Eine soziologische Diagnose des Konflikts um Minarette

Zwar ist der Soziologe Stefano Allievi in der Schweiz wenig bekannt. Doch kann seine Diagnose zum Konflikt um Moscheen verwendet werden, um das Geschehen rund um die Minarett-Initiative zu deuten.

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Diesen Sommer publizierte Stefano Allievi unter dem Titel “Conflics over Mosques in Europa“, der sowohl auf der verfügbaren soziologischen Literatur hierzu als auch eine Reihe von spezifischen Länderstudie basiert. Drei Vorbemerkungen macht der Experte in seiner Zusammenfassung des praxisorientierten Reports: Erstens, die erwarteten Konflikte rund um Moscheen existieren überall. Zweitens, sie müssen als solche schon mal akzeptiert werden. Und drittens, sie haben Gemeinsamkeiten und Unterschiede in Form und Verlauf.

Gemeinsamkeiten der länderspezifischen Konflikte
Zu den Gemeinsamkeiten zählt der Soziologe etwa die verbreiteten, feinen Umdeutung von Selbstdefinitionen. So lässt die Präsenz von MuslimInnen in einer Gesellschaft die Zahl ihrer Mitglieder steigen, die sich kulturell als Christen verstehen. Unter ihnen nehmen zudem reaktive Identitäten zu, die Konflikten gegenüber nicht abgeneigt sind. Bevorzugt sind dabei exponierte religiöse Symbole, die sich durch ihre Sichtbarkeit eignen, in die Breite vermittelt zu werden.

Der Disput gegen Minarette ist hierfür typisch – und kennzeichnend für politische Auseinandersetzungen in der Glokalisierung. Denn mit dieser verbinden sich Entwicklungen in globalen Gemeinschaften wie den Weltreligionen mit lokalen Problemen. Ihr Doppelcharakter macht es aber aus, dass man auch ohne viel Anlass schnell überall davon spricht.

In Frankreich, Grossbritannien und Deutschland sieht der Experte die aufgebrochenen Konflikte eher abflauen, während sie bei unserem Nachbar Oesterreich (und wohl auch in der Schweiz) erst im Entstehen begriffen sind. Drei Verallgemeinerungen verbinden sich mit diesen Beobachtungen:

Erstens, die Konflikthaftigkeit kann mit der Integration von Muslimen auf dem nationalen Niveau verringert werden.
Zweitens, die Entscheidungen politischer Unternehmer, die Nutzen aus der Verönderung ziehen wollen, beeinflussen den Integrationsprozess.
Und drittens ist der Zeitfaktor, wie immer wenn es um Integrationsfragen geht, entscheidend. Politische Kampagnen und Legislaturzyklen folgen anderen Gesetzmässigkeiten als Veränderungen in kulturellen Konstellationen, die sich nur schrittweise und nicht immer in die gleiche Richtung verändern.

Ratschläge für den Umgang mit den Konflikten

Sefano Allievi ist eher zurückhaltend, wenn es um Empfehlungen geht. Offensichtlich neigt er aber dazu, Konflikte auszutragen und nicht unterdrückt. Denn die Kritik an Uebertreibungen und Stereotypisierung durch fanatisch Einheimische führe ebenso wenig weiter wie jene an der Negierung von Spannung durch fordende Minderheiten. Damit grenzt sich der Experte von beiden Konflitseiten ab, nicht ohne ihnen ein Angebot zu machen. Denn er rät, auf jeden Fall die Konfliktaustragung begleiten und moderieren zulassen. Seine Hoffnung besteht darin, dass Akteure, die sich auf ein solches Konfliktmanagement einlassen, ihre Ziele und Absichten in Lernprozessen weiterentwickeln, ja ändern können.

Wichtig ist für den Konfliktmanager, ob es Personen mit Leadership gibt – und zwar sowohl bei den muslimischen MigrantInnen wie auch bei den Einheimischen und ihren Behörden. Ihre Aufgabe ist es, eine Elite der Konfliktbewältiguing zu bilden, die in der Lage ist, institutionelle Regeln zu finden, wie verschiedenen Religionen im Alltag mit wechselseitigem Respekt koexistieren können.

Das macht deutlich, dass der italienische Soziologe Stefano Allievi den Islam in Europa als anhaltendes Phänomen in der nahen Zukunft sieht, das jedoch mit seiner Präsenz auf dem Kontinent einem Kulturwandel in Richtung Europäischer Islam unterworfen sein wird.

Claude Longchamp

Warum die Weltwoche für die Minarett-Initiative ist

Für die schleichende Islamisierung gibt es genügend Hinweise, selbst wenn die Beschaffung von Fakten erschwert werde, schreibt die Weltwoche. Und sie untermauert ihre These mit einem umfangreichen Dossier zur Abstimmung über die Minarett-Initiative.

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Die Provokation war perfekt, als die Weltwoche vor zwei Wochen das offizielle, höchst umstrittene Plakat der Initianten des Volksbegehren für ein Bauverbot von Minaretten in der ganzen Schweiz ohne einbettenden Kommentar auf die Frontseite setzte. Man habe viele zustimmende Leserbriefe bekommen, begründet man das Vorgehen, und verschwieg, dass selbst Mitarbeiter aus Ueberdruss über den Kampagnenjournalismus kündigten.

Eine Woche später kam man zur eigentlichen Sache, denn die führenden Rechtsintellektuellen in der Schweiz stellten ihre Kernfrage: Wie tolerant darf die Schweiz gegenüber dem Islam sein? Das versteht man durchaus als Schützenhilfe für die Minarett-Initiative. Bei ihrer Forderung, auf Symbole der Moscheen zu verzichten, mag man nicht sehen bleiben.

Denn man will wissen, was man nicht wissen darf: Wie viele Muslime leben hier? Wie radikal sind sie? Und, ist der Islam mit Demokratie und Rechtsstaat überhaupt vereinbar?

Für die Weltwoche ist die Islamisierung ein Fakt, das nicht weiter begründet werden muss. Das man aber mit einem umfangreichen Dossier gerne propagiert.

Claude Longchamp

Warum das Nein-Komitee zur Minarett-Intiative für eine Ablehnung wirbt

Sieben Parlamentsparteien bekämpfen die Minarett-Initiative. Sie machten heute gemeinsam klar, warum sie einzeln werben, aber gemeinsam für die Mehrheit arbeiten wollen.

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Stark wiegen für SP, FDP, CVP, Grüne, BDP, EVP, glp die juristischen Einwände. Die Initiative verletze die verfassungsmässig garantierte Glaubens- und Gewissensfreiheit, das Völkerrecht und die in der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK) garantierte Religionsfreiheit. Zudem greife sie in die Kantons- und Gemeindeautonomie ein.

Für Daniel Jositsch (SP/ZH) diene dem Initiativkomitee die Furcht vor dem Islamismus, um völlig zu Unrecht alle MuslimInnen in der Schweiz zu verurteilen. Jacques Neirynck (CVP/VD) ist über die gesuchte Desintegration im eigenen Land besorgt. Doris Fiala (FDP/ZH) warnt vor der Illusion, es werde nicht genauestens beobachtet, was in der Schweiz geschehe. Und Alec von Graffenried (Grüne) kennt kein bauliches Problem mit Minaretten; diese müssten für eine Ausgrenzungsdebatte der Rechtsextremen hinhalten.

Starker Tubak! Doch nicht genug damit: Empfohlen wird bisweilen, eine Wertedebatte zu führen, was die Schweiz positiv auszeichne, statt einer Initiative nachzulaufen, die zwingendes Völkerrecht verletze und der Schweiz nur Schwierigkeiten bringe. Besser als darüber abzustimmen wäre gewesen, die Volksinitiative zu verbieten, sagte gestern der Grüne von Graffenried den Medien.

Claude Longchamp

Warum die Wirtschaft gegen die Minarett-Initiative ist

Die Wirt­schaft lehnt die In­itiative „Gegen den Bau von Mi­naretten“ ent­schieden ab. Sie hat kein Interesse, den getuen Ruf des Landes durch eine unnötige Initiative zu gefährden.

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Rachid M. Rachid, Industrie- und Handelsminister Aegyptens, einem Land, indem der Islam Staatsreligion ist, hält sich zur Zeit zu einem Arbeitsbesuch in der Schweiz auf.

Demokra­tie, Offenheit und Tole­ranz gegenüber Minderhei­ten ha­ben in der Schweiz eine Jahrhunderte­ lange Tra­diti­on. Das hat das Land vielerorts zum Vorbild gemacht – und zum bevorzugten Geschäftspartner, schreibt economiesuisse in einer Stellungnahme zur Minarett-Initiative.

Die Volksinitiative konservativ-religiöser Kreise diskrimi­niert nach Ansicht des Dachverbandes der Schweizer Wirtschaft ei­ne reli­giöse Gruppe in un­se­rem Land. So tangiere sie un­se­re freiheitli­chen Grundwer­te, zu denen auch die Reli­gi­ons- und Glaubens­frei­heit zählen.

Die Mi­narett-In­itiative nun sendet für economiesuisse ein fal­sches Si­gnal aus. Für eine offene und export­orientier­te Volks­wirt­schaft beinhalte sie ein erhebli­ches Schaden­s­potenti­al. So pflege die Schweiz aktive wirt­schaftli­che Beziehun­gen zu zahlrei­chen islami­schen Staa­ten. Die Expor­te in islami­sche Län­der seien im Jahr 2008 um 13,7 Pro­zent gewach­sen, diejenigen in die üb­rige Welt hätten lediglich um 4,3 Pro­zent zugenommen hätten. Im Jahr 2008 ha­be die Schwei­zer Un­ternehmen Wa­ren im Wert von 14,5 Mil­liar­den Franken in muslimi­sche Län­der exportiert.

Bei ei­ner An­nah­me der In­itiative rechnet der Dachverband mit Boykot­ten gegen Schwei­zer Pro­dukte und Dienst­leis­tun­gen. Das schade der Schwei­zer Wirt­schaft.

Claude Longchamp

Burka-Verbot: Online-Umfrage überhöht Realitäten

“4 von 5 LeserInnen des Newnetzes sind für ein Burka-Verbot”, resümiert die Redaktion eine online-Umfrage in dieser Sache. Zwar hält sie fest, das Vorgehen sei nicht repräsentativ gewesen, doch verschweigt sie, dass sie das repräsentative Resultat längst kennt.

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Ganzkörperkleider: In der Schweiz unbekannt und unbeliebt: Wie stark, das der Fall ist, gehört zu den Fragen, welche man mit Umfragen bestimmen kann – oder könnte!

Die Berichterstattung zur Minarett-Initiative konservativ-religiöser Kreise eröffnete das newsnetz mit einer Repräsentativ-Befragung, welche der Tages-Anzeiger und Isopublic gemeinsam in Auftrag geben hatten. Diese zeigte eine Mehrheit gegen die Initiative; sie legte aber auch nahe, dass mit der Lebensweise islamischer Minderheiten in der Schweiz mehrheitlich Probleme gesehen werden. Beides wird nicht nur unterschiedlich beantwortet, es wird auch unterschiedlich gesehen. Burka-Verbote und Minarett-Verboten sollten deshalb nicht verwechselt werden.

Zu den am Lebensweise von Teilen der isalmischen Bevölkerung, die am deutlichsten verworfen wurden, gehört das Tragen von Ganzkörperkleidern durch Frauen in der schweizerischen Oeffentlichkeit. 68 Prozent der Befragten in der deutsch- und französischsprachigen Schweiz lehnten dies in der repräsentativen Telefonbefragung ab, 29 Prozent waren sich dem nicht so sicher.

Die online-Datensammlung ergibt zwar die gleiche Mehrheit; doch weichen die Resultate Anteile ab. Die Befürwortung ist 9 Prozent geringer, die Ablehnung gar 12 Prozent höher. Mit anderen Worten: Das Ergebnis der online-Umfrage fällt einiges zu negativ aus!

Ueberraschend ist das nicht: Denn online-Umfragen, bei denen die Teilnahmemöglichkeit offen ist, kennen rasch viele Teilnehmende, aber kein einziges Kriterium, das die Repräsentativität der Auswahl sichert. Sie können deshalb leicht missbraucht werden, insbesondere von Gruppen, die besonders interessiert sind. Der Vergleich im vorliegenden Fall legt nahe, dass das durch die Initianten selber gemacht wurde.

Ueberraschender als das ist jedoch das Ausmass der Abweichung. Denn in der repräsentativen Telefonbefragung befürworteten selbst an der SVP-Basis nur 75 Prozent ein Burka-Verbot in der Schweiz. Oder anders gesagt: Die eben veröffentlichte Zustimmungshöhe zu einem Verbot von Ganzkörperkleidern für Frauen ist wohl krasser als die an der SVP-Basis.

Sie ist in ihrer Deutlichkeit nur für die Initianten der Minarett-Initiative typisch. Und ob das mit der Leserschaft von newsnetz identisch ist, kann bezweifelt werden.

Claude Longchamp

Warum der Rat der Religionen die Anti-Minaratt-Initiative ablehnt

Die religiöse Landschaft der Schweiz ist in Bewegung. Kirchenaustritte auf der einen Seite, neue Verständnisse der Oekumene auf der andern haben die Verhältnisse von Kirche und Staat, von Kirchen und Gesellschaft, aber auch der Kirchen untereinander verändert. Die Probleme sind dadurch nicht geringer geworden.

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Vor diesem Hintergrund wurde am 15. Mai 2006 der Schweizerische Rat der Religionen (SCR) als Plattform des Dialogs gegründet. Dieser setzt sich aus den leitenden Persönlichkeiten der drei Landeskirchen, der jüdischen Gemeinschaft und islamischer Organisationen zusammen, die von ihren jeweiligen Leitungsgremien mandatiert wurden.

Diesen Herbst hat der SCR erstmals zu einer Abstimmungsvorlage Stellung genommen. Er lehnt die Initiative für eine Bauverbot von Minarett ab.

Entscheidend war für den SCR die Religionsfreiheit als universales Menschenrecht. Jeder Mensch hat das Recht, seine Religion frei, sichtbar und in Gemeinschaft zu leben. Grenzen der Religionsfreiheit werden nur dort gesehen, wo andere Menschenrechte tangiert sind, wo Gesetz und Verfassung gebrochen und wo die öffentliche Ordnung durcheinander gebracht wird.

Der Rat der Religionen ist der Auffassung, dass gerade die Minarett-Initiative den Fundamentalismus fördere. Sobald man religiöse Fragen politisch instrumentalisiere, reisse man aber Gräben zwischen den Bevölkerungsgruppen auf. Das sei genau das Gegenteil der Integration, welche der Rat anstrebe. Deshalb müsse man die Initiative ablehnen. Denn: Zum Wesen des Fundamentalismus gehört, dass er sich selber absolut setzt und so auch Menschenrechte missachtet.

Aehnlich argumentiert man im Rat der Religion auch, wenn es um das fehlende Gegenrecht für christliche Kirchenbauten in islamischen Ländern geht. Unrecht könne nicht durch Unrecht beantwortet werden, sondern nur durch Recht, schiebt man bei den Gottesleuten nach.

Claude Longchamp

Warum Bundesrat und Parlament gegen die Minarett-Verbots-Initiative sind

Die Volksinitiative «Gegen den Bau von Minaretten» stehe im Widerspruch zu zentralen Menschenrechten und gefährde den Religionsfrieden. So begründen Bundesrat und Parlament ihr klares Nein zu Beginn ihres Abstimmungskampfes.

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Bundesrätin Widmer-Schlumpf findet das Plakat der Initianten völlig inakzeptabel, lehnt ein Verbot aber ab, weil es den Urhebern nur Auftrieb gebe.

Für die Juristin Evelyne Widmer-Schlumpf ist die Verfassung der Massstab aller Dinge, an die sie sich gebunden fühlt. Doch das ist nicht nur ihre Haltung, es ist auch die des Bundesrates und weiter Teile des Parlamentes, auch wenn es um die Minaretts-Initiative geht. Zwar halten sich die Behörden an das Recht von Initianten, eine Aenderung der Verfassung auf geregeltem Weg zu verlangen, weshalb sie Ueberlegungen, die Initiative zu verbieten, nicht geteilt haben.

Doch steht für die Bundes-Exekutive wie für auch für die Bundes-Legislative fest, dass ein Bauverbot im klarem Widerspruch zu zentralen Werten der Schweiz und zu grundlegenden Prinzipien und Rechten der Bundesverfassung seht. Die Religionsfreiheit schütze nicht nur die innere religiöse Überzeugung, sondern auch die Bekundung des Glaubens nach aussen.

Ein Bauverbot für Minarette würde die Religionsfreiheit in diskriminierender Weise einschränken, da einzig die Musliminnen und Muslime in der Schweiz davon betroffen wären. Alle anderen Religionsgemeinschaften könnten ihre Bauten dagegen weiter errichten.

Ferner hält die für die Justiz zuständige Bundesrätin fest, die ganz grosse Mehrheit der muslimischen Bevölkerung in der Schweiz akzeptiere die geltende Rechts- und Gesellschaftsordnung vorbehaltlos. Gegen fundamentalistische Extremisten können Bund und Kantone heute schon wirksam vorgehen.

Im Parlament fand die ablehnende Haltung zur Anti-Minarett-Initiative mehrheitliche Zustimmung bei der FDP, der CVP, der SP und den Grünen.

Claude Longchamp

Warum konservativ-religiöse Kreise für eine Minarett-Verbot sind

160 Moscheen gibt es in der Schweiz. Die meisten davon sind unauffällig, sogenannte Hinterhofmoscheen. Doch einige islamische Gebetshäuser sind gut sichtbar und haben ein Minarett. Ueber deren Verbot in der Schweiz wird am 29. November 2009 aufgrund einer Volksinitiative abgestimmt.

Nachdem es Minarette bei islamischen Gebetshäuern in Zürich, Winterthur und Genf gab, polisierten Baugesuche in Wangen bei Olten, Langenthal im Kanton Bern und Wil im Sanktgallischen im Jahre 2006 das Thema. Einsprachen wurden gemacht, Petitionen lanciert, Beschwerden geschrieben, bis sich auch das Bundesgericht damit befassen musste.

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Seit 2009 steht das Minarett in Wangen, doch hat dies im Gegenzug zur Lancierung der Anti-Minarett-Initiative konservativ-religiöser Kreise in der Schweiz geführt. Präsident ist der Solothurner SVP-Nationalrat Walter Wobmann. Seine Volksinitiative will den Bau von Minaretten in der Schweiz generell verbieten.

Den InitiantInnen geht es um mehr. Sie sehen eine Welle des Islamisierung über die Schweiz rollen, welche die Terrorisierung der Schweiz durch den militanten Islamismus vorbereite. Aufgrufen wird zu einem eigentlichen Kulturkrieg, nicht zu letzt der Christen, aber auch der Bürger gegen diese Entwicklung.

Die SVP und die EDU unterstützen das Initiativkomitee aktiv. Sie sind personell mit ihm verbunden.

Claude Longchamp

Wählen – aus der Sicht der Sozialwissenschaften

In meiner Zürcher Vorlesung zur Wahlforschung geht es gegenwärtig um die Theorie des Wählens. Vier verschiedene Annäherungen kommen zur Sprache: soziologische, psychologische, ökonomische und kommunikative Ansätze beleucht den individuellen Wahlakt aus verschiedenen Blickwinkeln. Eine kurze Uebersicht.

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Die Soziologie hält die Familie für den wichtigsten Ort der politischen Sozialisation. So wie die Eltern wählen, so sind auch die Vorgaben für die Jugendlichen. Denn man fühlt sich im Milieu, in das man hineingeboren wurde, in der Regl wohl. Man weiss darum, beispielsweise aus eine katholischen Haus zu kommen oder aus der Arbeiterschaft, dem Bürgertum resp. ist bei den Bauersleuten gut aufgehoben und drückt das mit einer über Generationen unveränderten Parteiwahl aus. Mobilität wiederum ist der wichtigste Grund für Aenderungen in der Wahltendenz aufgrund der Herkunft. Das beginnt mit der Schule, setzt sich eventuell in einem Studium fort, für das man in eine entfernte Stadt geht, neue Lebensweise kennen lernt und sich, vor allem wenn man sich als neue Generation versteht, politische ausrichtet.

Die Psychologie hat uns das Konzept der Parteiidentifikation nahegebracht. Beträchtliche Anteile der Wählenden gehen eine länger anhaltende, bisweilen lebenslange Bindung mit einer Partei ein. Sie wird als psychologische Parteimitgliedschaft verstanden. Diese Bindung ist primär emotionaler Natur. Greift die eigene Partei an, geht man mit; wird sie angegriffen, steht man schützend vor sie. Dies vereinfacht auch den Wahlentscheid, denn der wird nicht von Mal zu Mal gefällt, sondern aufgrund der Parteibindung. Themen, welche die bevorzugte Partei im Wahlkampf vorbringt, aber auch KandidatInnen, die sie zur Auswahl stellt, können die vor vorgeformte Wahlbereitschaft in einer konkreten Situation aktualisieren.

Die Oekonomie interessiert sich vor allem dafür, wie Wahlentscheidungen zwischen zwei gegensätzlichen KanidatInnen oder Parteien zustande kommen. Sie gehen davon aus, dass die WählerInnen ihre Mittel bei der Wahl optimal einsetzen wollen. Sie entscheiden sich, wie sie die Regierungsbildung mit ihrer Stimme am besten einsetzen können. Dabei gehen sie von thematischen Präferenz aus, aufgrund derer sie sich über die Parteienstandpunkte informieren, um sich dann für die Partei resp. die KandidatIn zu entscheiden, die ihnen positionsmässig am nächsten steht. Wirtschaftsthemen wie Arbeitslosigkeit, Inflation, Wachstum sind dabei die entscheidenden Kriterien der Parteiauswahl.

Die Kommunikationswissenschaft interpretiert die Wahlentscheidung als Prozess, während dem die Wählenden vorwiegend medial verfügbare Informationen über Parteien und KandidatInnen verarbeiten. Sie machen das aber nicht als unbeschriebene Blätter, sondern auf der Basis einer Grundlinie, die ihre Herkunft, ihre Werte und ihre Interessen reflektiert. Parteien und KandidatInnen, die in einer bestimmten Situation zur Auswahl stehen, lassen diese Grundlinie oszillieren, verleihen ihr Gestalt, geben ihre Farbe und Inhalt. In der Regel sind bei diesem Meinungsbildungsprozess die Netzwerke im eigenen Umfeld entscheidend. Je weniger über Politik aber geredet wird, umso wahrscheinlicher ist es, dass die Medienpräsentationen selber die Wahlentscheidungen prägen.

Soweit die vier Zugänge, jedenfalls auf der Ebene der Individuen! Ueber die Konsequenzen für die Parteien bald mehr.

Claude Longchamp

Klassiker der Wahlforschung:
Paul Lazarsfeld et. al. (1944): The People’s Choice. New York.
Angus Campbell et. al. (1960): The American Voter. New York.
Downs, Antony (1957): A Economic Theory of Democracy. (deutsch.: Oekonomische Theorie der Demokratie, 1968).
Schmitt-Beck, Rüdiger (2000). Politische Kommunikation und Wählerverhalten, Ein internationaler Vergleich. Wiesbaden.

Als Einführung:
Bürklin, Wilhlem, Klein, Markus (1998): Wahlen und Wählerverhalten. Eine Einführung. 2. Auflage.

Die Parteienlandschaft der Schweiz wird vielfältiger, bilanziert die NZZ Mitte Legislatur

Martin Senti, Politologe in der NZZ-Inlandredaktion, bilanziert die gegenwärtigen Entwicklungen in der schweizerischen Parteienlandschaft heute wie folgt: “Bis Mitte der Legislatur 2003-07 stand das politische Klima ganz im Zeichen der Polarisierung. Vor vier Jahren aber änderte die Grosswetterlage. Heute, zur Mitte der Legislatur 2007-11 steht der Trend eher für eine Pluralisierung.”

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Abgeleitet hat der Dozent für politischen Parteien der Schweiz an der Universität Zürich seine Bilanz aus einer neuartigen Bestimmung der Parteistärken. Sie basiert auf dem Index, den Daniel Bochsler entwickelt hat. Dabei geht es nicht um Anteile in der Wählerschaft, sondern um Sitzanteile in den Kantonen, wobei die Angaben unter Neutralisierung der Effekte gemacht werden, welche durch unterschiedliche Bevölkerungszahlen der Kantone und Sitzzahlen der Parlament entsteht.

Demnach ist die FDP nach der Fusion mit den Liberalen die stärkste schweizerische Partei in den Kantonsparlamenten. Sie kommt neu auf 21,8 Prozent. Die Fusion hat nach Bochslers Berechnungen die neue FDP zwar grösser gemacht, den negativen Trend aber nicht gestoppt. Seit der Fusionsankündigung Ende 2007 verloren die beiden Parteien 0,6 Prozent an Sitzanteilen. Beendet ist auch der Aufstieg der SVP, der zwischen 1999 und 2001 spektakulär war, sich bis 2007 abegeflacht fortsetzte. 2008 und 2009 brachten der SVP erstmals Verluste in der Grössenordnung von 1,1 Prozentpunkten. Ohne die Parteiabspaltung der BDP wäre die SVP um gut 1 Prozent innerz zweier Jahre gewachsen. Leicht verloren hat auch die CVP. Die es auf 15,9 Prozent Sitzanteil bringt. Der Rückgang von 0.8 Prozentpunkten seit 2007 entspricht dem langfristigen Trend .

Der dramatischste Rückgang betrifft die SP. Zwischen 2003 und 2006 konnte sie mit der SVP um den Titel der stärksten Partei in den Kantonsparlamenten buhlen. Seither ist sie mit 19,4 Prozent auf Platz 3 zurückgefallen. 3,6 Prozentpunkte Sitzanteile hat sie seit dem Einbruch nach in der zweiten Hälfte der letzten Legislatur verloren. Die Grünen sind weit davon entfernt, diesen Abgang für sich beanspruchen zu können. Zwar wachsen sie seit 2001 in den Kantonsparlament fast unentwegt, doch machen sie nicht mehr als 9,3 Prozent (+0,3 Prozentpunkte seit 2007) aus. Die eigentlichen Sieger sind die BDP (2,3%), die Grünliberalen (1,5%) und die übrigen Kleinparteien (8,1%), die nach 2005 resp. seit ihrer Parteigründung allesamt wieder etwas zulegen können.

WählerInnen-Ströme so analysieren zu wollen, bleibt etwas verwegen. Parteistärken auf diese Art und Weise zu bestimmen ist aber interessant, weil sie um die Effekte der nationalen Wahlkampagnen “bereinigt” erscheinen. Demnach “gewinnt” die SVP auf diese Art und Weise massiv, während die FDP so “verliert”.

Bilanziert man die Stärken in den Kantonsparlament, trifft die Pluralisierungsthese von Senti durchaus zu, ergänzt durch parteipolitischen Innovationen in der Mitte, einer Neubegründung der FDP und Erosionen der Pole links, aber auch rechts.

Claude Longchamp