Personen und Themen: Werden sie bei Wahlen konstant wichtiger?

Zu den gegenwärtig interessantesten Weiterentwicklungen in der Wahluntersuchungen gehört es, etablierte Einzelansätze der Forschung miteinander zu verbinden. Sinnvoll ist es beispielsweise die Mikro-Ebene der Entscheidungen der Wählenden um das Meso-Niveau von Verhaltensweise der Akteure zu erweitern.

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Issue- and Cadidate-Voting als Trends? Das Frage die Dissertation von Kellermann und sagt: Es kommt darauf an, wie die Konstellationen sind.

Eine anregende Dissertation hierzu hat kürzlich die Bamberger Politikwissenschafterin Christine Kellermann unter dem Titel „Trends and Constellations“ hingelegt. Den Titel begründet die Autorin wie folgt: Die gesamtgesellschaftlich vielerorts belegte Abnahme von Parteibindungen über die Zeit hinweg, hat zur Folge, dass die Wahlentscheidungen der BürgerInnen weniger stabil und determiniert sind. Wen man wählt, wird deshalb weniger als Folge der politischen Sozialisation gesehen, sondern als Entscheid aufgrund von Personen und Themen. Dabei stellt sich die Frage, ob es einen grösseren allgemeinen Trend in der Verlagerungen gibt, oder ob das Gewicht der Komponenten aus den jeweiligen Konstellationen eine Wahl resultiert.

In ihren umfangreichen empirischen Abklärungen aufgrund der deutschen Bundestagswahlen kommt Kellermann zu einem erstaunlich differenzierten Schluss, der nur mit Umfragedaten nicht zu ziehen gewesen wäre. Erwähnenswert sind zunächst:

. „Issue-Voting“ nimmt trotz steigendem Bildungsniveau und wachsender kognitiver Mobilisierung der Wählenden durch intensivierte Informationsangebote nicht einfach zu. Entscheidend nämlich die Zugänglichkeit der Information einerseits, die Aufmerksamkeit für Themen anderseits.
. Auch beim „Candidate Voting“ gilt, dass es von den Umstände abhängt. Personalisiertes Wahlverhalten ist eher jüngeren Datums und wird von der Wahl durch die Positionierung und Persönlichkeit der SpitzenkandidatInnen determiniert.

International vergleichend wird deutlich, dass die institutionellen Gegebenheiten die Chancen von Candidate- und Issue-Voting bestimmen. Der Zeitvergleich wiederum macht klar, wie wichtig die wahlrelevanten Ereignisse, die Wahlkampagnen und die Wahlberichterstattung im Einzelfall sind. Denn das alles determiniert das massgebliche Meinungsklima, indem die Angebote der Parteien an Identifikationen überhaupt erst Sinn machen.

Bezogen auf Deutschland hält die Dissertation die nachstehenden Befunde fest:

. Generelle Parteibindungen sind bei neu entstehenden Parteien in der Opposition unverändert wichtig, während diese bei Regierungsparteien abnimmt..
. Der Personalisierungstrend bei der SPD war ein Phänomen, das stark von der Person Gerd Schröders abhing. Aehnliches gilt mit Bezug auf die CDU/CSU für Helmut Kohl..
. Kaum einen Trend kann man auch bei der Sachfragenorientierung erkennen. Das gilt vor allem für die CDU/CSU. Themenbindungen gehen am ehesten bei linken Parteien zurück, während sie für die FDP meist einen konstanten, wenn auch nicht entscheidenden Stellenwert haben.

Das alles fast die Autorin in der griffigen Formel zusammen: „Less Trends, More Constallations“. Inhaltlicher gesprochen neigt sie zur Folgerung, dass bei den kleinen Parteien die Parteiidentifikation an sich wichtig ist, bei den grossen jedoch eine themenspezifische Kandidatenorientierung von Belang wird.

Fortschritte der Wahlforschung erwartet die junge Politikwissenschafterin insbesondere dann, wenn Mikro-Analysen regelmässig in ihrem systemischen Zusammenhang reflektiert, wenn Ereignisse, Kampagnen und Berichterstattungen fallweise untersucht und wenn das daraus resultierende Meinungsklima in die Analysen der Entscheidungen von Wählenden miteinbezogen werden.

Wahrlich eine klare Analyse auf der Mikro- und Meso-Ebene, die vorliegt und weiter weist – über Deutschland hinaus.

Claude Longchamp

Halbzeitbilanz im Nationalrat: Wer steht wo, und wer kann’s mit wem?

Ein intensiver Tag liegt hinter mir. Zahlreiche Gespräche wären es wert, reflektiert zu werden. Ein Beispiel hierfür greife ich gerne heraus: das zur Position der Parteien im Nationalrat nach Politikbereichen.

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Die Grafik zeigt, wir die Parteien im Nationalrat stimmen, und welche Konfliktprofile dabei typisch sind (quelle: soz/sotomo,eigene Darstellung)

Die “Sonntagszeitung” brachte gestern eine grosse Auswertung der Parteipositionen in Sachfragen. Nicht die WählerInnen waren massgeblich für die Rangierungen, auch nicht die Programme. Vielmehr hat Politgeograph Michael Herrmann wie scon 2005 und 2008 die Namensabstimmungen im Nationalrat verwendet, um die Parteien zu charakterisieren. Gut 400 Entscheidungen in der Volksvertretung hat er verwendet und sie in den 8 üblichen Politikfeldern verortet, die er zur Strukturierung des politischen Geschehens entwickelt hat. Doch, so fragt man sich beim Lesen, gibt es über die Daten hinaus auch eine sinnvolle Synthese?

Ein Gespräch mit einem Spitzenfunktionär einer Regierungspartei kam schnell zur Sache. Es gefiel die Aufmachung und die Uebersicht, die so entsteht. Man habe es umgehend verarbeitet, und man werde es in den intenen Planungen für die kommenden Wahlen verwenden.

Denn die Uebersicht macht klar, welche Partei in welche Politikfelder mit wem resp. gegen wen antritt.

Wenn die Fakten damit klar sind, gehen die Interpretationen doch auseinander. Die Sonntagszeitung suggerierte, dass ein SVP-FDP-Bündnis generell im Kommen sei. Das mag für die Finanzpolitik stimmen, und so kann die bürgerlichen Mitte unter Druck gesetzt werden. Es gilt wohl auch für die Ablehnung des starken Sozialstaaten und neuerdings auch für den Kampf gegen mehr Umweltschutz, wo die SP und Grüne isoliert wirken.

Ganz sicher trifft es nicht auf die Aussenpolitik zu, und neu auch nicht mehr auf die Ausländerfragen. Denn hier ist die SVP isoliert. Tendenziell gilt das auch, wenn sie sich gegen gesellschaftliche Liberalisierung stellt.

In Fragen der wirtschaftlichen Liberaliserung und sogar bei der Sicherheitspolitik gilt dar ein drittes Muster. Das Zentrum im Nationalrat sieht sich bisweilen zwei Polen gegenüber, wobei Grüne, beschränkt auch SP und SVP ihre Widersacher sind.

So sind wir uns – mit Nüancen – schnell einig. Im Parlament hat es drei Arten von Koalitionen: Mitte-Links ist die seltenste und hat an Einfluss verloren, Mitte-Rechts kommt häufiger vor, ist aber nicht dominant, und am häufigsten und am erfolgreichsten sind Allianzen aus FDP, CVP und BDP. Im Ständerat, der in der sonntägliochen Uebersicht fehlte, sind sie klar in der Mehrheit, und im Nationalrat reicht eine Minderheit von rechts oder links, um sich – je nach Themenbereich – durchzusetzen.

Claude Longchamp

Ab- und Aufbau von Parteibindungen.

Die sechste Zürcher Vorlesung zur Wahlforschung behandelte die Dealignment/Realignment-Perspektive in der Analyse von Parteien. Ich halte das für den besten Ansatz, um mittelfristige Veränderungen in den Voraussetzungen von Wahlergebnissen zu verstehen.

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Bei aller Kritik, die das sozialpsychologische Konzept der Parteiidentifikation zwischenzeitlich erfahren hat: Die “emotionalen Mitgliedschaft” in Parteien bleibt eine entscheidende Verhaltensgrösse bei Wahlen. Sie ist aber weniger konstant, als man lange meinte. Und sie ist nicht die einzige individuelle Entscheidungsgrösse.

Dealignment: Abbau von Parteibindungen
Zahlreiche Studien vor allem von Russel Dalton, der Messungen der Verbreitung von Parteiidentifikation länderübegreifend verglichen hat, dass diese insgesamt zurückgehen. Er nennt das dealignment, zu Deutsch Erosion von Parteibindungen. Immer mehr BürgerInnen haben keine Parteibindung mehr, weil sie auch ohne solche politisieren können und wollen, oder weil sie sich für (Parteien)Politik nicht interessieren. Extrapolitiert man das, kommt man zum Schluss, dass sich eine Politik ohne Parteien etablieren wird.

Realignment: Aufbau von Parteibindungen
Dem muss man jedoch die dealignment-Perspektive, die der Neueinbindung gegenüber halten. Diese Neueinbindung kann taktischer Natur sein; sie kann sich in kritischen Wahlen äussern oder durch Wahlrechtsänderungen ausgelöst werden. Aus meiner Sicht entscheidend ist aber eine vierte Begründung: Die Neueinbindung von Menschen durch mittelfristige Prozesse wie die Verarbeitung von neuen Konflikten über eine Wahl hinaus.

Bei ErstwählerInnen ist das selbstredend. Der Aufbau von Parteibindungen bei Frauen kommt hinzu. Schliesslich weiss man, dass sich ausgehend von höheren Bildungsschichten neue Muster im Verhältnis von BürgerInnen und Parteien zeigen.

Das Beispiel Schweiz
Das Beispiel der Schweiz ist typisch für einen Realignment-Zyklus über eine Wahl hinaus. Zwar sank der Anteil parteigebundener Menschen grob gesprochen zwischen 1980 und 2000 von knapp 50-60 Prozent auf rund 30 Prozent. Seither nehmen die Anteile Parteigebundener aber wieder zu, sodass wir heute wieder annähernd gleich viele Parteibindungen kennen wie vor 30 Jahren.

Allerdings sind die neuen Parteienbindungen nicht die alten. Sie sind rund um die Verarbeitung neuer Fragestellungen entstanden. Erwähnt seien der Postmaterialismus oder der Nationalkonservatismus. Profitiert haben davon die SVP einerseits, die Grünen, zeitweise auch die SP anderseits. Neueinbindungen haben zunächst an den Polen stattgefunden. Der Prozess scheint nun an ein Ende zu gelangen. Das eröffnet im Zentrum neue Möglichkeiten, wie sich an der Entstehung neuer Parteien Mitte-Links und Mitte-Rechts zeigt, die neue Partei-Ein-Bindungen repräsentieren.

Wer weiss, vielleicht erfasst diese Entwicklung bald auch die Mitte!

Claude Longchamp

US-Political Science: Bald ohne öffentliche Forschungsgelder?

Tom Coburn, republikanischer Senator aus Oklahoma, sorgt für Aufregung unter amerikanischen Politikwissenschafternen. Denn er will inskünftig sämtliche “öffentlichen Mittel für politologische Forschungsprojekte an wirkliche Wissenschaften umverteilen”.

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Thomas B. Coburn, Arzt, Prediger und Politiker, verlangt, die öffentlichen Forschungsbeiträge für Politikwissenschaften gänzlich zu streichen.

Noch vor Kurzem war die Welt der US-PolitologInnen in bester Ordnung, hatte doch mit Elinor Ostrom eine der ihren den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften gewonnen. Doch nun müssen die Grössen des Fachs amerikanischen Zeitungen Fragen beantworten, wofür ihr Fach gut sei.

Denn Senator Coburn hat mächtig provoziert, als er naturwissenschaftlichen Fächer wie Biologie, Chemie, Geologie und Physik mit der Begründung, als förderungswürdig empfahl, die Politikwissenschaft aber ausschloss. Denn sie sei schlicht nicht wissenschaftlich, nicht umsetzbar und nicht innovativ.

Speziell angegriffen wurde das grösste politikwissenschaftliche Projekt, das seit drei Jahrzehnten öffentlichen Mittel erhält. Ueber die bekannten “American National Election Studies” meinte er lakonisch: “The University of Michigan may have some interesting theories about recent elections, but Americans who have an interest in electoral politics can turn to CNN, FOX News, MSNBC, the print media.”

Arthur Lupia, Hauptgesuchsteller für die amerikanische Wahlforschung, widerspricht der Provokation frontal. Die Politikwissenschaft biete Methoden an, mit denen man die Wirkungen staatlicher Institutionen bestimmen könne. 700 Wissenschafter und Tausende von Forschern würde mit den Daten der National Election Studies arbeiten, um zu erfahren, wie Demokratie heute funktioniere. Nicht zuletzt beim Aufbau neuer Demokratien nach dem Fall des Kommunismus sei das ein entscheidender Beitrag gewesen.

Selbstkritischer geben sich prominente Politikwissenschafter wie Joseph Nye. Nach ihm bestehe die Gefahr, “that political science is moving in the direction of saying more and more about less and less.” Kritisch beurteilt er, dass sich die Forschung zu stark von den Möglichkeiten statistischer Techniken leiten lasse. “The motivation to be precise, has overtaken the impulse to be relevant.”

Im Hintergrund schwingt mit, dass seit dem Jahre 2000 in der amerikanischen Politikwissenschaft eine Debatte immer wieder aufflackert. Lanciert wurde sie von einem Kollegen, der anonym bleiben wollte und sich Mr. Perestroika nannte. Anhand angenommener und abgelehnter Beiträge im Flagschiff der Forschung, dem American Political Science Review, wies er nach, dass die Mathematisierung die Entwicklung der Forschung beeinflusse, nicht die Suche nach Antworten auf grosse Probleme.

Seither gibt es Spannungen unter den Politikwissenschaftern selber. Es stehen sich Anhänger harter und weicher Methoden, quantitativer und qualitativer Forschung gegenüber, und es herrscht Uneinigkeit, ob man nah oder fern der Politik Politikwissenschaft betreiben solle, – und erleichtern Angreifern wie Coburn ihr Spielchen.

Claude Longchamp

Die treibende Kraft der nationalkonservativen Kampftruppen.

Ulrich Schlüer ist seit 1970 dabei, wenn es seiner Meinung nach gilt, die Schweiz im nationalkonservativen Geist gegen die Berohungen von aussen zu schützen. Momentan wirkt er als Geschäftsführer der Kampagne für die Minarett-Initiative.

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Ulrich Schlüer, bei der Einreichung der Unterschriften für die Anti-Minarett-Initiatie (Foto: Keystone)

Ulrich Schlüer entstammt einer politischen Familie. Sein Grossvater stand links, sein Vater rechts. Vor zwei Generationen war man bei den Schlüers noch Einwanderer, kam man, vom Kaiser verfolgt, aus Sachsen-Anhalt in die Schweiz. Jetzt gehört ihr bekanntester Vertreter als Exponent des ganz rechten Randes im Schweizer Parlament zu den heftigsten Gegnern jedweder Einwanderung von Menschen und Ideen, die unschweizerisch sein könnten.

Das Porträt von Pascal Hollenstein über den geistigen Vater der Minarett-Initiative, den unermüdlichen Unterschriftensammler über seine Zeitung “Schweizerzeit” und den Geschäftsführer der Ja-Kampagne in der heutigen “NZZ am Sonntag” macht eines klar: Während den 40 Jahren, die Schlüers politische Karriere alt ist, haben sich die Themen in der Migrationsfrage geändert; geblieben ist das konsequente Nein der heute 65jährigen gegen alles, was von aussen kommt oder kommen könnte: “Er war gegen den UNO-Beitritt, gegen den EWR, gegen Auslandseinsätze der Armee. Gegen die erleichterte Einbürgerung, gegen registrierte Partnerschaften Homosexueller, gegen Harmonisierung im Schulwesen. Gegen alles, was aus Europa kommt, gegen die Bilateralen Verträge, die Personenfreizügigkeit, gegen deren Erweiterungen, gegen Schengen, gegen Dublin, gegen Kohäsionszahlungen. Gegen den Beitritt zur Weltbank und IMF. Gegen internationale Abkommen generell.”

Angefangen hat der 25jährige Historiker Urich Schlüer als Sekretär von James Schwarzenbach, dem Erzkonservativen Zürcher, der den mächtigen Freisinn von damals herausforderte, als er sich gegen die Wirtschaft stellte, die die Ueberfremdung des Landes beklagte, und so als erster “Republikaner” in den Nationalrat gewählt wurde. Bei ihm erlernte er das Handwerk der direkten Demokratie, des Kampfes für die Sache, der die Zustimmung durch die Bevölkerung sucht. Später wurde er zum Verleger mit einem Hang zum Sektiererischen, der “Schweizerzeit“, die es heute noch auf Papier und im Internet gibt, von “Bürger und Christ”, einer Zeitung, die eingegangen ist, ebenso wie die “Protea Publikationen”, die von den Beziehungen der Schweiz zum weissen Südafrika lebten.

Erfolgreicher war Schlüer wieder, als er in die SVP Christoph Blochers aufgenommen wurde. 1994 schaffte er die Wahl zum Gemeindepräsident seines Wohnortes Flaach, dann wurde 1995 Zürcher Nationalrat. 2007 scheitert seine Wiederwahl knapp, nicht zuletzt, weil sein Engagement im Wahlkampf zur vorübergehenden Aufhebung der parlamentarischen Immunität führte. Doch rückte Schüer auf der Zürcher SVP-Liste nach, als Nationalrat Ueli Maurer Bundesrat wurde. Insbesondere dem Wirtschaftsflügel der Partei bleibt der Kämpfer für eine heile Schweiz suspekt, stimmt er doch wie kein anderer unter der Bundeskuppel für eine restriktive Ausländerpolitik, für eine starke Armee und mehr Polizei und für weniger Steuern, doch hält er sich bei Fragen der Liberalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft selbst für SVP-Verhältnisse zurück, wie sein Politprofil aufgrund von Namensabstimmungen ergibt.

Das Porträt in der NZZ am Sonntag erwähnt Freunde und Feinde von Ulrich Schlüer, die ihm wegen seiner unaufgeregten Gradlinigkeit gewissen Respekt zollen, ihn aber wegen seiner hartnäckigen Sturheit aber auch meiden. Jo Lang, ebenso wie Schlüer Historiker und Mitglied der Sicherheitskommission des Nationalrates, als Armeeabschaffer politisch aber bei den Grünen aktiv, meint über Schlüers Weltbild: “Die Chiffren sind austauschbar. Ob Kommunismus, Zuwanderung, EU oder Islam – immer sieht er eine Bedrohung des Volkskörpers”. Die Etiketten, die ihn hierfür gegeben werden, sind recht vielfältig. Für seine Kritiker in der Blogosphäre, ist Schlüer schlicht ein “SVP-Taliban”. Die englische Wikipedia platziert ihn unter die “far rights” in der Schwiez, und gemäss NZZ am Sonntag kennzeichnet ihn rechtsnationale und rechtskonservative Haltungen.

Claude Longchamp

Minarett-Initiative spaltet Katholische Volkspartei tief.

Die Katholische Volkspartei ist keine wichtige Partei der Schweiz. Sie nimmt zwar regelmässig an Wahlen teil, doch scheitert sie in der Regel. Dennoch nimmt sie immer wieder Stellung zu eidgenössischen Abstimmungen. Jetzt kostet ihr das einen Teil der kleinen Wählerzahl, die sie hatte.

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Die Nein-Parole der KVP zur Anti-Minarett-Initiative hat zu einer tiefen Spaltung geführt, wie die KIPA schreibt. Demnach finde eine Welle des Austritts aus der Kleinpartei statt. Der Verlust von rund einem Drittel der Mitglieder habe eine Neuorganisation der Partei nach sich gezogen.

Die KVP hat die kantonalen Sektionen aufgehoben und durch Geschäftsstellen der Bundespartei ersetzt. Die Partei könne so weiterhin an kantonalen Wahlen, Abstimmungen und Vernehmlassungen teilnehmen und eine “christlich wertbeständige, soziale Partei mit tiefem Respekt vor der Schöpfung” bleiben. Religionspolitik soll ein Kernthema bleiben.

Die KVP wurde wurde 1994 als Verein unter dem Namen “Christlich-konservative Volkspartei” (CKP) in Zürich gegründet. Der deutschsprachige Name wurde 1995 geändert in “Katholische Volkspartei”. Die Parteimitglieder setzen sich nach Angaben der Partei aus ehemaligen Mitgliedern der Christlich-demokratischen Volkspartei (CVP) und bislang parteiungebundenen Christen, vorab Katholiken, zusammen. Sie betrachten sich treu der katholischen Soziallehre. Politische Mandate hat die Partei im Aargau auf Gemeindeebene.

Claude Longchamp

Warum Peter Spuhler gegen die Minarett-Initiative ist

SVP-Nationalrat Peter Spuhler kritisiert die Anti-Minarett-Initiative. Der Unternehmer meint: «Sie ist eine Gefahr für die Schweizer Wirtschaft.»

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Kommt von rechts und schaut kritisch, was rechts geschieht – SVP-Nationalrat Peter Spuhler, Unternehmer aus dem Thurgau Bild Keystone)

Den Mechanismus kennt man: Bei innenpolitischen Themen ist der Thurgauer Politik meist treu auf der Parteilinie. Ist hingegen die Aussenwirtschaft tangiert, trägt er einen Oppositionskurs nicht mit, selbst wenn seine SVP dafür ist. Das war in diesem Jahr exemplarisch bei der Personenfreizügigkeit der Fall, wo seine abweichende Meinung gehört wurde, aber auch zu einem Zwist mit Christoph Blocher führte.

Nun wendet sich der Vorzeige-Unternehmer Spuhler in der Sonntagszeitung auch gegen die Minarett-Initiative. Sie löse kein einziges Problem. Werde sie angenommen, führe das zu einer Radikalisierung, fast er mögliche Folgen der Abstimmung zusammen: «Aussenpolitisch müssen wir mit Sanktionen rechnen. Die Reaktionen können sehr emotional und heftig ausfallen, das haben wir mit den Karikaturen in Dänemark gesehen. Das kann bis zum Boykott führen.»

Der Effekt solcher Distanzierung auf die SVP-Wähler bleibt in der Regel gering. Wichtiger ist aber, dass so die Meinung der Partei weniger auf die WählerInnen anderer Parteien ausstrahlen.

Claude Longchamp

Warum Daniel Binswanger gegen die Minarett-Initiative ist

Eine interessante Einschätzung der Minarett-Initiative liefert heute Daniel Binswanger im Magazin. “Da es sie nun gibt, müssen sowohl die Initiative als auch das Plakat dem demokratischen Prozess zugemutet werden. Die Kollateralschäden, welche die einsame Schweizer Verbotsdebatte erzeugt, sollten jedoch nicht unterschätzt werden.”

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Für Daniel Binswanger, Star-Kolumnist der Schweiz, verhindert die Minarett-Initiative eine Islam-Strategie der Schweiz, die fördernd und fordernd wäre.

Geschädigt sieht Binswanger erstens die direkte Demokratie. Stossend sei, dass man mit der Initiative und ihrer Vermarktung die Unlauterkeit als solche zum volksdemokratischen Gütesiegel erhebt. Je argumentationsfreier, desto demokratischer. Es ist beelendend Schauspiel, wenn professionelle Meinungsmacher wie Roger Köppel die «Überpointiertheit» der Minarett-Plakate als Qualitätsmerkmal bejubeln, übt er sich gleich auch in der Medienkritik.

Geschädigt wird, so Binswanger, zweitens der Klärungsprozess, mit dem unser Land das Verhältnis zu seiner muslimischen Minderheit festlegen muss. Geschädigt werde eine Politik, die dem Islam tabulos und fordernd gegenübertritt, die Integrationsprobleme weder verleugnet noch verniedlichtl und die nur den Islam toleriere, der selber tolerant ist und im Rahmen unseres Rechtsstaates praktiziert werden kann.

Der Schaukampf ums Minarett wird diese nötigen Auseinandersetzungen keinen Millimeter voranbringen. Im Gegenteil: Der Krieg der Symbole ist nichts als ein billiges Ausweichmanöver.

Empfohlen werden Islam-politische Strategien wie in Frankreich und Deutschland: fördernd und fordernd.

Claude Longchamp

Berichte zur Minarettinitiative-Umfrage: Von “knapp Nein” bis zu “einer Ohrfeige gleich”

Die Berichterstattung zur ersten von zwei Repräsentativ-Befragungen von gfs. bern für die SRG Medien war recht vielfältig. Vielfältig waren auch die Titel zu ein und derselben Studie. Hier eine kleine Auswahl.

Unser Titel lautete: Minarett-Initiative: Das Nein überwiegt – SVP-Wählerschaft dafür”. Ueber den gestrigen Medienberichten (soweit online greifbar) steht:

. Minarett-Initiative hat schweren Stand (SF Tagesschau)
. Minarett-Gegner knapp vorn (Radio DRS)
. Ohrfeige für Minarett-Gegner (Blick online)
. Minarett-Initiative: Volk sagt Nein (newsnetz)
. Bei der Minarett-Initiative überwiegt die Ablehnung (NZZ online)
. Eine Nein zur Anti-Minarett-Initiative zeichnet sich ab / initiative anti-minaret: un refus se dessine (swissonline)
. Initiative anti-minarets: sondage défavorable (rsr)
. Sondage: 53% des Suisses disent non à l’initiative anti-minarets, contre 34% qui la soutiennent (tsr)
. Initiative anti-minarets: le “non” l’emporterait, selon un sondage (ats)

Verschiedene der Titel sind abolut in Ordnung, denn sie geben, in gekürzter Form, die Sache korrekt wieder. In anderen widerspiegelt sich die Meinung der Schreiben oder Redigierenden sehr deutlich.

Zum Ausdruck kommen: erstens, der Präzisionsjournalismus, wenn Zahlen im Titel sind; zweitens der Pferderennen-Journalismus, wenn, egal wie die Zahlen lauten, mit einem knapp Spannung aufgebaut wird; und drittens, der journalistische Populimus, wenn man das Volk gegen politische Akteure ausspielt.

Eigentlich würde ich mir wünschen, dass Scheingenauigkeit, Scheinspannung und Scheinskandalisierungen ausbleiben würde. Warum darf heute die Sache à tout prix nicht mehr für sich sprechen?

Claude Longchamp

Warum das Ja-Komitee der Minarett-Initiative für eine Zustimmung wirbt

Das Ja-Komitee zur Minarett-Initiative hat seine Kampagne zugunsten des Volksbegehrens heute begonnen. Es warnt vor Islamisierung, Unterdrückung der Frauen, Herrschaftsansprüchen von Qadhafi und erinnert an 200 Millionen verfolgte Christen.

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Sseit 40 Jahren gegen die Ueberfremdung der Schweiz: Geschäftsführer der Minarett-Initiative, Historiker Ulrich Schlüer, begann seine politische Karriere als Sekretär des rechtskonservativen Populisten James Schwarzenbach (Bild: Keystone)

Überall, wo ein Minarett stehe, lasse auch bald ein Muezzin den Gebetsruf erschallen, sagte SVP-Nationalrat Walter Wobmann an der Medienkonferenz heute. Durch Sonderrechte für eine Religion drohe die Gefahr einer muslimischen Parallelgesellschaft. Der schweizerische Rechtsstaat und die direkte Demokratie würden unterwandert.

Die Zürcher SVP-Kantonsrätin Barbara Steinemann wandte sich gegen die Unterdrückung der Frauen in islamischen Ländern. Tausende von Musliminnen lebten in der Schweiz in Zwangsehen. Mit wehrloser Toleranz tue man ihnen keinen Gefallen.

Eine Warnung vor Servilität gegenüber Muslimen stiess der Walliser SVP-Nationalrat Oskar Freysinger aus, denn der Islam stärke sie im Glauben, anderen Glaubensgemeinschaften gegenüber überlegen zu sein. Moammar al-Qadhafi sehe Europa schon als künftigen muslimischen Kontinent.

Schliesslich erinnerte Daniel Zingg von der EDU an die Verfolgung von 200 Millionen Christinnen und Christen in aller Welt, nicht zuletzt in islamischen Ländern.

Das alles will das Komitee verhindern. Notwendiger Schritt dazu ist das Minarett-Verbot in der Schweiz. Wo ihr Plakat hierzu verboten worden sei, wollen die Initianten mit einem Ersatzplakat gegen Zensur werben.

Claude Longchamp