Wahlen und Werbung

(zoon politicon) Die Wahlanalyse der Forschungsgruppe “selects”, der heute erschienen ist, wirft die Frage nach dem Zusammenhang zwischen Wahlergebnis und Werbeaufwand erneut auf.

Schon die Wahlbeobachter, die sich 2007 in der Schweiz aufhielten, problematisierten den Zusammenhang, indem sie auf die Abhängigkeit der Massenmedien von Wahlwerbung verwiesen, und bei ungleichen Aufwendungen der Parteien eine Asymmetrie zwischen Parteien und Zeitungen festhielten.

Nun doppelt das universitäre Wahlforschungteam “selects” nach. Die Wahlwerbung der KandidatInnen seien ungleich verteilt gewesen:

. SVP-KandidatInnen Total: 6,1 Millionen Franken
. FDP-KandidatInnen Total: 5,9 Millionen Franken
. CVP-KandidatInnen Total: 4,9 Millionen Franken
. SP-KandidatInnen Total: 2,5 Millionen Frnaken
. Grüne-KandidatInnen Total: 1,2 Millionen Franken

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Schon im November veröffentlichte die Werbebeobachtungsagentur Mediafocus ein ähnliches Rating. Demnach war sich der sichtbare Werbeaufwand der Parteien, nicht der KandidatInnen in den Medien in den nachstehenden Grössenordnungen:

. SVP: 12,2 Million Franken
. FDP: 6,1 Millionen Franken
. SP: 2,5 Millionen Franken
. CVP: 2,2 Millionen Franken
. Grüne: 0,7 Millionen Franken

Die Datailauswertung der Verteilung der Ausgaben, die wir selber vorgenommen haben, zeigt hier Zusätzliches.

Erstens, alle Parteien konzentrieren sich beim Mitteleinsatz auf die Schlussphase des Wahlkampfes. Die Intensität war im Oktober höher als im September, und sie war im September stärker als im August.
Zweitens, die Dauer der intensiveren Ausgaben hängt von der Gesamthöhe des Budgets ab. Bei Grünen, SP und CVP, welche die kleinsten Aufwendungen betrieben, setzte der werberische Auftakt im wesentlichen im September ein. Bei der FDP gilt ähnliches, allerdings in schon ganz anderen Dimensionen.
Drittens, die SVP-Kampagne hatte dagegen ihren take-off im August 2007. Sie Schäfchen-Kampagne war es denn auch, welche das Klima, indem der Wahlkampf stattfand, einsetzte.

Das wirft die Frage auf, wie Wahlwerbung wirkt: Ich werfe die nachstehende Hypothese in die Debatte: Wahlwerbung verspricht nicht einfach Wahlerfolge. Wahlerfolge ergeben sich dann, wenn man in der Werbung die Top-Position einnimmt. Das garantiert am intensivsten und am längsten zu werben. Und das kann das Klima prägen, indem der Wahlkampf stattfindet, was für den Wahlerfolg nicht unerheblich ist.

Ich nenne das climate-setting in der Wahlwerbungskommunikation. Notabene nicht erst seit 2007, sondern seit 1995, dem Zeitpunkt, seit dem ich den Zusammenhang von Wahlen und Werbung in der Schweiz beobachte. Mehr dazu finden Sie hier.

Claude Longchamp

Wird Demokratieforschung in der Schweiz nun konkret?

Einladung zu den Gastvorlesungen im Rahmen der Besetzung einer Professur für Politikwissenschaft und Leitung des Zentrums für Demokratie Aarau

Mittwoch, 7. Mai 2008, Hauptgebäude: KO2-F-152

08:00 – 08:45 Prof. Dr. Daniel Kübler, Fachhochschule Nordwestschweiz, Basel
„Globalisierung von unten: Die De-Nationalisierung des Politischen“

10:15 – 11:00 Dr. André Bächtiger, Universität Bern
„Wege zum Ideal: Institutionen, Akteure, Kultur und die Qualität demokratischer Politik“

16:15 – 17:00 Prof. Dr. Andreas Ladner, IDHEAP Lausanne
„Size and Democracy”

Donnerstag, 8. Mai 2008, Hauptgebäude: KO2-F-152

08:00 – 08:45 Prof. Dr. Dietlind Stolle, McGill University Montréal
„Politische Partizipation im Umbruch?“

10:15 – 11:00 Prof. Dr. André Kaiser, Universität zu Köln
„Wahlsysteme und Frauenrepräsentation. Ein Vergleich der deutschen Landesparlamente“

Dozierende, Studierende und weitere Interessenten sind zu diesen Gastvorlesungen herzlich eingeladen.

Zürich, 22. April 2008
Prof. Dr. Andreas H. Jucker, Kommissionspräsident
Prof. Dr. Reinhard Fatke, Dekan

Unerwünschte Gäste

Leider gibt es zwei Sorten von Reaktionen auf diesen Blog, die unerwünscht sind. Zunächst zahlreiche spams, doch dann auch immer wieder Beschimpfungen aller Art, die an meine Person gerichtet werden, an meine Arbeit, oder auch an die Sozialwissenschaften generell.
Ich sperre sie diese Arten von Reaktionen systematisch, ich verfolge, soweit möglich, die Herkunft.

C.L.

Kurzer Rückblick auf heute (V)

(zoon politicon) Ziel des heutigen Vorlesungsblocks war es, einen Ueberblick über den Forschungsprozess zu geben. Die Uebersicht soll es den TeilnehmerInnen erleichtern, ihr eigenes kleines Projekt zu realisieren.

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Die Zyklen des Forschungsprozesses
Wir haben gesehen, dass es drei Zyklen gibt, die je einem anderen Ziel dienen:

. die Ausarbeitung einer Fragestellung
. die Behandlung einer (oder mehrerer) Hypothesen und
. die Beschaffung von Fällen und Daten, die zur Prüfung der Hypothese geeignet sind.

Meist werden die drei Zyklen als drei Phasen beschrieben, die einander folgen. Im Idealfall ist das auch so. Im Realfall greifen sie aber nicht sequenziell, sondern meist zyklisch ineinander: Die Prüfung von Hypothese soll diese bestätigen oder widerlegen, damit man weiss, mit welchen Erklärungen man weiter arbeiten soll resp. auf welche man verzichten kann. Allenfalls kann es auch sein, das in dieseer Phase, neue, modifizierte Hypothesen entstehen, geeignetere Aussagen ergeben, als die anfänglichen. Das kann zu Präzisierung der Fragestellungen führen, es kann auch eine erneute Erhebung von Daten bedeuten.

Ziel des Ganzen ist es, geprüfte Aussagen zu machen, die einem helfen, Antworten auf die anfängliche Fragestellung(en) zu geben. Diese sollen im wissenschaftlichen Sinne nicht spekulativ erfolgen, sondern logisch und intersubjektiv nachvollziehbar sein. Sie sollen jedoch nicht nur rational hergeleitet werden, sondern sich auch an der Realität bewähren, also empirisch geprüft sein. Hat man das, hat man auch die Antwort auf die Ursprungsfrage, die gilt, bis man allenfalls eine bessere, das heisst widerspruchsfreiere und gehaltvollere findet.

Ergebnisse aus Forschungsprozessen der angewandten Sozialwissenschaften dienen praktischen Folgerungen. Resultate in der Grundlagenwissenschaft dienen der Konstruktion resp. Sicherung von Theorien. Die theoretischen Folgerungen werden in der wissenschaftlichen Literatur publiziert, sodass sie auch durch dritte nachvollzogen und kritisiert werden können. Die praxisrelevanten Folgerungen finden sich eher selten in der wissenschaftlichen Literatur; ihr Adresse ist der Kunde der Forschung, der den Anstoss zu ihr gegeben hat, weil er in der Regel ein Verwertungsinteresse hat.

Das Arbeitspapier

Im Forschungsprozess selber dominieren Arbeitspapiere. Sie werden für Workshops oder Seminare mit ForschungskollegInnen geschrieben. Sie sind meist technisch abgefasst, gelten als als graue Literatur, die ausserhalb von Forschungsteams nicht verwendet wird. In der Grundlagenforschung es ist wichtig, am Ende eines Forschungsprozesses ein Thesenpapier zu haben, das die gesicherten Ergebnisse in einem grösseren Ganzen verbindet. Und in der Anwendungsforschung braucht es am Ende ein Ergebnispapier, das unabhängig vom Forschungsprozess selber, die gesicherten Befunde und Folgerungen daraus aus Sicht der Forschung für die Praxis festhält.

So nun hoffe ich, sie alle, die Forschen worden, haben das minimale Rüstzeug mitbekommen, um sozialwissenschaftliche korrekt zu arbeiten!

Claude Longchamp

Was leistet empirische Politikforschung?

Norman Blaikie ist Soziologieprofessor in Malaysia und Australien. Er gilt weltweit als der Spezialist, der sich mit der sozialwissenschaftlichen Forschung beschäftigt hat, um für Studierende und Forschende die Frage zu beantworten, was Sozialforschung leistet, warum man sie macht, und wie sie zu geschehen hat.
Ich bringe hier sein mustergültig kurzes Manifest, das er zur Jahrtausendwende publiziert hat, im Original. Man kann es eigentlich “eins-zu-eins” auf die empirische Politikforschung übersetzen.

Claude Longchamp

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A Manifesto for Social Research

1 Social research is about answering research questions.

2 Three types of research questions can be asked: ‘what’, ‘why’ and ‘how’.

3 All research questions can be reduced to these three types.

4 Social research will also address one or more of the following objectives: exploration, description, understanding, explanation, prediction, Intervention (change), evaluation and impact assessment.

5 ‘Why’ questions are concerned with understanding or explanation. ‘How’ questions are concerned with intervention. All other objectives involve the use of ‘what’ questions.

6 Hypotheses are possible answers to ‘why’ and some ‘how’ questions. They are normally expressed as Statements of relationships between two coneepts. Hypotheses direct the researcher to collect particular data.

7 ‘What’ questions do not require hypotheses. Nothing is gained from hazard-ing an answer to a question that simply requires research to produce a description.

8 Research questions are answered by the use of four research strategies: the inductive, deductive, retroductive and abductive.

9 The major characteristics of the research strategies are as follows: the in-ductive strategy produces generalizations from data; the deductive strategy tests theories by testing hypotheses derived from them; the retroductive strategy proposes causal mechanisms or structures and tries to establish their existence; and the abductive strategy generates social scientific accounts from everyday accounts.

10 When a research project includes a variety of research questions, more than one research strategy may be required to answer them.

11 Because research strategies entail different ontological and epistemological assumptions, they may only be combined in sequence.

12 Hypotheses are used mainly in the deductive research strategy as part of the process of testing theory. While the testing of hypotheses commonly involves the use of quantitative methods, it need not do so. The deductive strategy can also use qualitative methods, in which case hypothesis testing is more in terms of a discursive argument from evidence.

13 The abductive research strategy may use hypotheses in the course of gener-ating theory, but in a different way to the deductive strategy. These hypotheses are possible answers to questions that emerge as the research proceeds. They are used to direct subsequent stages of the research.

14 The hypothetical models of possible causal structures or mechanisms that are developed in the retroductive research strategy are not hypotheses. The researcher’s task is to establish whether a postulated structure or mechanism exists and operates in the manner suggested.

15 Social science data normally Start out in the qualitative form, in words rather than numbers. They may continue in this form throughout a research project or be transformed into numbers, at the outset, or during the course of the analysis. Ultimately, research reports have to be presented in words. When numbers are used, they need to be interpreted in words.

16 The use of tests of significance is only appropriate when data have been generated from a probability sample. These tests establish whether the characteristics or relationships in the sample could be expected in the population. Tests of significance are inappropriate when non-probability samples are used, and are irrelevant when data come from a population.

17 As methods of data collection and analysis can be used in the Service of different ontological assumptions, there is no necessary connection between research strategies and methods.

18 Methods of data collection can be combined, in parallel or in sequence. However, it is only legitimate to combine methods in parallel when they are used with the same or similar ontological assumptions. That is, data generated in the Service of different ontological assumptions cannot be combined, only compared. It is legitimate to combine methods in sequence, regardless of their ontological assumptions. In this case, it is necessary to be aware of the implications of switching between assumptions.

19 Case studies are neither research designs nor methods of data collection. They constitute a method of data selection and, as such, require particular procedures for generalizing from the results produced.

20 The results of all social research are limited in time and space. Hence, making generalizations beyond a particular time and place is a matter of judgement. While quantitative data from a probability sample can be statistically gen-eralized to the population from which the sample was drawn, this type of research is in the same position as any other when it comes to moving beyond that population.

Norman Blaikie: Desining Social Reserach, 2000

Der Forschungsprozess in der Praxis

Der fünfte Tag meiner Veranstaltung “Empirische Politikforschung in der Praxis” an der Universität St. Gallen beschäftigt sich mit dem Forschungsprozess. Behandelt werden Ausarbeitung einer Fragestellung, die Recherche in der bestehenden Literatur und Formulierung eines adäquaten Projektes, das nach der Logik der Forschung durchgeführt wird.

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Wissenschaftsstheoretisch ist man bei der Konzipierung von sozialwissenschaftlichen Forschungsprozessen weit. In der Praxis sind die Probleme jedoch meist grösser als in der Theorie angenommen. Das gilt insbesondere für den Prozess der angewandten Forschung, der sich von jenem der Grundlagenforschung in mindestens dreierlei Hinsicht unterscheidet:

1. Faktor “Zeit”: In der Grundlagenforschung hat man meist Zeit, viel Zeit. In der angewandten Forscshung ist das selten so. Die rasche Verfügbarkeit von Ergebnissen ist ein wesentlicher Grund, weshalb man entsprechende Forschung in Auftrag gibt. Wenn es keine spezifischen Theorien und Vorbildstudien gibt, zählt genau deshalb die Erfahrung der Forschungsleitung oder des Forschungsteams. Sie muss helfen, sinnvoll bearbeitbare Fragestellungen zu entwickeln, den Aufwand für zu erstellende oder zu bearbeitende Datensätze abzuschätzen und ein Konzept für die Berichterstattung auszuarbeiten.

2. Faktor “Geld”: Die zweite Einschränkung ergibt aus den Kosten. Die Budgets in der angewandten Forschung sind häufig deutlich kleiner, als in der Grundlagenforschung Das verlangt, sich klarer festzulegen: Ziele vorzugehen, nicht erst zu entwickeln, Arbeitsschritte detailliert zu planen, nicht ad hoc entstehen zu lassen, Verantwortlichkeiten persönlich festzulegen und nicht der individuellen Neigung zu überlassen. Die Optimierung des Forschungsprozesses ist eine permanente Aufgabe gerade von Forschungsinstituten. Inhatliche Ziele, zeitliche Restriktionen und finanzielle Mittel müssen stets im Verbund miteinander bedacht werden. Das Wissen, das für das Projektmanagement erarbeitet wurde, muss hier zwingend integriert werden.

3. Faktor “Kommunikation”: Projekte der Grundlagenforschung sind darauf aus, Artikel in angesehenen Fachzeitschriften publizieren zu können, Schlussberichte an die Adresse Forschungsförderungsagentur zu schreiben und wenn möglich, mit akademischen Arbeiten höhere akademische Grade zu erwerben. Die Kommunikation gegenüber einer spezifischen Kundschaft und auch gegenüber der Oeffentlichkeit als unspezifischer Kundschaft steht im Hintergrund. Das verändert sich in der angewandten Forschung massiv. Die Kommunikation von Ergebnisse ist nicht einfach eine dem Forschungsprozess nachgelagerte, freiwillige Phase; sie ist ein konstitutives Element des Forschungsprozesses selber. Sie muss stets mitbedacht werden; sie muss in ihren spezifischen Formen eingeübt werden, und sie befruchtet so auch die Generierung von verwertbarem Wissen.

Es kommt immer wieder vor, dass ich bei neueintretenden ProjektleiterInnen in unserem Institut, die universitäre Forschung kannten, zuerst ein grosses Staunen erlebt. Liegt ein neuer Datensatz vor, möchten sie sich am liebsten in kleine Kämmerlein zurückziehen, und wenn möglich ein Jahr für sich arbeiten können. Das geht eigentlich nie! Es ist deshalb die Aufgabe von forgeschrittenen ForschungsleiterInnen klar festzulegen, was wann und gegenüber wem kommuniziert wird. Zwischenergebnisse dienen nicht dazu, neue Fragen aufzuwerfen, sondern bestehende zu beantworten. Ich habe nur wenige Projekte erlebt, bei denen man nicht gleich von Beginn weg das erwartbare Ergebnis des Studie nicht Schritt für Schritt mitbedacht hätte.

Am kommenden Freitag geht es mir zuerst darum, die Logik der Forschung, wie sie von der Wissenschaftstheorie erarbeitet worden ist, in die Praxis umzusetzen. Ich werde mich bemühen, die Diskussionen stets im Spannungsfeld von Grundlagen- und angewandter Forschung zu halten.

Claude Longchamp

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Gruppenarbeiten “Empirische Politikforschung in der Praxis”

(zoon politicon) Die kleine Abschlussarbeit gilt als Prüfung im Rahmen der Lehrveranstaltung “Empirische Politikforschung in der Praxis”. Ich erwarte folgendes:

. Sie behandeln ein Thema der Politikforschung.
. Die Behandlung des Themas erfolgt nach den Grundsätzen der empirischen Wissenschaften.
. Sie zeigen im Idealfall auf, was das Ergebnis der Forschung für die Praxis bedeutet.

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In der Themenwahl sind Sie frei. Es braucht keinen direkten Bezug zur Schweiz. Das Thema muss aber zum Stoff der Lehrveranstaltung passen.

Ich rate an, nur Themen zu wählen, bei denen sie vorweg keine aufwendigen Datensammlungen selber erstellen müssen.

Ich erwarte ein ausgearbeitetes Arbeitspapier von 6-8 A4-Seiten. Sie können das Kleinprojekt alleine oder zu zweit machen. Grössere Gruppen machen keinen Sinn.

Der Abgabetermin für das Arbeitspapier ist verbindlich der 9. Mai 2008 auf info@gfsbern.ch.

Ich werde 4 Arbeiten auswählen, die am 16. Mai 2008 während der Veranstaltung präsentiert und gemeinsam diskutiert werden. Die Präsentationationen sollen 20 Minuten dauern. Sie sollen das gleiche Thema wie das Arbeitspapier behandeln.

Die Prüfung kann man auch bestehen ohne zu präsentieren.

Die Themen werden verbindlich am 25. April 2008 festgelegt. Dazu erstellen Sie ein Papier von maximal einer halben Seite mit

. Thema
. Fragestellungen
. Hypothese(n)
. mögliche Daten
. mögliche Verfahren der Datenanalyse.

Aus meiner Sicht sinnvolle Kleinprojekte sind:

1. Analyse der kantonalen Wahlergebnisse seit den letzten Parlamentswahlen zur Frage: Auswirkungen der Bundesratswahlen 2007

2. Steigende Wahlbeteiligung bei Nationalratswahlen: Politökonomische, sozialpsychologische und kommunikative Erklärungsmöglichkeiten

3. Prognosen und ihre Begründungen der Abstimmungsausgänge zu den eidgenössischen Volksabstimmung vom 1. Juni 2008 aufgrund des Dispositionsansatzes

4. Destabilisierung der Schweiz? Polit-kulturelle Indikatoren und Daten für die Verbundenheit, die Apathie und die Entfremdung von der grösseren Parteien mit dem politischen System.

5. Neue Deutungskulturen in der Blogosphäre. Das Fallbeispiel SVP vs. Eveline Widmer-Schlumpf.

6. Folgen des Wertewandels: Politische Partizipation von Männern und Frauen im Vergleich.

Gute Arbeit!

Claude Longchamp

Kurzer Rückblick auf heute (IV)

(zoon politicon) Wie angekündigt, heute ging’s in meiner St. Galler Vorlesung um politische Kultur. Mir war von Beginn weg klar, dass der Begriff nicht einfach zu erläutern sein würde. Deshalb nochmals ein Versuch im Rückblick.

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Advico Young & Rubicam: lass es nicht soweit kommen! oder Der Auf an jeden, die Schweiz stets zu erneuern.

Wissenschaftliche Begriffsbestimmungen
Anders als im politischen Alltagsgebrauch, ist die sozialwissenschaftliche Begriffsverwendung meist zurückhaltender und politisch neutraler. In der Regel versteht man darunter einen Verbund von Werten und Normen gegenüber politischen Objekten. Es geht um grundlegende Einstellungen zum Staat, zu seinen Leistungen und seinen Beeinflussungsmöglichkeiten, nicht um Meinungen in Sachfragen. Und es geht ums Bild, das wir uns von uns als Kollektiv und als Individuen in der Politik machen.

Das ist, vereinfacht gesagt, das klassische Verständnis von politischer Kultur. Es ist auf Massenkulturen ausgericht. Es will politische Kultur an den Denkweisen der Einzelnen dingfest machen. Mengen von Daten sind so über Befragung ermittelt und auf verschiedene Arten und Weisen verdichtet, kombiniert und typisiert worden, ohne dass man sicher ist, ob man damit politische Kulturen versteht. Vor allem mangelt es auf dieser Basis bis heute an eigentlichen Erklärungsmodellen für den Wandel politische Kultur. Meist begnügt man sich damit, die wirtschaftliche Entwicklung als Ursache anzunehmen.

Das andere Verständnis von politischer Kultur ist nicht behavioristisch. Vielmehr rekonstruiert es politische Kultur aus der Geschichte, den zurückliegenden Konflikten, den vorbildhaften Lösungen, die hierzu gefunden worden sind und Staaten begründet haben. Das Handeln aller Akteure, die daran beteiligt waren, interessiert da viel mehr als das der einzelnen Individuen. Denn die Verändungen im Handeln der Akteure sind es, die den politkulturellen Wandel sichtbar machen.

Mein Ziel der heutigen Vorlesung
Die heutige Vorlesung wollte zeigen, dass es in der Erforschung politischer Kulturen kein allgemein anerkanntes Paradigma gibt. Es gibt maximal verschiedenartige Konzepte der Forschung, die leider meist wenig verbunden nebeneinander stehen.

Ihnen gemeinsam ist aber, dass man politische Kulturen wohl besser im Plural gebrauchen sollte, als Kennzeichnung von Eigenschaften, die einem erst im Vergleich beispielsweise von Staten bewusst werden. Politische Kulturen sind so definiert Charakteristiken von verschiedenartigen politischen Verbänden. Sie finden sich in Verfassungen von Staaten mit den Muster garantierten Werten. Sie lassen sich an Institutionen ableiten, wie sie ausgestaltet und zueinander in Verbindung stehen. Politische Kultur ergibt sich zunächst aus dem Typ der Herrschaft. Die Demokratie und Diktatur sind bis heute die wichtigsten Herrschaftsformen, die aus ganz anderen, gegensätzlichen Kulturen hervorgegangen sind resp. die begründen. Geschichte und Gegenwart sind dabei von Belang.

Politische Kulturen sind nicht statisch. Ihre allgemeine Dynamik wird durch wichtige Entscheidungen bestimmt. Die Akteure, die sich dabei äussern, verändern die politische Kultur eines politischen Verbandes wie jene eines Staates dann, wenn sie sich ganz bewusst von verherrschenden Einstellungen innerhalb des Verbandes abgrenzen und versucht sind, neue Einstellungen durchsetzen. Das gelingt ihnen heute am besten mittels dramatisch eskalierenden politischen Kämpfen, die massenmedial vermittelt werden. Es gelingt ihnen besonders dann, nachhaltig Einfluss zu nehmen, wenn sie eine neue Generationen mit neuen Einstellungen prägen können. Kommen diese Generationen innerhalb des Verband an die Macht, handeln sie bewusst oder und bewusst im Sinne ihrer eigenen Deutungskulturen.

Mein Deutung der politischen Kultur der Schweiz im Wandel
Die dominanten Deutungskulturen in der Schweiz sind aktuell in Bewegung; das ist offensichtlich. Insofern bewegt sich heute etwas: Sozialliberale Interpretatuonen der Schweiz, die im urban-intellektuellen Milieu im Schwang sind, werden durch neoliberale Interpretationen der Wirtschaftseliten einerseits, nationalkonservativen Deutung der Volkskultur anderseits konkurrenziert.

Ob dabei auch schon die Grundfesten der politischen Kultur der Schweiz in Bewegung geraten sind, kann man indessen bezweifeln. In der politischen Kultur der Schweiz tief geronnene Strukturen wie der Föderalismus, wie auch die direkte Demokratie verändern sich kaum. Sie begründen unverändert die Konkordanzkultur des politischen Systems der Schweiz, mit der sich die Vertreter aller konkurrierenden Deutungskulturen auseinandersetzen müssen. Sie können ihr Defekte zufügen, und sie können auch versucht sein, wie wieder zu perfektionieren.

Claude Longchamp

Struktur – Kultur

Beide Begriffe habe ich in dieser Opposition während meines Soziologiestudiums an der Universität Zürich bei Peter Heintz kennen gelernt. Mein Professor von damals formulierte die Inhalte wie immer gekonnt. Geblieben sind sie mir aber, weil sie zwei unterschiedliche Zugangsweisen zu Erscheinungen bilden: Die Kultur ist für mich das Fleisch; die Strukturen sind die Knochen. Das Eine beschreibt das Konkrete, das andere das Abstrakte.

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Der Soziologe Peter Heintz, der die Polarität von Sturktur/Kultur zur Grundlage seiner Theorie sozietaler Systeme machten

In meiner Ausbildung als Politologe war vor allem von Strukturen die Rede. Sie waren – und sind – für die Analyse unverzichtbar. Ohne die Strukturen eines Staates zu kennen, kann man keine Zusammenhänge zwischen Regierung und Parlament, Behörden und Gesellschaft untersuchen. Von Kulturen war dagegen während meiner Politikstudien wenig die Rede. Dieser Art von Fragestellungen bin ich erst danach begegnet, sei es als Empiriker oder auch als Reisender.

Demokratie zum Beispiel kann man abstrakt definieren; sie hat dann mit Freiheit, mit Grundwerten, aber auch mit Marktwirtschaft und Partizipation zu tun. Konkret wird es aber erst, wenn man es sich historisch von der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung über die französische Revolution bis hin zum Marshall-Plan und der Bürgerbewegungen nach dem Fall der Berliner Mauer vorstellt. Und es wird einem auch nur dann deutlich, wenn man die verschiedenen Demokratieverständnisse in den USA, in Europa, in Asien oder wo auch immer auf der Welt miteinander vergleicht.

Morgen ist es soweit. Ich unterrichte erstmals über politische Kulturen an der HSG. Ich weiss, dass ist nicht unproblematisch. Der vorherrschende Rational-Choice-Ansatz prägt gerade an dieser Universität das Wissenschaftsverständnis. Beobachtung von Verhalten ist anerkannt, um die Gesetzaussagen zu kommen, die wissenschaftlichen Ansprüchen genügen. Doch damit kann die politische Kulturforschung meist nicht dienen. Denn sie hinterfragt mit unter genau die Voraussetzungen, die zu diesem Wissenschaftsverständnis führen. Dazu fährten zu legen, ist mitunter die Absicht meiner morgigen Ausführungen. Selbst wenn ich weiss, das man sich damit aufs Glatteis bewegt!

Claude Longchamp

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Der Vermittlungsvorschlag

(zoon politicon) Silvano Moeckli ist kein Unbekannter. Er hat ein solides Standardwerk über das politische System der Schweiz verfasst. Er ist Titularprofessor für Politologie an der Universität St. Gallen. In seinem Wohnkanton war er schon mal Grossratspräsident. Und er arbeitete mehrfach als Wahlbeobachter in verschiedensten Ländern.

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Silvano Moeckli, Politologie-Professor in St. Gallen, formuliert als Erster eine Vermittlungsvorschlag zwischen der SVP und Eveline Widmer-Schlumpf

Nun hat er sich als Beobachter der Bundesratswahlen vom vergangenen 12. Dezember 2007 und ihren Folgen im “St. Galler Tagblatt” gemeldet. Als erster analysiert er, was geschehen ist, wie es zur Eskalation kommen konnte, und was getan werden könnte, um weitere Brüche zum schaden aller vermeiden. Sein Vorschlag lautet:

“Ein Stoppen der Empörungsspirale ist nur möglich, wenn von beiden Seiten der Wille zu einer Konfliktlösung vorhanden ist. Ein solcher Kompromiss könnte wie folgt aussehen:

1. Die SVP nimmt Widmer-Schlumpf nach einer Abkühlungsperiode in die Fraktion auf. Sie respektiert damit, dass die Bundesrätin demokratisch gewählt worden ist.

2. Widmer-Schlumpf anerkennt, dass bei den nächsten Bundesratswahlen das Nominationsrecht für SVP-Bundesräte der Partei zusteht. Sie verpflichtet sich, vor der erneuten Kandidatur ein internes Nominationsverfahren zu durchlaufen. Sie sagt zu, nicht mehr zu kandidieren, falls ein nationales Parteigremium mit Zweidrittelmehrheit ihre Kandidatur nicht mehr wünschen würde.

3. Widmer-Schlumpf könnte ihre Energien auf inhaltliche Politik konzentrieren und hätte mehr als drei Jahre Zeit, in Partei und Fraktion zu beweisen, dass sie eine SVP-Bundesrätin ist.”

Möckli’s Prognose zu den Reaktion der beteiligten Akteur ist nicht unrealistisch: “Momentan”, schreibt er, “werden die beteiligten Akteure auf einen solchen Vorschlag nicht eintreten wollen. Aber sie sollten sich mal zurücklehnen und fragen, welches die Folgen sind, wenn der Konflikt über die ganze Legislaturperiode andauert – nicht nur für das Land, sondern auch für sie selbst.”

Ich schiebe mal nach: Nicht unzutreffend, was da geschrieben wurde. Diskussionswürdig ist der erste konkrete Vermittlungsvorschlag des geübten Wahlbeobachters Möckli auf jeden Fall!

Claude Longchamp