exit polls: aufwendig und nicht unproblematisch

Wenn die Wahllokale schliessen, schlägt die Stunde der exit poll, der grossen Befragungen vor den Wahllokalen. Für die politische Kommunikation ist das wichtiger als das amtliche Endergebnis. Der enorme Zeitdruck der Oeffentlichkeit ist aber nicht unproblematisch, namentlich was die olgen für die Genauigkeit der Aussagen betrifft.


Letzte Vorbereitungen im CNN-Studio für die exitpolls von heute (Quelle: CNN)

Um bei den heutigen Wahlen in den Vereinigten Staaten von Amerika den Präsidenten bestimmen und das Wahlergebnis einer Erstanalyse unterziehen zu können, haben sich die news Organisationen ABC News, Associated Press, CBS News, CNN, FOX News and NBC News zum National Election Pool zusammengeschlossen. Gemeinsam beauftragen sie nach 2004 zum zweiten Mal Edison Media Research und Mitofsky International, die Wahllokalbefragung durchzuführen.

Ziel der grossangelegten Erhebung in allen Gliedstaaten Sieger und Verlierer korrekt zu bestimmen. Das ist 2004 und 2006 gelungen.

Die sehr schnelle Durchführung von Befragung, Verarbeitung, Analyse und Kommentierung ist aber nicht ohne Probleme bei der Genauigkeit. Trotz erneuertes Projektorganisation 2004 wichen die kommunizieren Endergebnisse anfänglich ausserhalb des Stichprobenfehlers vom späteren offiziellen Resultat ab. Zu gut dargestellt wurden damals die Demokraten von John Kerry, während Bushs Republikaner unterschätzt wurden.

Beträchtlich sind nebst den organisatorischen Aufwendungen auch jene der Informationspolitik. Sichergestellt werden muss, dass keine der konkurrierenden news-Agentur bevorteilt informiert wird. Hierzu werden alle Informationen vom New Yorker “Quarantine Room” aus verteilt, der bis zur Resultatverkündung hermetisch von der Aussenwelt abgeriegelt ist.

Die Exit Poll erscheinen in der heutigen Wahlnacht, noch bevor die effektiven Wahlergebnisse aus den Gliedstaaten eintreffen, welche die verbindliche Verteilung der Elektorenstimmen ergeben. Gewonnen hat, wer 270 der 538 Elektoren hinter sich weiss. Sicher wird man vorsichtig mit den Daten aus den exit polls umgehen, denn man ist nach den letzten Wahlnächten gebrannt. Das heisst nicht, dass es Barack Obama nicht schafft.

Claude Longchamp

Wie genau sind die amerikanischen Vorwahlumfragen in der Regel?

Im Jahre 2004 kamen die Umfrageserien, die bis vor den Wahltag erstellt worden waren, im Schnitt bis auf 2 Prozentpunkte an das effektive Ergebnis heran. Sie waren damit im Schnitt etwas besser als vier Jahre zuvor. In der Richtung haben die Umfrageserien von 2000 und 2004 jeweils den Republikaner Bush leicht überschätzt. Auch das spricht für eine Wahlsieg von Barack Obama, der in den letzten Umfragen mit durchschnittlich 7,6 Prozent führt.

6 der 8 Institute, die 2004 eine Projektion erstellten, sahen richtigerweise Georges W. Bush (50.7%) als Sieger vor John Kerry (48.3%). Am genauesten waren damals die Vorhersage von TIPP (50.1 zu 48.0). Sie gab Bush 2.1 Prozentpunkte Vorsprung. Mit etwas abnehmender Genauigkeit folgten damals die Institute PEW, Battleground-Tarrence und Harris, beide knapp vor Zogby und Gallup. Eigentliche Fehlprognosen lagen bei Democracy Corps und Battleground-Lake vor.

Im Jahr 2000 war die Sache komplizierter, weil Al Gore (48.4%) effektiv einen halbe Prozentpunkt mehr Wählerstimmen hatte als Georges W. Bush (47.9%). Diese wurde dank eine hauchdünnen Mehrheit bei den Elektoren gewählt. Die Umfragen wiederum sahen Bush ist als klaren Sieger. Nur Zogby hatte Kerry vorne, und Harris kam dem bizzaren Endresultat mit 47:47 am genauesten.

Was lernt man daraus?

Erstens, die Differenz zwischen den beiden Spitzenkandidaten wurde 2000 falsch, 2004 aber richtig erkannt. Der Fehler liegt zwischen 2 und 3 Prozentpunkten.
Zweitens, die republikanischen Bewerber werden nicht einfach unterschätzt, egal ob sie Herausforderer oder Amtsinhaber sind.
Drittens, auf ein Institut abzustellen, ist nicht einfach, da Harris nicht mehr dabei ist, und TIPP und TIPP“>Zogby, die beiden besten bei einer Wahl bei der anderen kleinere Probleme hatten.

Wenn Obama diesmal in allen Umfrageserien mit durchschnittlich 7,6 Prozent (wenn auch mit unterschiedlichen Differenzen von 2 bei Battleground Tarrence bis 11 Prozent bei Zogby resp. Gallup führt, kann, egal wie gross der Vorsprung letzten Endes sein wird, nichts mehr schief gehen.

Weder für ihn, noch für die Umfrageinstitute als Ganzes.

Claude Longchamp

Die letzte funktionierende Börse …

54 Prozent der Stimmen erhält Barack Obama, 47 Prozent gehen an John McCain. Das ist Prognose, welche die Wahlbörse der Iowa University am Vortag des election day ermittelt hat. 90 Prozent der Händler gehen zudem davon aus, dass der demokratische Bewerber gewinnt, 10 Prozent glauben noch an den Sieg des Republikaners.


Das Experiment

1988 begann das Tippie College of Business der Iowa University zu wissenschaftlichen Zwecken mit elektronischen Wahlbörsen zu experimentieren. Seit 1996 wird dieses Instrument regelmässig bei nationalen Wahlen in den USA, aber auch verschiedenen anderen Ländern eingesetzt.

Wahlbörsen funkitionieren wie richtige Börsen, doch geht es nicht um die Bewertung von Firmen, sondern die Wahlergebnisse von Parteien oder Kandidaten. Es gibt Wahlbörsen, bei denen echtes Geld eingesetzt wird; sie funktionieren aber auch mit Spielgeld. Abzocken ist nicht das Ziel der Wahlbörsen, die mit wissenschaftlicher Absicht geführt werden. So setzt man beim Experiment der Iowa University echtes Geld ein, doch sind die Beiträge limiert.

Anders als bei Repräsentativ-Befragungen, die individuell geäusserte Wählerwillen aggregieren, funktionieren Wahlbörsen nach dem Prinzip, dass die Masse recht hat. Wenn sich genügend Händler einfinden, die selber Wetten wollen, aber auch andere Wetten bewertenl, stellt sich ein bewerteter Marktwert von Parteien oder Kandidaten ein.

Die amerikanischen Präsidentschaftwahlen
Die aktuellen Quotierungen der amerikanischen Präsidentschaftsbewerber im Iowa Electronic Market haben sich über die Zeit mit wenigen Ausnahmen nur beschränkt verändert.

Eigentlich ging man von Anfang an davon aus, dass Barack Obama gewinnen würde. Die jetzigen Verhältnisse pendelten sich schon bald ein, und sie blieben trotz regem Handel insgesamt weitgehend unverändert.

Stark erhöht hat sich aber in den letzten Wochen die geschätzte Wahrscheinlichkeit eines demokratischen Wahlsieges bei den Präsiedentschaftwahlen.

Mein Kommentar
Wenn Wahlbörsen bei einfacher Ausgangslage recht schnell plausible Schätzungen von Wahlausgängen liefern, sind sie doch kein Ersatz für Wahlbefragungen. Denn sie geben “nur” die Grössenordnungen, allenfalls auch die Wahrscheinlichkeiten von Wahlergebnissen an. Sie lassen keine Rückschlüsse zu, wer wie und warum so stimmen wird, nur, dass so gestimmt wird. Zudem ist bis jetzt kein namhaftes Experiment bekannt, bei dem es Wahlbörsen, aber keine Wahlbefragungen gegeben hat.

Immerhin, Wahlbörsen sind ein Element der Bestimmung öffentlicher Meinung nicht nur in der Wirtschaft, sondern auch in der Politik geworden. Ich würde fast eine Wette eingehen, dass sie besser funktionierende Börsen sind als jene an der Wahlstreet. Solange jedenfalls man sie zu Erkenntniszwecken für die Realpolitik betreibt, und sich um spekulative Gewinne in der Fiktivwirtschaft zu erzielen …

Claude Longchamp

Die Zeit der Dramatisierungen

Das letzte Wochenende vor dem amerikanischen Präsidentschaftswahlen hat begonnen. Es sind die Tage der Dramatisierungen vor allem in den Massenmedien. Vorsicht ist angesagt.

Alles rechnet mit dem Sieg des Demokraten Barack Obama. Jede Verdoppelung dieser Nachricht hat deshalb keinen Newswert mehr, selbst wenn sie stimmt. Deshalb liesst man mehr vom Gegenteil, auch wenn es nicht stimmt.

Selbst das informative Netzwerk der grossen deutschschweizer Zeitungen (Tagesanzeiger, Bernerzeitung und Baslerzeitung) macht jetzt auf Dramatisierungen. “Obamas Vorsprung zerrinnt”, kann man heute in fetten Lettern lesen.

Als Beleg hierzu werden recht beliebig Umfragen verwendet, deren Ergebnisse einander gegenüber gestellt werden, um einen Trend zu haben, den man dann auch flink noch extrapolieren kann!

Besser als das ist es auf jeden Fall, sich nur an die Serien der bewährten Institute zu halten, oder aber einzig die rollenden Mittel aller, nicht ausgewählter Umfragen zu verwenden.

Letzteres leistet beispielsweise der SuperTracker der unabhängigen Wahlplattform 538. Alternativ dazu kann man auch den Trend von Real Clear Politics verwenden. Die Entwicklung, die so aufscheint, ist viel konstanter, und die Prognose, die daraus für den Wahltag gemacht werden kann, viel eindeutiger.

Momentan führt Obama bei 538 mit durchschnittlicher 7 Prozentpunkten, und es wird erwartet, dass dies am Wahltag 6 sein werden.

Von einem dramatischen Umschwung in letzter Minute kann nicht die Rede sein. Doch hat das in der gängigen Berichterstattung der Massenmedien kurz vor dem Ereignis keinen news-Wert.

Claude Longchamp

13 Gründe, warum Obama Präsident wird

Als Alternative zu Umfragen vor Wahlen haben sich gerade in den USA Prognosemodelle entwickelt, die aufgrund der Wahlumstände qualitative oder quantitative Aussagen über Sieger und Verlierer zulassen. Das ist zwar kein Ersatz für Wahlbefragungen, aber eine Erweiterung für die Analyse der Gründe von WählerInnen-Entscheidungen.

Alan Lichtman, Professor für Geschichte an der Amerikanischen Universität von Washington DC, hat rechtzeitig vor den diesjährigen Wahlen in der Zeitschrift “New Scientist” ein interessantes Prognosemodell vorgeschlagen. Anders als Politökonomen, die in der Regel nur oder vor allem auf die Wirtschaftslage abstellen, hat Lichtman 13 politiknahe Kennzeichungen von Wahlen entwickelt, die es in den vergangenen 6 Wahlen erlaubt haben, korrekte Aussagen zu amerikanischen Präsidentschaftswahlen zu machen. Sie lauten:

1. Does the incumbent party hold more seats in the House of Representatives after the midterm election than after the preceding midterm election?
2. Is there a serious contest for the incumbent-party nomination?
3. Is the incumbent-party candidate the current president?
4. Is there a significant third-party or independent candidate?
5. Is the economy not in recession during the campaign?
6. Does per capita economic growth during the term equal or exceed mean growth for the preceding two terms?
7. Has the administration effected major policy changes?
8. Has there been major social unrest during the term?
9. Is the incumbent administration untainted by major scandal?
10. Has there been a major military or foreign policy failure during the term?
11. Has there been a major military or foreign policy success during the term?
12. Is the incumbent-party candidate charismatic or a national hero?
13. Is the challenger not charismatic or not a national hero?

Nicht alle Fragen lassen sich eindeutig beantworten resp. quantifizieren. Aber sie führen zu einer Einschätzung der Wahlchancen der zwei wichtigsten Bewerber, die im Vergleich zu den Wahlchancen, die frühere Bewerber hatten, beurteilt werden können. Daraus ergibt sich dann die Prognose für 2008.

Lichtman folgert, dass am kommenden Dienstag Obama gegen McCain gewinnt. Er werde mit 55 Prozent der Stimmen gewählt werden.

Mein Kommentar
Veröffentlicht wurde die Studie am 22. Oktober 2008, also nur zwei Wochen vor den kommenden Wahlen. Entwickelt wurde das Vorgehen indessen früher, und es hat sich in der Rückschau mehrfach bewährt. Und das zeigt den Unterschied solcher Ableitungen des Wahlssieger von den üblichen Herleitungen. Repräsentativ-Befragung definieren die Erwartungshaltung, die dann, zahlreiche andere Prognosen als wahrscheinlich oder weniger wahrscheinlich erscheinen lassen.

Ersetzt werden Wahlumfragen dadurch nicht. Denn sie bilden unverändert den Mikrokosmos der Entscheidungen ab, und sie ergeben, aufaddiert in repräsentativen Stichproben verlässliche Grössenordnungen, für das was momentan Sache ist. Erweitert wird aber durch Modelle wie das von Lichtman die makro- und mesopolitische Analyse der Entscheidungen. Bei Lichtman gefällt, dass er nicht nur ökonomische, sondern auch genuin politische Grössen verwendet.

Am kommenden Dienstag wissen wir mehr, ob aus solchen Retrognose auch Prognosen gemacht werden können.

Claude Longchamp