Einwände zur Volkswahl des Bundesrates

Die Volkswahl des Bundesrats wird in der Schweiz wieder zum Politikum. Vorgetragen wird sie gegenwärtig erneut durch die SVP, die ein entsprechendes Initiativprojekt diskutiert, obwohl ein analoger Vorschlag erst 2009 durch den kommunistischen Abgeordenten eingebracht, im Nationalrat klar abgelehnt worden ist.

volkswahl1
Quelle: Tages-Anzeiger, 30. Juni 2009

Seit 1848 sind alle Bestrebungen dazu gescheitert

Seit 1848 die Volkswahl des Bundesrats in der Diskussion der ersten Verfassung der Schweiz abgelehnt worden ist, wird das Thema regelmässig wieder diskutiert; alle Vorschläge hierzu sind bisher verworfen worden.

Sicher, die Voraussetzung seit damals haben sich geändert; die Kantone sind nicht mehr ausschliessliche und nach Innen gerichtete Teilstaaten. Dennoch gibt es kaum nationale Medien, eher ein sprachregional geprägtes Mediensystem, das die Möglichkeiten gesamtschweizerische Diskussion und Wahlen mindestens einschränkt.

Drei Einwände gegen die Volkswahl des Bundesrats werden immer wieder vorgebracht:

1. Der permanente Wahlkampf

Die Volkswahl des Bundesrates würde die Anbindung der Regierung an die Oeffentlichkeit stärken. Bei allen Vorteilen, die das auch hat, bleibt ein Problem: Die Gewählte würden sich dem ständigen medialen Dauerdruck der Abwahl ausgesetzt sehen. Diese wären letzlich auch in der Lage, die Abwahl in eigener Regie zu inszenieren. Ganz sicher wären die Medien auch eine zentrale publizistische und werberische Wahlvoraussetzung. Denn nur wenige PolitikerInnen erreichen die Bekanntheit, die nötig wäre, um national gewählt werden zu können. Faktisch sind das heute die Bundesräte nach der Wahl und Spitzenvertreter der Opposition wie das bei James Schwarzenbach, Jean Ziegler und Christoph Blocher der Fall war. Letztere sind geeignet, neue Themen aufzubringen und der politischen Diskussion zuzuführen, haben sich aber letztlich als zu wenig geeignet erwiesen, auch lösungsorientierte Sachpolitik zu betreiben.

2. Die Schwächung des Parlaments

Der Parlamentarismus ist die Norm der Demokratie. Darüber hinaus sind die direkte Demorkatie und das Präsidialsystem als Erweiterungen bekannt. Eine Kombination der drei System gibt es nationalstaatlich gesehen letztlich nirgends. Auf der Ebene der Gliestaaaten kommt Kalifornien dem am nächsten, – und zeigt mit hoher Regelmässigkeit die Schwäche: Da der Gouverneur, das Parlament und Volksabstimmung, alle ähnlich legitimiert, sehr unterschiedliche Politiken befürworten können, mangelt es schnell an Kohärenz, womit die politischen Satbilität, wie auch die jüngste Krise gezeigt hat, schnell leidet. Die Schweiz hat sich für den starken Ausbau der direkten Demokratie entschieden. Sie ist nach 1874 in verschiedenen Schritten stark ausgebaut worden, sodass sie die Bedeutung des Parlaments strukturell und in Policy-Fragen relativiert hat. Mit der Volkswahl des Bundesrates würde man dem Parlament nun auch die Wahlfunktion nehmen, womit nicht auszuschliessen wäre, dass das Parlament ganz zwischen Stuhl und Bank fallen würde, demokratiepolitisch eindeutig verantwortungslos.

3. Der erschwerte Minderheitenschutz

Volkswahlen der Regierung finden nach dem Mehrheitswahlrecht statt. Denn nur dieses legitimiert, im Namen der Mehrheit sprechen zu können. Entsprechend werden in aller Regel nicht Regierungen direkt gewählt, sondern das Präsidium. Die konsequente Anwendung des Mehrheitswahlrechtes auf nationaler Ebene für jedes einzelne Regierungsmitglied hebt konsequenterweise den Minderheitenschutz auf, oder aber schränkt über diesen das Mehrheitswahlrecht ein. Der Kanton Graubünden, als einziger Gliedstaat der Schweiz mit drei Regionalsprachen, hat ganz bewusst darauf verzichtet, den Sprachenproproz in die Volkswahl des Regierung einzuführen. Ohne das ist aber davon auszugehen, dass die deutschsprachige Schweiz – und mit ihr die Zürcher Optik – Volkswahlen der Bundesregierung dominieren müsste. Umgekehrt müsste man bei einem geregelten Minderheitenschutz müsste man klar sagen, wer in den Genuss kommen würde: nur die französischsprachige Schweiz? auch die italienischsprachige Schweiz? Und in welcher Zahl: je einen? zusammen zwei? Die Siebner-Zahl ist da nicht die einfachste.

Fazit
In der Tat kennt die Schweiz in den Kantonen die Volkswahl der Regierungen, kombiniert mit einem Parlament und direkter Demorkatie. Könnte man das nicht einfach auf die Schweiz übertragen? Meine Einschätzung lautet: eher Nein. Denn die Stabilität des Systems ist auch in den Kantonen nur gewährleistet, solange sich die grösseren Parteien untereinander an einen freiwilligen Proporz halten, der dem gleich, was wir im Bundesparlament haben. In den grösseren Kantonen werden in die Grenzen immer wieder sichtbar: Zürich, Bern, Waadt, Genf und Aargau kennen faktisch keine festen Schlüssel mehr für die Regierungszusammensetzung. Blöcke bilden sich, die bei Regierungswahlen gegeneinander antreten. Gesamtschweizerisch muss man klar Farbe bekennen: Wer die Volkswahl einführen will, will genau diese Polarisierung und verabschiedet sich von der politischen Konkordanz.

Claude Longchamp

Initiativprojekt zur Volkswahl des Bundesrates angekündigt

Die Zürcher Sektion der SVP greift mit der Volkswahl des Bundesrates eine Idee auf, welche die Mutterpartei im Jahre 2000 vorbereitet, dann aber fallen gelassen hatte. Sie will eine Volksinitiative, die es bei Annahme ermöglichen würde, dass die WählerInnen inskünftig Parlament und Regierung gleichzeitig wählen könnten.

153338_1_20090414222357
Alfred Heer, Zürcher Nationalrat und Präsident der SVP des Kantons Zürich, präsentierte das Projekt für die Initiative “Volkswahl des Bundesrates”

Die Forderung
Das Vorhaben für eine Volksinitiative sieht vor, dass der Bundesrat gleichzeitig mit den Nationalratswahlen von den Wahlberechtigten bestimmt würde. Die direkte Wahl der BundesrätInnen soll nach dem Mehrheitswahlrecht erfolgen und der lateinischen Sprachminderheit fest zwei Sitze garaniteren. Diese sollen nach dem Verfahren vergeben werden, das im Kanton Bern für die Bestimmung der fest gesetzten Vertretung des Berner Juras gilt.

Systemreform im Selbstverständnis der SVP
Das reaktualisierte Initiativprojekt wendet sich deutlich gegen andere Reformversuche des Bundesrates, etwa gegen die Ausweitung der Departementszahl, die unter einem Präsidenten durch MinisterInnen geführt würden, aber auch gegen die Stärkung des Präsidiums im jetzigen Gremium. Denn man möchte bei der knapp ausgestalteten Kollegialregierung bleiben, mit einem Präsidenten oder einer Präsidentin aus der Mitte der Mitglieder, jeweils für ein Jahr bestimmt.

Die SVP versteht ihren Reformvorschlag nicht als Schritt zu einem Präsidialsystem im amerikanischen Sinne. Vielmehr sieht es als Komplettierung des schweizerischen Sonderweges in der Demokratie-Entwicklung, die durch einen analogen Aufbau von unten nach oben bestimmt ist, und überall Volkssouveränität durch die Wahl von Parlament und Regierung, aber auch durch Abstimmungen über Sachfragen garantiert. Die jetzige Abhängigkeit der Regierung vom Parlament und nicht vom Volk betrachten die Gutachter für schlicht systemwidrig.

Recht offen kritisiert wird der Proporzgedanke für die Zusammensetzung der Bundesrates, weil er die Wahlfreiheit einschränke. Das hält man mit demokratischen Grundsätzen für unvereinbar. In solche Sätzen kommt denn auch der angestrebte Systemwechsel hin zu einer Konkurrenzdemokratie am klarsten zum Ausdruck.

Pikantes im Kleingedruckten
Etwas unbedacht wirkt in der gegenwärtigen Debatte über “Romand(e)s” das Kleingedruckte. Zur Regelung des Minderheitenschutzes hat man nämlich die lateinischen Gebiete der Schweiz aufgezählt. Dabei wird eine Zuordnung ganzer Kantone zu den Sprachregionen postuliert. Der Kanton Freiburg gilt demnach integral als Kanton der Romandie.

Das dürfte Urs Schwaller, möglicher Kandidat der CVP bei der anstehenden Bundesratswahl, freuen. In der Oeffentlichkeit wird bestritten, dass der deutschfreiburger Ständerat die Romandie vertreten können. Der diskutierte Initiativtext sähe hier keine Probleme. Ich werde mich umschauen, wie sich die SVP im Fall seiner Nomination verhält.

Claude Longchamp

Kommt nun wegen Twitter das Ende der Wahlforschung?

Die Spatzen pfeifen es von den Dächern: Twittern erschwert die Arbeit bei der Ermittlung von Wahlergebnissen. Das ist aber kein Grund für Ueberreaktionen. Die Alternative zur Wahlforschung ist nicht twittern, sondern Regelung der Verteilung von und des Umgangs mit Ergebnissen.

twitter

Bei der Wahl des deutschen Bundespräsidenten geschah es: Das vorliegende Ergebnis wurde aus dem innersten Kreis der Wissenden heraus nicht offiziell verkündet, sondern inoffiziell via Twitter, dem schnellsten Kurznachrichtendienst auf Internet. In Deutschland diskutiert man nun ernsthaft, am 27. September 2009, dem Wahltag für das deutsche Parlament, die Forschung zur Ermittlung des Wahlergebnisses einzuschränken.

Meine Meinung hierzu: Das Problem ist nicht zu unterschätzen, der vorgeschlage Lösungsanatz geht in diesen in die falsche Richtung. Es braucht keine Behinderung der Wahlermittlung durch offizielle oder offiziöse Stellen, sondern eine publizistische Führung der Kommunikation von Ergebnissen.

Die Oeffentlichkeit hat ein Recht, schnell und korrekt über den Wahlausgang informiert zu werden. Je besser das gelingt, desto geringer ist der Spielraum für Spekulationen und Fehldeutungen des Wahlresultates. Jede Einschränkungen von Hochrechnungen und exit-polls am Wahltag öffnet nur das Fenster hierzu.

Richtig ist, dass sich die Kommunikationsprobleme mit Twitter, SMS und mails erhöhen. Wer Insider-Informationen hat, kann diese verwenden, um gezielte Mobilisierungskampagnen in buchstäblicher letzter Minute zu starten. Das darf nicht möglich werden.

Deswegen ist es wichtig, die Kommunikationswege bei der Resultateermittlung genau zu kontrollieren. Diese hat sich nach den Bedürfnissen der Oeffentlichkeit zu richten. Die spezifischen Interessen der Parteien sind hier massgeblich.

Geordnete Kommunikation von Wahlergebnissen entsteht nach meiner Erfahrung bei Hochrechnungen von Schweizer Abstimmungen …

erstens, wenn zwischen dem Vorliegen erster Teilergebnisse und dem Gesamtresultat möglichst wenig Zeit verstreicht;
zweitens, wenn Wahlforschung zur Ergebnisermittlung nicht behindert wird, sondern so schnell wie nur denkbar Resultate vorlegen kann, und
drittens, wenn die daran beteiligten Personen verpflichtet werden, sich an einen strikten Kodex für die Informationsverwendung einzig zum bestimmten Zweck zu halten.

Das Zwitschern im Internet ist weder ein Ersatz für die Wahlforschung, noch ist es eine Gefahr für Wahlen, wenn alle Beteiligten auf die übergeordneten Zielen einer demokratischen Wahl verpflichet werden und die Regelungen hierzu rechtzeitig entsprechend erlassen werden.

Claude Longchamp

Amtszeitbeschränkung

Gestern war ich als Experte in der “Arena“, der bekanntesten Politsendung im Fernsehen der deutschsprachigen Schweiz. Diskutiert wurde das Thema “Gesucht: Bundesrat”. Mitten drin wurde abgestimmt, über Amtszeitbeschränkungen. Eine Reflexion hierzu.

arena

Judith Stamm, 1996/7 Nationalratspräsidentin, brachte die Idee in der Sendung auf. 8, allenfalls 12 Jahren seien in Vollämtern wie dem Bundesrat genug; danach sei man ausgebrannt und solle man neuen Kräften Platz machen, argumentierte die erfahrene Ex-Politikerin. Reto Brennwald, der Moderator, nahm den zugeworfenen Ball auf wollte von allen Teilnehmenden in der Sendung ihre Meinung hierzu wissen – und liess abstimmen.

Wohl drei Viertel der Personen in der gestrigen “Arena” sprachen sich für Amtszeitbeschränkungen aus. Prominenteste Opposition kam vom anwesenden alt Bundesrat Christoph Blocher, sekundiert von seinem damalige Generalsekretär in der SVP, Gregor Rutz. Beide outeten sich als Gegner von zeitlichen Beschränkungen für politische Aemter.

Ein wenig erstaunt war man da schon, forderte doch die SVP nach den Parlamentswahlen 2007 und mit Blick auf die anstehende Gesamterneuerungswahl der Bundesregierung (nicht ganz unberechtigt) lautstark den Rücktritt dreier “Sesselkleber” (die damaligen BR Schmid, BR Couchepin und den jetzigen BR Leuenberger), da der Bundesrat zu überaltern drohe.

Persönlich befürworte ich Amtszeitbeschränkungen für vollberufliche Exekutivstellen. Sie konzentrieren naturgemäss viel Macht, damit die Amtsinhaber politische Prozesse auch wirklich beeinflussen können. Ohne Amtszeitbeschränkungen riskiert man, dass die Verschmelzung von Amt und Person ungehindert fortschreitet, und die institutionelle Macht zu stark auf dem Amtsinhaber oder die Amtsinhaberin als Individuum übergeht.

Ich befinde mich damit in guter Tradition mit republikanisch gesinnten Denkern, die mit der Annuität der Aemter in Rom das Prinzip entwickelt haben, das mit der französischen Revolution wieder geboren wurde und heute in vielen Staaten verwirklicht ist. Gegner solcher Ueberlegung hängen entweder dem feudalen Verständnis an, wonach man von Gottes oder Kaisers Gnaden auf Lebzeiten zur Herrschaft berufen sei, oder aber sind sie politische Ueberzeugungstäter wie Hugo Chavez oder Fidel Castro, deren Mission oder Auftrag nie endet.

Claude Longchamp

Erster Wirtschaftsatlas der Schweizer Kantone

BAK Basel veröffentlichte heute ihren neuen Wirtschaftsatlas der Schweiz. Er erlaubt, zentrale volkswirtschaftliche Daten auf kantonaler Basis nachzuschlagen, die es bisher kaum gab.

wiatlas

Der Kanton Zürich trägt am meisten zum Bruttoinlandprodukt der Schweiz bei. An zweiter Stelle steht der Kanton Bern, gefolgt von der Waadt, von Genf, vom Aargau und von St. Gallen. Am Ende befinden sich Appenzell-Innerrhoden, Obwalden, Uri, Nidwalden und Glarus. Bezogen auf EinwohnerInnen liegen Baselstadt und Zug ganz vorne, und es ist wiederum Appenzell Innerrhoden, diesmal gefolgt von Fribourg ganz hinten.

Der neue Wirtschaftsatlas gibt indessen nicht nur zum Bruttoinlandprodukt der Schweizer Kantone eine Uebersicht. Er enthält auch Angaben zu Erwerbstätigen, zur Verteilung der Wirtschaftsektoren nach Gliedstaaten, und wie sich die alte und neue Oekonomien in ihnen entwickelt.

Aufdatiert ist in der ersten Ausgabe alles bis und mit 2008. Doch sind auch zurückliegende Werte greifbar, sodass Veränderungen vor und während der aktuellen Krise abgeschätzt werden können.

Das führt denn auch zu teilweise überraschenden Schlüssen. So ist im Jahresvergleich die Wirtschaft in den Kanton Jura und Neuenburg am meisten gewaschen, weil sie krisenresistente Branchen wie Uhren und Investitionsgüter haben. Derweil haben Zürich und Genf – die beiden grossen Finanzplätze – am wenigsten dazu beigetragen.

Wer aktuelle Trends und Strukturdaten zu den Regionen in der Schweiz auf kantonaler Basis braucht, wird hier auf dem Web in Vielem erstmals in nützlicher Frist fündig.

Claude Longchamp

Input Salat

Es war der Versprecher des Tages: “Der Gast will zum Input-Salat ansetzen, während das Referat kommt.” Das sagte einer der Teilnehmenden in meinem Kurs zum “Lobbying”. Und musste selber über sich lachen, obwohl es um eine ernste Sache geht.

bellevue-palace
Links das Berner Bundeshaus mit den Parlamentssäälen, rechts das Bellevue, wo täglich zahlreiche Lobbyistenveranstaltungen stattfinden.

Meine Kursleute – die meisten von ihnen als Kommunikations-, Public Affairs oder Lobbyfachpersonen in Non-Profit-Organisationen, Firmen oder Verbänden tätig – berichteten aus ihren Erfahrungen mit der Beziehungspflege gegenüber dem Bundesparlament.

Kritisch zur Sprache kamen die verbreiteten Mittagessen mit eidgenössischen ParlamentarierInnen, die man während der Session gerne in einem der Berner Restaurants organisiert. Geboten wird meist ein Input-Referat eines Experten oder einer Vertreterin der Firma, des Verbandes oder des Netzwerkes. Dazu gibt es ein Essen, meist an runden Tischen, an denen sich die ParlamentarierInnen und die Lobbyisten mischen.

Die Frage wurde gestellt, ob das überhaupt noch wirkungsvoll sei. Meines Erachtens nicht zu unrecht.

Ein Blick beispielsweise in die Veranstaltungsliste im Berner Bellevue während den Sessionswochen zeigt, dass an Mittagen und Abenden je ein halbes Dutzend parallele Lobby-Veranstaltungen im 24-Stunden-Rhythmus keine Seltenheit mehr sind. Das Angebot ist reichlich, thematisch und kulinarisch, und man muss sich gegenseitig fast schon gezielt überbieten, um Besucht von mehr als einem Dutzend PolitikerInnen zu erhalten. Diese wieder schwanken zwischen Freude, Geladene zu sein, und Belastungen durch die vielen Verpflichtungen. Einzelne klagen einem im privaten Gespräch schon mal, nach einer Session gut und gerne fünf Kilo zugenommen zu haben, und sich deshalb, über die LobbyistInnen zu ärgern.

Das stellt die Frage, wie die gleichen Ziele mit anderen Mitteln erreichen erreicht werden können? Mein Tipp: Weniger ist mehr! Gezielt vorgehen und etwas bieten, was andere nicht machen, ist die devise. Statt Ritualen sind wirkliche Erlebnisse gefragt. Wenig bestritten sind zum Beispiel Treffen zwischen PolitikerInnen und LobbyistInnen, die regelmässig, aber in nicht zu dichter Folge stattfinden, die personalisiert sind und die keine Traktandenlisten haben. Denn so können sie dem gegenseitigen Gedankenaustausch dienen. Diesen schätzen PolitikInnen eindeutig mehr als unilaterale Kommunikation, weil sie informativen Charakter, nicht aber instrumentellen Charakter haben, und durch den ungezwungenen Dialog aber Vertrauensbasen schaffen.

Und weil so auf keine Gefahr bieten, dass das Referat und der Salat verwechselt werden kann, wie ich seit heute weiss!

Claude Longchamp

Unpräzise Diagnose – ungeeignetes Rezept

Das Schweizerische Parteiensystem änderte sich seit 2007 nur beschränkt. Dem Ruf nach eine 5 Prozent Klausel fehlt es an sachlicher Begründung.

Der Abgang von Bundesrat Pascal Couchepin erfolgt nicht ohne Getöse. Dazu gehörte seine Warnung vor einer «Israelisierung der Schweizer Politik», die sich aufgrund des wachsendenen Einflusses von Kleinparteien wie GLP, BDP, EDU und EVP abzeichne und eine Fünfprozent-Hürde für den Einzug ins Parlament nötig mache.

zahlpart
Die Fragmentierung des Parteiensystems misst sich an der “Zahl der Parteien” im Parlament, wobei in der Lehre zu Parteiensystemen die reele Zahl der Parteien mit deren Grösse verrechnet wird. Der Wert für die Wahlen 2007 beträgt 5,6.

Präzisierung des Problems

Richtig ist, dass sich das Parteienspektrum der Schweiz in den letzten 40 Jahren erweitert hat: Verändert hat sich die Integrationsfähigkeit der vier Regierungspartner von 1959. FDP und CVP gingen in der WählerInnen-Gunst längefristig zurück, die SP schwankte in ihrer Bindungsfähigkeit, während das bei der SVP lange in wachsendem Masse der Fall war. Umgekehrt sind ganz links, ganz rechts und in der Mitte neue Parteien entstanden, von denen die Grünen die stabilsten sind, die an der Schwelle der Regierungsbeteiligung reichen.

Die Zahl der Parlamentsparteien hat in der Schweiz seit den 70er Jahren zugenommen. Höhepunkt der Fragmentierung des Parteiensystems der Schweiz war das Jahr 1991. Seither entwickelt sich die Zahl der relevanten Parlamentsparteien wieder zurück. Im Nationalrat verschwunden sind die Freiheitspartei, die Schweizer Demokraten, der Landesring der Unabhängigen und die POCH.

2007 änderte sich das mit der erfolgreichen GLP erstmals wieder etwas, und die Spaltung der SVP hat die BDP hervorgebracht, ohne dass die Verhältnisse von 1991 wieder erreicht worden wären.

Die Analyse von Pascal Couchepin wirkt damit überzeichnet, von der machtpolitischen Situation geprägt, die durch seine Nachfolge im Bundesrat entstanden ist. Sie ist sowohl mit dem Vergleich zu Israel übertrieben, als auch unpräzise, wenn man sich auf die jüngste Parteiengeschichte der Schweiz bezieht.

Problematisierung der Lösung
Entsprechend quer in der Landschaft steht das empfohlene Rezept. Kauseln wie die 5-Prozent-Hürde gibt es zwar in verschiedenen Ländern mit Verhältniswahlrecht für das Parlament. Zu den prominentesten gehört Deutschland. Hintergrund der Einführung waren die schlechten Erfahrungen mit dem Parlamentarismus während der Weimarer Republik.

Gegen eine 5-Prozent-Klausel in der Schweiz kann man zahlreiche Argumente vorbringen. Zunächst widerstrebt sie dem Gleichheitsgebot bei der Ermittlung von Sitzen aus Stimmen. Es kommt hinzu, dass sie mit der breit zugelassenen Möglichkeiten der Listenverbindungen trickreich umgangen werden können.

Das Hauptargument gegen eine 5-Prozent-Klausel in der Schweiz betrifft aber die Repräsentation der politischen Kräfte in der direkten Demokratie. Wenn es zutreffen mag, dass die Stärke von Nicht-Regierungsparteien im Nationalrat auf diese Weise etwas reduziert werden könnte, würde doch in einem vergleichbaren Masse die ausserparlamentarische Opposition gestärkt. Zu erwarten wäre, dass die Referendumshäufigkeit zunehmen und damit die Chance der Vermittlung zwischen politischen Polen durch das Parlament eher reduziert würde.

Die alternative Deutung
Das führt einen fast zwangsläufig zur Kritik an Diagnose und Rezeptur, die der zurücktretende Bundesrat Pascal Couchepin äusserte. Die Bedeutung neuer Parteien ist durch die Veränderung des Fraktionsverhaltens im Nationalrat entstanden, das immer weniger durch die Bildung von grossen Koalitionen, sondern durch minimal nötige Allianzen geprägt wird.

Bei der erfolgsgewohnten SVP hat das mit ihrer gewachsenen elektoralen Stärke zu tun. Bei der FDP ist es aber eine Folge der Wechsels vom politischen Zentrum auf die rechte Seite. Das hat zur vermehrten Segmentierung von Fraktionen im Nationalrat geführt, die letztlich der sachbezogenen Konkordanz fremd ist.

Oder anders gesagt: Couchepins Analyse und Lösungsvorschlag kommt einem vor, als rufe mitunter der Repräsentant der Brandstifter nach der Feuerwehr, statt dass man Brände verhindert.

Claude Longchamp

Umfragen helfen bei dieser Bundesratswahl (vorerst) nicht viel weiter

Gleich zwei Umfragen von Isopublic erschienen am Sonntag zu den Bundesratswahlen vom 16. September 2009. Die Vielfalt der Ergebnisse macht die Auslegeordnung jedoch nicht einfacher.

33526090612_couchepin_09-576
Wer tritt sein Nachfolge im Bundeshaus an? BürgerInnen-Befragung schon kurz nach dem Rücktritt von Pascal Couchepin lassen Vieles offen.

Aktuelle Parteistärken
Die Sonntagszeitung und Isopublic publizierten gestern ihr vierteljährlich erscheinendes “Politbarometer” mit jeweils 1200 repräsentativ ausgewählten Befragten. Demnach sind 23,1 Prozent für die SV, 21,2 Prozent für die SP. Die fusionierten FDP und Liberalen kommen gemeinsam auf 15,7 Prozent, und die CVP liegt bei 14,4 Prozent. Grösste Nicht-Regierungspartei sind die Grünen mit 9,7 Prozent, einiges vor der kleinsten Regierungspartei, der BDP, die es auf 4,5 Prozent bringt, und der GLP mit 3,3 Prozent.

Seit den Wahlen 2007 ist die BDP neu entstanden und es wären die GLP sowie die SP wachsend, während namentlich die SVP Anteile verloren hätte. Der wesentliche Austausch fände damit im bürgerlichen Lager statt, weil sich mit der BDP das Angebot erweitert hat. Die Reihenfolge der Parteistärken bleibt aber gegenüber 2007 unverändert. Die FDP ist vor der CVP.

Popularität der BundesrätInnen

Gut in der BürgerInnen-Gunst schneiden die drei Frauen im Bundesrat ab. Top gesetzt werden Doris Leuthard (72% positive Antworten), Eveline Widmer-Schlumpf (70%) und Micheline Calmy-Rey (63%). Es folgen Hans-Rudolf Merz (59%), Ueli Maurer (57%) und Moritz Leuenberger (56%) praktisch gleich auf. Eindeutig an letzter Stelle ist der zurückgetretene Pascal Couchepin (33%).

Die beiden FDP-Bundesräte sind die grossen Verlierer in der Bundesratsumfrage. Sie haben 19 Prozentpunkte (Merz) resp. 13 (Couchepin) eingebüsst. Die neue Politik des Bankgeheimnisses und ihre Kommunikation können hier als wichtigste Ursache vermutet werden. Die Exponenten der FDP hart’s jüngst hart getroffen. Aber auch die anderen Regierungsmitglieder verlieren 4-6 Prozentpunkte an Unterstützung, was eher mit der Wirtschaftslage in Verbindung gebracht werden kann. Einzige Ausnahme ist Ueli Maurer, der erst vor einem halben Jahr gewählt wurde, und noch im Aufstieg ist.

Profil des künftigen Mitglieds im Bundesrat

Eine zweite Umfrage, spezifisch zu den Bundesratswahlen, von Isopublic auf der Basis von 600 Befragten gemacht und von Le Matin veröffentlicht, lässt gewisse Schlüsse zum Profil der BundesratsbewerberInnen zu. Demnach wird die Sprachenfragen nicht so polarisiert betrachtet (46% nicht zwingend, 42% zwingend aus der Romandie), wie das unter französisch- oder italienischsprachigen PolitikerInnen erscheint. Dafür rangiert das Geschlechtskriterium in der Bevölkerung höhrer als in der Politik (42% eher eine Frau, 22% eher ein Mann). Parteipolitisch tendiert man leicht hin zum Statuo Quo mit einer Zweiervertretung der FDP (23%), während CVP, SVP und Grüne mit einigem Abstand dahinter folgen.

Meine vorläufige Bilanz

Parteistärken und Ersatzpräferenzen sprechen eher für die FDP. Sprachenfrage und Geschlecht werden als etwa gleich wichtig bewertet. Weder FDP noch CVP können damit viel anfangen, denn ihre Favoriten haben alle mindestens einen Makel.

So bleibt: Bundesratswahlen werden in der Bundesversammlung entschieden. Keine Partei verfügt da über eine gesicherte Mehrheit für einen gesicherten Favoriten, weshalb erst die Allianzbildung unter den Fraktionen Klarheit verschaffen wird. Und das kann noch eine Weile dauern.

Claude Longchamp

Der horse-race-journalism funktioniert auch ohne Umfragen bestens

Horse-race-Journalismus sei eine Folge demoskopischer Instrumente im Wahlkampf, beklagt die Prestigepresse gerne. Wie die NZZ am Sonntag zu den Bundesratswahlen zeigte, berichtet sie ganz ordentlich in diesem Genre, auch ohne sich auf Umfragen zu stützen.

fdpcvp

Man kennt die Kritik am horse-race-journalism vor Wahlen. Beklagt wird, der zentrale Vorgang in der Demokratie, die Auswahl aus Parteien und KandidatInnen, verkomme zum Pferderennen. Das erzeuge zwar Spannung, weil es darum gehe, wer die Schnauze gerade vorne habe. Es gehe aber nicht mehr um Inhalte für die Zeit nach der Wahl, sondern um die Dynamik vor der Entscheidung. Bewerbungen würden im Pferderennen-Journalismus nur noch relativ bewertet. Es interessiere das Schlechtere im Vergleich.

Zu den wiederkehrenden Vorwürfen gehört auch, dass er durch Wahlumfragen entstehe: Die Umrechnung von WählerInnenstimmen in -anteile erst erlaube den Vergleich, die Rangierung untereinander, die Dramatisierung von Unterschieden. Im zeitlichen Ablauf gesehen, verliert nicht,wer keine Stimmen mache, sondern solche einbüsse.

Gerade in Prestigemedien wird seit vielen Jahren in der weicheren Variante unterstellt, das alles gäbe es nur wegen den Umfragen vor Wahlen; der härtere Vorwurf lautet, es werde bewusst mit geringen Unterschieden gearbeitet, um künstliche Spannung aufzubauen.

Hätte es noch eines Beweises gebraucht, dass das alles nicht stimmt, hätte man ihn spätestens heute in der “NZZ am Sonntag” gefunden. Der innert Wochenfrist entbrannte Kampf um die Nachfolge von Pascal Couchepin im Bundesrat zwischen FDP und CVP wird als Pferderennen aufgemacht. Die “Blauen” werden von Parteipräsident Fulvio Pelli angeführt, knapp vor Pascal Broulis und Didier Burkhalter und Martine Brunschwig Graf, die praktisch gleichauf rennen. Aussenseiter bei der FDP sind Ignazio Cassis und Christian Luscher. Bei den “Orangen” wiederum liegt Urs Schwaller vorne. Mit einigem Abstand folgen Christophe Darbelley, Isabelle Chassot, Luigi Pedrazzini, während Jean-René Fournier und Michel Cina fast schon abghängt das Schlusslicht bilden.

Und dann: Nicht-Kandidat Pelli und Favorit Schwaller liegt haarscharf gleich auf, das skizzierte Ziel, die Bundesratswahl vom 16. September, vor Augen.

Was visuell klar hinüber kommt, braucht textlich nicht ausgefüllt zu werden: “Die Grafik zeigt, wie mögliche Kandidaten im Rennen liegen”, heisst es lapidar. Urs Schwaller sei Topkandidat, weil “alle seine Konkurrenten Handicaps aufweisen”, liesst man. Pelli wieder führe, obwohl er ein Kandidatur ablehne; doch seine Kantonalpartei habe ihn aufgefordert, “ins Rennen zu steigen”.

Meine Folgerung: Der horse-rece-Journalismus funktioniert auch ohne Demoskopie bestens, denn er ist eine gängige journalistische Form der Wahlberichterstattung. Alle kritischen Feststellungen hierzu funktionieren auch ohne demoskopische Untermauerung. Mit ihr könnte man die Bewertungen allerdings nachprüfbar machen und so auch Ursachen klären. Oder anders gesagt: Umfragen ermöglichen Pferderennen-Journalismus nicht erst, machen die journalistische Lieblingsform der Wahlberichterstattung aber transparenter.

Claude Longchamp

Zum Tod von Ralf Dahrendorf: der Soziologe mitten drin

In der Nacht der Wahl ins Europäische Parlament 2009 suchte ich angsichts der ersten Wahlergebnisse dringend Orientierung – und fand sie spontan bei Ralf Dahrendorf. “Resignation, Angst und Wut” hiess der Blogbeitrag, der geschrieben war, bevor das Endresultat feststand, um einen Pfad auszulegen, wie die grösste Wahl in Europa in der grössten Krise der Wirtschaft seit 1929 interpretiert werden könnte.

2378038
Keiner von ihnen, aber einer mit ihnen und durch sie: Ralf Dahrendorf am 14. August 1969 in Auseinandersetzung mit protestierenden StudentInnen in Hamburg – das Ereignis, das den Soziologen allgemein bekannt machte

Es war wohl typisch, dass in dieser Situation die zahlreichen TheoretikerInnen der demokratischen Wahl stumm blieben. Und es war klar, dass kein Politiker, keine Politikerin, der oder die aufgrund von Sieg und Niederlage urteilte, für eine erste Wertung wirklich in Frage kam.

Ralf Dahrendorf, bei dem ich, wie so oft, fündig wurde, war fast schon anachronistisch in unserer Zeit. Denn er mischte sich stets gekonnt ein, formulierte durchdacht und traf den Moment jeweils präzise, wenn er sich äusserte. Stets befragte er hierfür unvoreingenommen soziale und politische Theorien nach ihren Ideen, zitierte er so oft vergessene, aber treffende empirsiche Ergebnisse, und mischte er das Ganze mit seiner Erfahrung als liberaler Politiker, um zu seinen Diagnosen zu gelangen, – sei es zu jener der protestierenden Studenten von 1968 oder jener der Pumpkapitalisten von 2008 aus der Wallstreet.

Ralf Dahrendorf verstand sich selber als Pendler zwischen dem, was Platon in der Politik in Königtum und Philosophie schied. Zwar hielt er die Scheidung des Griechen, der nicht gerade sein Vorbild war, für berechtigt. Doch forderte der kämpferische Intellektuelle auch die wechselseitige Befruchtung beider Sphären der Politik durch Wissenschafter, die sich in ihre Zeit einmischen, um Menschen ihrer Zeit der Wissenschaft zuzuführen. Denn die Menschen interessierten ihn am meisten, weil sie Freiheit und Ethik, Unmittelbares und Verbindliches miteinander verbinden konnte, wie es Dahrendorf in seinem homo sociologicus dargelegt hatte.

Ralf Dahrendorf war am 1. Mai 2009 80 Jahre alt geworden. Die Rede zu seinem Geburtstag hielt damals Jürgen Habermas, sein intellektueller Gegenspieler in vielem, was öffentlich debattiert wurde, aber auch sein Freund im Privaten, das nicht allen zugänglich blieb. Vom “Unheroischen unserer eigenen Lebenszeit” sei darin die Rede gewesen, konnte man lesen. Gesagt wurde das auch und gerade als Kompliment an die Adresse eines einzigartigen Zeitgenossen, eines unermüdlichen Wissenschaft und eines vorbildlichen Menschen.

Nun ist Ralf Dahrendorf tot, verstorben am Abend, bevor sein Gratulant vom Frühling seinerseits seinen 80er Geburtstag feierte.

Claude Longchamp