Die Lehren aus den Aargauer Wahlen

Das Ergebnis der Wahlen im Kanton Aargau überraschte eigentlich alle. Grund genug, um über lieb geworden Fehleinschätzung nachzudenken und realistischere Arbeitshypothesen für die künftige Wahlanalyse zu entwickeln. Ein erster Versuch.

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Uebersicht über Analysen, Prognosen und Ergebnisse der Grossratswahlen im Kanton Aargau nach Max Knecht

Wahlprognostiker im Abseits

Er ist im Kanton Aargau der Wahlprognostiker par exellence: Zwischen 1965 und 1985 war Max Knecht Grossrat, und 1973/4 präsidierte das CVP-Mitglied das aargauische Parlament. Schon als Politiker machte er gerne Prognose, sodass er für die Aargauer Medien als willkommener Wahlaugur aufstieg.

2009 versagte seine bisher recht erfolgreiche Methode. Das Problem lag nicht einmal am doppelten Pukelsheim, den Knecht als einziger sauber analysierte. Demnach hätten allein deswegen die SVP 4, die SP 3 und die CVP 1 Sitz verlieren müssen. 3 wären an die Grünen, 2 an die SD und je 1 an die EVP, die EDU und übrige gegangen.

Doch die politischen Veränderungen schätzte Knecht ziemlich falsch ein. Er erwartete reale Verluste für die SVP und die FDP, Gewinne für die GLP und BDP, während die SP, CVP und Grüne über die Veränderungen wegen der Aenderung beim Sitzverteilungsschlüssel hinaus bis auf maximal eine Mandatsverschiebung stabil bleiben würden.

Die Resultate im Ueberblick
Das Ergebnis der Wahlen kann stichwortartig wie folgt zusammengefasst werden:

. Die SVP legte an Stimmen zu und kompensierte fast alle Verluste wegen dem Pukelsheimer.
. Auch die Grünen wurden unterschätzt, denn sie legten bei den WählerInnen zu und machten auch real Sitzgewinne.
. Marginal besser als von Knecht erwartet schnitt schliesslich die neue BDP ab.
. Klar überschätzt wurde dagegen die SP, die Wählende verlor und weit über den veränderten Sitzverteilmechanismus Mandate einbüsste.
. Das gilt, abergeschwächt auch für die CVP und EVP.
. Letztlich lag der Prognostiker nur bei der FDP und den Grünliberalen richtig.

Die wichtigste Schlussfolgerung lautet: Makroökonomische Analysen der Politik versagen als kurzfristige Prognosen. Vielmehr braucht es eine Analyse der Mechanismen innerhalb der Parteienlandschaft. Selbst erfahrene Wahlanalytiker können sich dabei heute täuschen, wenn sie zu stark auf Referenzwahlen, Umfragen und zu wenig auf eigene Ueberlegungen abstellen.

Die Botschaften des Wahlergebnisses
Ich halte die für mich wichtigsten Botschaften aus den jüngsten Aargauer Wahlen fest.

Erstens, die SVP gewinnt trotz vermehrtem Wettbewerb in ihrem politischen Umfeld. Es haben sich aber die Gewinnesprünge verkleiner.
Zweitens, die SP kann trotz Profilierung vor dem Hintergrund der Finanzkrise nicht zulegen, denn sie kann mit der Konkurrenz der Grünen und Grünliberalen nicht umgehen.
Drittens, Das Zentrum schwächelt fast unverändert, was neuen Parteien Platz bietet.

Eine kritische Analyse der Fehlüberlegung führt zu allererst zur Wahlbeteiligung. Sie lag bei den jüngsten Grossratswahlen mit 31,7 Prozent sehr tief, noch tiefer als bei der Parlamentserneuerung 2005, als sich 33,2 Prozent beteiligten. Sie war damit auch tiefer als am 30. November 2009 resp. am 8. Februar 2009, als die Aargauer Regierung gleichzeitig mit eidg. Volksabstimmungen bestimmt wurde.

Die vierte Botschaft lautet damit: Die Mobilisierung ist für den Wahlausgang massgeblich.

Neue Arbeitshypothesen für die Wahlanalyse
Man kann daraus die folgenden neuen Arbeitshypothesen für Wahlanalysen und -prognosen ziehen:

Erstens, die SVP hat die beste innere Mobilisierung. Sie richtet ihren Wahlkampf konsequent darauf aus. Damit polarisiert sie bei den Wählenden anderer Parteien, doch kann sie damit Wechselwählen zu Konkurrenten verhindern, und vor allem hält sie die Beteiligung ihrer Wählerschaft unabhängig vom allgemeinen Trend vergleichsweise hoch. Das sichert ihr Stabilität auch unter erschwerten Bedingungen.

Zweitens, Rotgrün kann sich bei äusserer Mobilisierung insgesamt halten. Ohne das zuerst hat die SP jedoch ein Problem. An den Wettbewerb mit anderen Parteien um die gleichen Wählenden hat sie sich noch nicht gewöhnt. Sie wirkt auch im Erscheinungsbild wie aus der Epoche davor. Das ist bei den Grünliberalen, die im Aargau ganz neu auftreten, überhaupt nicht der Fall, was ihnen Stimmen sowohl im rotgrünen Lager, wie auch im Zentrum einbringt. Es ist aber auch bei den Grünen nicht so, die für oppositionelle Linkswählende konsequenter als die SP wirken.

Drittens, ohne überragende Persönlichkeiten als Zugpferde kann man im Zentrum nicht punkten. Die CVP konnte sich 2005 im Aargau gegen diesen Trend stellen, als die damalige Parteipräsidentin der CVP Schweiz, die Aargauer Nationalrätin Doris Leuthard, den Wahlkampf anführte, ohne für den Grossen Rat gewählt werden zu können. Fiktive Kandidatur in diesem Stil lassen sich jedoch nicht einfach wiederholen; Wahlgewinne, die daraus resultierten auch nicht. Die personellen Schwächen dahinter werden wieder deutlich sichtbar, und sie eröffnen Spielräume für neue Parteien, sich erfolgreich zu bewerben.

Oder anders gesagt: Die besten Prognosen sind die, die nicht eintreten, weil man vorher handelt. Die zweitbesten Prognosen sind die, die nicht eintreffen und zum Nachdenken darüber führen, was die Fehlannahme im common sense waren.

Claude Longchamp

Kantonale Wahlergebnisse: Vorsicht aus verschiedenen Gründen angebracht

Wahlergebnisse in den Kantonen sind gar nicht so einfach zu erhalten. Denn die Resultateermittlung beschränkt sich weitgehend auf die Sitze, kaum auf die Prozentwerte. Hinzu kommen unterschiedliche Praxen und Rechnenfehler, was die Aufgabe zusätzlich erschwert.

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Beispielhafte Uebersicht über die jüngsten kantonalen Wahlergebnisse, wie sie das BfS veröffentlicht.

Exemplarische Probleme
Das Staunen im Aargau war letzte Woche grosse. “Die bisherigen Wahlergebnisse im sind Aargau falsch berechnet worden», diktierte Wahlanalytiker Stephan Müller der “Mittellandzeitung” ins Notizbuch. Berechnet hatte man die Stimmenstärke der Parteien, ausgewiesen wurden aber die WählerInnen-Stärken.

Da die Zahl der Stimmen, die man im Proprozwahlrecht mit Panaschiermöglichkeiten abgibt, von der Zahl der Sitze in einem Wahlkreis abhängen, haben Wählende in grossen Wahlkreise mehr Stimmen als Wählende in kleinen. Prozentuiert man auf der Basis der Stimmen, verzerrt dies das Ergebnis gunsten der Parteien der Wahlkreise mit vielen Sitzen.

Das Problem ist im Aargau erkannt und wir berichtigt. Wegen der Aenderung des Wahlrechts und der Verteilung nach dem “doppelten Pukelsheimer” sind die Prozentwert sowieso nur bedingt vergleichbar. Da die kleinen Parteien im neuen Schlüssel grössere Chancen haben, zu Sitzen zu kommen, kann auch angenommen werden, dass sie auch mehr WählerInnen-Stimmen erhalten. Denn die Chancen, dass eine Stimme für kleine Parteien zu gar keinem Sitz führen, war diesmal deutlich geringer als noch vor vier Jahren.

Die WählerInnen-Verschiebungen im Aargau
Ueberblickt man die Veränderungen in den aktuellen Parteistärken, haben SP (-3.9%), FDP (-2.6%) und CVP (-2.5%) am meisten verloren. Real sind auch die Verluste der EVP (-1.2%).
Der Sitzverlust der SVP geht dagegen auf den Wechsel im Wahlrecht zurück, denn die Partei, die ein Mandat weniger hat, gewann 1,6 Prozent der Wählenden hinzu.
Grosse Gewinnerin im Aargau ist die Grünliberale Partei (+3.5%), gefolgt von der BDP (3.1%). Beide bewarben sich erstmals für Sitze im Grossen Rat. Gewonnen haben aber auch die Grünen (+2.2%), die EDU (+1.1%), während die SD wählerInnen-mässig praktisch stabil blieb (+0.1%).

Unter dem Strich kann man das vorerst wie folgt interpretieren: Die Rechte (SVP, EDU) und die Linke (Grüne) legen zu, das rechte und linke Zentrum kennen neue Angebote (GLP, BDP), was die Situation der Regierungsparteien im Zentrum und links davon erschwert. Die Einflüsse aus der Wirtschaftlage sind gering, stärker noch gleicht die Entwicklung jener bei den letzten Nationalratswahlen.

Die raschen und zuverlässigen Informationsquellen

Die mehrfachen Schwierigkeiten mit Wahlergebnissen in Kantonen, die man gegenwärtig kennt, kann man letztlich nur dank Datenbanken ausgleichen, die aktuell sind und die Ergebnisse von Proporzwahlen nach vergleichbarem Muster berechnet werden. Dazu gehören die Uebersicht des BfS und das Parteienbarometer des Forschungsinstituts gfs.bern.

Claude Longchamp

Der doppelte Pukelsheim

Der “doppelte Pukelheimer” als neuer Verteilschlüssel bei Proporzwahlen beeinflusst die Sitzverteilung in Parlamenten. Er vermeidet Ungerechtigkeiten zwischen grösseren und kleineren Parteien, ist aber ohne Computer kaum anwendbar und kann Widersprüche im Detail der Sitzverteilungen nicht ganz vermeiden.

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Friedrich Pukelsheim, Professor für Stochastik an der Universität Augsburg

Friedrich Pukelsheim, Professor für Stochastik an der Universität Augsburg, beschäftigt sich seit Jahren mit der mathematischen Analyse von Wahlverfahren. Im Auftrag des Kantons Zürich entwickelte er anfangs des 21. Jahrhunderts ein neues Zuteilungsverfahren von Sitzen bei Proporzwahlen, eigentlich “doppeltproportionale Divisormethode mit Standardrundung” genannt, das im Schweizer Volksmund als “doppelter Pukelsheim” bekannt geworden ist.

2002 reichten die Grünen nach den Zürcher Gemeinderatswahlen eine Abstimmungsbeschwerde ein, weil aufgrund der sehr unterschiedlichen Grössen von Wahlkreisen nicht jede Stimme gleich viel Gewicht hat. Ihr Argument: Das damals gültige Verfahren nach Hagenbach-Bischoff verzerre bei Wahlkreisen mit wenigen Sitzen den WählerInnen-Willen zugunsten der grossen Parteien. Das Bundesgericht hiess die Wahlbeschwerde teilweise gut, was zur Ausarbeitung des neuen Verfahrens führte. Dieses wird seit 2006 im Kanton Zürich sowie in der Stadt Zürich angewandt. 2008 kam der Kanton Schaffhausen hinzu, und seit heute werden auch die Parlamentssitze im Kanton Aargau nach dem neuen Schlüssel auf die Parteien verteilt.

Die Effekte gehen überall in die erwartete Richtung: Grössere Parteien verlieren in der Regel Sitze an kleinere. Damit diversifiziert sich auch das Parteiensystem. Bei den Aargauer Grossratswahlen an diesem Wochenende war dies exemplarisch der Fall. Auch wenn es nicht alle Parteien gleich stark traf, verloren doch die vier Grossen SVP, SP, die CVP und FDP allesamt Sitze, insgesamt 18. Neu verfügen sie über 108 der 140 Mandate, während sich die kleinen Parteien von 14 auf 32 Sitze steigern konnten. Neu im aargauischen Parlament sind zudem die BDP, die GLP, die EDU und die SD.

Die Sitzverteilung geschieht dabei in eine iterativen Verfahren, das zwei separierte Schritte kennt. Im ersten Schritt, der Oberverteilung, werden alle verfügbaren Sitzen aufgrund der Wählerzahl der Parteien im ganzen Wahlkörper so verteilt, dass der Quotient aus WählerInnenzahl und erhaltenen Mandaten bei allen Parteien möglichst gleich hoch. Bei der Unterzuteilung muss wird festgelegt, in welchen Wahlkreisen diese Sitze realisiert werden. Dabei kommt ein Verfahren zur Anwendung, der garantiert, dass am Schluss jeder Wahlkreis die vorgesehene Zahl an Sitzen erhält, und die Summe der Sitze einer jeden Partei der Oberverteilung entspricht. Der Einfachheit halber wird dieser Vorgang durch einen Computer ermittelt.

Insgesamt werden damit die beanstandeten Probleme aufgrund der Wahlkreisgrösse gelöst, ohne diese aufzuheben. In Einzelnen Wahlkreisen kann es aber in der Endverteilung zu nicht ganz widerspruchsfreien Ergebnissen kommen, weshalb es sich empfiehlt, bei regionalen Sitzgewinnen oder -verlusten auch die regionalen WählerInnen-Anteile zu kontrollieren.

Claude Longchamp

Die postdemokratische Diagnose

Wir sind es uns gewohnt, Demokratie für die vollendeste Regierungsform zu halten. Entsprechend rechnen wir nicht damit, dass es ausser Perfektionierungen der Demokratie auch andere Formen ihrer Weiterentwicklung gibt. Obwohl das einer gründlichen, aber unvoreingenommen Diskussion wert ist.

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Die Wahl von Georges W. Bush im Jahre 2000 hat den Glauben Vieler in die Funktionsweise der Demokratie erschüttert. Letztlich blieb unklar, ob die BürgerInnen der USA den Ausschlag gaben, oder das oberste amerikanische Gericht die Wahl entschieden hatte.

Die Diskussion der Demokratiequalität, die seither zunimmt, hat die Symptomatik der möglichen Probleme ausgeweitet und sie unter den Titel “Post-Demokratie” gestellt. Generell gesprochen geht es um einen kulturellen Wandel, wie er in der politischen Kulturforschung seit längerem diskutiert wird:

Output-orientierte Demokratieverständnisse messen Demokratiequalität vor allem an den wirtschaftlichen Leistungen, die eine demokratisch legitimierte Herrschaft erbringt. Geringe Arbeitslosigkeit, tiefe Inflation, steigendes Durchschnittseinkommen zählen zu den wichtigsten ökonomischen Bestimmungsgrössen, die gelegentlich auch durch Fortschritte in der Freizeitgesellschaft ergänzt werden.

Input-orientierte Definitionen von Demokratie betonen dagegen die hohe Bedeutung des Prozesses der Willensbildung vor, während und nach der Entscheidung als Qualitätskriterien. Effektive BürgerInnen-Partizpation, die sich im ganzen Ablauf gegen bisherige Herrschaften durchsehen kann, gilt hier als zentrales Kriterium.

Die pointierteste Kritik an gegenwärtigen Zuständen demokratischer Regierungsweisen in fortgeschrittenen Demorkatien hat der britische Politikwissenschafter Colin Crouch 2004 verfasst. Zwischenzeitlich ist seine Streitschrift in mehrere Sprachen, so auch auf Deutsch, übersetzt worden. Dabei geht er von den Entwicklungen der Demokratie in Italien unter Silvio Berlusconis Regierungen aus, bleibt aber nicht dabei stehen. Alle Gemeinwesen, in denen nach wie vor Wahlen abgehalten werden, in denen konkurrierende Teams professioneller Experten die öffentliche Debatte so stark kontrollieren können, dass sie einerseits zum reinen Spektakel verkommen, anderseits nur über jene Problemen diskutiert wird, welche die Experten ausgewählt haben, nennt Courch Postdemokratien. Bürgerapathie in politischen Fragen, von gelenkten Parteien nur in symbolischen Fragen durchbrochen, korrespondiert dabei mit einem hohem politischem Einfluss von Interessengruppen in der effektiven Politikgestaltung.

Crouch behandelt in seiner Diagnose die Bedeutung globaler Unternehmen, die Veränderungen sozialer Klassen, die Lage der Parteien und die Kommerzialisierung öffentlicher Leistungen. Dabei trägt er eine anregende Fülle von Beobachtungen zusammen, die er jedoch vor einem nicht weit diskutierten Geschichtsbild interpretiert. Massgeblich ist die Vorstellung, dass politische Regimes generell, aber auch das der Demokratie, sich in Parabelform entwickeln. Entsprechend kann man eine erste, prädemokratische Phase unterscheiden, auf die die zweite Etappe mit dem Höhepunkt der Demokratie folgt, die während der dritten Phase, der postdemokratischen zwangsläufig in einen Abstieg mündet.

Diese Vorstellung der Phasenentwicklung von Demokratie ist so arbiträr fatalistisch, wie jene optimistische Vorstellung von Samuel Huntington, der von einer von einer stufenweisen Weiterentwicklung der Demokratie sprach, die sich dabei weltweit ausdehen und verbessern. Adäquater ist, gerade aus der Sicht der politischen Kulturforschung von Zyklen in demokratischen Regimes auszugehen, indenen in- und outputorientierte Vorstellungen mehr oder minder realisiert werden. Das reicht, um eine Leitlinie für Untersuchungen zu bekommen, sie sehr wohl helfen, die Gegenwart zu diagnostieren, ohne gewagte Spekulationen zur Zukunft der Demokratie zu machen.

Claude Longchamp

Crouch, Colin: Post-Democracy, Oxford 2004 (Postdemokratie, Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Mai, 2005)
Colin Crouch in der Berliner TAZ zur aktuellen Lage in Politik und Wirtschaft

Demokratiequalität wird problematischer

Zum dritten Mal in Folge fällt der Bericht von “Freedom House” zum weltweiten Stand der Demokratie kritisch aus. Zwar bleibt die Zahl der etablierten Demokratie praktisch konstant, doch verringert sich die Demokratiequalität, hält die neueste Ausgabe fest.

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Freedom House erstellt jährlich den Bericht „Freedom in the World“, in dem der Grad an Demokratie und Freiheit in Nationen und bedeutenden umstrittenen Territorien auf der ganzen Welt bewertet wird. Beurteilt werden die Ausgestaltung der politischen Rechte und der bürgerlichen Freiheiten, weil sie in liberal ausgerichteten Demokratietheorien als entscheidend angesehen werden.

Die aktuelle World Map of Freedom hält Verschlechterungen der Demorkatiequalität in Senegal (von „frei“ zu „teilweise frei“), Afghanistan und Mauretanien (von „teilweise frei“ zu „unfrei“) fest, während Bhutan, Malediven und Pakistan neu etwas (von “unfrei” zu “teilweise frei”) eingestuft werden.

In Europa ergeben sich kaum Trends. Zu den Problemländern zählen vor allem die Türkei (“teilweise frei”), Italien, Griechenland und Monaco, die zwar frei angestuft werden, wegen eingeschränkten politischen Rechte (Monaco) resp. bürgerlichen Freiheiten (Italien und Griechenland) kritisiert werden.

Wichtiger noch als die Umgruppierungen erscheint den Berichterstattern, dass die Demorkatiequalität nicht mehr per se garantiert ist. Oder anders gesagt: “According to the survey’s findings, 2008 marked the third consecutive year in which global freedom suffered a decline.” Mit anderen Worten: Für die schleichende Erosion in der Ausgestaltung politischer Rechte und bürgerlicher Freiheiten in Demokratie braucht es ein entwickelteres Sensorium.

Uebrigens: Die Schweiz ranigert seit 1973, dem Zeitraum, für den solche Ratings vorliegen, immer in der obersten Kategorie mit der Idealbewertung 1.

Claude Longchamp

1. Aarauer Demokratietage zur “HarmoS”

Die Stadt Aarau beherbergt sein kurzem das Zentrum für Demokratie, das mit drei Professuren aus den Bereichen Recht, Politik und Geschichte bestückt ist. Anfangs April 2009 wird es mit den 1. Aarauer Demokratietagen offiziell der Oeffentlichkeit vorgestellt.

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Das Zentrum für Demokratie (ZDA) veranstaltet vom 1. bis 4. April 2009 die 1. Aarauer Demokratietage, ein Anlass mit reichhaltigem Programm, der sich an dem sich Wissenschaft und Politik, Kultur und Bevölkerung, Medien und Verbände zur gemeinsamen Erörterung von Grundfragen der Demokratie wendet. Im Zentrum steht eine wissenschaftliche Konferenz mit zum aktuellen Thema „Herausforderung HarmoS“.

Im Rahmen der 1. Aarauer Demokratietage findet sodann die offizielle und öffentliche Eröffnungsfeier des Zentrums für Demokratie Aarau statt. Gleichzeitig wird mit der Gründung des Vereins „Freunde des ZDA“ die notwendige Verankerung des ZDA in der Bevölkerung, Politik und Wirtschaft der Region eingeleitet.

Claude Longchamp

Die einheimische Arbeiterschaft schrumpft und verhält sich parteipolitisch mobil

Nun sind die Grünen dank der Auszählung der Briefwählenden in Kärnten doch noch über der 5-Prozent-Hürde. Das relativiert die gestrigen Eindrücke zum Rechtsrutsch etwas, stellt aber unverändert die gleiche Frage: Was geschieht parteipolitsch mit der österreichischen Arbeiterschaft?

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Der Einzug der Grünen mit zwei Mandaten in den Kärntner Landtag relativiert die Sitzverschiebungen etwas. Das BZOe verliert einen Sitz und hat damit keine Mehrheit mehr im Landesparlament. Ebenso reduzieren sichdie Gewinne der OeVP um ein Mandat, was den Rechtsrutsch nochmals etwas relativiert.

Theoretisch sind damit wieder verschiedene Allianzen denkbar. Am wahrscheinlichsten ist orange-schwarz, wobei das BZOe aufgrund ihrer Mehrheit in der Landesregierung den Ton angeben kann. Letzteres verhindert auch, dass es zu einer Kombination aus Rot-Schwarz-Grün kommen dürfte.

Fritz Plasser, Politikwissenschafter an der Universität Innsbruck stellt den Wechsel der Arbeiterschaft nach rechts nicht in einen direkten Zusammenhang mit der Leistung, den die Partei in Wien bietet. Vielmehr sieht er darin eine Wiederholung dessen, was man in Oesterreich seit Ende der 90er Jahre kennt: Die Hälfte der Arbeiterschaft, angeführt von den jungen Männern, votiert in der Wirtschaftskrise für nationalistisch ausgerichtete Parteien. SORA-Leiter erkennt gar überhaupt keine Arbeitspartei mehr, denn die österreichische Arbeiterschaft schrumpfe, sei nicht mehr direkt umworben und verhalte sich parteipolitisch mobil.

Andreas Mölzer, EU-Parlamentarier der FPÖ, interpretiert die Erfolge seiner Partei in Salzburg resp. des BZOe in Kärtner als Formierung einer “Arbeiterpartei neuen Typs”. Man punkte seit Ende der 90er Jahre mit sozialpolitischen Aussagen.,denn in der Krise merke der “viel zitierte kleine Mann”, dass das politische Establishment versage. Es entstünde aber keine neue sozialistische Partei, sndern eine “Arbeiterpartei mit nationaler Solidarität.” Anders als die SPOe verstehe man sich nicht international, sondern national und sichere die eigenen Arbeitsplätze, indem man auf den Vorrang der Eimheimischen vor den Zuwanderern poche.

Claude Longchamp

“Die Roten verlieren gegen einen Toten”

Die Ueberraschung war faustdick: Das BZOe, die Partei des verstorbenen Landeshauptmannes Jörg Haider, gewinnt die Wahlen in Kärtnen. In der Landesregierung verfügt sie neu über 4 der 7 Sitze, und im Landtag stellt sie mit 18 der 36 Mandate genau die Hälfte.

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Wiedergewählter Landeshauptmann von Kärtnen, Gerhard Dörfler, neben Claudia Haider, der Witwe des verstorbenen Rechtspolitikers Jörg Haider

Das BZOe von Landeshauptmann Gerhard Dörfler erreichte bei einer Wahlbeteiligung von 77 Prozent 45,5 Prozent der Stimmen. Die Vorgängerpartei FPOe kam vor vier Jahren auf 42,2 Prozzent. Die SPOe folgt neu mit 28,6 -9,6%) Prozent, die OeVP mit 16,5 (+4.9%) Prozent. Die anderen Parteien scheiterten an der 5 Prozent-Hürde: die Grünen um Haaresbreite, die FPOe klar, während die KPOe kaum Stimmen machte.

Wählerwanderung: Umgruppierung, Wechselwählen und Neuwählende
Die Wählerstromanalyse des SORA-Instituts zeigt, dass das BZOe 117’000 den Hauptharst der Stimmen bei der Vorgängerpartei FPOe abholte. Aber auch 22’000 Stimmen kamen von ehemaligen SPOe-WählerInnen, jedoch nur 3’000 von der OeVP. Immerhin 17’000 Wählende des BZOe bleiben vor vier Jahren den Wahlen fern. Umgruppierung im rechten Lager, Wechselwählende aus den Reihen der Koalition in Wien und Neumobilisierung sind damit die Stichworte, die den grossen Wahlsieg begründen.

Am meisten Wählende verloren hat die SPOe. Nebst den erwähnten Stimmen an das BZOe, wanderten auch 2000 an die OeVP, während genau doppelt so viele zu den Nicht-Wählenden gingen. Marginal sind die Gewinn von der FPOe (2000) und von den Grünen (1000). Demobilisierung und Verluste nach rechts sind hier die Schlagworte.

Die dritte Partei in Regierung und Parlament, die OeVP, legt zu, weil sie 9000 Neuwählende ansprach, und ebenso viele Menschen für sich gewinnen konnte, die vormals FPOe gewählt hatten. Beschränkte Gewinne gab es auch seitens der Grünen (4000) und der SPOe (2000). Nur an das siegreiche BZOe verlor die OeVP etwas (3000). Damit sammelte die OeVP ein wenig aus allen Lagern.

Selbstbewusstsein Haiders gerade auch in der Krise weiter tragen
Das zentrale Motiv aus der Wahltagsbefragung war, wie andern Orts auch, die Arbeitsplatzsicherung. Die global Wirtschaftskrise bestimmte damit auch den Wahlausgang in Kärtnen in wesentlichen Teilen. Gewonnen hat aber auch jene Partei, die sich im Land bewusst von allem anderen abgrenzte, um “Seinen Weg weitergehen” zu können. Angespielt wird damit, dass es Gerhard Dörfler gelang, an den zum Mythos gewordenen Jörg Haider und sein Engagement für ein eigenständig ausgerichtetes Kärnten anzuknüpfen.

Michael Völker kommentiert im Standard: “Das Verständnis für einen Landeshauptmann Dörfler muss man sich erst erarbeiten.” Kärtnen sei und bleibe ein Sonderfall unter den österreichischen Bundesländern: Es ist das einzige Bundesland, in dem das BZÖ eine nennenswerte Kraft darstellt und sogar den Landeshauptmann stellt.” Gewählt wurde zwar in der Gegenwart, gemeint war aber die Vergangenheit. Es ging schliesslich weniger um die populäre Witzfigur Dörfler, des Fasnachtstreiben ausserhalb des Landes für Kopfschütteln sorgte. Vielmehr wählte man in Erinnerung an Jörg Haider, der das Kärntner Selbstbewusstsein wie kein anderer vor ihm verkörpert hatte. Das ist bis auf den heutigen Tag unverändert geblieben.

Die SPOe, die hoffte, das BZOe zu überholen, sieht sich nach dem Rechtsrutsch in Kärtnen mit sich selber konfrontiert, denn sie muss sich als zuverlässige Stütze der Arbeitschaft in Kärtnen und anderswo erst wieder aufrappeln und profilieren. Sonst bleibt an ihr haften, was man heute vielerorts lesen konnte: “Die Roten verlieren gegen einen Toten.”

Notabene auch eine Herausforderung für die Wahlforschung, dieses Novum zu erklären!

Claude Longchamp

Genese einer neuen Politik gegenüber dem Bankgeheimnis

Die Diskussion zum Bankgeheimnis ist in der Schweiz in Gang gekommen. Erfolg haben wird in Verhandlungen nur, was innenpolitisch mehrheitsfähig ist, und aussenpolitischen auf Interesse stösst. Die Dreiteilung der Positionen in der Schweiz, die ersichtlich wird, dürfte da noch nicht zum Ziel führen.

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Bild: Tages-Anzeiger

Die Anfänge einer neuen Politik
Vor zwei Wochen schien noch alles klar: “Das Bankgeheimnis ist nicht verhandelbar!”, repetierten Bundesrat und Parlamentsmehrheit. Mit dieser Position wussten die wichtigsten Interessen des Finanzplatzes Schweiz hinter sich.

Seit die UBS, Finanzmarktaufsicht und der Bundesrat die Herausgabe von UBS-Kundendaten aus Steuerbetrugsfällen gebilligt und vollzogen haben, ist Bewegung in diese klare Frontstellung gekommen. Die EU fordert Vergleichbares wie man den USA gewährt habe.

Unmittelbarer Handlungsdruck geht vom G20-Gipfel aus, der am 2. April in London stattfindet, und am 19./20. März vorbereitet wird. Mit Blick auf die Entscheidungen, die dannzumal von Steueroasen zu erwarten sind, hat Bundespräsident Hans-Rudolf Merz gestern angekündigt, man sei in gewissen Fragen verhandlungsbereit; Aussenministerin Micheline Calmy-Rey ihrerseits doppelte in der heutigen Sonntagspresse nach. Die Schweiz solle sich so verhalten, dass sie auf keine Schwarze Liste mit Sanktionen komme.

Die vorläufigen Positionen

Vereinfacht gesprochen gibt es in der Schweiz in diesen Fragen gegenwärtig drei Positionen: jene der SVP, jene von Bundesrat und Mehrheit von FDP und CVP und die der SP.

Status Quo verteidigen: Die SVP ist beim Bankgeheimnis für eine harte Linie. Sie lehnt Erpressungsversuche des Auslandes kategorisch ab. Der Status Quo soll so schnell wie möglich bestätigt werden; die Lega will hierfür gar eine Volksinitiative lancieren, die das Bankgeheimnis in der Bundesverfassung festschreiben soll. Im Ausland findet sich hierfür kein Widerhall, was der rechtskonservativen Rechten egal ist. Mit Imageschäden kann man hier leben.

Zinsbesteuerung erweitern: Der Bundesrat steht unter dem Druck, in Verhandlungen etwas anbieten zu müssen. Er setzt auf eine Erweitertung des Zinsbesteuerungsabkommens, das man mit der EU abgeschlossen hat. Es soll auch anderen Staaten wie den USA angeboten werden. Diese Politik tangiert das Bankgeheimnis nicht, und sie rüttelt auch nicht an der Privatsphäre der Bankkunden. Denkbar sind dabei Ausweitungen der Quellensteuer. FDP und CVP stützen in ihrer Mehrheit diese Position, womit sie innenpolitisch recht breit abgestützt ist. Aussenpolitisch ist sie aber wenig realistisch, denn sie keine der zentralen Forderungen, mit denen sich die Schweiz konfrontiert sieht, auf. In der EU gilt dieses Vorgehen als zeitlich begrenzt realisierbar, wahrscheinlich bis 2013.

Amtshilfe bei Steuerhinterziehung: Von diesen geht explizit nur die SP-Position aus. Sie will das Bankgeheimnis für Schweizer Kunden belassen, die Unterscheidung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung indessen aufheben. Bei Verdacht auf Steuerflucht in die Schweiz, soll gegenüber dem Ausland Amtshilfe gewährt werden. Damit rückt man auf der linken Seite nahe an die Positionen der OECD, der EU und der USA. Innenpolitisch wird die SP aber nur von den Grünen unterstützt. Immerhin, diese Woche sind einige gewichtige Stimmen wie jene der Bankiervereinigung, des neues CEOs der UBS und vereinzelter Parlamentarier aus den bürgerlichen Parteien, die für einen Meinungswandel sprechen.

Politik der Verringerung von Interessengegensätzen
Letztlich wird die kardinale Forderung, die etwas Gordon Brown zur Austrockung der Steueroasen aufgestellt hat, in der Schweiz nirgends vertreten. Denn sie geht von einem automatischen Informationsaustausch über Kundenkonten zu Ausländern in einem Drittstaat aus. Daraus kann man schliessen, dass der Druck auf Steueroasen generell und damit auch auf die Schweiz hoch bleiben wird, selbst wenn die Akzente, die Nicolas Sarkozy, Angela Merkel und Silvio Berlusconi im Moment setzen, etwas unterschiedlich tönen.

Die Diskussionen in den nächsten Tagen wird zeigen, ob hierzulande eine konkrete Bewegung aufkommt, die den Druck auf die Schweiz, dem sie in den nächsten Wochen ausgesetzt sein wird, vermindern kann. Nötig hierfür ist eine Annäherung an die Position, die Amtshilfe nicht nur bei Steuerbetrug, sondern auch bei Steuerhinterziehung zulässt. Denn solange individuelle Steuerhinterziehung durch das Bankgeheimnis gedeckt wird, dürfte Letzteres Gegenstand von konfliktreichen Verhandlungen bleiben.

Claude Longchamp