Immer diese Metaphern!

“Denken Sie jetzt ja nicht an einen Elephanten!”, ist einer der Lieblingssätze des Linguisten George Lakoff. Damit will er die Tragik des intellektuellen Diskurses in den USA aufzeigen. Denn wer das sagt, ruft unweigerlich tief sitzende Bilder einer Elephantenherde in den Hörern hervor, die in Afrika umherwandert, um Nahrung zu suchen. Und wer das vor Augen hat, wir unweigerlich über Elephanten nachdenken. Selbst wenn man als Sprecher das Gegenteil wollte.

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Als Geschäftsmann ist Lakoff gescheitert. Denn seinem Projekt, führende Institute der Demokraten nach “9/11” zu einer einflussreichen Denkfabrik zusammen zu fügen, um die kulturelle Hegemonie der Republikaner unter Georges W. Bush zu bekämpfen, ging nach weniger als 5 Jahren das Geld aus. Das heisst nicht, dass der Professor für Linguistik an der Berkley University auch die Ideen ausgegangen wären. Denn unentwegt forscht er über politische Methaphern, die “Auf Leisen Sohlen in unser Gehirn” dringen, und das politischen Denken so beherrschen.

Sprache entwickelt sich, aber langsam. Und so haben wir verschiedene Sprachen in uns behalten. Emotionen sind die älteste Kommunikationsform, die uns vor unheilvoller Bewegung beschützen. Bilder gehören ebenfalls zu den ursprünglicheren Formen der Kommunikation. In Metaphern leben sie auch in der abstrakten, auf Vernunft basierende neuesten Sprache weiter.

Etwa so begründet der Linguist Geroge Lakoff sein Interesse für Bildsprachen in unserer Kommunikation. Denn wer über sie herrscht, herrscht über unser Denken. Und das macht Metaphern in der Politik zu den heimlichen Machthabern.

Lakoff schätzt, dass die Republikaner die emotional eingängigeren Bilder für die US-Amerikaner entwickelt haben. Er nennt das wichtigste davon das “strenge Vater” Bild, das im konservativen Familienmodell fusst, auf Adam Smith’s “unsichtbare Hand” in der Wirtschaft und Charles Darwin’s “Ueberleben des Stärkeren” fusst. Damit kann man moralische Politik betreiben, Gesellschaftspolitik, Wirtschaftspolitik und internationale Politik. Dem möchte Lakoff demokratische Metaphern gegenüber stellen: das der fürsorglichen Eltern der Nationen, das auf einem progressiven Familienmodell basiert, und mit moralischen Steuern das Commonwealth-Prinzip hochhält.

Politische Framework-Arbeit nennt der beredete politische Linguist das. Denn er ist überzeugt, dass Fakten der abstrakten Sprache nicht für sich sprechen, sondern erst, wenn sie in einem bestimmten Rahmen erscheinen. Frames bestimmen, was wir sehen. Und sie bestimmen, welche Themen wir verhandeln. Framework-Arbeit ist Aufklärung und Absolutismus in einem. Denn sie macht bewusst, was die Politik bestimmt, und gleichzeitig ist ihre Anwendung stärker als die kritische Auseinandersetzung mit ihr.

George Lakoff, ursprünglich ein Anhänger von Noam Chomski, ist ohne Zweifel ist er einer der einflussreichsten Wortführer der amerikanischen Linksliberalen. So richtig politisiert wurde er mit 9/11, denn diese Epochenwende brachte den Siegeszug der konservativen Metaphern: die “Achse des Bösen” gehört genauso dazu wie die Aufforderung zum “Krieg gegen den Terror”. Ganz zu schweigen vom “Kampf der Kulturen”.

Ganz falsch sind die Analysen, die dahinter stecken ja nicht. Das weiss auch Demokrat Lakoff. Doch werden sie bildhaft zugespitzt, um eine ganz emotionale, bildhafte Deutung hervorzurufen, welche nicht stimmen müssen, indessen die politischen Diskurse bestimmen und die darauf basierenden Entscheidungen unbewusst beeinflussen sollen.

Das zu erkennen, die daraus entstehenden Fehler zu vermeiden, und in der Oeffentlichkeit einen von politischen Ideologien unabhängigen Diskurs zu führen, ist die grosse Absicht, die Lakoff unverändert von seinem Misserfolg mit dem Rockridge Institute verfolgt. Denn, so könnte man folgern, Barack Obama hat schneller begriffen, was der Linguist aus Kalifornien wollte, als es dieser pratisch umsetzen konnte.

Wenn die Vernunft verschwindet … und man trotzdem Politik betreibt!

“Boost” tönt nach Marketing. Ist es auch. Besonders wenn Hans-Georg Häusel das Wort verwendet – zum Beispiel als “emotional boosting”. Zu Deutsch hiesse das emotionale Verstärkung, und das käme weniger gut an. Denn es geht dem Autor um nicht weniger als um die Nutzung der neuesten Erkenntnisse aus der modernen Hirnforschung für das Marketing.

Als Erstes liquidierte der Mediziner Hans-Georg Häusel das Menschenbild aus der griechischen Philosophie. “Vergessen sie die Aufteilung in Instinkt, Gefühle und Vernunft”, meinte er vor den 150 TeilnehmerInnen des Kongresses “Emotions in Politics and Campaigning” im Wiener Radisson Hotel, die bis zur letzten Session ausgehalten hatten. Denn die moderne Hirnforschung zeigt, dass alle Entscheidungen auf Emotionen basieren, nur zu drei Viertel bewusst gefällt werden und das dabei dem Limbischen System die massgebliche Rolle zukommt.

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Limbic (c) map von Hans-Georg Häusel

Drei generelle emotionale Polaritäten können man unterscheiden:

die Balance vs. dem Thrill,
die Dominanz vs. der Fantasie und
die Stimulanz vs. der Ordnung.

Die empirische Beobachtung dieser Polaritäten finde am besten an Werten statt. Mehr als 60 davon hat er untersucht, und in die Limbic Map eingetragen. Durch Verdichtung hat er 7 limbische Typen ermittelt, zu dem jeder aufgrund seines Kernmusters als Werten und Emotionen gehöre. Und aus den summierten limbischen Typen entsteht das limbische Profil einer Gesellschaft.

Dabei kommen Tradition, Ordnung, Performanz, Abenteuer, Hedonismus, Offenheit oder Harmonie mehr oder weniger klar zum Ausdruck. Beim einzelnen Individuum, und im Kollektiv. Deutschland hatte 2009 30 Prozent Harmonisierer, 20 Prozent Traditionalisten, je 13 Prozent Offene resp. Hedonisten, 11 Prozent Disziplinierte, 8 Prozent Performer und 5 Prozent Abenteurer. Performer Häusel sieht Geschlecht und Alter als die wichtigsten Unterscheidungsgrössen, weil bei Männern und Frauen, Jungen und Alten die Verteilung der Nervenbodenstoffe unterschiedlich ist.

Was der Mediziner so erforscht hat, wendet er als nun als Geschäftsmann für Marketing an. Unternehmen, Produkte, Dienstleistungen, Marken, Farben, Gerüche und Töne werden systematisch in die Limbic Map eingearbeitet, um ihre Zielgruppenaffinität zu beschreiben. Das verkauft Häusel an Kundschaft, trägt er an Seminarien vor, und verbreitet er als neue Lehre über mindestens ein Buch, das pro Jahr erscheint und zum Bestseller wird. Das alles fast man gelegentlich schon unter dem Motto “No emotions – no money” zusammen.

Nun wagt sich der Erfolgreiche auch auf das Feld der Politik vor. Methodisch ist es nicht schwerer Parteien limbisch zu vermessen als das bei den Banken der Fall ist. Die Grünen neigen am meisten zur Stimulanz, die SPD zur Balance, die CDU zur Disziplin und die FDP zur Leistung. Doch dazwischen ist nichts, führt der Referent aus. Genau da wo neue Trends entstehen, ist keine Partei mehr.

Das sichert Aufmerksamkeit, die jedoch schon bald in Kritik ummünzen könnte. Denn Untertitel zu Büchern wie “Die hohe Kunst der Bürgerverführung” könnte zu beträchtlichen Kontroversen führen. Denn der Verweis, die griechische Philosophie sei im Lichte der Neurologie überholt, mag Hirnforscher nach dem emotional turn überzeugen, kaum aber politische Philosophen, welche die Geschichte der politischen Theorien durchdeklinieren können. Denn sie haben sie haben seit Platon und Aristoteles Politik an ihrer Vernunftfähigkeit gemessen, und in politischen Entscheidungen immer emotionale und rationale Komponenten gesehen.

So virtuos das Referat von Hasn-Georg Häusel in der Schlussveranstaltung des Kongresses war – so gerne hätte ich gehabt, man hätte ihm einen ebenso viruosen Koreferenten zur Seite gestellt, der gerade auch diese Kritik “geboostet” hätte.

Hans-Georg Häusel: Emotional Boosting. Von der hohen Kunst der Kaufverführung, 2009.

“the old fashioned Tory-campaign”

Tom Edmonds berät weltweit konservative Parteien. Gestern sprach der Berater von 25 Tory-Kandidaten über den Wahlkampf der britische Konservativen. Und sparte nicht mit Kritik am Wahlsieger, von dessen Erfolg er allerdings selber profitieren möchte.

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Keine Mehrheit für die Tories, obwohl genau das das Ziel war. So bilanzierte das Ergebnis der britischen Unterhauswahlen am Kongress “Emotions in Politics and Campaigning“, das an diesem Wochenende in Wien stattfindet.

Zu den Schwachpunkten zählte der Berater die Wahlkampfmittel der old fashioned Tories. Während in den USA mit Spots für TV und Radio arbeiteten, verwenden die KandidatInnen der britischen Konservativen immer noch am liebsten Tinte und Papier in der WählerInnen-Ansprache. Das hat auch damit zu tun, dass der kreative Spielraum der KandidatInnen gering sei. Die Partei gibt alles vor, bis ins wording.

Die Nachteile sieht der Berater im individuellen Engagement der KandidatInnen, die beispielsweise die Ereignisse in ihren Wahlkreis miteinbeziehen möchten, den man unbedingt gewinnen müsse. Vorteile sieht er aber in der einheitlichen Botschaft, und dem eindeutigere Profil, das daraus für die Partei entsteht.

Die Personalisierung der Parteien durch den Medienwahlkampf betrachtet Edmonds als Vorteil. Denn der Inhaber und die Bewerber für das Am des Prime Ministers seine klarer unterscheidbar als die Politik, die gegenwärtig nur wenig Spielraum zulasse.

David Cameron rät der Amerikaner deshalb, vor allem nicht Gordon Brown zu sein. Von der emotionale Kälte, die vom amtierenden Premierminister ausgehe, müsse sich Cameron, sollte er in Downing Street 10 einziehen, klar absetzen. Edmonds erwartet, dass sich die Konservativen so schnell wie möglich von Kriegen in aller Welt zurückziehen werden. Denn sie werden zuhause genug Probleme mit der Haushaltsverschuldung zu lösen haben.

Das wirkte zwar aktuell und authentisch. Es war aber nicht zu übersehen, dass die Analyse recht starke Züge eines Schnellschuss eines halbaussenstehenden Beraters hatte, der sich etwas im Licht des Wahlsiegers sonnen wollte. Zu gerne hätte ich auch die Gegenthese diskutiert gehört, wonach der Parteienwahlkampf in Grossbritanien mit der altmodische Kommunikation genau auf die persönliche Nähe mit dem/der Wahlkreis-KandidatIn zugeschnitten ist.

Britische Befragungsinstitute trafen Wahlergebnis weitgehend

Die letzten Befragung zu den britischen Unterhauswahlen lagen mehrheitlich richtig – mit einem Abstrich bei den Liberaldemokraten.

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Selbstdarstellung ICM, dem Institut mit den genauesten Wahlbefragungen

ICM kam mit ihre Umfrage am Vortag der britischen Unterhauswahlen den effektiven Parteistärken am nächsten. Der durchschnittliche Fehler bei den drei grossen Parteien resp. den aufaddierten anderen Parteien beträgt 1,25 Prozentpunkte. Bei keiner Partei gab es eine Abweichung von mehr als 2 Prozent. Das kann als schwarz gelten!

Akkurat war auch die letzte Befragungswelle von Populus, Harris und Mori. Sie wiesen einen mittleren Fehler von 1,75 Prozentpunkte auf. Alle überschätzten sie aber die Stärke der Liberaldemokraten um einiges.

Das ist denn auch eine der interessantesten Beobachtungen, über die UKPollingReport heute zu den Wahlvorbefragung in Grossbritannien berichtet. Nachdem Labour bei frühreren Wahlen regelmässig überschätzt worden war, kam es diesmal zu einem gegenteiligen Effekt. Dafür stuften die Umfragen die Liberaldemokraten stärker ein, als sie am Ende waren.

Es mag Zufall sein, dass die genaueste Umfrage überhaupt nicht am Vortag, sondern am Vorvortag gemacht wurde. YouGove hatte am 4. April das Endresultat eigentlich fast punktgenau ermittelt. Vielleicht, könnte man auch folgern, folgt das auch einem System.

Denn am letzten Tag wissen alle Befragten, dass die Umfragen mit höchstem Prestige in der Oeffentlichkeit publiziert wird. Und vielleicht annimiert sie das, leicht verzerrende taktische Antworten zu geben.

They cant´t get no satisfaction!

Die Hochrechnung zur Sitzverteilung im britischen Unterhaus verspricht politische Spannung: Die Tories können mit 305 Sitzen rechnen. Labour käme auf 255 Abgeordnete und die Liberaldemocrats auf 61. Alle übrigen Parteien würden 29 Sitze auf sich vereinen können.

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Wahlsieger David Cameron, Leader der Tories, steht in der Türe zu politische Macht, doch ohne Hilfe der Liberalen schafft er es nicht bis in ihr Innerstes.

Gemäss den exit polls zu den britischen Unterhauswahlen hätte die Konvervativen nicht nur am meisten Abgeordnete. Sie würden auch rund 100 dazu gewinnen. Doch ist das nur der halbe Sieg, denn für die absolute Mehrheit reicht dies selbst unter Einschluss von 10 möglichen Unionisten aus Nord-Irleand nicht.

Das heisst allerdings nicht, dass Gordon Brown weiter regieren kann. Alleine geht das sicher nicht mehr. Doch auch die ins Auge gefasste Koalition wird nicht automatisch reichen. Denn sowohl seine Labour-Party als auch die LibDems verlieren Sitze, sodass es selbst gemeinsam nicht für die Mehrheit im Unterhaus reichen wird.

Noch sind nicht alle Wahlkreise definitiv ausgezählt; doch die vorliegenden Endresultate bestätigen in hohem Masse die Projektion aufgrund der exit polls.

Damit kann sich der Leader der Konservativen nicht als wirklicher Wahlsieger feiern lassen. Denn nur eine Koalition mit den Liberalen würde ihm und seiner Partei eine sichere Mehrheit im Parlament sicher. Doch das wird kaum dier erste Option in den Verhandlungen sein. Gordon Brown, der aktuelle Primeminister, wird traditionsgemäss als Erster versuchen, eine Regierung zu bilden, mit der er sich am 27. Mai die Mehrheit sichern könnte, sei es als Koalitionentscheidung oder als Duldung einer Minderheitsregierung durch Drittparteien.

Scheitert Brown, wird Cameron zum Zug kommen. Sollte auch er scheitern, dürfte es zu Neuwahlen kommen.

GB: Stunde der Wahrheit

Für zwei der britischen Umfrageinstitute ist heute der grosse Tag: MORI und NOP für erstmals gemeinsam die exit polls durch, die von allen relevanten Fernsehstationen gemeinsam übernommen werden.

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Anders als in amerikanischen exit polls werden in den Befragungen an den britischen Urnenausgängen keine Fragen zu den Gründen der Wahl gestellt. Es geht einzig darum, wie gewählt wurde.

130 Wahlkreise sind hierfür ausgewählt worden: 107 aufgrund ihrer Eignung bei den letzten Unterhauswahlen 2005, 23 aufgrund der speziellen Konstellation zwischen Liberalen und Sozialisten.

Insgesamt werden am Ausgang der Wahlokale 16500 Interviews realisiert, die stündlich ausgewertet werden, um die Sitzverteilung zu prognostizieren.

Ausgewählt wird jede n-te Person, welche die Büros mit den Wahlurnen verlassen. Sie sollen das Ausfüllen des Wahlzettels simulieren und so bekannt machen, wie sie gestimmt haben.

Die Stunde der Wahrheit ist ab 22 Uhr, wenn erst erstmals Resultate kommuniziert werden. Um 23 Uhr wird mit dem Endergebnis aus den exit polls gerechnet.

Grossbritannien wettet, wählt und wartet ab!

Morgen wählt Grossbritannien sein Unterhaus. Um 23 Uhr am Abend wird man wissen, wer wie viele Sitze hat, und was das in WählerInnen-Anteilen bedeutet. Allgemein erwartet wird ein Wahlsieg der Konservativen, der aber nicht für die Mehrheit der Sitze ausreichen wird.

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Die letzten Umfragen auf Basis von repräsentativen Stichproben werden eben auf Internet publik gemacht. Nimmt man den UKPollingReport als eingemitteter Massstab, rechnen die Umfrageinstitute mit 35 Prozent der Stimmen für die Concervatives, 28 Prozent für Labour und 27 Prozent für die LiberalDemocrats. Ein Zehntel der Stimmen würde an alle andern Parteien gehen.

Erstaunlich ähnlich fällt die Wahlbörse aus. Die Wettfreunde halten 35 Prozent für die rechten Konservativen, 27 Prozent für linken Sozialisten und 26 Prozent für die Liberaldemokraten für die wahrscheinlichste Verteilung der Stimmen.

Doch heisst das in Grossbritannien nicht viel. Das ausgeprägte Mehrheitswahlrecht führt dazu, dass nur stärkste Parteien den Sitz in einem Wahlkreis macht. Parteien mit Hochburgen sind da bevorteilt, solche ohne Machtzentren fallen zwischen Stuhl und Bank.

Das wissen auch die Börsianer. Sie geben der Conservatives 286 Sitze im Unterhaus, gefolgt von Labour mit 218 und den Liberaldemokraten mit 114 Sitzen. Die übrigen Parteien kämen demnach auf 32 Abgeordnete. Das würde heissen, dass keine Partei die Mehrheit der Sitze hätte, es aber sowohl für eine Mitte/Rechts, wie auch für eine Mitte/Links-Koalition reichen würde.

Für die Umfrageinstitute ist die Umrechnung der nationalen WählerInnen-Anteile in Sitze ein grösseres Problem. Deshalb dominieren hier Erfahrungswerte für die Auswirkungen, die eine Prozente WählerInnen-Gewinne oder Verluste mit sich bringen. Da lässt eine deutlicher knapperen Wahlausgang erwarten: UKPollingReport, dass die wichtigsten Umfrageserien gewichtet, rechnet mit 274 Sitze für die siegreichen Konservativen, 264 für die Sozialisten und nur 81 für die Liberaldemokraten.

In der Endabrechnung würde das aber das Gleiche heissen: Die Konservativen gewinnen, doch reicht es nicht für die alleinige Mehrheit. Deshalb werden verschiedene Szenarien diskutiert:

Am klarsten wäre es, wenn die Konservativen 326 Sitze und damit die alleine Mehrheit erhielten. David Cameron würde die Regierung direkt stellen können.

Wenn die Konservativen klare Gewinnerinnen wären, aber keine Mehrheit erhielten, wäre eine Minderheitsregierung aus Konservativen mit Duldung der kleinen Parteien denkbar. Die Tories müssten wohl auf 300 Sitze kommen, denn die kleinen Parteien sind für rund 30 Sitze gut.

Wenn das nicht möglich ist, die Konservativen stärkste Partei sind, ist eine Mitte/Rechts-Regierung, namentlich mit den Liberaldemokraten, denkbar.

Wenn schliesslich Labour und Conservatives ähnliche viele Sitze bekommen, ist denkbar, dass Brown Premier bleibt und mit den Liberaldemokraten eine Koalitionsregierung anstrebt. Voraussetzung ist hier wohl, dass sie gemeinsam eine Mehrheit der Abgeordneten stellen.

Wer auch immer mit den Liberaldemokraten koalieren will, muss sich wohl auf ihre wichtigste Systemforderung einlassen, und das extreme Mehrheitswahlrecht revidieren. Ganz ohne ist das weder für die Tories noch für Labour.

Und so bleibt: Grossbritannien wettet, wählt und wartet ab, bis man es weiss!

Professionalisierung der Parlamentsarbeit

58 Prozent der gegenwärtige StandesvertreterInnen in Bern bezeichnen sich als BerufspolitikerInnen. Der Rest politisiert nach eigenen Angaben im Halbamt. Trend: klar steigend in Richtung Berufsparlament. Eine Analyse – und eine Frage.

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Der Milizgedanke prägte das Werden des schweizerischen Staates. Die Feuerwehr bestand aus Freiwilligen, beim Offizierskorps war es so, und die Politiker in den Parlamenten machten davon keine Ausnahme.

Doch nun wird alles anders. Professionalisierung ist das Stichwort: Die Zeitnot vieler Leute, die Leistungserwartungen an öffentliche Dienstleistungen und die Bezahlung von Arbeiten, die als Beruf erbracht werden, sind einige der Gründe.

Simon Hug und Sarah Bütikofer, zwei Politikwissenschaft aus Zürich und Genf, haben diese Veränderung unter der Bundeskuppel aufgrund einer ParlamentarierInnen-Befragung untersucht. Dabei stützten sie sich auf Vorarbeiten der St. Galler Politologen Alois Riklin und Silvano Möckli, die 1975 ähnliches gemacht hatten. Die Befunde im Vergleich lauten:

. StänderätInnen sind heute in ihrer Mehrzahl BerufspolitikerInnen. Der Trend hierzu verläuft in der kleinen Kammer rasant.
. NationalrätInnen politisieren heute in der Mehrheit als HalbberufspolitikerInnen. Auch in der Grossen Kammer nimmt der Anteil zu, aber merklich langsamer.
. Im Schnitt arbeitet ein Ständerat zu 66 Prozent für sein Amt. Etwa mehr ist es bei der FDP, etwas weniger bei der CVP. In den letzten 35 Jahren hat die Belastung klar zugenommen.
. Im Nationalrat sind diese Veränderungen geringer. Hoch sind die zeitlichen Anforderungen vor allem für Mitglieder kleiner Fraktionen. Bei der EVP und der EDU wirkt sich das am starksten aus; ParlamentarierInnen dieser Parteien wenden 4 von 5 Arbeitstagen hierfür auf.

Die Folgerung der AutorInnen: Eine Mehrheit der Schweizer PolitikerInnen betreibt Politik unverändert nicht als Beruf. Bei einer Minderheit ist das heute aber der Fall. Dabei stellt man eine Verlagerung fest, von den Gemeinde- und Kantonsexekutiven hin zu den nationalen ParlamentarierInnen, vor allem zu den VertreterInnen der Kantone. Der Unterschied zur nationalen Parlamentsarbeit im Ausland ist damit weitgehend verschwunden.

Doch das ist nur die eine Seite der Professionalisierungsmedaille, füge ich an. Ausgebaut wurden auch die professionellen Stäbe der PolitikerInnen, der Verbände, der Parteien, der OeffentlichkeitsarbeiterInnen. Und zahlreicher sind die Verwaltungsangestellten der Exekutiven und Legislativen. Davon profitieren nicht zuletzte gut ausgebildete PolitologInnen.

Wann gibt es die erste systematische Untersuchung hierzu?

Polarisierung der Schweiz trotz Konkordanz zwischenzeitlich extrem

Der EU-Profiler, der bei den jüngsten europäischen Wahlen die thematischen Positionen der Parteien analog smartvote untersucht hat, lässt die Profile der schweizerischen Parteien im EU-Vergleich bestimmen. Fazit: Trotz Konkordanzkultur positionieren sich die schweizerischen Parteien, insbesondere die SVP und die SP, für ihre “Familie” extrem.

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Die Positionierung der CVP entspricht ziemlich genau der der europäischen Volksparteien. Für eine europäische liberale Partei ist die FDP etwas zu stark wirtschaftsliberal, gleichzeitig auch zu konservativ. Die SP hat ein sozialdemokratisches Profil, wenn sie auch extremer als das Mittel positioniert ist. Bei den Grünen ist die Uebereinstimmung mit den verwandten Parteien fast perfekt. Die SVP schliesslich passt am ehesten zu den nationalkonservativen Partei, mit einem verstärkten Hang zu wirtschaftsliberalen Positionen.

Die SVP ist mit ihren Wahlsiegen die stärkste politische Kraft in der europäischen Parteienfamilie der Nationalkonservativen. Die FDP liegt im Mittel; ihren Bonus als Staatsgründerin hat sie nach ihren Wahlniederlagen der letzten Jahrzehnte verloren. CVP und SP sind eher schwächer als das europäische Mittel, die Grünen eher stärker.

Kombiniert man Position und Stärke der Parteien miteinander, hat die Schweiz das am stärksten polarisierte Parteiensystem Europas. Die wird vor allem durch die Positionen von SVP und SP bestimmt. Einen direkten Zusammenhang zwischen Polarisierung und Wahlerfolg gibt es aber nicht. Hierfür müssen gemäss Studie sowohl die Wahkämpfe mit ihrem Themen berücksichtigt werden, als auch die soziologischen Voraussetzungen. Zu ihnen zählen der Wohlstand, die Beschäftigtenstruktur, die dominante Konfession und die geografische Lage.

Aus Schweizer Sicht interessiert vor allem das Resultat zum Polarisierungsgrad. Demnach beeinflussen institutionelle Strukturen die Positionierung der Parteien nur bedingt. Vielmehr hängt das von den Konkurrenzsstrategien im Parteienwettbewerb ab. Die Polarisierung das parteipolitischen Landschaft in den letzten 20 Jahren hat der Profilierung der Parteien genutzt, ihre Kooperationsfähigkeit aber geschwächt.

Gemäss Andreas Ladner, dem Hauptautor der Studie, verhindert Konkordanzkultur Positionsbezüge nicht. Sie stele aber erhöhte Anforderungen an die Parteieliten, parteiübergreifend thematischen Konsens nach den Wahlen herzustellen. Nur auf der Basis dieses Willens könne die Konkordanzkultur der Schweiz erneuert und gestärkt werden.