Gesundheitsvorsorge: das ist Sache!

Ich habe mich weitergebildet. Diesmal zur Gesundheitsvorsorge. Eingeladen hatte die Interpharma zu einem Gedankenaustausch, nicht zu einem Prestigetreffen von Fachleuten oder PolitikerInnen. Das ist meines Erachtens voll gelungen. Die ReferentInnen waren erstklassig. Das Publikum war anregend breit zusammengestellt. Das alles hat mich durchaus befruchtet. Ein kurzer Stimmungsbericht.

Begriffe und Inhalte

Den heftigsten Satz, den ich in diesem Zusammenhang gehört habe, betrifft die Begrifflichkeit selber. Wehe, man sagt Gesundheitsprävention. Dann schnellen die Kommunikationsleute vom BAG gleich in die Luft. Denn es geht um Prävention, aber nicht um Vorbeugung von Gesundheit, sondern von Krankheit. Und deshalb spricht man besser von Gesundheitsvorsorge.
Das Präventionsgesetz, welche das BAG erarbeitet hat, stellte am Workshop Thomas Zeltner vor. Nächstes Jahr soll es vom Parlament beraten werden. Seinen politischen Gegnern ist der BAG-Direktor bereits Gesundheitstaliban. Wenn man ihn dann referieren hört, merkt man das Engagement des Mediziners. Von einem Fanatiker spürt man indessen wenig.
Mit dem Präventionsgesetz strebt man in erster Linie an, die Unübersichtlichkeit in den Vorsorgebemühungen zu koordinieren. Der Bund setzt hierfür 60 Mio CHF jährlich ein. Kantone, Städte, vor allem aber auch Gesundheitsorganisation geben ein Mehrfaches davon aus. Das soll sich vorerst nicht ändern, geschaffen werden soll jedoch ein Schweizerisches Institut für Gesundheitsvorsorge, welche die verstreuten Aktivitäten koordinieren soll.

Begründungen aus Medizin und Praxis

Den Vorschlag des BAG vorbereitet hat die Schweizer Public Health Gesellschaft. Sie hat eine Gesundheitsstrategie für unser Land entwickelt, die gleichzeitig auf der Eigen- und der Gemeinschaftsverantwortung aufbaut. Dabei geht es um eine ganzheitliche Sichtweise. In der Medizin dominierte bis ins 19. Jahrhundert die Absicht, die sozialen Verhältnisse zu verbessern. Dann beschäftigte man sich vornehmlich mit der Krankheit der Inidividuen. Heute wiederum ist man bestrebt, die Lebensumstände so zu gestalten, dass man weniger häufig oder weniger schnell erkrankt.
Ilona Kickbusch, Beraterin der WHO, fügte ein wichtige Differenzierung hinzu: Der Staat könne die kollektive Verantwortung nicht alleine tragen. Seine Mittel seien auf Verbote, Anreize und Informationen beschränkt. Gefragt seien aber Netzwerke zur Steuerung der Verhältnisprävention. In solche müssten Firmen, Gesundheitsligen und Städeplaner eingebunden sein, denn die zentrale Konfliktlinie ortet sie zwischen den Ansprüchen als BürgerInnen und den KonsumentInnen. Letztere seine heute durch die Vision “2407” geleitet, der Rundumversorgung mit allem während Tag und Nacht, Werk- und Sonntag. Für den Bürger sei das indessen keine Zukunft, die ihn gesund erhalte.
Gab diese Perspektive den allgemeinen Rahmen ab, fragte die Präventivmedizinerin Bettina Borisch, was die staatlichen Institutionen in der Gesundheitsvorsorge konkret bewirkten. Am Beispiel der Mammographie setzte sie zu einer vehementen Kritik der Langsamkeit im föderalistischen System ab. So würden Mammographieprogramm an den Kantonsgrenzen halt machen, nicht aber die Probleme mit Brustkrebs, die man verhindern wolle. Die binnenschweizerischen Unterschiede seien dabei grösser als jene zwischen den EU-Mitgliedstaaten.
Anschaulich war auch Ulrich Fricker, seines Zeichens SUVA-Chef. Wo sich Arbeitsunfälle häuften, würde man Schadensanalysen machen und gezielte Informationskampagnen lancieren. Beim Helm auf dem Velo seien die so ausgelösten Fortschritte nachweislich. Für die Fahrradfahren wie für die Versicherungsprämien.

Der Blick aufs Ganze und aufs Punktuelle

Der Soziologe François Höpflinger fasste das Ganze in einen grösseren Rahmen. Die etwas abgegriffene These der Demographen habe gelautet: Vorsicht, wir werden älter und das schafft neue Probleme. Er propagierte eine neue Sichtweise, dass es mit dem dritten Alter heute darum gehen, länger gesund zu leben. Das sei individuell und kollektiv interessant, denn es mehre Lebensqualität und senke Pflegekosten. Dabei konnte er aufzeigen, dass dies nicht nur schöne Absichten sind, sondern mit koordinierten Bemühungen auch gelingt.
Die anwesenden PolitikerInnen der SP, CVP und FDP begrüssten die Stossrichtung des Präventionsgesetzes für die Schweiz. Einzig die SVP-Politiker wandten sich mehr oder weniger deutlich dagegen. Stellung nehmen mussten sie alle auch zur aktuellen Diskussion über “botellones”. Es dominierte die Zuversicht, dass sich dieses soziale Phänomen regle, wenn die mediale Aufmerksamkeit verschwinde. Höpflinger brachte es mit einer lakonischen Bemerkung am Rande der Tagung auf den Punkt: “Wenn ich zu einer Teeparty in der Masse aufrufe, interessiert das gar niemanden!”
Die Probleme, die man mit Public Health lösen wolle, sind anderntags so oder so die gleichen. Verhaltensprävention ohne Verhältnisprävention ist nichts, habe ich an diesem intensiven Workshop gelernt.
Claude Longchamp

Einladung zur internationalen Fachtagung “Direkte Demokratie”

In einer Demokratie lernen die Mächtigen oft nur hinzu, wenn sie dazu durch einen demokratischen Entscheid gezwungen werden – und auch dann oft nur widerwillig, wie der Umgang mancher europäischer Politiker mit dem Nein der Irinnen und Iren zum neuen Vertrag der Europäischen Union einmal mehr deutlich gemacht hat. Dabei steht weniger der Grundsatz des Mitbestimmungsrechtes durch die Bürgerinnen und Bürger zur Debatte, als die Art und Weise des Mitentscheidens. So haben zwar fast alle Staaten der Welt in den letzten Jahren mindestens einzelne direktdemokratischen Instrumente eingeführt, doch nur in den allerwenigsten Gesellschaften sind diese so bürgerfreundlich
ausgestaltet, dass sie zu einer feineren Verteilung der Macht, zu einer dialogischeren Gesellschaft und letztlich zu mehr Demokratie beitragen können.

Aus diesem Grund stehen nun qualitative Fragen zur Direkten Demokratie auf der Tagesordnung – und das nicht nur auf der lokalen, regionalen und nationalen Ebene, sondern immer häufiger auch auf der transnationalen und globalen Ebene. Seit der Jahrtausendwende trägt das europäische Kompetenzzentrum für Fragen der Direkten Demokratie – das ”Initiative and Referendum Institute Europe” (IRI Europe) – gemeinsam mit den Schwesterinstituten in den USA und Asien mit gezielten Maßnahmen dazu bei, ein gemeinsames Verständnis (Terminologie), einen kompetenteren Umgang und eine bessere Vermittlung des Erfahrungsschatzes zu entwickeln.

Vor diesem Hintergrund laden wir Sie herzlich zur Fachtagung ”Die Welt der Direkten Demokratie: Praxis, Erfahrungen und Herausforderungen” ein. Dieses erstmalige globale Seminar Anfang Oktober bietet eine
hervorragende Gelegenheit, sich aus erster Hand zu informieren und wichtige Erfahrungen mitzuteilen. Zusätzlich gibt es die Möglichkeit, an einem Rahmenprogramm teilzunehmen, dass sich einerseits mit der politischen Frage der Vereinbarkeit von direkter Demokratie und europäischer Integration befasst und andererseits aus akademischer Warte Fragen der Integration, Innovation und Illusion beleuchtet.

Auf unserer Konferenzwebseite www.worlddemocracyforum.info finden Sie zusätzlich alle notwendigen Informationen zur Online-Anmeldung für diesen Anlass. Selbstverständlich können Sie sich mit Ihren Fragen und Vorschlägen auch direkt an uns wenden. Ihre Ansprechpartnerin in Marburg ist Zoë Felder, conference@iri-europe.org, Tel. +49-(0)6421-1768014.

Auf ein Wiedersehen in Aarau!

www.worlddemocracyforum.info

Auszug aus dem Programm

Thursday, 2nd October (17.30-20.00)

Congress and Culture Centre Aarau, Switzerland
Direct Democracy and European Integration –
Potential and Limit

17.30
Opening by the chair Andreas Auer, Director, c2d at ZDA

17.35
Welcome address by Peter C. Beyeler, President of the Canton of Aargau

17.45
Voting on Europe in Europe – Facts and Trends
by Claude Longchamp, Election and Referendum analyst at the National Swiss TV

18.00
Direct Democracy and European Integration – Potential and Limits from a Swiss Perspective
by Pascal Couchepin*, President of the Swiss Confederation

18.25
Potential and Challenges from an EU Perspective
by Christian Leffler, Head of Cabinet of Vice-President Wallström, European Commission

18.50
The role of Governments and the Governed in EU Democracy
by Tuija Brax*, Finnish Minister of Justice

19.00
The Future of the EU Constitutional Process after Rome and Lisbon
by Jürgen Meyer, Member of the German Bundestag in the first and second EU Convention

19.15
Direct Democracy European-style – the Recommendations of the Council of Europe
by Pierre Garrone, Head of the Division of Elections and Referendums, Venice Commission,
Council of Europe

19.30
Panel discussion with Pirmin Schwander*, SVP National Councillor & President of AUNS
(Campaign for an Independent and Neutral Switzerland), and
Diana Wallis, Vice President of the European Parliament and Liberal-Democrat MEP, UK.
– Moderator: Bruno Kaufmann, President, IRI Europe
– Questions from the floor

20.30
end of public event

Chair: Andreas Auer, Director c2d, Zurich University
Moderator: Bruno Kaufmann, President IRI Europe

“Wahlbistro” – eine neue Form der Kampagnenkommunikation

Am 1. September startet in Bern eine neue Plattform zur Wahlkampf-Kommunikation, die Schule machen könnte und sollte.

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Die Berner und Bernerinnen wählen am 30. November ihren neuen Stadtpräsidenten, die neue Stadtregierung und das neue Stadtparlament. Einmal geht es um die Frage nach den Mehrheitsverhältnisse in der Bundesstadt. Neu ist, dass sich nicht mehr nur zwei Blöcke gegenüber stehen, sondern sich auch eine politisch unabhängige Mitte bemerkbar macht, die bei der Mehrheitsbildung das Zünglein an der Waage spielen könnte.

Sodann sind die Wahlen auch ein Hinweise, wie stark sich die politische Kommunikation heute schon geändert hat. Neu ist dabei, dass die Wahlkämpfe der Parteien und KandidatInnen durch eine Wahlplattform auf Internet begleitet werden soll, die für die Schweiz innovativ ist. Sie will

. allen Kandidierenden die Möglichkeit zur Bekanntmachung ihrer Standpunkte dienen;
. alle Kandidierenden, die sich profilieren wollen, auch mit dem Themenspider von smartvote verbinden;
. allen BürgerInnen, die sich besonders engagieren wollen, die Möglichkeit geben sich direkt an die BewerberInnen zu wenden.

Im Vergleich zu anderen Plattformen schätze ich an Wahlbistro die beabsichtigte Offenheit für alle Kandidierenden. Die Hierarchisierung des Zugangs zu Medien wird damit abgebaut. Ich bin auch der Meinung, dass es heute angezeigt ist, die Verlautbarungen von PolitikerInnen und solchen, die es werden möchten, mit der Positionierung auf den Themenspinnen von smartevote zu vergleichen. Die angewandte Politikwissenschaft hat hier in jüngster Zeit eine interessante Dienstleistung entwickelt, die mehr verwendet werden sollte. Und ich schätze es auch, dass die Veranstalter von Wahlbistro für Kandidierende und Kommentatorinnen strenge Hausregeln erstellt haben, welche beispielsweise ananyme Stellungnahme auf der Plattform ausschliessen. Der Zerfall der politischen Diskussionskultur, der so erleichtert wird, ist leider schon stark fortgeschritten.

Natürlich muss sich die Wahlplattform “Wahlbistro” erst noch durchsetzen. Möglich ist das gut, denn gerade im urbanen Umfeld ist die traditionelle Form der Wahlkampfkommunikation stark im Rückgang begriffen. Dennoch steigt in den meisten Städten die Wahlbeteiligung wiederan, unter anderem als Folge der kognitiven Mobiliserung. Da liegt Wahlbistro im Trend, denn die Akteure müssen sich heute medial, aber direkt und authentisch an die wahlinteressierten BürgerInnen wenden können. Vor allem in der jüngeren Generation ist die Nutzung von Internet bei Wahlen und Abstimmungen als Informations- und Diskussionsmöglichkeit fortgeschritten.

Ich wünsche dem Experiment zur Demokratisierung der Wahlkampf-kommunikation viel Erfolg. Ich werde das Projekt ab heute engagiert-kritisch bis zum Wahltag verfolgen.

Claude Longchamp

Link

Medienmitteilung zur Lancierung