlich sind Parteien, die in Koalitionen regieren, daran interessiert, ihr jeweiliges Klientel zu begünstigen. Das kann in Form von staatlichen Umverteilungen geschehen; es kann aber auch als Steuerprivilegierung erfolgen. Letzteres ist vor allem in Wahlkämpfen eine populäre Forderung, verliert aber häufig nach der Wahl an Priorität. Denn dann regiert die staatliche Finanzierung von Projekten, die man realisieren will oder muss, und das kostet in der Regel.

Nun können wir auch in der Schweiz nicht über das Budget des Bundes oder der Kantone in Volksabstimmungen abstimmen. Das ist nur auf der lokalen Ebene möglich. Auf den übergeordneten Ebenen bleibt das die Aufgabe des Parlamentes. Die Instrumente der schweizerischen Volksrechte sind jedoch soweit offen, dass wir die Rahmenbedingungen von Budgets sehr wohl beeinflussen können. Die Schuldenbremse gehört eindeutig hierzu. Sie verlangt zwar nicht, dass jedes Budget ausgeglichen ist. Doch muss das im Verlauf eines Konjunkturzyklus der Fall sein. Eine solche Regelung lässt Spielräume offen, verhindert aber chronische Defizite, deren Begleichung man späteren Generationen überlässt.

In der stimmberechtigten Bevölkerung gibt es einen weit verbreiteten Konsens, wonach es sinnvoll ist, solche Schuldenbremsen einzuführen. Die gesamtschweizerische Volksabstimmung hierzu zeigte im Jahre 2001 eine Unterstützung von über 84 Prozent. Anders als die Vorläufer-Programme, nämlich Haushaltsziele, wie jede Regierung sie formuliert, führte die Schuldenbremse unmittelbar zu einem Rückgang der Neuverschuldung und zu einer Stabilisierung der Verschuldung der Schweiz.

In einem Gutachten über die modellhaften Auswirkungen der schweizerischen Schuldenbremse auf anderen Staatshaushalte kam die Konjunkturforschungsstelle der renommierten ETH Zürich zum Schluss, dass die fehlenden institutionellen Rahmenbedingungen der Hauptgrund ist, weshalb die Schuldenbremse nicht exportiert werden könne. Die Unabhängigkeit des Parlamentes von der Regierung, wie sie in parlamentarischen Systemen unüblich ist, und der Druck direktdemokratischer Entscheidungsverfahren wurden dabei explizit herausgestrichen.”

Das ganze Referat findet sich hier.

Strategische Führung und unser Bundesrat

Bundespräsidentin Doris Leuthard sprach sich gestern im Nationalrat für eine Verbesserung der strategischen Führung durch den Bundesrat aus. Zu recht, wie ich meine!

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Gestern im Nationalrat, während den Ausführungen von Bundespräsidentin Leuthard

Strategische Führung ist in aller Leute Mund. Unternehmen werden nach den Leitsätzen der zielorientierten Planung, Steuerung und Kontrolle aufgebaut. Staatliche Dienstleistungen bekommen einen Leistungsauftrag und müssen diesen unter Verbesserung von Effektivität und Effizienz einhalten. Ja, selbst Gemeinden und Kantone unterwerfen sich den Gepflogenheiten, die aus der Privatwirtschaft kommen, aber auch in der Staatswirtschaft Vorteile versprechen.

Nur wenn es um den Bundesrat geht, scheint das alles nicht zu gelten!

Von realitätsfremden, ja surrealen Reformvorstellungen ist da die Rede, für die die Zeit nicht reif sei oder eine veränderte personelle Konstellation von alleine Abhilfe schaffe.

Nun gehöre ich bei Weitem nicht zu jenen, die den Bundesrat nur an seiner Führungsarbeit und Strategiefähigkeit beurteilen. Mir ist klar, dass gerade die Regierung einem Bundesstaatsgefüge, in einer plurikulturellen Gesellschaft und in einer Parteienlandschaft ohne Mehrheitspartei zunächst integrative Aufgaben hat. Sie muss Parteien verschiedener Farben, Kantone und Städte mit divergierenden Interessen und Gesellschaftsteile, die sich auf unterschiedlichste Werte beziehen, zusammenhalten.

Doch muss die Bundesregierung nicht nur das!

Zu den Aufgaben des Bundesrates gehört es auch, sich in einem rasch wandelnden internationalen Umfeld durchzusetzen, richtige Entscheidungen zu treffen, wenn Rezession oder Inflationen drohen, und er muss sich auch in der globalen Medienwelt mit ihren Themen, Emotionen und Anklagen behaupten können. Gerade dafür braucht es die Verbesserung der strategischen Führung in der Schweizer Bundesregierung.

Innere Verbundenheit, kurze Entscheidungswege und gemeinsame Zielvorstellungen gehören genauso dazu, wie individuelle Kompetenz, generelle Erfahrung und professionelles Fachwissen. Das sei all jenen gesagt, die gerade nach der Veröffentlichung des GPK-Berichtes ein mentales Bollwerk gegen jedwede Reform der Bundesregierung aufbauen, um partikuläre Absichten zu schützen.

Selbst der Bundesrat ist williger als manche Kommentatoren. Gestern betonte Bundespräsidentin Doris Leuthard, die angestrebte Regierungsform beschleunigen zu wollen. Man werde noch vor dem Sommer einen Bericht hierzu vorlegen. Und Themen wie die Energie- oder Europapolitik sollen an Retraiten von den 7 BundesrätInnen vertieft behandelt werden. Justizministerin Eveline Widmer-Schlumpf, in diesem Dossier federführend, versprach eine Stärkung der Bundeskanzlei und eine bessere Koordination der Kommunikation.

Das halte ich mal fest: Die Analyse schreitet voran, und auch die Massnahmen entwickeln sich. Das ist im Ansatz lobenswert, denn der Weg wird in Angriff genommen. Nun braucht es noch eine klarere Zieldefinition und eine gute Landkarte, wie man dorthin kommt. Denn eines ist sicher: Die nächste Krise kommt bestimmt und spätestens dann gilt die schon ältere Erfahrung zum politischen System der Schweiz: gute Leistungsbilanz bei schönen Wetter, Ueberforderung bei schlechtem. Das zu ändern ist genau einer der Aufgaben von strategischer Führung.

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Aussenpolitik ist kein Kerngeschäft der Schweiz – Finanzen- und Steuern, Bildung und Schulen, Verkehr und Energie, oder AHV und Armee schon eher. Das will die neuen Bewegung “foraus”, das Forum für Aussenpolitik, nun ändern.

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Am 24. April 2010 lud “foraus” zur ersten Generalversammlung ein. Behandelt wurde der bevorstehende, erste Auftritt in der Oeffentlichkeit sowie die zentralen Aussagen, die man dabei machen will.

foraus” ist in erster Linie ein Forum für Fragen der Aussenpolitik. Doch will die Plattform vermeiden, in ein Politikressort abgedrängt zu werden. Vielmehr will man vernetzt denken und die zahlreichen Bezüge zwischen Aussen- und Innenpolitik aufzeigen. Typisch hierfür ist die Debatte über den Informationsaustausch mit Steuerbehörden: Kaum hatte sich die Schweiz bereit erklärt, diesen gegenüber den USA oder der EU-Mitgliedstaaten zu erhöhen, meldeten sich die kantonalen Finanzdirektoren, die gegenüber den Ausland nicht schlechter gestellt werden wollten.

Es ist lobenswert, denn an Analysen zum Verhältnis zwischen der Schweiz und dem Ausland einerseits, den Auswirkungen auf das Leben hier anderseits, mangelt es wahrhaft. Diese Lücke will die Denkfabrik “foraus” von nun an füllen.

Natürlich macht das Forum das nicht nur zum Selbstzweck. “foraus” will eine modern ausgerichtete Aussen-/Innenpolitik betreiben. “foraus” orientiert sich an den Defiziten in diesem Bereich und will die Oeffnung der Schweiz fördern.

Das ist in einer Zeit, in der man sich wieder vermehrt mit sich selber beschäftigt, umso bemerkenswerter. Mutig ist es auch, nationalen Sichtweisen supra- und internationale entgegen zu halten.

An der besagten GV habe ich ein Referat gehalten, den zahlreichen jungen Menschen aber auch Schwierigkeiten bei ihrer beabsichtigten Aktion aufgezeigte. Orientiert habe ich mich dabei am Freiburger Modell für das Management von NPO. Es fragt unter anderem, wie sich professionelle, aber nicht profitorientierte Organisationen in der Politik vermehrt Einfluss verschaffen können.

Demnach ist nicht das Geld einer Gruppe massgeblich, dass sie einflussreich ist. Vielmehr geht es heute darum, am richtigen Ort und im richtigen Moment mit Informationen zu intervenieren. Die zentrale Herausforderung von Verbänden ist die Steuerung der Politik durch Wissen, Kompetenz und Glaubwürdigkeit.

Das Handeln selber soll strategisch geschehen: “Was ist mein Ziel?”, steht am Anfang einer jeden guten Aktion. Hinzu gehört eine Lageanalyse, verbunden mit einem Vergleich: Stimmt beides überein, besteht kein aktiver Handlungsbedarf. Ergeben sich indessen Defizite, gibt es diesen und sind gezielte Schritte auf das Ziel hin angesagt.

Gerade Bewegungen, die vom freiwilligen Engagement der AnhängerInnen leben, neigen dazu, sich zu überschätzen. Sie wollen zu viel, meist auch zu schnell und sie wollen es zu direkt. Daran scheitern sie nicht selten. Deshalb habe ich “foraus” auch geraten, sich vorerst auf einige wenige Aktionen zu konzentrieren, diese gut vorzubereiten, sie gezielt zu führen und damit hoffenlich auch wirksam zu werden.

Der Hunger kommt mit dem Essen von alleine. Das sage ich aus Erfahrung, – und zwar bei sich, aber auch bei den Adressaten der foraussichten.

Morgen ist es nun soweit. Die neuen AktivisitInnen der Schweizer Aussenpolitik treten an die Oeffentlichkeit. Ich bin gespannt, wie ihre Ziele nun lauten, wie sie die Gegenwart einschätzen, auf welche neuen Informationen sie setzen und wieviel Schwung sind in ihre Bewegung und die der Schweiz bringen!

UBS oder Bundesrat? – Stand der Dinge

Welches Bild auch immer gebraucht wird: In der heutigen Sonntagspresse kommt klar zum Ausdruck, die Krise, welche mit dem GPK-Bericht diskutiert werde, sei von der UBS, nicht vom Bundesrat verursacht worden. Entsprechend erwartet man weitere Schritte gegen die UBS. Beim Bundesrat gehen die Meinungen über Massnahmen auseinander.

Die Kritik und ihre Reaktionen
Bundespräsidentin Doris Leuthard reagierte schon am Freitag auf den GPK-Bericht. Im ersten Teil des Rapports – der UBS-Krise gewidmet – falle die Kritik moderat aus und treffe vor allem Kollege Merz. Im zweiten Teil über den Staatsvertrag, sei die Kritik am Gesamtbundesrat stark übertrieben. Ueberrascht zeigte sich die GPK, welche Konsequenzen, nicht Kommentare vom Bundesrat erwarte. Dieser hielt damit in der Sonntagspresse nicht zurück.

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Peter Siegenthaler, Ex-Chef der Finanzverwaltung: Der Focus alleine auf den Bundesrat zu legen, zäumt das Pferd am Schwanz auf. Nötig ist es, die Zügel anzuziehen. Das heisst, gegen die UBS Klage zu erheben.


Stellungnahmen aus Regierungskreisen

Zufrieden mit dem Bericht ist namentlich Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf. Nach der Herzattacke, die Merz mitten in der UBS-Krise erlitten hatte, übernahm sie das Dossier. Eine eigentliche Uebergabe nach der Rückkehr des Finanzministers habe nicht stattgefunden, erläutert sie der NZZ am Sonntag. Das dürfte die beiden FinanzspeizialistInnen im Bundesrat nicht näher gebracht und die Leseweise der GPK beeinflusst haben.

In diese Phase fällt auch der Entscheid des damaligen Bundespräsidenten Couchepin, aus Angst vor Indiskretionen die Verhandlungen in der UBS-Frage nicht zu protokollieren. Das hielt die BK jedoch nicht davon ab, Notizen zu erstellen, man im Februar 2009 auf Nachfrage von Neu-Bundesrat Maurer der Gesamtregierung überreicht habe.

Bundesrat Moritz Leuenberger wehrt sich aktiv gegen den Vorwurf, passiv reagiert zu haben. Als der Bundesrat im September 2008 mündlich informiert worden sei, habe man rasch reagiert. Vom GPK-Bericht nicht verarbeitet worden sei beispielsweise sein Mitbericht, mit dem er vor den Folgen der Herausgabe von UBS-Kundendaten via Finma gewarnt und eine rechtlich einwandfreie Vorgehensweise skizziert habe. Gleiches gilt für einen Mitbericht von Bundesrätin Calmy-Rey.

Leuenberger bestreitet, dass der Bundesrat sei ein Kuschelclub sei; vielmehr werde regelmässig kontrovers und in handlungsalternativen diskutiert. Der “Sonntag” glaubt aber wissen, dass der GPK-Bericht in der Schlussphase politisch austariert worden sei. Dabei sei die Hauptverantwortung für die Probleme sei von Bundesrat Merz auf das ganze Gremium verlagert worden.

Klare Worte findet Peter Siegenthaler – gelegentlich auch Retter der UBS genannt – wenn es um die Aufklärungsarbeit der UBS geht. Generell lobt er die gute Zusammenabreit auf der Fachebene: Verwaltung, Finma und SNB hätten gut kooperiert. Sie hätten der UBS signalisiert, in einen finanziellen Eng zu geraten – nicht umgekehrt. Politisch ist sein Urteil durchzogener: Nachdem das Problem klar gewesen sei, hätte er sich eine breite Abstützung in der Regierung gewünscht. Vorher sei wegen Auswirkungen auf die Existenz der UBS Diskretion angezeigt gewesen.

Die Finanzkrise sei jedoch nur das eine, die kriminellen Machenschaften des UBS-Kaders in den USA das andere. Die Verantwortung hierfür müsse noch geklärt werden. Das Beste wäre es, wenn die UBS gegen die alte Führung klagen würde. Die jetzige UBS-Spitze scheint den wachsenden Druck zu erkennen, scheint aber ein andere Vorgehen zu bevorzugen. Gesprochen wird vor allem in CVP-Kreisen darüber, eine Kommission aus Fachleuten mit einer unabhängigen Persönlichkeit an der Spitze müsse nun die internen Vorgänge untersuchen, was indirekt der Finma kein gutes Zeugnis ausstellt.

Regierungsreform: ja oder nein
Doris Leuthard sieht die laufende Diskussion über den GPK-Bericht im Sonntag für einen Steilpass für die bundesrätliche Regierungsreform. Sie will die Verlagerung der Bundesratsarbeit vom Krimskrams hin zu strategischen Fragen untersützten. Damit reagiert sie in diesem Punkt offensiv auf die geäusserte Kritik.

Skeptischer ist hier Moritz Leuenberger die Regierungsreform im jetzigen Umfeld. “Der Schlüssel”, sagt Leuenberger dem Sobli, “liegt bei dem Personen, nicht beim System”. Als Beispiel nennt er die Indiskretionen. Ohne Ex-Bundesräte kritisieren zu wollen, hält er fest, mit dem jüngsten Wechsel im Gremium habe sich die Situation deutlich verbessert. Der Hinweise auf Couchepin ist unmissverständlich.

Siegenthaler ist auch da am klarsten: Er schlägt vor, dass der Bundesrat inskünftig Themen festlegen müsse, die er alleine behandle, ohne die Stäbe und die Verwaltung. Und zu den Protokollen der Bundesratssitzungen konnte man heute lesen: Machen müsse man sie auf jeden Fall, wer sie erhalte, sei eine andere Frage.

Die Regierungsreform tut not!

Die Vorbereitung auf die gestrige Arena-Sendung machte mir deutlich wie noch nie, dass eine Regierungsreform gerade für das Krisenmanagement dringend ist. Hier die Idee.

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Ein Statement zur Lage des Bundesrates in der gestrigen Arena als visuelle Aufzeichnung, den ganzen Gedankengang hierzu als schriftliche Notiz in diesem Blog. Denn es geht nicht um die Zahl der Ueberforderten, sondern um die Ueberforderung der Institution.

Die Situation im Rückblick
Seit ich den Schweizerischen Bundesrat professionell beobachte, ist die Einheitlichkeit, mit der das Gremium politisiert, zurückgangen. In den letzten 20 Jahren haben die Mitglieder des Bundesregierung an Bedeutung gewonnen. Das hat zunächst mit der Medialisierung der Politik, insbesondere auch der Regierungspolitik zu tun. Anfänglich waren es auftrittsgewandte Aussenseiter im Gremium, welche diese Möglichkeit nutzten; heute bedienen sich letztlich alle dieses Mittels. Verstärkt haben sie ihre Stäbe, in kommunikativer Hinsicht, aber auch in sachpolitischer, stärker sind die Kanäle zu den Parteien geworden, die ihnen nahestehen, und bisweilen ist auch die Beziehungspflege mit dem Ausland direkt ausgebaut worden. Das alles hat die Handlungsfähigkeit der einzelnen Mitgliedern erhöht; es ist deshalb nicht einfach negativ zu beurteilen, und es soll nicht einfach rückgängig gemacht werden!

Gelitten hat aber der Bundesrat als Team. Das gilt ganz generell; in Krisenfällen zeigt es sich ganz speziell, wie der GKP-Bericht diese Woche drastisch festhielt. Namentlich mangelt es an der Fähigkeit, schnell, entschieden, gerichtet und korrekt Stellung zu nehmen. Es regiert, wie ich es gestern nannte, die Ueberraschungskommunikation der Departementschefs, die Versuchsraketen in alle Richtung in die Luft lassen. Der rotierende Bundespräsident verkommt zur Pose, im Aus- und Inland, denn er macht in der gelebten Vielfalt keinen Sinn mehr.

Das Grundprinzip in Theorie und Praxis
Eigentlich wäre der Bundesrat in der Schweiz eines der wenige Beispiele, das auf dem Prinzip der kollektiven Führung aufbaut. In einem Land mit zahlreichen und verschiedenen Kulturen ist das eine der Integrationsinstanzen. Deshalb legt man aus dieser Sicht zurecht viel wert auf die Repräsentation der Sprachregionen, der Geschlechter und der Parteien im Bundesrat. Doch wirkt das alles nicht mehr ganz so adäquat, wenn sich das Rollenverständnis nicht nur einzelner Mitglieder, sondern zunehmen aller weg von diesem Prinzip entwickelt.

Der Bundesrat musste immer geführt werden; meist waren es Vertreter der FDP, die das taten; seltner BundesrätInnen anderer Parteien. Gegenwärtig ist die FDP weder als Partei noch mit ihren Mitgliedern in der Lage das zu machen. Bundesrat Burkhalter kann man diesbezüglich noch nicht beurteilen, Bundesrat Merz ist sichtbar überfordert, und bei alt-Bundesrat Couchepion macht eine Bewertung keinen Sinn mehr.

Der sanfte Umbau
Mein neuer Bundesrat braucht mehr institutionelle Führung, und er hat mehr Kohärenz nötig. Er sollte, erstens, nicht mehr, sondern weniger Parteien umfassen. Drei sind angesichts der heutigen Parteien unumgänglich, um auf 50 Prozent in beiden Kammern zu kommen, vier wohl besser, wenn man keinen Fraktionszwang einführen will. 5 wie heute, oder gar sechs, wie auch schon erwogen wurde, machen da keinen Sinn. Vielmehr würde eine Reduktion die Erwartungen an die Regierung bündeln.

Zweitens sollte die Bundesräte nicht mehr einzeln gewählt werden, sondern für vier Jahre auf einer Liste, welche die Parteien, die willens sind, an den Schwerpunkten der Legislatur zu arbeiten, gemeinsam. Denkbar wäre auch verschiedene Listen, mit unterschiedlichen Personen- und Parteikonstellationen. Gewählte Personen sollten für nicht mehr als 8 Jahre im Bundesrat sein.

Drittens, geführt werden sollte das Gremium durch einen Bundespräsidenten/eine Bundespräsidentin, der oder die eine ausgebauten Bundeskanzlei vorsteht. Gleichzeitig ein Departement zu führen macht angesichts der Aufgabe, die man eigenltich hätte keinen Sinn; gleichzeitig auch Aussenminister sein zu wollen, ist ebenso unsinnig. Die Legislaturplanung, die Sitzungvorbereitung, das Protokoll und die Kommunikation wären direkt beim Präsidium angesiedelt. BundespräsidentInnen sollten das Amt in ihrer zweiten Amtsperiode ausüben, vorher DepartementsvorsteherIn gewesen sein. Das macht sie mit den Geschäften vertraut, und das gibt ihnen auch die Chance, sich als Fachminister mit Bodennähe in der Bevölkerung zu profilieren.

Viertens, die Zahl der Bundesräte müsste generell erhöht werden, sicher auf neun, nach oben jedoch ohne feste Limite. Staatssekretäre, die nur dem Departementschef verpflichtet wären, würde es dafür nicht mehr geben. Gewählt würde der Bundesrat wie bisher durch die Vereinigte Bundesversammlung, aber in corpore, nicht als Einzelmitglieder.

Meine Würdigung

Die Vorteile sehe ich darin, dass die verbindenden Elemente institutionell gefördert würde. Die Führung würde erhöhte, und damit wohl auch die Koordination. Die Kohärenz der Aktion, gerade in schwierigen Zeiten könnte verbessert werden. Vielleicht würde so das Konkordanzprinzip wieder gestärkt, vielleicht auch in Richtung Konkurrenzprinzip ausgebaut. Das ist zwar nicht mein primäres Ziel, angesichts der disparaten Entwicklungen gerade im Parlament braucht es meiner Meinung nach auf Regierungsebene aber eine Sammlung der regierungswilligen und -fähigen Kräfte.