Kurzanalyse der FDP-Niederlage – für die Junge FDP

Die Junge FDP Baselstadt hat mich gebeten, eine Kurzanalyse der Wahlniederlage 2011. Hier die knappeste Form, die auch im Speaker’s Corner, der Zeitschrift Jungfreisinnigen erscheint. Meine generelle These ist: das 20-Prozent-Partei, liberaler Pol und vermehrte Profilierung nicht miteinander aufgehen.

Sie haben das Wahlergebnis der FDP.Die Liberalen mit einer Differenz von 0.1 Prozent sehr genau prognostiziert (effektives Ergebnis 15.1%, Ihre letzte Prognose 15.2%). Wieso wurde der «Krebsgang» der FDP.Die Liberalen in den vergangenen Wahlen nicht gestoppt?Die Fusion mit den Liberalen und der Ersatz beider Bundesräte haben der Partei neuen Schwung gegeben. Der Reaktorunfall in Fukushima brachte die Fahrt der FDP aber jäh ins Stocken. Die Reaktionen der Parteien waren mehrfach unklar. Davon hat sich die Partei nicht erholt. Während der Frankenkrise handelte zudem der Wirtschaftsminister wenig erfolgreich. Das alles hat der FDP als Partei nicht geholfen und verhindert, dass die FDP den angestrebten Tournaround schaffte. Immerhin, sie reduzierte die Verluste auf kantonaler Ebene während den letzten vier Jahren um rund die Hälfte.

Was braucht es, um die FDP.Die Liberalen wieder auf Wahlerfolge zu trimmen?
Aus meiner Sicht braucht es eine saubere Wahlanalyse. Die FDP träumt, der liberale Pol im Parteiensystem zu sein, damit an Profil zu gewinnen und 20 Prozent WählerInnen zu haben. Ob das alles miteinander zu haben ist, wurde bisher nicht untersucht, und es gibt kaum einen Benchmark unter den europäischen liberalen Parteien, dem man einfach so nacheifern könnte. Jetzt ist Grundlagenarbeit gefragt.

Wieso hat die FDP.Die Liberalen als einzige Partei ehemalige Wähler an die Nichtwähler verloren (laut Ihrer Umfrage)?
Die FDP hat in jüngster Zeit zu viele Neupositionierung aus der Situation heraus vorgenommen, ohne dass dabei eine erfolgreiche Parteistrategie sichtbar geworden war. Themen wie das Bankgeheimnis und die Kernenergie stehen typischerweise dafür. Oder: 2010 machte man bei der Allianz der Mitte mit, 2011 distanzierte man sich regelmässig davon. Das verunsichert jedes Mal einen Teil der bisherigen Wählerschaft. Einigermassen gebettet war meines Erachtens nur die Kurskorrektur in der Migrationsfrage, verbunden mit dem Nein zur EU, aber dem klaren Ja zu Personenfreizügigkeit.

Die Wahlumfragen zeigten denn auch, dass die Abwanderung von FDP-Wählenden zur SVP gestoppt werden konnte. Dafür ist der Übergang zur glp weiter offen denn je. In welche Richtung soll die kommende Parteipräsidentin bzw. der kommende Parteipräsident die FDP.Die Liberalen führen?
Zuerst eine Warnung: Die FDP hat in den letzten Jahren mehrfach die Köpfe an der Spitze ausgewechselt und gehofft, nun komme alles gut. Das war ein regelmässiger Trugschluss. Denn es braucht auch eine politische Analyse, ein Programm, das dazu passt, eine Generationenerneuerung, die damit verbunden wird, und einen Gesamtauftritt, der das klarer macht. Der momentane Stand der Dinge zeigt, dass man nur den ersten und letzten Punkt diskutieren will: die Parteispitze und die Kommunikation.

Wie soll die FDP.Die Liberalen auf die mögliche Bildung einer lockeren Fraktionsgemeinschaft von CVP, BDP und glp reagieren?
Kurzfristig können solche Veränderungen die Bundesratswahlen beeinflussen, mit dem ungemütlichen Aspekte, dass SVP und FDP zusammen Anspruch auf drei Sitze anmelden können. Aus meiner Sicht gibt es für die FDP aber zwei generellere Fragen zu klären: die erste betrifft das elektorale Phänomen, dass die Polarisierung gestoppt ist und sich ein neues Zentrum ohne weite Teile der FDP formiert hat, und die zweite betrifft die organisatorische Stärke dieser neuen Mitte. Lockere Gemeinschaften sind auch aus FDP Sicht einfach zu kritisieren. Eine gemeinsame Fraktion zwischen CVP/EVP und BDP oder eine Union zwischen CVP und BDP würden die FDP indessen ernsthaft herausfordern.

Was verstehen Sie unter Konkordanz?
Dass die relevanten politischen Kräfte, Parteien und Verbände, weitgehend auf Machtkämpfe verzichten, um in der Sache gemeinsame Lösungen zu finden, das an Personen delegieren, die ihre Gruppen vertreten, aber auch bereit sind, mit Repräsentanten anderer zusammenzuarbeiten und flexible Mehrheiten akzeptieren, damit sich alle Beteiligten auf Dauer identifizieren können. Das nenne ich Regierungskonkordanz, von der wir nach meiner Einschätzung einiges entfernt sind, während wir mit der plurikulturellen Gesellschaft, dem Föderalismus und der direkten Demokratie unverändert starke Konkordanzzwänge haben, die struktureller Natur sind.

Interview mit Speeker’s Corner, der Zeitschrift der Jungfreisinnigen in Basel

Der Ständerat rückt nach links

Eben ist die letzte Ständeratswahl entschieden worden. Im Kanton Solothurn nimmt die CVP der FDP einen Sitz ab. Damit ist auch die kleine Kammer des eidgenössischen Parlaments komplett. Gegenüber 2007 rückt der Ständerat dank den Sitzgewinnen der SP etwa nach links, und in der kleinen Kammer wurden die kleinen Parteien etwas gestärkt. Eine Uebersicht.

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Am besten vertreten ist im neuen Ständerat die CVP, gefolgt von FDP und SP, die gleich auf sind. Sie stellen 13 resp. 11 KantonsvertreterInnen. Danach klafft eine grosse Lücke; die SVP kommt auf 5 Vertreter, die GPS und die GLP auf je 2 Mandate, während die BDP 1 Standesvertreter hat. Hinzu kommt Thomas Minder aus Schaffhausen; er will sich als Parteiloser der SVP anschliessen.

Gegenüber der Vorwahl im Jahre 2007 legt die SP mit 2 Sitzgewinnen am meisten zu; gestärkt werden auch GLP, BDP und Parteilose. Es verlieren die SVP und CVP je 2 Mandate und die 1 hat eines weniger. Halten kann sich die GPS.
Deutlicher nich wird die Entwicklung weg vom Zentrum hin zu rotgrün, wenn man auf die Trends über eine Wahl hinweg abstellt. Augenfällig ist der Niedergang der FDP, die im Ständerat von 1999 noch 18 Sitze hatte. 19 hatte die CVP 1987. Beide Parteien verlieren seither bei den Ständeratswahlen Mandate, können sich bestenfalls halten.
Im neuen Ständerat verfügen CVP und FDP noch über eine gemeinsame Stärkte, die für das absolute Mehr gerade noch reicht. Die CVP hat die Möglichkeit, das auch via SP zu suchen. Hatte diese Partei 1991 nur 3 VertreterInnen in der kleine Kammer, ist sie heute mit 11 auf dem historischen Höhepunkt. Aufgestiegen sind auch die GPS und GLP, die beide im Ständerat von 2003 noch nicht repräsentiert waren. Das gilt auch für die BDP, die offiziell seit neuestem ein Ständeratspartei ist. Der SVP, stärkste Partei im Nationalrat, gelang es dagegen nicht, im Ständerat zuzulegen. Zum zweiten Mal in Serie verringerte sich die Zahl ihrer Vertreter in der kleinen Kammer.
Spannen CVP, FDP und SVP zusammen, hat das bürgerlichen Lager eine konfortable Mehrheit im Ständerat. Das können aber auch CVP, SP und GPS erreichen, genauso wie CVP, SP, GLP und BDP. Trotz den Sitzverlusten bleibt die Scharnierfunktion bei der CVP; sie wurde eher noch gestärkt, denn sie kann sie in Bündnissen von 3 Parteien nach rechts und links herstellen, während die FDP das nach links nicht mehr wirklich kann.

Claude Longchamp

Blau und rot stehen für Politik und Kommunikation als Schwerpunkte meiner Forschung

Meinen Vortrag von heute morgen kündigte ich als dreifach exklusiv an: denn es war der erste, einzige und damit auch der letzte mit (roter) Krawatte statt (blauer) Fliege. Das kam so.

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Bewusst ungewohnt: Claude Longchamp mit Krawatte

MIKA hiess die Organisation, vor der ich heute sprach. Das sind die Kommunikationsfachleute der Schweizer Armee, die bestrebt sind, Erfahrungen aus der Privatwirtschaft in die Armee zu transferieren, wobei die so Ausgebildeten ihre Erfahrungen wieder in die Zivilgesellschaft tragen.

Mir ging es um die Armee in der Mediengesellschaft: “Krisen, Köpfe und Kommunikation”, lautete der Titel meines Referates. Dabei ging es mir um die Weiterentwicklungen des Sozialen, das gegenwärtig um das Mediale erweitert wird. Ich sprach über Images, Gesamteindrücke, die nahe bei der Emotion sind, und Reputation, welche als Verhaltenserwartung einer Person oder Organisation gerade in der Mediengesellschaft vermehrt vorausgeht.

Das Material schöpfte ich aus systematischen Beobachtungen über die Armee aus den Jahren 2006 bis 2009, dem ereignisreichen Fenster, das mit dem Jungfrau-Unfall begann, durch die Tragödie auf der Kander beschleunigt wurde, zwischendurch vom Schiessunfall in Zürich-Höngg überschattet war, und im Fall Nef, dann Schmid endete. Zur Sprache kamen Medienanalysen wie auch Bevölkerungsbefragungen. Meinen Schluss widmete ich den Erkenntnissen für die Kommunikationswissenschaft aus dem Projekt einerseits, den Lehren für die PraktikerInnen, die Medienkampagnen ausgesetzt sind anderseits.

Zentrale These war, dass die Aktualität in der Mediengesellschaft volatiler denn je sei, und diese Aktualität die Reputation stresse. Diese könne so zwar gestärkt werden, aber auch Schaden nehmen. Ob sich das auf das basale Image mit seinen ziemlich festgefahrenen Stereotypen und bildhaften Vorstellungen auswirke, hänge vom Alltagsimage ab. Sei dies schwach ausgeprägt, wirkten sich Reputationsveränderungen direkt auf das Image aus, im Guten wie im Schlechten. Wenn es stark ausgeprägt sei, funktioniere es wie ein Trampolin, dass Schläge ausgleiche, Gegenschwünge mobilisiere und das Kurzfristige gegenüber dem Langfristigen ausbalanciere.

Die Diskussion dazu, vor allem, was das im Konkreten bedeute, war ganz anregend. Noch anregender war indes die Auseinandersetzung mit meinem verfremdeten Bild. Um nach einem intensiven Wahljahr zu zeigen, dass gfs.bern nebst Politanalysen auch Kommunikationsanalyse leistet, habe ich die Institutssymbole für beide Schwerpunktebereiche vertauscht. Statt blau, unserer Farbe für Politik, wählte ich Rot, das Signal für Kommunikation. Und statt der erwarteten Fliege trug ich eine Krawatte, wie das meine Nachfolger in der übergeordenten Projektleitung tun.

Für diese Irritation erhielt ich schon nach den ersten erklärenden Worten tosendem Appplaus.

Claude Lonbgchamp

Dem Sturm aufs Stöckli ist die Luft ausgegangen

Die SP ist die Wahlsiegerin bei den diesjährigen Ständeratswahlen. Ganz anders als es die SVP anfangs Jahr prophezeit hatte. Eine ausgebaute Version meiner Instant-Analyse.

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Die 3B der SVP: Brunner, Blocher, Baader, Spitzenkandidaten bei den Ständeratswahlen 2011, sind in der Volkswahl alle gescheitert.

Es war nicht Christoph Blochers Tag. Zuerst scheiterte seine zweite Kandidatur für den Ständerat im Kanton Zürich grandios. Damit war er indes nicht allein. Nach Bern verlor seine SVP auch den Ständeratssitz im Aargau, und neben Zürich hatte die SVP auch in St. Gallen keinen Erfolg. Noch schlimmer: Vor laufender Kamera negierte der SVP-Stratege, es habe je einen Generalangriff auf den Ständerat, den Sturm auf Stöckli, gegeben. So verärgert war er.
Die Fakten jedenfalls zeigen, dass die kleine Kammer nicht die Dunkelkammer der Nation ist, wie es im Wahljahr von der SVP beklagt worden ist. Sicher, Namensabstimmungen werden, anders als im Nationalrat, im Ständerat nicht elektronisch dokumentiert. Doch heisst das nicht, dass man nichts über das Stimmverhalten der Standesvertretungen und die Präferenzen der kleinen Kammer wüsste. Ueberhaupt, seit der jüngst erfolgten Renovation des Ständeratssaals könnte man die zweite Parlamentsabteilung auch die chambre de lumière nennen.

Der neu erleuchtete Saal wird, bei der Eröffnung der neuen Legislatur, neu besetzt sein. Bis auf den zweiten Sitz in Solothurn ist zwischenzeitlich alles klar: Der neue Ständerat wird 12 oder 13 CVP-VertreterInnen haben, 11 bis 12 Abgeordnete mit FDP-Parteibuch, 11 von der SP, 5 aus den SVP-Reihen, je 2 der GPS und GLP und 1 der BDP. Hinzu kommt der parteilose Thomas Minder, der sich einer Fraktion anschliessen will, ohne schon zu wissen welcher.
Insgesamt ist der neue Ständerat nicht rechter, sondern linker bestückt sein. Verglichen mit 2007 hat die SP zwei Mandate mehr, die GLP, die BDP und die Parteilosen je eines. Die CVP verliert 2 oder 3, die SVP 2, die FDP allenfalls 1. Da während den letzten 4 Jahren je ein Sitz von der SVP zur BDP, von der CVP zur GLP und von der SP zur SVP verschob, sind die kurzfristigen Veränderungen quantitativ recht gering.
Stellt man dagegen auf den Ueberblick der letzten 20 Jahre ab, hat sich die SP von 3 auf 11 Sitz gesteigert, und ihren Rekordstand erreicht. Die SVP legte von 4 auf 5 zu, war vorübergehend einmal bei 8. Neu im Ständerat sind die GPS und die GLP. Zugenommen hat damit die Pluralisierung der vertretenen politischen Richtungen, etwas höher ist auch die Polarisierung. Bezahlt haben diesen Wandel weitgehend die FDP, die von 18 auf 11 oder 12 sinken wird, und die CVP deren Vertretung sich von 16 auf 12 oder 13 verringern könnte. Für beide Parteien ist dies ein historischer Tiefststand.

Hauptgrund für diese Entwicklungen sind die Veränderungen in der Allianzbildung. Majorzwahl gewinnt man als Minderheitspartei jedweder Grösse nur mit überparteilichen Absprachen. Im zweiten Wahlgang mögen diese rein taktisch sein, im ersten sind sie strategisch. Genau das hat sich in den letzten zwei Dekaden verändert. Gewachsen ist die Zahl der KandidatInnen im ersten Wahlgang, was das parteiegoistische Stimmen vermehrt hat; das hat die Abwahlchancen selbst Bisheriger erhöht, und den direkten Einzug in den Ständerat erschwert. Dabei hat sich der vormals entscheidende bürgerliche Schulterschluss Stück für Stück verringert, was insgesamt allen Parteien rechts der Mitte geschadet hat. Gleichzeitig ist insbesondere im zweiten Wahlgang einiges mehr möglich geworden, vor allem die Abgrenzung gegenüber Polparteien.

Was lange links geschadet hat, wirkt sich heute gegen rechts aus. Konnte die SVP bis 2003 ihre Ständeratsvertretung schrittweise verstärken, wird diese seither ebenso von Mal zu Mal geringer. Warum? Hier meine Hypothesen:
Erstens, die SVP hat sich zusehends parteipolitisch isoliert. Sie hat das Profil der Partei bei der Benennung von Missständen über alles gestellt. Das hilft in polarisierten Wahlen neue Wählende zu mobilisieren, was im Proporzwahlrecht ein Erfolgsgarant ist. Bei Majorzwahlen kann dies jedoch genau den gegenteiligen Effekt haben. Den nötigen Sprung zur staatstragenden Partei hat sie definitiv nicht geschafft.
Zweitens, die SVP setzte insbesondere bei diesen Ständeratswahlen auf ihre schwergewichtigen Nationalräte. Das ist angesichts der Funktion des Ständerates, die Kantonsvertretung im Bund zu sein, aber auch der Kultur des überparteilichen aufeinander Zugehens, kein Erfolgsrezept. Zu gut weiss man: zu profilierten Köpfen versagt man im Ständerat gerne die Unterstützung bei ihren Vorstössen.
Drittens, die SVP lancierte ihren Ständerats-Angriff 2011 zentralisiert mit der übergeordneten Botschaft, Licht in die Dunkelkammer zu bringen. Das alleine war ein Anspruch voller Despektierlichkeit, die in einem rechtspopulistischen Umfeld gehen mag, für eine Kantonsvertretung indessen keine gültige Basis abgibt.
Viertens, die SVP übertrieb es mit ihrer Wahlwerbung. Was 2007 wegen den Inhalten schon Thema war, wurden 2011 schlicht als Versuch gewertet, politischen Erfolg erkaufen zu wollen. Das ruft bei der Konkurrenz Nein hervor, und es hinterlässt bei den Wählenden den Eindruck, dass mehr vor und weniger hinter der Aktion steckt.

So war das Rezept falsch, auch wenn die Diagnose der SVP nicht einfach von der Hand zu weisen ist. Der Ständerat hat sich nach strukturell nach links bewegt, für rote und grüne Parteien geöffnet. Das hat mit der Neudefinition der politischen Lager zu tun, vor allem zwischen Stadt und Land. Auf dem Land mag der Rechtskurs gehen. Die Doppelvertretung der SVP im Kanton Schwyz ist Ausdruck davon. In den Städten ticken die BürgerInnen jedoch anders: nicht mehr nur in der Romandie, auch in beiden Basel, Bern, Aargau und St. Gallen schicken lieber (parteipolitisch)gemischte Doppel nach Bern, die unter sich ausmachen sollen, was wohin das Pendel der ungeteilten Standesstimme in wichtigen Fragen ausschlagen soll, als dass ungeschaut das bürgerliche Lager, das es immer weniger gibt, stimmen würden.

Auch das ist ein Teil der neuen Abstimmung, Harmonisierung oder Zentrumsbildung, von der man seit diesen Wahlen wieder vermehrt spricht. Wahrlich, kein Tag für Alt-Bundesrat Blocher, der so vieles erreicht hat, wohl aber nie Zürcher Ständerat werden wird.

Claude Longchamp

Von der Allianzbildung im neuen Parlament

Die neue Legislatur rückt näher, die Fraktionen bilden sich und die letzten Stichwahlen in den Ständerat finden demnächst statt. Ein guter Moment, über Allianzbildung im neuen Parlament nachzudenken.

Noch kennt man die definitive Zusammensetzung des Ständerats nicht. Unterstellt man aber, dass an diesem Wochenende Verena Diener und Felix Gutzwiller im Kanton Zürich, Bruno Frick in Schwyz, Markus Stadler in Uri sowie Toni Brunner oder Paul Rechsteiner in St. Gallen gewählt werden und sich in einer Woche Pirmin Bischof in Solothurn durchsetzt, wird die SVP unverändert die grösste Fraktion stellen, neu die SP folgen, dann die vergemeinschaftteten CVP/EVP kommen und die FDP die viertgrösste Gruppe im Bundeshaus sein. Dahinter reihen sich GPS, GLP und BDP ein. Keine eigene Fraktion bilden können die Lega und das MCR; das gilt auch für den Schaffhauser Ständerat Thomas Minder.

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Die von links geforderte Mitte-Fraktion aus CVP und kommt offenbar nicht zustande. Das liessen CVP und BDP gestern von sich hören. Damit tauschen die SP und die CVP ihre Positionen in der Fraktionsgrösse definitiv. Die CVP, aufgestockt durch CSP und EVP, rangiert indessen unverändert vor der FDP-Fraktion.

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Was heisst das für die anstehenden Bundesratswahlen? – Relativ wenig, ist meine erste Antwort. Bezogen auf die Parteistärke ist die FDP vor der CVP, wenn man auf die Parlamentssitze abstellt, ist es umgekehrt. Ohne starke Zentrumsfraktion bleibt das numerische und politische Gewicht der neuen Mitte zurück. Die Arithmetik spricht für je 2 SVP- und SP-Regierungsitze, während es auf die verwendete Kennzahl ankommt, ob FDP, CVP auf zwei Sitze kommen. Rechnerisch nicht begründen lässt sich der BDP-Sitz, denn die GPS ist stärker. Eveline Widmer-Schlumpf wird man also nur aus der Konstellation heraus für den neuen Bundesrat empfehlen können: im Sinne des Status Quo, zur personellen Stabilisierung des Gremiums oder als Beitrag zur parteipolitischen Sicherhung der Ausstiegsmehrheit im Bundesrat.

Sachpolitisch sind im kommenden Parlament mehrere Zusammenschlüsse mehrheitsfähig. Reduziert man das auf zwei Parteien, erfüllen SVP und SP das Kriterium im Nationalrat, nicht aber im Ständerat. Politisch macht das aber am wenigsten Sinne, allenfalls als Blockiermehrheit in der grossen Kammer. Numerisch über keine Mehrheit verfügen SVP und FDP, die beide damit liebäugeln, im Bundesrat eine Mehrheit stellen zu können. Diese wäre aber in keiner der beiden Kammer abgestützt, sodass es einen weiteren Partner bräuchte.

Treten Links und Mitte geeint auf, verfügen sie sowohl im National- wie auch im Ständerat über eine Mehrheit. Einfach ist das indessen nicht, denn es braucht eine Koordination von GPS, SP, GLP, CVP/EVP und BDP. Das stärkt die Position der CVP. Denn kann auch nach rechts Mehrheiten beschaffen. Im Ständerat reicht es wohl ganz knapp mit FDP und BDP, im Nationalrat indessen nicht. Da braucht es entweder ein Zusammengehen mit der SVP, zumindest mit einer Minderheit deren Fraktion. Generell wird auch die FDP die Möglichkeit haben, eine Scharnierfunktion einzunehmen. Kooperiert sie mit den linken neuen Mitte-Parteien, reicht es ebenfalls für Mehrheiten in beiden Kammern, selbst wenn die CVP dagegen hält. Die Wahrscheinlichkeit einer solchen Allianz ist aber gering. Mehrheitsfähig ist schliesslich auch die bürgerliche Allianz, zusammengesetzt aus SVP, CVP/EVP und FDP. Da braucht es die BDP nicht.

Oder anders gesagt: Sichere Allianzen ergeben sich nur aus drei Fraktionen: Das ist der Fall, wenn sich SVP, FDP und CVP absprechen oder wenn dies zwischen SP, CVP und FDP der Fall ist. Denkbar sind aber Allianzen aus SP und CVP, erweitert durch die kleinen Fraktionen von GPS, GLP und BDP, und à la Limit funktioniert dies auch mit der FDP- statt der CVP-Fraktion.

Das ist nicht ganz anders als im alten Parlament, aber auch nicht mehr ganz gleich. Gestärkt wurde auf jeden die Mitte/Links-Variante in beiden Kammer, geschwächt die Allianzbildung der FDP nach links. Bei einer Fusion oder Fraktionsgemeinschaft von CVP und BDP würde alles klarer. Denn nur die neue Mitte hätte die Möglichkeit, sowohl nach rechts wie auch nach links Mehrheiten herzustellen. Die FDP wäre dieser Möglichkeit beraubt.

Claude Longchamp

Das bürgerliche Lager ist nicht mehr

Seit Wochen umtreibt mich ein Thema, das sich in der jüngsten Ständeratswahl im Kanton Bern so klar gezeigt hat: Das bürgerliche Lager gehört der Geschichte an.

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Orlando im heutigen Bund, als Illustration zur Berner Ständeratswahl, die ich in einem ausführlichen Interview analysierte.

Im Vorfeld der Berner Ständeratswahlen war viel vom bürgerlichen Schulterschluss die Rede. Nahmhafte Wirtschaftsverbände empfahlen ihn, und die SVP strebte ihn nach dem ersten Wahlgang an. Die ungeteilte Standesstimme diente als Begründung, dass sich an der Zusammensetzung – 1 SVP, 1 BDP – nichts ändern sollte.
Die faktische Szenerie war in dessen anders. Alles begann mit der Ankündigung der Ständeratskandidatur der FDP – gegen zwei Bürgerliche. Um sich Vorteile bei den Nationalratswahlen zu verschaffen, zogen auch verschiedene Kleinparteien mit eigenen Bewerbungen nach. Selbstredend nominierte auch die Linke, um, wie zu Zeiten Sommarugas, wieder im Ständerat vertreten zu.
Man weiss es, wie es kam: Im ersten Wahlgang setzten sich Amstutz, Luginbühl und Stöckli an die Spitze der BewerberInnen und markierten so ihre Favoritenrollen für die rechte Wählerschafte, jene der Mitte und für das linke Elektorat. Im zweiten Umgang zogen Luginbühl und Stöckli an Amstutz vorbei, womit sich die Berner Standesvertretung erstmals aus einem BDP- und ein SP-Mitglied zusammensetzt.

In der Erstanalyse habe ich die Behauptung aufgestellt, dass es das bürgerliche Lager in Bern, wohl auch anderswo nicht mehr geben würde. Sicher, im Grossen Rat zu Bern, wo SVP, BDP und FDP die Mehrheit haben und einer rotgrün beherrschten Regierung gegenüber stehen, stimmt man häufig gemeinsam. Nicht vergessen darf man indessen, dass die gleichen Parteien 2010 angetreten waren, eine Wende im Regierungsrat herbeizuführen – und grandios scheiterten, nicht zuletzt, weil die Zusammenarbeit nicht klappte, welche der SVP zwei Sitze und damit die Führungsrolle hätte bringen sollen.
Man kann das alles als Phänomen nach einer konkreten Parteispaltung aus der traditionellen SVP heraus abtun, mit der eine gemässigte Zentrumspartei à la bernoise, und eine rechtskonservative Partei mit Spuren des Zürcher Vorbilds entstanden sind. Es ist aber auch möglich, das als Symptom zu nehmen, dass sich mehr als nur vordergründiges verändert.

Was meine ich damit?

Die politische Soziologie lehrt, dass die europäischen Parteien aus der Verarbeitung grundlegender gesellschaftlichen Spaltungen, wie sie die Reformation, die französische, bürgerliche, industrielle und russische Reformation hervor gebracht haben, entstanden sind. Formiert wird dies seither durch den Rechts/Links-Gegensatz, wobei bürgerlich die Abgrenzung gegen links bezeichnete, egal aus welcher historischen Konstellation oder sozialen Schicht die Wähler kamen.

Nun hat die Entwicklung von Gesellschaft und Politik der letzten 30 Jahre gezeigt, dass einiges davon nicht mehr stimmt. Neue Konfliktlinien sind entstanden; Werthaltungen, die bisher unbekannt waren, sind mit nachrückenden Generationen von Bedeutung geworden. Der Fächer der Parteien hat sich so verändert. Weltanschaulich mach das Wort “bürgerlich” kaum mehr Sinn, eher spricht man von nationalkonservativen Strömungen, vom liberalen Pol, von christlicher Fundierung von Parteien, oder von Wertesynthesen, die als einzige die Ueberlebensfähigkeit sichern.

Die Wahlen 2011 haben das eindrücklich bestätigt. Selbst im Nationalrat gewinnen die Polparteien nicht mehr. Vielmehr zeichnen sich drei, allenfalls sogar vier Lager an: die hegemoniale SVP im rechten, die rotgrünen Parteien links, das neu aufgemischte Zentrum, allenfalls eine Position Mitte/Rechts. Begründet wird dies damit, dass die bisherigen Parteien ihren Standort nicht mehr in der übergeordneten Gemeinsamkeit suchen, sondern in der Eigenprofilierung, die, durch Abgrenzung am besten markiert werden. Die Polarisierung der letzten Jahre hat nicht nur die ideologische Distanz zwischen den Parteien an den Polen erhöht, sie hat auch das traditionelle Zentrum ausgezehrt, bis es, mit neuen Parteien und neuen Inhalten, in diesem Wahlherbst neu entstanden ist.

Schliesst man sich der Analyse politischer Soziologen, wie der meines St. Galler Kollegen Daniele Caramani an, dann ist das alles nicht einfach so geschehen, sondern Ausdruck der neuen Konfliktlinien, welche die Parteiensysteme prägen: Zu diesen zählt er einmal die Oekologisierung, welche die Grünen als Pioniere entstehen liess, aber auch gemässigte Parteien wie die Grünliberalen hervor gebracht hat und innerhalb verschiedener bestehender Parteien zu einer Neuausrichtung geführt hat. In der aktuellen Diskussion markiert der Ausstieg aus der Kernenergie diese Konfliklinie, welche die Parteienlandschaft neu aufteilt. Damit nicht genug, auch die Europäisierung der Politik ist für den St. Galler Professor eine neue Spannungslinie, die zur Neudefinition der Parteien geführt hat. Der Wandel der SVP als konsequentester Partei gegen die EU zählt dazu, aber auch die Neupositionierung der FDP, die für die wirtschaftliche Offenheit, zunehmend aber gegen das gesellschaftliche Pendant ist, lässt sich hier nennen.

Rekapituliert man das alles, um den Blick auf die aktuellen Parteienlandschaft zu richten, kann man, ganz anders als es die Wahlkampf-Rhetorik der letzten Wochen suggerierte, wohl begründet zum Schluss kommen, dass es das bürgerliche Lager nicht mehr gibt, dass die Schweizer Parteilandschaft aufbricht, und das wir unterwegs zu neuen Ordnungsmustern des Politischen sind, wie die Nationalratswahlen 2011 zeigten, wie aber auch aus dem Wandel der Berner Ständeratsvertretung abgeleitet werden kann. Denn da stimmte das Zentrum mit links, was der Definition von bürgerlich zu tiefst widerspricht.

Claude Longchamp

4 Szenarien für die anstehenden Bundesratswahlen

“Erstens kommt es anders, und zweitens als man denkt!”, lautet eine Volksweisheit. Das beherzigend, verzichte ich auf eine Prognose zu den anstehenden Bundesratswahlen. Dafür skizziere ich hier meine vier Szenarien, von denen jedes etwas an sich hat. Konkreter werde ich heute Abend in einem Vortrag vor der Neuen Helvetischen Gesellschaft in Bern.

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Erstens, der Status Quo: Der neue Bundesrat wäre demnach, parteipolitisch gesprochen, der alte. Die Vakanz auf dem SP-Sitz von Micheline Calmy-Rey wuürde durch eine Vertretung der SP aus der Romandie ersetzt. Vorteil dieses Szenarios ist die personelle Stabilisierung des Bundesrates, der in den letzten 4 Jahren fast vollständig ausgewechselt worden ist. In vier Jahren kann man besser beurteilen, ob sich auch die BDP weiter etabliert hat und zu einer vergleichbaren Kraft geworden ist wie die FDP oder die CVP, und ob der Taucher der SVP bei der jüngsten Wahl mehr als eine Episode war. Je nachdem kann man dann verbindliche Entscheidungen, etwa im Sinne von Szenario 2 oder 3 treffen. Klar ist, dass die SVP mit diesem Szenario nicht zufrieden sein kann und der Machtkampf zwischen ihr und den anderen Parteien andauern wird. Immerhin, die Partei bekäme so die Chancen, einen oder zwei ausgewiesene und breit akzeptierte Bundesratskandidaturen aufzubauen. Selbstredend hat vor allem die BDP ein Interesse an dieser Perspektive, auch wenn man die neue Regierung nur noch beschränkt nach dem Konkordanzmuster hergestellt kritisieren würde.

Zweitens, die Rückkehr zur Zauberformel: BDP-Bundesrätin Eveline Widmer-Schlumpf würde dem neuen Bundesrat nicht mehr angehören. Da sie ihre Kandidatur angemeldet hat, wird sie in dieser Perspektive abgewählt. An ihre Stelle tritt sofort ein Politiker der SVP. Der Vorteil dieser Variante ist evident: Die Grösse der Parteien würde zum entscheidenden Kriterium für die Zugehörigkeit im Bundesrat. Indes, die vier Parteien sind nicht mehr die gleichen wie 1959, als man die Formel begründete. Und damals wurde sie eingeführt, um die Vorherrschaft der FDP/SVP von Mitte/Links her zu brechen. Jetzt wäre es ziemlich anders, denn die SVP und FDP erhielten im Bundesrat ein Mehrheit. Das führt zur Schwäche der Variante: Beide Parteien verfügen weder im Parlament noch in der Bevölkerung über eine Mehrheit; sie könnten aber den beschlossenen Ausstieg aus der Atomenergie empfindlich bremsen. Zudem würden ausgerechnet die beiden grössten Wahlverlierer in der Regierung gestärkt. Unzufrieden wären die Linksparteien und die UmweltschützerInnen. Interessiert an dieser Variante sind die SVP und die FDP.

Drittens, die Etablierung der neuen Mitte zwischen den Polen: In diesem Szenario bleibt BDP-Bundesrätin Widmer-Schlumpf in der Bundesregierung. CVP, BDP und GLP treten in eine lockere Fraktionsgemeinschaft ein. Sie bleiben eigenständige Parteien, die je eine Fraktion bilden. Sie bilden aber ein übergeordnetes Gremium, das mit einem qualifizierten Mehr übergeordnete Standpunkte diskutieren und beschliessen kann, die für alle drei Fraktionen Gültigkeit bekommen. Gemeinsam melden sie den Anspruch auf zwei Sitze im Bundesrat an, welche das Zentrum abdecken – und zwar zu Lasten der FDP, die als Mitte/Rechts-Partei eine Sitz verlöre. Zur Hälfte ist dieses Szenario gleich wie das zweite; die SVP erhielte als grösste Partei der Schweiz zwei Sitze. Allerdings würde dies nicht gegen Bundesrätin Widmer-Schlumpf gerichtet sein, sondern gegen Johann Schneider-Ammann. Vorteilhaft wäre, dass die Zusammensetzung den Kräfteverhältnissen unter den Bundeskuppel angepasst würde. Nachteilig selbstredend, dass nach der SVP auch die FDP an der Konkordanz Zweifeln würde. Nutzniesser dieser Variante sind letztlich alle – ausser der FDP.

Viertens, jeder gegen jeden: Auch in diesem Szenario kommt es zur Wiederwahl der BDP-Bundesrätin Widmer-Schlumpf. Danach brechen aber alle Dämme. Die SVP attaktiert erfolgreich die FDP. Johann Schneider-Ammann würde aus dem Amt gedrängt, indes erneut kandidieren, und zwar im letzten Umgang als Nachfolger für SP-Bundesrätin Calmy-Rey. Hier würde er reüssieren. Die so ausgelösten Turbulenzen sind das Ende des Wiederbelebungsversuch der Konkordanz. Die Regierung wäre weniger aus Strategie entstanden, eher als Unfall. Sie würde einzeln zum Parlament passen, gesamthaft aber nicht. Mit einer erhöhten Diskussion über die Wahl des Bundesrates, sei es aus einer Volkswahl heraus oder aber mit einer Listenwahl im Parlament, wäre zu rechnen. Geführt würde die Debatte kaum mehr von der SVP, dafür von der SP und der GPS und vielleicht auch der GLP, welche die Zeche bezahlen würden. Mit Instabilitäten der Regierung wäre zu rechnen, mit Protesthaltungen aus der Romandie aus. Gewinnerin dieser Wahl wäre das bürgerliche Lager, das so vielleicht wieder zusammen finden würde – allerdings zu Lasten eine Variante, die man nicht mehr konkordant bezeichnen könnte.

Und zum Schluss noch dies: Vielleicht kommt es noch mehr anders, als man denkt. Dann zum Beispiel, wenn die Reihe der Wahlen nicht nach der Anciennität erfolgen würde, sondern im offenen Kampf. Das würde mit Sicherheit zu einer neuen Regierung führen. Sie hätte, genau wie das Verfahren, wohl den Mackel, unberechenbar zu sein.

Claude Longchamp

Wenn Wählende und Stimmen nicht das Gleiche sind

Man glaubt, schon alles zu wissen, zu den Wähleranteilen der Parteien nach den Nationalratswahlen. Das meiste davon ist Täuschung, behaupte ich. Denn gezählt werden Parteistimmen, nicht Wählende.

Von Aussen gesehen steht das vorläufig amtliche Endergebnis fest: Beispielsweise kam die SVP bei den Nationalratswahlen 2011 auf einen Wählenden-Anteil von 26.6 Prozent. Das entsprach einem Wählendenverlust von 2.3 Prozentpunkten.

Tabelle: Stimmenanteile der Parteien 2011 unter den Partei- und Mischwählenden

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Doch hoppla, wer genau hinsieht, merkt dass das Bild falsch ist. Die (vorläuifg) amtlichen Endergebnisse der Schweizer Parlamentswahlen nach Proporzverfahren weisen Stimmentanteile, nicht Prozentwerte der Wählendenm, aus.

In Einerwahlkreise ist dies das gleiche. Doch schon in Zweierwahlkreise und in allen grösseren Wahlbezirken muss das nicht der Fall sein. Identisch wäre es hier nur, wenn nicht panaschiert würde, das heisst nicht für parteifremde KandidatInnen gestimmt würde.

Doch das ist bei rund der Hälfte der Wählenden der Fall. Sie Wählen mit der Liste X, und sei schreiben Bewerbungen aus der Liste Y auf. Oder sie wählen mit gar keiner Parteiliste, verteilen ihre Stimmen auf Personen verschiedenster Listen.

Erst wenn die gesamten Panaschierstatistiken des Bundesamtes für Statistik veröffentlicht sein werden, wird man das genauer kennen. Heute schon können wir dies aber aufgrund der Wahltagsbefragung unseres Instituts abschätzen.

Demnach hat die SVP rund 17 Prozent Wählende, die einzig die SVP gewählt haben. Das sind die strammen Parteiwählenden. Die SVP bekam von einem weiter nicht genau bekannten Wählendenkreis zusätzlich rund 10 Prozent an Parteistimmen. Am ehesten waren das, gemäss Wahltagsbefragung, bei mehrheitlich FDP-Wählenden, gefolgt von solchen der CVP oder der SP.

Die SVP ist damit die Partei, die nicht nur den grössten Stock an Wählenden hat, die nur für ihre Partei gestimmt haben. Sie ist auch jene Partei, bei der dieser Stock, bezogen auf alle erhaltenen Stimmen, der grösste ist. 64 Prozent Prozent an allen Stimmen machen die Parteiwählenden aus, 36 Prozent stammen von Mischwählenden.

Das pure Gegenteil findet sich bei der CVP. Sie machte gemäss vorläufig amtlichem Endergebnis 12,3 Prozent der Stimmen. Reine CVP-Wählende machen nach Wahltagsbefragung knapp 6 Prozent der Wählenden aus. Den Rest der Stimmen macht die Partei vor allem bei mehrheitlichen FDP-Wählenden, gefolgt von SP-Wählenden. Die MIschwählenden ergeben 55 Prozent der schliesslichen Parteistimmen. Die nachstehende Tabelle komplettiert das Bild.

Es ist nicht meine Absicht zu verwirren. Doch geht es mir darum, die vereinfachenden Begriffe, wie beispielsweise der Wählenden-Anteil, zu hinterfragen. Wie viele Wählende mindestens eine Stimme der BDP gegeben haben, wissen wir nämlich nicht genau. Wir wissen nur, was der Stimmenteil der Partei ist, und wir können abschätzen, was die Partei- und die Mischwählenden dazu beigetragen haben.

Claude Longchamp

Wo die SVP verliert, wo sie gewinnt – und was man daraus schliessen kann

Die SVP verlor bei dieser Nationalratswahl erstmals wieder ein Wahl. Was könnten die Gründe sein? Hier meine ersten Arbeitshypothesen.

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Beginnen wir mit dem Kanton Baselland. Da erreichte die SVP 2011 26.9 Prozent WählerInnen-Anteil. Das ist praktisch der gleiche Wert wie für die SVP Schweiz. Denn der ist neu bei 26.6 Prozent. Das ist nicht zufällig. Denn die Trends in diesem Kanton war in den letzten 12 Jahren ein zuverlässiger Indikator für die Entwicklung der Gesamtpartei.

Ueberblickt man alle Kantone, wird die Analyse diesmal komplizierter als auch schon. Denn es stehen neutralisieren sich Trends und Gegentrends.

Im Tessin, im Jura und im Wallis legte die SVP auch 2007 an WählerInnen-Stärke zu. Wachsen konnte sie diesmal auch in Obwalden. In Nidwalden machte sie einen grossen Sprung nach vorne, da sie 2007 nicht kandidierte. In den Kantonen Freiburg, Waadt, Luzern und Schaffhausen hielt die Partei. Teils herbe Verluste gab es für die SVP gab es in den übrigen Kantonen.

Was sind die Gründe für das Ueberwiegen des Rückgangs? Ich wage hier mal drei Arbeitshypothesen:

Erstens, gerade in den neuen Hochburgen wie Schwyz, Thurgau, Aargau, St. Gallen und Zürich entwickelte sich die Mobilisierungsfähigkeit der SVP zurück. Das löste insgesamt einen Rückgang von gut 1.5 Prozentpunkte aus.
Zweitens, markante Verluste kannte die SVP vor allem dort, wo die BDP aus der Abspaltung von der SVP entstanden ist. In Glarus kandidierte die SVP gar nicht mehr. In Graubünden erstand sie zwar neu auf, aber nicht mehr in der alten Grösse, und auch in Bern verlor sie, wenn auch etwas weniger krass. Zusammen bringt das gut 1 Prozent Verlust.
Drittens, eindeutig ist der Rückgang auch in Genf, wo sich rechts der SVP mit dem Mouvement Citoyen Genevois eine neue Bewegungspartei platzieren konnte. Der Effekt auf das nationale Ergebnis bleibt mit rund einem Promille eher unwichtig.

Geringer als von der SVP erwartet, fielen die Verschiebungen in der Innerschweiz und in der Romandie aus. Plus und Minus halten sich in etwa die Waage. Das hat seinen Grund: Die Attraktivität der SVP für Wechselwählende ist weitgehend rückläufig. Nur rund um aussichtsreiche Kandidaturen kann die Partei da noch hinzugewinnen.

Was davon war im Voraus absehbar? Ausser dem ersten Punkt war es. Denn die lokalen Konkurrenzsituationen mit neuen Parteien zeigten sich bereits in den kantonalen Wahlen. Zudem wurde in verschiedenen Wahlbarometer-Befragungen deutlich, dass die Wechsler-Attraktivität rückläufig war; Kleinparteien, die man hätte beerben können, gibt es nicht mehr, und enttäuschte FDP- und CVP, die hätten gewonnen werden können, sind kaum mehr zu finden.

Nicht wirklich vorhersehbar war der Einbruch in der Mobilisierung in den Hochburgen, denn der entsteht immer erst aus der Dynamik einer Kampagne selber. Diese funktionierte, wenn auch abgeschwächt, kantonal noch. Erstes, aber auch einziges Zeichen einer Wende waren die Zürcher Wahlen im Frühling, wo die Partei erstmals in einer der neuen Hochburgen eine Niederlage einfuhr.

Nicht alles, aber einiges spricht dafür, dass mit der Wahl 2011 der Wendepunkt national erreicht ist. Partei(ab)spaltungen sind immer ein Indiz dafür, dass die inneren Erfolgsfaktoren auslaufen. Denn wenn Teile der Parteieliten eigene Wege gehen, statt auf einer allgemeinen Erfolgswelle reiten, bricht das die Dynamik, die aus einer Partei selber herauswächst. Das hat die SVP selber unterschätzt, nicht zuletzt wegen der Erfolgen auf kantonaler Ebene in Bern, die aber nicht einfach wiederholbar sind.

Umgekehrt kann man sagen, dass eine verringerte Mobilisierung auf hohem Niveau auf eine Stagnation äusserer Erfolgsfaktoren verweist, etwa, dass die Grossereignisse in einer Kampagne nicht mehr dominant von der SVP gesetzt werden können. Der Punkt bleibt meines Erachtens weich. Denn da müssen sich nur wenige Parameter ändern, und die Entwicklung geht in die eine oder andere Richtung. Aus der Erfahrung heraus hängt diesbezüglich vieles vom Geschick eines überragenden Kommunikators ab.

Claude Longchamp

Der Blick von nah und fern auf die Schweizer Wahlen

Die heutige “Zeit” aus Hamburg nennt uns die beiden wichtigsten Politologen der Schweiz: Michael Hermann und mich. Schon vor der Wahl vom Sonntag bot man uns zu einem Streitgespräch über die Nationalratswahl 2011 auf. Wir sagten beide zu, unwissend, was uns erwartete. Eine Einordnung des Gesprächs zur Zeit.

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Fotos: Die Zeit

Alle Reaktionen aus dem Ausland, die ich zu den vergangenen Wahlen erhielt, waren voll des Lobes. Sie drehten sich ums Grundsätzliche wie den Uebergang von der Polarisierung zur Harmonisierung in der Schweizer Parteienlandschaft. Die Schweiz wurde für ihre neue Mitte beglückwünscht. Und für unsere Analysen hierzu, die im Jahre 2010 einsetzten, erhielten wir rundum Gratulationen.

Ganz anders die Reaktionen in der Schweiz. Zwar spüre ich in der Bevölkerung Begeisterung und Zustimmung. Je politischer und medialer die Leute jedoch verhängt sind, desto gegenteiliger ist das Feedback. Es regiert der Negativismus – auf die Wahltagsberichterstattung. Die Hochrechnung unserer Kollegen von projections wird kritisiert, die Wahlumfragen erfahren teilweise ein vergleichbares Schicksal und der Treffpunkt Bundesplatz wird als reine PR-Uebung der SRG apostrohiert.

Da hat mir das Streitgespräch mit Michael Hermann für die Schweizer Ausgabe der “Zeit” gut getan. Statt Geschäftigkeit herrschte am Dienstag nach der Wahl Entspanntheit. Peer Teuwsen und Matthias Daum empfingen uns im Badener Kornhaus, um darüber zu debattieren, was geschehen. Klar, es ging auch um unsere die Fehleinschätzung der SVP-Macht. Behandelt wurde auch die Schweiz als Insel. Gesprochen würde über die Ursachen der Wahlsiege von BDP und GLP. Und die Verliererinnen wurden wenigstens summarisch analysiert. Zum Schluss wollte man noch etwas Persönliches hören: Was Experten gewählt haben und ob sie das Wahlresultat erfreut.

Toll war die Atmosphäre des Gesprächs: Bisweilen war es kontrovers, dann wieder harmonisch. Manchmal verlief die Trennlinie zwischen Journalisten und Wahlanalytikern, dann wieder zwischen uns beiden. Lohnend ist auch der Leitartikel des Schweizer Zeit-Chefs Teuwsen auf der Front der Zeit, der sich direkt auf unsere Gespräch bezieht – und es noch weiter führt.

Merci an die Herren, die auf der Höhe ihrer Zeit waren, dass uns auch jemand in der Schweiz so schnell nach den Wahlen erinnert hat, das Politische dieser Bevölkerungsentscheidung nebst dem Lärm darum nicht zu übersehen.

Claude Longchamp