CVP: sachpolitisch Schritt für Schritt vorankommen

Die CVP will die Zusammenarbeit in der Sache vom Zentrum aus erneuern, um zu sehen, ob die BürgerInnen auf die Zentrierung der Schweizer Politik positiv reagieren, und die Mitte-Parteien 2011 stärken.

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Christophe Darbellay, CVP-Präsident, hätte es vorgezogen, wenn alle Beteiligten über die geplante Zusammenarbeit von FDP, BDP und seiner Partei öffentlich geschwiegen hätten.
“Allianz der Mitte” gefällt Christoph Darbellay besser, wenn er über die Zusammenarbeit seiner CVP mit FDP und BDP spricht. “Liberale Allianz” tönt ihm nämlich zu stark nach FDP. Die wiederum mag die Mitte nicht, spricht lieber von mitte-rechts. Einig ist man sich aber, dass es darum geht, die Kräfte zu sammeln, die regierungswillig seien. Das sind nach 2009, als FDP und CVP bei den Bundesratsersatzwahlen frontal aufeinander prallten, neue Töne.

Nachdem er einige Tage geschwiegen hatte, beteiligt sich nun auch Christophe Darbellay an der öffentlichen Debatte zum Machtkampf der Mitte-Parteien. Neuralgische Themen wie Armee, Ausländerpolitik und UBS-Staatsvertrag hätten gezeigt, dass SVP und SP vermehrt thematische Allianzen eingehen, obwohl sie in der Regel das Gegenteil voneinander wollen. Hauptsache sei, man bremse das Zentrum. Zudem scheuten beide Parteien nicht, regelmässig das Referendum zu ergreifen und Initiativen zu lancieren.

Dem will CVP-Präsident etwas gegenüber stellen. Er liebäugelte schon mit einer neuen Zentrumspartei. Und seine CVP führt gegenwärtig mit EVP und glp eine Zentrumsfraktion unter der Bundeskuppel. Das eine wirkt gegenwärtig zu utopisch und ist vor allem auf der kantonalen Ebene wenig realistisch; das andere könnte 2011 ein Ende haben. So erstaunt es nicht, dass man nach einer Alternative Ausschau hielt.

Für den Walliser Nationalrat sind die Parteiengespräche im Zentrum auf Sachpolitik beschränkt. Diese soll Schritt für Schritt entwickelt werden. Und sie müssen Abstimmungs- und Wahlerfolge ins Zentrum zurückbringen. Denn letztlich bleibt es das Ziel der CVP, aus eigener Kraft den Anspruch auf einen zweiten Bundesratssitz anmelden zu können. 2011 hatte man sich als Zeithorizont hierfür vorgenommen, als man nach der Abwahl von Ruth Metzler 2003 über die Bücher musste.

Die variable Geometrie der politischen Kräfte

Die SP kennt ihren Marktwert unter der Bundeskuppel. Sind sich die Bürgerlichen einig, was häufig der Fall ist, sind die Mehrheiten auch ohne SP-Support klar. Streiten sich aber SVP, FDP und CVP, ist das Zentrum namentlich im Nationalrat auf die Stimmen der SP, allenfalls auch der Grünen angewiesen. Das nennt man variable Geometrie der politischen Kräfte.

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Die laufende Debatte über den Staatsvertrag der Schweiz mit den USA zeigt exemplarisch, was gemeint ist. Von der SVP bekämpft, kann die SP Zustimmung signalisieren, dafür aber mit der Einführung einer Boni-Steuer den Preis diktieren. Das ist im Zentrum zwar wenig beliebt, weshalb man Entgegenkommen verspricht, ohne Verpflichtung eingehen zu wollen. Genauso so analysiert SP-Präsident Christian Levrat das.

Solange in der Schweiz Konsenspolitik betrieben wurde, kam diese Konstellation selbstredend nicht vor. Aktuell ist das im Nationalrat mindestens nicht mehr der Regelfall. Das blockiert zwar nicht alle Geschäfte, erschwert dem Zentrum aber die Arbeit. Alleine kann es im Bundesrat regieren, und es ist gut möglich, dass es dafür auch im Ständerat Sukkurs findet. Doch es droht ein Scheitern im Nationalrat, denn hier können so abgestützte Vorlagen zwischenzeitlich von SVP, SP und Grünen schon in den vorberatenden Kommission gestoppt werden.

Mit dieser Veränderung müssen FDP, CVP und BDP umgehen lernen. Denn es ist eine direkte Folge der Polarisierung bei den Wahlen seit 1995 mit den entsprechenden Veränderungen in den WählerInnen-Anteilen. FDP und CVP sind heute Schwächer als vor 30 Jahren.

Nicht zu verübeln ist ihnen, dass sie bestrebt sind, unter veränderten Bedingungen indessen ihre Schlagkraft zu erhöhen. Das begann nach den Wahlen 2007 mit Parteifusionen und Fraktionsgemeinschaften, fand seine Fortsetzung in der erhöhten Parteidisziplin und wird gegenwärtig mit der Allianzbildung im Zentrum fortgesetzt.

Genauso wenig sollte man aber auch die Polparteien beklagen, wenn auch sie sich heute strategischer verhalten und die Linke Forderungen stellt, wenn die SVP blockt, resp. diese Bedingungen nennt, wenn die SP und die Grünen nicht mitziehen wollen.

Das kann zwar zum Scheitern von Vorlagen führen, oder die Einsicht wachsen lassen, dass es für die Mehrheit in der Schweiz drei grössere Parteien braucht, die am gleichen Strick ziehen. Die BDP im Zentrum ist dafür kein Ersatz, weder parlamentarisch, noch direktdemorkatisch. Die drei, die die Politik führen, müssen allerdings nicht immer die gleichen sein, weshalb man es treffend auch die variable Geometrie der politischen Kräfte nennt.

Die heilige Pflicht der SVP

Nach der deutlichen Attacke, die FDP-Präsident Fulvio Pelli an die Adresse der SVP reiten konnte, gibt die NZZ Toni Brunner in der morgigen Ausgabe das Wort für eine Replik. Die SVP sei unschuldig, müsse die Machtbewahrer in der Mitte anklagen und habe die heilige Pflicht, alleinige Mahnerin auf weiter Flur zu sein.

SWITZERLAND/
Toni Brunner: Die FDP soll zuerst ihre Positionen klären, bevor sie anderen Parteien Vorschriften macht.

Der Allianz der Mitte gehe es nur um Machterhalt, kritisiert SVP-Präsident Toni Brunner seine bürgerlichen Kollegen unter den Parteipräsidenten. Vom Wähleranteil her sei der zweite Sitz im Bundesrat viel ausgewiesener als die vier der Mitte-Parteien. Doch stehe namentlich Pelli wegen seinem Lavieren in der Frage der Weissgeld-Politik unter Druck, gibt der SVP-Chef zurück. Deshalb schlage er momentan wild um sich, treffe er die Falschen.

Die SVP arbeite im Bundesrat loyal mit, habe aber als stärkste Partei nur einen Bundesratssitz, gibt Brunner zu bedenken. Deshalb müsse sie ihre Vorstellung auch anderweitig vorbringen und umsetzen. Man bleibe aber berechenbar, wenn auch unbequem, wie etwa bei der EU-Beitrittsfrage oder tabuisierten Migrationsthemen. Das alles sei “die heilige Pflicht der SVP”, gibt der SVP-Präsident der NZZ zu Protokoll.

Wie schon lange nicht mehr fliegen seit Tagen die Fetzen zwischen den Schweizer Parteispitzen. Denn seit die SVP im Winter 2009/2010 bekundet hat, bei einem Rücktritt von Hans-Rudolf Merz den zweiten Bundesratssitz der FDP anzugreifen, sieht sich der Partner in zahlreichen Kantonen national neu um. Von der Umklammerung der Lobbies versucht man sich seit Wochen zu lösen, und politische sucht man das Heil im Zentrum. Genau das ärgert die SVP. Denn ohne Verbündete in Regierung und Parlament sind ihre Position trotz hohem Wähleranteil für die Partei politisch nicht umsetzbar. Und so bleiben nur die Wahlen 2011, die eine Klärung bringen könnten. Bis dahin ist zu erwarten, dass die SVP ihrer heiligen Pflicht unvermindert nachkommt.

Alles nur Taktik? Schweizer WählerInnen auf dem Prüfstand

Romain Lachat, akademischer Wahlforscher an der Uni Zürich, widerspricht in einem Blogbeitrag zu einem seiner Forschungsartikel der vorherrschenden Interpretation der Schweizer Wahlforschung. Die Polarisierung der Parteienlandschaft sei stärker als die der Wählerschaft. Diese taktiere bei Wahlen vor allem.

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Romain Lachat: Schweizer WählerInnen wählen extremer als ihre Präferenzen, damit sich etwas in ihrem Sinn verändert.

Da es im Konkordanzssystem nur Minderheitsparteien mit einem begrenzten Einfluss auf die Regierungsposition gibt, können Wählende versucht sein, mit der Unterstützung von Parteien, die extremer als ihre eigenen Präferenzen sind, ihren eigenen Einfluss auf Entscheidungen zu vermehren, argumentiert Lachat. So sei die sachliche Polarisierung der schweizerischen Wählerschaft geringer als man aufgrund der Parteienpolarisierung annehme. Doch zeigten seine Analysen, dass das taktische Wählen im Sinne des “kopmensatorischen Wählens” seit 2003 zunehmen würde.

Nicht zuletzt hätte die damalige Veränderung der Regierungszusammensetzung gezeigt, dass man mit seiner Stimme mehr als nur die Parteistärken im Parlament festlegen könne. Das habe man zwischenzeitlich begriffen, weshalb der Zürcher Politologe glaubt, dass die Polarisierung der Wählerschaft werde 2011 nochmals zunehmen.

Lange Zeit war die akademische Wahlforschung bestimmt durch die Vorstellung, Issue-Voting sei alles entscheidend. Das hat auch das Selects-Projekt geprägt. Zwischenzeitlich sieht man vielerorts, dass das eine gewagte Annahme war. Gewagt ist es aber auch, dass nun durch ein anderes Leitmotiv der Forschung ersetzen zu wollen.

Insofern ist taktisches Wählen neben Themen- und Personenwählen nur eine Möglichkeit, Wahlentscheidungen zu analysieren. Und sie ist nicht einmal neu. 2006, als das Wahlbarometer konzipiert wurde, haben wir das als eine der Hypothesen aufgenommen, die wir (mit beschränktem Erfolg) testeten.

Bemerkenswert ist in der Tat die Polarisierung der schweizerischen Parteienlandschaft für die letzten 15 Jahre, die sich indessen abschwächt. Die SP verliert seit 2006 Wahlen, die Grünen spüren die Konkurrenz der glp in der Mitte und gewinnen nicht mehr automatisch. Das Erstarken der BDP als bürgerliche Kraft ist für gemässigte WählerInnen attraktiv, was FDP und CVP beschäftigt.

Es bleiben die Gewinne der SVP. Meiner Meinung nach sollte man sie weder als reine Themenwahl noch als reine Taktik (“Flugsand”, “Proteststimmen”) interpretieren, sondern als Ausdruck einer neuen politisch-kommunikativen Konfliktlinie. Diese ergibt sich aus dem Wandel der politischen Konkordanzkultur einserseits, dem Erstarken nationalistischer und nationaler Orientierungen anderseits. Beides führt zur Ausbildung eines eigenen Wertehimmels, eigener Verhaltensweisen mit zwischenzeitlich hoher WählerInnen-Bindung.

SVP provozieren, um dereinst gemeinsam der SP drohen zu können

Rechtzeitig aufs Wochenende geht Fulvio Pelli in Sachen bürgerlicher Allianz via Interview in der NZZ in die Offensive. Er setzt die SVP unter Druck, nicht zuletzt aber, um gemeinsam die SP fordern zu können.

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Fulvio Pelli: Für eine liberale Allianz der Regierungswilligen (Quelle: NZZ)

FDP-Präsident Fulvio Pelli nimmt dem Treffen seiner Partei mit der CVP und der BDP im Gespräch mit Martin Senti den Nimbus des Anrüchigen. Eingeladen habe die CVP, welche die Teilnahme von BDP eingebracht und die Auslassung von glp und EVP alleine entschieden habe. Die Treffen nennt er einbe bürgerliche Allianzbildung unter Parteien, welche die Schweiz mitregieren wollen. Ausgangspunkt sei die Instabilität des Regierungssystems, weil sich die SP nicht auf vernünftige Positionen einigen könne, und weil die SVP gar nicht mitregieren will.

Die bürgerliche Ausrichtung der Bundesregierung funktioniere sachpolitisch nur noch, weil die drei Parteien vier Sitze hätten. Die SVP verlange nicht zu unrecht einen weiteren Sitz, müsse dafür aber auch bereit sein, gemeinsame Positionen mitzutragen. Denn ohne das erleichtere man das Spiel der SP, von den bürgerlichen Parteien Konzessionen zu erzwingen.

Die jetzigen Gespräche seien in der Sache produktiver gewesen als frühere. Bei Personenfragen müssen man mit offenen Karten spielen, weil sonst nur mehr Probleme entstehen. Beschlossen habe man, dass Profilierungsübungen zwischen FDP, CVP und BDP aufhören. “Denn nur so könne man verhindern, dass unheilige Allianzen dereinst auch die Regierungspolitik blockieren.”

Die Schilderung der Gespräche aus Pellis Sicht nimmt ihnen die Dramatik. Seitenhiebe, vor allem an die Adresse der SVP wegen ihrer abnehmenden Regierungswilligkeit, geben ihr dennoch einen drive.

Das ganze erinnert an die Geburtsstunde der Zauberformel. Damals erpresste die BGB (Vorgängerpartei der SVP) die FDP und KK (Vorgängerpartei der CVP) mit Referendumsdrohungen, welche sich namentlich gegen die aussenwirtschaftliche Offenheit der Schweiz wandten. Das führte zur Inkorporierung der SP ins Regierungslager, was zwar Konzessionen ans linke Lager mit sich brachte, die Veto-Position der BGB aber schmälerte. Denn das bürgerliche Zentrum hatte nun zwei Möglichkeiten, einen Ausgleich zu finden.

Zwischenzeitlich drohen SVP und SP wieder regelmässig mit Referenden, und markieren sie und auch ihre Bundesräte abweichenden Position vor und nach gemeinsamen Entscheidungen. Das bringt das bürgerliche Zentrum regelmässig in die Bedrouille, aus der es sich befreien will. Sachpolitisch ist das gut nachvollziehbar, machtpolitisch hat man diese Woche einiges hinzugelernt.

Nun ist die SVP im Zugzwang, denn ihr gilt das Interview Pellis in erster Linie. Zu lachen hat die SP dabei nicht, denn der Preis für mehr gemeinsame Politik auf bürgerlicher Seite könnte sein, die Linke zu schwächen, durch parteipolitische Umbesetzungen des Stuhls von Moritz Leuenberger, sei es in Richtung einer bürgerlichen Regierung oder unter Einbezug der Grünen ins Regierungslager.

Wechselwählen: in der Schweiz noch wenig systematisch erforscht

Analysen des Wechselwählens sind wichtig, aber nicht ohne Tücken. Es wäre Zeit, die Methodenstreitfragen bei Seite zu legen, und hierzu ein umfassendes Forschungsprojekt zu machen. Denn das Wechselwählen zeigt am differenziertesten, was sich in der Wählerschaft tut.

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4 Modelle der WechselwählerInnen-Analyse, wie sie für die Schweiz angewendet werden könnten.

Die möglichen Methoden

Repräsentative Befragungen zum Wechselwählen haben einen grossen Vorteil: die BürgerInnen geben selber Auskunft. Dafür geeignete Stichproben müssen aber gross sein und sind deshalb auch teuer. So erstaunt nicht, dass es in der Schweiz noch kaum eine systematische Uebersicht gibt über das Wechselwählen, etwa bei Nationalratswahlen, oder in bevölkerungsreichen Kantonen.

Immerhin gäbe es eine kostenügnstigere Alternative zur Analyse von Befragungsdaten. In Frage käme auch die systematische Untersuchung von offiziellen Gemeindeergebnissen, wobei die Kovarianz von Parteistärken analysiert werden müssten. Sie könnte Aufschlüsse geben, unter welchen Bedingungen eine Partei gewinnt, das heisst, wie weit Wahlbeteiligung oder Verluste anderer Parteien zur Erklärung beigezogen werden können.

Die vier Modelle der Wechselwählerströme
Eine erste Uebersicht über so gewonnene Ergebnisse legt für das Parteiensystem der Schweiz vier Modell der Wechselwählerströme nahe:

Erstens, bei hohem Konsens in Politik und Wahlkampf gibt es nur geringe Wechselbewegung; am häufigsten sind sie von den grossen Parteien zu den Nicht-WählerInnen.
Zweitens, bei (linker) Erneuerung des Parteiensystems kommt es zu Mobilisierungs von NeuwählerInnen meist für die Linke, die ihrerseits Wählende an die Rechte verliert. Diese wiederum kennt Verluste an die Nicht-(Mehr)-Wählenden.
Drittens, die Polarisierung des Parteiensystem führt dazu, dass grossen Parteien links und rechts Neuwählende an sich ziehen, im Verhältnis zu den kleinen Parteien gewinnen, wobei es kaum zu einem Tausch zwischen den Blöcken kommt.
Viertens, bei der Entstehung neuer Parteien schliesslich verlieren meist alle Nachbarn der neue Partei Wechselwählende, und die neue Partei gewinnt bisweilen auch Neuwählende hinzu, während die grossen Parteien Mühe haben, Einbussen an die Nicht-WählerInnen zu vermeiden.

Eine Anwendung davon mit Aggregatdatenanalyse habe ich bei den Berner Grossratswahlen gemacht, mit plausiblen, konsistenten Ergebnissen, die überwiegend dem vierten Modell, mit Erweiterungen für die Rechte auch dem dritten Modell entsprechen.

Eine neues Forschungsprojekt wäre sinnvoll
Die Diskussion über die Operationalisierung solcher Analyseansätze hat sich bisher weitgehend auf Methoden-Streitigkeiten konzentriert. Aus meiner Sicht hat dies nicht weiter geführt. Geschärft wurde zwar das Bewusstsein für Methodenrisiken, nicht aber für Methodenchancen. Sinnvoll wäres, inskünftig eine (Serie von Wahlen) mit beiden Methoden gleichzeitig zu untersuchen, und zwar auf der Basis explizierter Hypothesen zum erwartbaren WechselwählerInnen-Verhalten, wie es hier aufgezeigt worden ist.

Aggregatdatenanalysen hätten den unbestreitbaren Vorteil, dass sie jederzeit erstellt werden könnten, auch rückwirkend, womit die Plausibilität der Hypothesenbildung, der Analysetechniken und der Ergebnisdiskussion erhöht und wohl auch differenziert werden könnte. Individualdatenanalysen könnte dann auf einer verbesserten Grundlage gemacht werden.

In der Schweiz wäre ein solches Projekt besonders bedeutsam, denn Wechselwählen ist nur ein digitaler Entscheid, sondern ein gradueller. Meist beginnt er angesichts gelockerter Parteibindungen mit dem Panaschieren, was ja nichts anderes als parzielles Wechselwählen ist.

Mehr darüber zu wissen, heisst, die Dynamik der WählerInnen-Entscheidungen zu verstehen, die das Parteiensystem verändert.

“Arena” von morgen: Allianzen ja, Machtansprüche nein!

Die Arena-Sendung zum Machtpoker im Bundeshaus ist noch gar nicht gesendet. Doch schon werden die Ergebnisse der gestern abend aufgezeichneten Diskussionsrunde bereits übers Internet verbreitet. Mein Kommentar.

Fulvio Pelli, FDP-Präsident, geht in die Offensive. Er habe zum Schulterschluss von FDP, CVP und BDP eingeladen. Begründung: Angesichts der Blockierungen durch SVP und SP sei die Schweiz gegenwärtig nicht führbar. Dem widersprechen die angeschuldigten Parteipräsidenten: Toni Brunner von der SVP und Christian Levrat von SP sind der Auffassung, im Zentrum beabsichtige man, sich schon vor den Parlamentswahlen die Mehrheit im Bundesrat zu sichern.

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Letztlich dreht sich alles um den Sitz von Evelyne Widmer-Schlumpf. Die klarste Aussage hierzu macht Martin Bäumle, Präsident der Grünliberalen: Wenn die bürgerlichen Zentrumsparteien der BDP einen Sitz zugestehen, müssen sich FDP und CVP mit je einem Sitz im Bundesrat begnügen. Mehr als drei Sitze stehen ihnen im siebenköpfigen Bundesrat nicht zu.

Fulvio Pelli insistiert darauf, die Nachfolge von Bundesrat Hans-Rudolf Merz stellen zu können, solange man drittstärkste Partei sei. Mit einem baldigen Rücktritt sei übrigens nicht zu rechnen. Abgerechnet werde nach den Parlamentswahlen.

Ich werde mir die Sendung morgen ansehen. Unvernünftigt scheinen mir diese Aussagen nicht. Denn bei solchen Sendungen entscheiden auch die Zwischentöne.

Mehr Allianz-Bildung im Zentrum ist angesichts der Magnete links und rechts sinnvoll, Machtansprüche über Gebühr anzumelden, goutiert man hierzulande nicht. In einer Konkordanzregierung ist die SVP sicherlich untervertreten.

Wer etwas anderes anstrebt, sollte mit offenen Karten spielen. Verwerflich ist es nicht, sich nach neuen Regierungsformeln umzusehen. Denn die Zahl der Ansprüche liegt klar über der der Sitze. Doch sollten diese nicht aufgrund unsicherer Opportunitäten und abzuwählender Personen diskutiert werden, denn Regierungsstabilität bleibt eines der wichtigsten Kriterien der Demokratie – genauso wie die Frage, wer im Rahmen einer Regierungsreform welchen Beitrag zur Lösung aktueller und kommender Probleme leisten will.

FDP und CVP: das Schicksal des LdU vermeiden

Anton Schaller war mal Chefredaktor des Schweizer Fernsehens. Doch dann zog es ihn in die Politik. Die erhofften Wahlerfolge für sich und für seine Partei blieben indessen aus. So war er der letzte Parteipräsident des Landesrings der Unabhängigen – vor dessen Auflösung im Jahre 2000. Seither wirkt es als Kommunikationsberater, und als solcher greift er, eingeladen von der NZZ, in die Debatte über die Neuformierung der politischen Mitte ein.

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Anton Schaller: keine Fusion, aber eine gemeinsame Fraktion auf FDP und CVP

Vielleicht dramatisiert er aus seinem eigenen Trauma heraus. Seine Aussage ist dafür umso klarer: “Noch nie waren die Chancen so gross, noch nie lag so brach, was jetzt beackert werden könnte: die politische Mitte. Er steht offen, der dritte Weg. Der Weg zwischen dem rechten und dem linken Lager, der Weg der Vernunft.” Mit diesen Worten eröffnet Schaller seine Analyse der Parteienlandschaft, die es im politischen System der Schweiz braucht, die er aber nicht mehr findet. Statt wie der LdU vor 10 Jahren zu enden, empfiehlt er der geschwächten FDP und CVP sich zusammen zu raufen.

“Der Ausweg liegt im Zusammenschluss der aufrechten liberalen Kräfte in den beiden Parteien FDP und CVP. Im Bündnis der modernen, weltoffenen Geister, die mehr wollen als nur sich selber genügen.” Damit ruft er ZentrumspolitikerInnen auf, die weder im Isolationismus noch im Sozialromantismus erstarren wollen auf, sich zusammen zu tun. Ganz im Sinne des “sozialen Kapitals” empfiehlt er ein Wirtschaftsordnung, die den wilden Kapitalismus der Banker im Zaun hält, und dem immer wieder auflebenden Sozialismus die Realitäten vorrechnet. Verbindend soll sein, die humanitäre Tradition der Schweiz in der globalen Welt nicht aufs Spiel zu setzen.

Die neue Mitte muss aus den bestehenden Parteien hervorgehen, postuliert Schaller. Vor Fusionen warnt er aber. Vielmehr empfiehlt er eine gemeinsame Fraktion in der Bundesversammlung, welche offensiv politisiert, und nicht wartet, bis sie verzweifelt zum letzten Zug ansetzen darf.

Provokationen, die sitzen

Die Provokation: Am Sonntag wurden Planspiele ruchbar, wonach sich die Parteispitzen von FDP, CVP und BDP absprechen, minimal für Themen, maximal für die Wahlen in den Bundesrat. Ziel sei es, die vier Sitze der drei Partei in der Bundesregierung zu wahren, allenfalls untereinander zu tauschen.

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Blocher, Hayek und Levrat im gemeinsamen Auftritt: Szene, welche die bürgerliche Mitte irritierte und Anlass bot, eine liberale Allianz zu lancieren, auf die widerum SVP und SP aufgeschreckt reagieren.

Die Reaktionen: Die Antworten der so herausgeforderten Polparteien blieben heute nicht aus. Für SVP-Parteipräsident Toni Brunner ist es klar, die Sitze im Bundesrat müssen nach der Parteistärke verteilt werden, und die SVP hat als wählerstärke Gruppe im Bundeshaus Anspruch auf 2 Sitze. Deshalb werde man bei jedem Rücktritt eigene Kandidaten stellen. Im Vordergrund steht Caspar Baader, der Fraktionschef, der sowohl bei einer FDP- wie auch bei einer SP-Vakanz antreten werde. Das dabei die Konkordanz-Verteilung gestört werden könnte, kümmert den St. Gallen Nationalrat kaum. Vor allem die SP habe sich mehrfach nicht an die Regeln der einvernehmlichen Sitzverteilung nach Parteistärken gehalten; sie könnte dafür büssen müssen.

Für Christian Levrat, den SP-Präsidenten, stellt sich die Frage noch deutlicher. Er droht den anderen Regierungsparteien mit dem Rückzug seiner Partei aus dem Bundesrat, sollte Evelyne Widmer-Schlumpf zu Lasten der SP wiedergewählt werden. Weder von der Parteienstärke sei das gerechtfertigt, noch sie die Justizministerin eine Linke. Wer das übersehe, soll klar stellen, dass der die Konkordanz abschaffen und zugunsten eines Mehrheitssystems umfunktionieren wolle.

Nichts zu verlieren haben die Grünen. Sie schwiegen denn heute zum Vorhaben der Mitte-Parteien. Diese wiederum halten sich zurück. Fulvio Pelli von der FDP und Hans Grunder von der BDP äusserten sich öffentlich gar nicht, und Christophe Darbellay reduzierte die Ansprüche der Allianz auf thematische Absprachen, um unheiligen Allianz vorzubeugen. Ins gleiche Horn stiess auch FDP-Generalsekretär Stephan Brupbacher, der den Ball möglichst tief halten wollte.

Meine Bilanz von heute: Die Provokation sitzt. Wäre an der Geschichte nichts dran, wäre sie wohl auch sofort gestorben. Dass sie diskutiert wird, zeigt, dass der eingeschlagene Nagel getroffen hat. Die Verwunderung darüber ist eigentlich erstaunlich. Die SVP fordert schon länger, die SP im Bundesrat zu schwächen. Grünen ihrerseits wollen eine Konkordanz ohne SVP. Und das liberale Zentrum will eine Mitte und Bundesrat, die stärker ist als ihr Wähleranteil.

Interessant, dass bisher kaum jemand nachgerechnet hat: Das sich neuformierende Zentrum kommt in der Bundesversammlung auf 105 Sitze. Ohne die EVP und glp sind es 99. Das gilt letztlich auch für die SVP, die auf 65 Sitze kommt, während es für rot-grün für maximal 76 Sitze reicht. Bei einer Dreiteiligung der Stimmen in die genannten Blöcke hat niemand wirklich gesicherte Mehrheiten, um den eigenen Willen gegen den der anderen durchzusetzen. Oder anderes gesagt: Wenn SVP, SP und Grüne nicht wollen, dass Evelyne Widmer-Schlumpf Bundesrätin bleibt, kann die Zentrums-Allianz sie nicht halten.

Einen Ausweg anderer Art verkündete heute das Tessiner Parlament. Um ihre Sprachminderheit im Bundesrat besser vertreten zu können, regt sie im Rahmen der laufenden Regierungsreform an, die Sitzzahl des Bundesrates von 7 auf 9 zu erhöhen. Womit wieder alles anders wäre!

FDP, CVP und BDP auf dem Weg zu einer Wahlallianz 2011

Via Sonntagspresse künden FDP, CVP und BDP an, für die Wahlen 2011 eine gemeinsame Wahlallianz anzustreben. Was könnte die Gründe, was die Aussichten des Projekts sein?

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Lange war alles klar in der Schweizer Politik: FDP, CVP, SP und SVP bildeten im Konkordanzsystem gemeinsam die Regierung. Mit den Wahlen 1995 begannen sich die Parteistärken jedoch dramatisch zu ändern. Die Regierungszusammensetzung änderte sich, ohne dass sich dabei ein neues Gleichgewicht eingestellt hätte. Vielmehr besteht der siebenköpfige Bundesrat heute aus 5 Parteien, und drei Fraktionen erheben den Anspruch neu oder verstärkt vertreten zu sein.

Vom Auslaufen der scharfen Bi-Polarisierung des Parteiensystem war auf diesem Blog schon mehrfach die Rede. Geortet wird seit 2007 eine elektoral wiedererstarkte Mitte. Denn nicht nur CVP mit EVP und Grünliberalen, vermehrt auch die FDP und die BDP drängen (wieder) ins Zentrum. Im Bundesrat hat man zusammen eine numerische Mehrheit, im Ständerat auch. Doch im Nationalrat können die Polparteien Projekte gezielt auflaufen lassen, wenn sie ihre Stimmkraft auspielen. Und da im Zentrum keine Partei den Lead für sich beanspruchen kann, wird man so nicht selten hin- und hergerissen und politisiert man gegen- statt miteinander.

Will man bei jetzigen Regierungssystem bleiben, braucht es vermehrt Zusammenarbeit, selbst wenn es unverändert personelle und elektorale Hindernisse gibt. Denn die direkte Demokratie gibt gelegentlich den Opponenten recht, ohne dass daraus ein Regierungsprogramm entsteht. Und der Föderalismus mässigt Positionen, die sich in einer klar rechten oder linken Regierung realisieren liessen.

Genau das könnte die Spitzen der FDP, CVP und BDP bewogen zu haben, nach einem Ausweg zu suchen. Wie in der heutigen Sonntagszmedien bekannt wurde, trafen sich Fulvio Pelli, Christophe Darbellay und Hans Grunder verstärkt durch Wirtschaftsvertreter ihrer Parteien mehrfach, um dem Vernehmen nach folgenden Plan vorzubereiten:

Erstens, gemeinsame Gremien sollen die politische Kooperation der drei Parteien vorbereiten in den zentralen Politikfeldern vorbereiten.
Zweitens, im Wahlkampf 2011 soll man sich nicht gegenseitig bekämpfen, vielmehr Listenverbindungen eingehen.
Drittens, im Bundesrat soll die Mehrheit mit vier von sieben Sitzen über 2011 hinaus gewahrt bleiben.

Dafür würden Bundesrat Hans-Rudolf Merz noch vor den Parlamentswahlen zurücktreten. Evelyne Widmer-Schlumpf könnte ins Finanzdepartement wechseln und Karin Keller-Sutter als neue FDP-Bundsrätin kandidieren und Justizministerin werden. Die SVP, die angekündigt hat, der FDP den 2 Sitz in der Landesregierung streitig zu machen, würde so wohl ins Leere laufen. Die BDP würde 2011 mit der Wiederwahl von Widmer-Schlumpf bedient, und die CVP könnte die BDP beerben, wenn Widmer-Schlumpf zurücktritt.

Das tönt alles nach “Vorteil FDP”, was nicht nur gut sein muss. Denn die zahlreichen bisherigen Versuche der Koordination im Zentrum scheiterten, wenn sie eine Partei über den Tisch gezogen fühlte. Der Kern dürfte die thematische Zusammenarbeit sein, und darüber hinaus eine Allianz, welche bei Wahlen spielt, um sich das Geschehen weder von rechts noch links diktieren zu lassen.

Gerade deshalb ist die Koordination im erweiterten Zentrum nötig: Die SVP tritt homogen auf, und die rotgrünen Parteien kennen solche Absprachen schon länger. Und: Ohne einen gemeinsamen Leistungsausweis droht der FDP eine folgenreiche Wahlniederlage, könnte die BDP Wahlsiegerin werden und trotzdem aus der Regierung fliegen, und die Zentrumsfraktion aus CVP, EVP und glp an der inneren Konkurrenz ganz scheitern.

Mit einer ordentliche Arbeit in der Sache könnte die Kooperationsbereitschaft unter den schweizerischen Parteien, die regieren wollen, wieder steigen. Zuerst im Zentrum selber, dann aber auch an den Polen, die gezwungen würden, Farbe zu bekennen, ob sie nur Trittbrettfahrer des Konkordanzssystems oder Teile der Bundesregierung ohne Wenn und Aber sind.