Die neue Unübersichtlichkeit beim Bankgeheimnis

Wo steht die Schweiz im internationalen Prozess zur Vermeidung von Steuerhinterziehung? Was hat sich verändert, und wie wird das alles aufgenommen? Die Unübersichtlichkeit ist seit Freitag gewachsen. Ein Versuch, in kürzester Form den Ueberblick zurückzugewinne.

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Der ominöse Entwurf einer Schwarzen Liste der OECD, wie er soeben vom newsnetz.ch verbreitet worden ist.

Die Schweiz hat sich am letzten Freitag entschieden, die Differenzierung zwischen Steuerbetrug und Steuerhinterziehung gegenüber dem Ausland aufzugeben. Sie ist bereit, die Standards der OECD zu akzeptieren und neue Doppelbesteuerungsabkommen auszuhandeln. Sie reiht sich damit ins wachsende Glied jener Staaten ein, die hierzu bis jetzt abweichende Standpunkte vertreten haben, dieser Tage jedoch Verhandlungsbereitschaft signalisiert haben.


G-20

Verwirrung stiftete die Versammlung der Finanzminister übers Wochenende. Denn nach Angela Merkel ist ist eine Schwarze Liste für Steueroasen angekündigt und provisorisch verfasst worden; gemäss ihrem Finanzminister Peer Steinbrück soll es ein solches Dokument indessen gar nicht gegeben haben.

In der Schweiz ist das nicht unerheblich, denn die Enscheidung des Bundesrates basiert auf der Möglichkeit einer Ausgrenzung, über die die Bundesregierung seit dem 5. März 2009 dokumentiert war. Dieses ist seit heute mittag online einsehbar.

Klar geworden ist, wie schlecht die Schweiz in die Meinungsbildung innerhalb der OECD inteegriert worden ist, obwohl seit langem Mitglied und selbst im Vizepräsidium des Ministerrates vertreten. Der Handlungsbedarf ist hier am grössten, um das Funktionieren geregelter Wirtschaftsbeziehungen zu gewährleisten.


EU/USA

Mit seiner Entscheidung vom Freitag hat sich der Bundesrat aus der Defensive befreit, in die er nach dem Entscheid der Finma, UBS-Kundeninformationen an die USA auszuliefern, geraten ist. Dem Druck, der namentlich aus dem Kreis starker EU-Staaten erwartet worden ist, konnte einen Monat widerstehen.

Mit Blick auf die Problematik in Oesterreich und Luxemburg wird man den Schluss ziehen können, dass die Nicht-Mitgliedschaft in der EU hier unerheblich war. Demgegenüber bleibt die Beantwortung der Frage offen, ob eine EU-Mitgliedschaft in der Positionierung gegenüber der USA von Vorteil gewesen wäre. Ziel des Bundesrates muss es auch hier sein, seine internationale Vernetzung gerade in dieser Frage zu verbessern, sprich, die Mitgliedschaft in der G-20 so schnell wie möglich zu verhandeln.

Schweiz
Innenpolitisch scheint die Entscheidung des Bundesrates mehrheitlich unterstützt zu werden, wenn auch mit Bedenken. Grüne und SP steht hinter dem Schritt; sie fordern eine Ausweitung auch für Steuerhinterziehung durch Schweizer Kunden.

CVP und FDP decken das Vorgehen der Bundesregierung, wollen aber als Parteien weder nach aussen noch nach innen weiter Konzessionen machen. Die CVP wirkt dabei etwas kohärenter, die FDP etwas verwirrter.

Die SVP wiederum befindet sich seit Tagen im Wirtschaftskrieg. Sie widerspricht dem Bundesrat diamentral, denn wer einmal nachgegeben habe, müsse auch weitere Male zurückweichen. Vielmehr befürwortet man an der Spitze der grössten Schweizer Partei, beim Flugzeugkauf für die Schweizer Armee die Unstimmigkeiten mit Deutschland und Frankreich mitzuberücksichtigen und das Gold der Nationalbank aus den USA zurückzuziehen. Zudem kündigt man vorsorglich eine Referendumsbereitschaft gegen neue Doppelbesteuerungsabkommen an.

Wirtschaft
Für die etwas unübersichtlich gewordene Situation der Schweiz in Sachen Bankgeheimnispolitik spricht, dass die Schweizer Nationalbank einerseits, die Schweizerische Bankiervereinigung anderseits mit unterschiedlichen Zahlen zu den ausländischen Vermögen in der Schweiz operieren. Während die SNB von 1 Billion Franken ausgeht, rechnet die SBVg mit 1,85 bis 2,15 Billionen Franken Vermögen von Privatpersonen in der Schweiz. Die Differenz rührt daher, dass die BVG auch Stiftungsgelder miteinbezieht, weil diese in der Regel aus Privatvermögen stammen. In beiden Fällen ist aber unbekannt, wieviel davon aufgrund der Steuerhinterziehungsmöglichkeit in der Schweiz ist.

In dieses Bild passt, dass kaum jemand eine allgemein verbindliche Schätzung der Auswirkungen der gemachten Entscheidung machen kann. Die diesbezüglichen Schätzungen zum BIP und zu Arbeitsplätzen gehen erheblich auseinander. Ein Teil erklärt sich wohl auch damit, dass der Prozess unabhängig von den politischen Entscheidungen jetzt schon läuft.

Und die Stimmung im Lande?
Wenn ich mich ein wenig umhöre, wie die nicht offiziellen Kommentare lauten, stelle ich folgendes fest:

Erstens, die Mehrheit findet die Entscheidung des Bundesrates, eine Diskriminierung der Schweiz auf einer Schwarzen Liste zu verhindern, absolut richtig.
Zweitens, bezüglich der Kohärenz des Vorgehens bestehen vielerorts Bedenken. Es besteht noch erheblicher Erklärungsbedarf.
Drittens, je nach Interessenlage beim Bankgeheimnis fallen die Bewertung etwas different aus. Letztlich ist die öffentlichen Aufregung in der Schweiz aber beschränkt.
Viertens, die Emöprung über den deutschen Finanzminister wächst von Stunde zu Stunde. Seine Sprache ist der Diplomatie zwischen Staaten unwürdig.
Fünftens, ein Teil selbst politisch interessierter Beobachter hat für sich entschieden, angesichts der Komplexität und Schnelligkeit des Vorgehens eine indivudelle Auszeit zu nehmen und hat sich abgekoppelt.

Claude Longchamp