Die SVP im Dilemma

Was ist los mit der SVP, fragte gestern die NZZ im Tageskommentar. Anlass bot die Kampagne zur Volkswahl des Bundesrates, die sich so offensichtlich von jenen unterscheidet, welche die SVP namentlich in Migrationsfragen zur erfolgreichsten Partei in der Schweiz gemacht hatte. Auf der Suche nach möglichen Chancen und Risiken der “neuen” SVP.

Vorbei scheinen die Zeiten, als die SVP selbst Verbündete provozierte, als die Partei mit ihren Plakaten regelmässig die Aufmerksamkeit der gesamten Öffentlichkeit auf sich zog und als man sich an den Tag, an dem ihre Abstimmungskampagnen eröffnet wurde, wegen markigen Aussagen so gut erinnern konnte. Vorbei auch die Phase, wo das alles sichere Erfolge brachte.

“Gratwanderung” bezeichnet René Zeller, NZZ-Chef im Bundeshaus, die Neuausrichtung der SVP, ohne eine verbindliche Antwort geben zu können, was sie der Partei und der Politik in der Schweiz bringt.

Die nun vorliegenden Ergebnisse der ersten (von zwei) SRG-Befragungen zu den eidgenössischen Volksabstimmungen geben einen vertieften Einblick: Bei der Revision des Asylgesetzes haben sich die BefürworterInnen einen Vorteil erarbeitet. Die Allianz aus der Parlament, angeführt vom SVP-Nationalrat Peter Brand aus Graubünden, hielt den Entscheidungen der bisherigen Entscheidungen der Parteidelegierten stand. Wackelkandidatin war die CVP, bei der sich die Frauen für ein Nein aussprachen, während die Gesamtpartei ihren Mitgliedern ein Ja empfiehlt. Die Umfrage zeigt nun, dass Mehrheiten der WählerInnen dieser Parteien die Revision unterstützten. Bei SVP und FDP sind sie in der absoluten Überzahl, bei der CVP immerhin in der relativen.

Ganz anders ist die Ausgangslage der SVP bei ihrer Volksinitiative für eine Volkswahl des Bundesrates. Schon im Parlament agierte sie weitgehend isoliert; alle anderen Fraktionen mögen sich selber nicht entmachten. Im Abstimmungskampf ist ihr, wenigstens bisher, keine einzige Partei gefolgt. Und auch die Befragung eines repräsentativen Querschnitts der Stimmberechtigten verweist auf die schwierige Position der SVP. Denn es sind nicht nur zwei Drittel der Personen, die sich in der Abstimmung äussern wollen, dagegen; es sind auch in allen grösseren Parteien ausserhalb der SVP Mehrheiten im Nein. Das gilt auch für FDP- und CVP-Wählende, in ihren konservativen Kreisen sonst für SVP-Anliegen offen.

Die Krux der neuen SVP-Strategie besteht allerdings nicht nur darin, diesmal keine Zusatzstimmen aus der desinteressierten politischen Mitte zu bringen; vielmehr zeigt die SRG-Befragung auch, dass ihr die Mobilisierung der Protestpotenziale nicht mehr gelingt, wie das beispielsweise in der letzten Legislatur noch der Fall war. Misstrauische Zeitgenossen wollen sich weder überdurchschnittlich beteiligen, noch sieht die Mehrheit, die teilnehmen will, einen zwingenden Grund, nun für die Volkswahl des Bundesrates zu votieren. Von der sonst so bekannten Mobilisierung der Unterschichten oder der RentnerInnen keine Spur.

Kurzfristig trägt die SVP eher einen Schaden davon: Ihre frühere Mobilisierungsstärke hing direkt mit der Provokation zusammen, die medial verhandelt wurde; das ist nun weg. Umgekehrt ändern sich Grundhaltungen der bürgerlichen WählerInnen nicht so schnell, dass man die Geschichten der letzten Jahre vergessen hätte und mit wehenden Fahnen der SVP folgen würde. Das mag mittelfristig anders aussehen: Dann nämlich, wenn das brüchig gewordene bürgerliche Lager wieder zusammenfinden sollte, mit einer rechtskonservativen SVP als stärkster Partei, welche die politische Richtung vorgibt und Gefolgschaft findet, dafür aber auf Populismus verzichtet.

Auszuschliessen ist eine solche Neuorientierung im rechten Spektrum heute nicht mehr, wie die ersten Ansätze über die Migrationsfragen hinaus in der Finanz- oder Gesellschaftspolitik zeigen. Nagelprobe werden allerdings die europapolitischen Abstimmungen sein, sei es die eigene Masseneinwanderungsinitiative, die quer steht zur Personenfreizügigkeit mit der EU, aber auch die Ausdehnung eben diesem Grundpfeiler der Bilateralen auf Kroatien als neues Mitgliedsland in der Europäischen Union, wo sich der Widerstand der SVP heute schon regt. Da wird sich weisen, was im Landesinteresse und was im Parteiinteresse ist, und wie das politisch vermittelt werden wird. Denn eines dürfte der SVP nicht mehr schaden als die eine oder andere Abstimmungsniederlage: Wenn sie ihre Hegemonie am rechten Pol wegen einen neuen, national agierenden Rechtspartei verlieren sollte, die von einer angepassten SVP profitieren könnte.

Claude Longchamp

Italien wählt, veröffentlicht keine Umfragen mehr und sagt doch, wer wie wahrscheinlich gewinnt

In den letzten 14 Tagen von der Wahl ist in Italien die Veröffentlichung neuer Umfragen rechtlich untersagt. Formell halten sich alle daran, informell wird die Restriktion mehr und mehr geschickt umgangen. Und das über neue Soziale Medien.

Was in Italien regulär erst im April 2013 hätte stattfinden sollen, wurde nach dem Rücktritt des parteilosen Ministerpräsidenten Mario Monti auf Ende Februar vorgezogen. So wählt unser südlicher Nachbar bereits in einer Woche die beiden Kammern des Parlaments neu.

Fünf Bündnisse stellen sich der Wahl:

• “Italia. Bene Comune”, eine Koalition von Mitte-Links-Parteien mit Pier Luigi Bersani als Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten,
• die von Silvio Berlusconi organisierte Koalition verschiedener Mitte-Rechts-Parteien, formell angeführt von Angelino Alfano,
• das MoVimento 5 Stelle, bestehend aus dem Komiker Beppe Grillo,
• die Agenda Monti per l’Italia, eine zentristische Koalition, die sich für eine Weiterführung der bisherigen Regierung ausspricht, und
• die Rivoluzione Civile, eine gemeinsame Wahlliste mehrerer linker und liberaler Parteien mit Antonio Ingroia für das Amt des Regierungschefs.

Die letzten Umfragen, allesamt vom 8. Februar, gaben der Mitte/Links-Koalition im Schnitt 35 Prozent WählerInnen-Anteile. Mitte/Rechts kam auf zirka 30 Prozent, das “M5S” auf knapp 16 Prozent, und für die Allianz von Monti gab es 14 Prozent. Der Rest verteilte sich auf die Rivoluzioni und die übrigen Parteien.

Dabei gilt es zu berücksichtigten, dass diese Angaben unschlüssige WählerInnen nicht enthalten. Je nach Umfrage machten sie 10-15 Prozent aus. Das ist nicht unerheblich, denn in den letzten zwei Wochen kann gerade da noch einiges geschehen.

Nun hat sich (auch) in Italien neuerdings eingebürgert, nicht nur Parteistärken zu kommunizieren, sondern auch Wahrscheinlichkeiten für die Siegchancen zu berechnen. Statistik-Spezialisten leisten dies quasi als Supplement. Zu ihnen zählt Alberto Nardelli, studierter Medien- und Politikwissenschafter, der fast schon im Stile von Nate Silver von sich sagt, nebst Politik „football, film, fashion and food“ zu lieben: Auf 86 Prozent schätzte der Info-Brooker nach der letzten Umfrage die Chance, dass Mitte-Links im Repräsentantenhaus eine Mehrheit haben wird. Seine Berechnungen für den Senat ergaben 54 Prozent Wahrscheinlichkeit. Die grösste Unsicherheit bestand in seiner Optik in der Lombardei. Gewinne Mitte/Linke hier nicht, sei sie auf einen Sieg in allen anderen Regionen angewiesen, um die Mehrheit in beiden Kammern zu sichern, liess er sein 130000 Follower wissen. Namentlich im Veneto erschien ihm das wenig wahrscheinlich, und auch den Ausgang in Sizilien klassierte er als offen.

Spannender hätte es der Blogger, der den Twitter-account “electionista” betreibt, nicht machen können. So schrieb er vor Wochenfrist: „Polls will no longer be published in Italy for the next two weeks, but of course they’ll be taken. Should I come across any, I’ll post any major trends/news here.“

Seither kann man Nardellis muntere Umrechnungen von unveröffentlichten Umfragen zu Wahrscheinlichkeiten via Soziale Medien verfolgen. Seine letzten Neuigkeiten: Nicht mehr 86, sondern 89 Prozent Wahrscheinlichkeit für einen Mitte/Links-Sieg im Repräsentantenhaus, und 51 Prozent für die die Mehrheit der gleichen Koalition in der alles entscheidenden Lombardei.

Claude Longchamp

«Politik wird zum Gadget»

Anbei das Interview zu Social Media in Schweizer Wahlkämpfen, das Daniel Graf und Simone Wasmann von der Agentur Feinheit mit mir führten.

Herr Longchamp, haben sich mit Social Media ihre Mediengewohnheiten verändert?

Mein Medienkonsum ist mit Twitter drastisch zusammengebrochen. Für klassische Medien wende ich nur noch 20 Minuten pro Tag auf, genau so viel, wie für das Lesen von Tweets. Dazu kommt ab und zu die Tagesschau.

Gehören Sie zu den «Early Adopters»?

Ich habe mich nie zu den Pionieren gezählt. Meine Affinitäten liegen bei Blogs und Twitter. Auf Facebook habe ich nie die Kurve gekriegt und keinen Account mehr.

Als Blogger zählen Sie aber zur alten Garde.

Ich bin 2004 eingestiegen und betreibe heute, neben dem GfS-Blog, die beiden Blogs «Stadtwanderer» und «Zoonpoliticon». Bevor sich Facebook etabliert hat, gab es auf den Blogs eine rege Diskussionskultur mit tagelangem Schlagabtausch. Heute ist da tote Hose. Die Debatten haben sich weitgehend auf Social Media verlagert.

Welche Schweizer Blogs sind für Sie relevant?

Im Gegensatz zu Twitter gibt es für mich keine «must reads» unter den Schweizer Blogs. Was ich jeden Tag lese, sind Blogs aus dem Ausland, wie diejenigen von Ezra Klein oder, während Wahlen, von Nate Silver. Sie gehören für mich zu den genialsten und eigenständigsten Quellen.

Was hat Sie an Twitter begeistert?

Ich schätze es, auch von Medienschaffenden, die Quellen im Original lesen zu können. Ich fühle mich via Twitter direkter und quellennaher informiert, als wenn ich eine Tageszeitung lese, besonders was die Auslandberichterstattung betrifft. Der US-Wahlkampf war für mich ein Beispiel dafür.

Haben Journalisten das Rennen gegen Twitter verloren?

Die Beschleunigung würde ich dem Internet an sich zurechnen. Das klassische Newsgeschäft ist sicher Geschichte. Gleichzeitig kursieren auf Twitter zu viele «Enten», die nicht immer sofort entlarvt werden. Aus diesem Grund bleibt die Glaubwürdigkeit im Vergleich zur Medienberichterstattung gering.

Welche Rolle spielen Social Media im Campaigning in der Schweiz?

Nationale Wahlkämpfe waren immer Quantensprünge in der politischen Kommunikation. 1999 spielte das Internet erstmals eine Rolle: Pioniere hatten eine Website. 2003 kamen Blogs dazu. 2007 stand im Zeichen von Youtube, auch wegen der Provokationsstrategie der SVP. Erst bei den letzten Wahlen kamen Plattformen wie Facebook und Twitter zum Einsatz.

Heute gehört Twittern zum Tagesgeschäft im Bundeshaus.

Ja, aber die Reichweite bleibt beschränkt. Es gibt eigentlich nur drei bis vier Politikerinnen und Politiker, die ein breites Publikum ansprechen: Alain Berset (7432 Follower), Cedric Wermuth (7208) und Natalie Rickli (6686), gefolgt von Christian Levrat (4059). Dahinter kommt ein breites Feld, dass zielgruppenspezifische Wirkung erzielt, etwa bei Medienschaffenden oder Multiplikatoren in Partei, Verbänden und Bewegungen.

Warum verhallen die Politiker-Tweets oft ungelesen?

Da macht sich der Föderalismus bemerkbar. Mit Ausnahme des Bundesrates sind die meisten Parlamentarier nur in ihren Kantonen bekannt. Deshalb sind nationale Köpfe in der Schweiz rar. Nur so ist erklärbar, warum Bundesrat Berset mit 68 Tweets seit November 2010, die er vermutlich nicht alle selbst schreibt, einen Spitzenplatz belegt.

Haben sich die politischen Spielregeln bereits geändert?

Die bekannte Harvard-Wissenschaftlerin Pippa Norris hat zur Jahrtausendwende einen bahnbrechenden und seither vielfach zitierten Artikel geschrieben, der unter anderem auf diese Frage Bezug nimmt. Drei ihrer Thesen nehmenden den Umbruch durch Social Media, den wir auch in der politischen Kommunikation beobachten können, vorweg. Erstens werden erfolgreiche Kampagnen vermehrt zentral organisiert, aber dezentral ausgeführt. Zweitens wies Norris darauf hin, dass Wahlkampf zur Dauerbeschäftigung wird. Drittens nimmt die zielgruppenspezifische Kommunikation neben der ritualisierten, gouvernementalen Information mehr Raum ein.

Ist dieser Einfluss messbar?

Die Wirkung von Online-Kampagnen ist in der Schweiz begrenzt. Zu den Nationalratswahlen 2011 gibt es eine Studie, die aufzeigt, dass Social Media als Erfolgsfaktor kaum eine Rolle gespielt hat.* Andererseits ist die Internet-Nutzungsquote der Wählenden, die an Nationalratswahlen gewählt haben, tief. 2003 waren es erst 9%, 2007 dann 14% und 2011 stieg die Zahl sprunghaft auf 24%. Mit dieser Reichweite sind wir meilenweit vom Schweizer Fernsehen oder den Pendlerzeitungen entfernt.

Wird die Wirkung von Online-Kampagnen also masslos überschätzt?

Solche Studien bieten nur einen eingeschränkten Blickwinkel. Wahlkämpfe sind heute keine zeitlich beschränkten Kampagnen mehr, sondern werden zum Dauerzustand. Wer kurzfristig denkt, baut mit Kampagnen meist nur eine Reizfläche, mit der sich die Medien und die Gegner, jedoch nicht die eigenen Unterstützer beschäftigen.

Verändert sich der Stil der politischen Kommunikation?

Politik wird gerade mit Facebook zum persönlichen «Gadget». Man fühlt sich verbunden und möchte auch emotional bedient werden. Die Personalisierung und Emotionalisierung ist ein allgemeiner Trend in den Medien, den beispielsweise Kurt Imhof als «Boulevardisierung» des Qualitätsjournalismus kritisiert hat. Ausgehend von den USA zeigt sich eine weitere Entwicklung: Die Äusserungen über Politik und Politiker fallen auf Social Media deutlich negativer aus. Es fehlt das «Gatekeeping» wie bei den traditionellen Medien.

Wieviel Geld wir bei den nächsten Wahlen für Online ausgegeben?

Ich schätze, dass die Ausgaben für Social Media heute im Bereich von 10 Prozent der Budgets liegen. Für 2015 werden fundamentale Veränderungen ausbleiben. Das Plakat wird – wie das Inserat für Sachabstimmungen – das wichtigste und teuerste Wahlkampfmedium bleiben. Das braucht recht fix rund 50 Prozent der Kampagnenbudgets, nur über den Rest wird gestritten.

Fehlen künftig die Mittel für Online-Kampagnen?

Nein, denn politische Werbung verzeichnet ein gigantisches Wachstum. Die Budgets erhöhen sich in jedem Wahlzyklus um 50 bis 100%. Die SVP gibt mehr als 1 Million Franken aus, nur um eine Abstimmungszeitung in alle Haushalte zu verschicken. Geld für Innovationen ist vorhanden, wenn auch nicht ausschliesslich für Social Media.

Werden die Wahlen 2015 auf dem Smartphone entschieden?

Fürs Handy spricht die Verlagerung der Aufmerksamkeit, wenn es um Tempo, Verbreitung und Kosten geht. Trotzdem bleibt die Schweiz ein Land, in dem die Zeitungen die politische Diskussion beherrschen.

* Erich Wenzinger: Wahlkampf 2.0. Politische PR im Social Web: Nutzung und Wirkung. Eine inhalts-analytische Untersuchung anhand der Zürcher Nationalratswahlen 2011

Die gestiegene Volatilität als Kennzeichen des neuen Wahlverhalten in Liechtenstein

Erstmals in der Geschichte des Liechtensteiner Landtages ziehen Vertreter von vier Parteien ins Parlament ein. Zu den bisherigen Parteien, der FBP, der VU und der FL, gesellen sich „Die Unabhängigen“ (DU).

Eigentliche Wahlsiegerin ist gemäss vorläufig amtlichen Wahlergebnis die FBP mit genau 40 Prozent der Stimmen, die neu die stärkste Partei in Liechtenstein ist, gefolgt von der VU mit 33,5 Prozent. Die DU schafft auf Anhieb 15,3 Prozent, während die FL auf 11,1 Prozent kommt. Die Wahlbeteiligung liegt bei 79,8 Prozent.

Gegenüber der letzten Landtagswahl im Jahre 2009 bedeutet dies zunächst eine verringerte Teilnahme von rund 5 Prozentpunkte. Anteile verloren haben die beiden grossen Parteien, am meisten die VU (-14,1%), gefolgt von der FBP (-3,5%). Grosse Gewinne setzte es heute für die DU ab, die es bei den letzten Wahlen noch gar nicht gegeben hatte. Entstanden ist sie durch die Abspaltung von Harry Quaderer von der VU. Mit einem Plus von 2,2% leicht zulegen konnte die FL.

Wichtigstes Kennzeichen des Wahlverhaltens in Liechtenstein 2013 ist die gestiegene Volatilität. Sie hat schon in den letzten Jahren zugenommen, erreichte neun aber einen neuen Höhepunkt. Ausdruck der veränderten Position der beiden traditionellen Volksparteien ist, dass ihr Monopol auf Volksvertretung im Parlament nun definitiv gebrochen ist. War es bisher die FL, die namentlich in der bildungsstarken Mittelschicht Liechtensteins punkten konnte, kommt jetzt die DU hinzu, die bei jüngeren Wählerenden Stimmen gemacht haben dürfte. Damit haben die beiden Traditionsparteien, die leicht rechts des Zentrums politisieren, wohl links wie rechts im politischen Spektrum Konkurrenz bekommen.

Nicht bestätigt hat sich die medial verbreitete Annahme, die Abspaltung der DU von der VU werde das bekannte ProtestwählerInnen-Potenzial, das man am ehesten bei der FL ortete, spalten, sodass die beiden Kleinparteien an der Wahlhürde von 8 Prozent scheitern könnten. Vielmehr dürfte die Möglichkeit, im neuen Landtag nicht mehr beteiligt zu sein, die FL-Wählenden besonders zur Teilnahme motiviert haben, während die DU in erster Linie bei den (neuen) WechselwählerInnen gewählt wurde konnte. Die überdurchschnittlichen Verluste der VU beispielsweise in Eschen und Triesen, aber auch der FBP in Ruggell, Mauren und Gamprin, die mit überproportionalen Gewinnen der DU einher gehen, sind ein klares Zeichen für die aktuellen Tendenzen in der Wählerschaft der beiden grossen Volksparteien, die in der Unzufriedenheit mit der bisherigen Politik ihre Ursache haben dürften. Zwar konnte sich Liechtenstein mit seiner Weissgeldstrategie vom internationalen Druck befreien, innenpolitische nagen aber Defizite im Staatshaushalt und in den Pensionskassen an der Glaubwürdigkeit der etablierten Kräfte.

Im neuen Landtag stellt die FBP mit 10 Mandaten (-1) neu die stärkste Vertretung; hinter ihr liegt die VU mit 8 Abgeordneten (-5), gefolgt von der DU mit 4 (+4) und der FL mit 3 (+2). Noch ist die Regierungsbildung offen. Die besten Karten für die Regierungsbildung hat aber die FBP unter dem bisherigen Polizeichef Adrian Hasler, und am wahrscheinlichsten erscheint aber eine Neuauflage der grossen Koalition, diesmal allerdings mit umgekehrten Vorzeichen.

Wie auch immer, die erhöhte Bereitschaft, mit bisherigen Parteiloyalitäten zu brechen, beschränkt auch die nochmals verringerte Beteiligung zu den Herausforderungen, denen sich die Parteien stellen müssen. Denn diese haben zu einer bisher nicht gekannten Pluralisierung der Landtagsabgeordneten geführt. Rein rechnerisch sind die beiden grösseren Parteien nicht mehr sicher in der Mehrheit zu sein, wenn sie sich nicht einigen, denn beide können durch eine Allianz aller Konkurrenten überstimmt werden. In den letzten vier Jahren hatte die VU (bis zum Ausscheiden von Quaderer) die absolute Mehrheit auf sicher, während es für die FBP auch mit der FL nicht zur Mehrheit reichte.

Claude Longchamp

Erstanalyse der Stadtberner Parlamentswahlen 2012

“Der Bund” interviewte mich eben zu meiner Erstanalyse der Stadtberner Parlamentswahlen 2012. Hier das Resultat.


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Nach den Exekutivwahlen stand RGM als klare Siegerin da. Bei den Stadtratswahlen ist das Bild differenzierter. Wie ändern sich die Kräfteverhältnisse im Stadtparlament?
Die Wahlen in den Stadtrat zeigen zwei Trends: Erstens, die Polarisierung, zweitens, die neuen Mitteparteien. Zu ersterem zählt, dass SP und SVP, beschränkt auch das GB, wähler- und sitzemässig zulegen. Für den Trend zu den neuen Mitteparteien sprechen vor allem die Gewinne von GLP, beschränkt auch von der BDP. Ein wichtiger Teil der Veränderungen stammt aus den drei Lagern: So verliert die FDP, was die SVP gewinnt, in der Mitte wird die CVP schwächer und RGM hat gewisse Verluste bei der GFL zu beklagen. Zudem zieht mit der AL eine neue linke Kraft ins Parlament, die nicht zu RGM gehört. Gesamthaft wurden die Kräfte in der Mitte leicht gestärkt, wie man das erwartet hatte, aber auch die Linke ist nach den Wahlen etwas stärker als davor. Die Mehrheitsverhältnisse sind damit nicht wesentlich anders als zuvor. Entscheidend ist und bleibt, wie sich die ParlamentarierInnen der GFL positionieren.

Die SVP steht neu als zweitstärkste Kraft da, die Rechte lässt am rechten Rand aber Federn. Bei der Linken legt die SP zu, auf Kosten der Splitterparteien. Woher rührt diese Tendenz zu den moderaten Kräften?
Ob man die SVP wirklich als moderat bezeichnen kann, wage ich zu bezweifeln. Was sich rechts aber abzeichnet, ist eine Konzentration auf zwei Parteien, denn verloren haben die kleinen Gruppierungen. zu viel würde ich da nicht hinein interpretieren, weil die Verluste an Wähleranteilen sind geringer als es die Sitzverluste vermuten lassen. Hauptgrund hierfür dürfte vor allem die Mobilisierung sein, denn die Beteiligung war ja tiefer als vor vier Jahren. Auch links bleiben die vermuteten Trends eher bescheiden: das GB gewinnt, gleichzeitig verliert die JA!. Gleiches zeigt sich bei der GBP, die einen Sitz weniger hat, dafür gibt es neu die AL. Hier kann man durchaus Wechselwählen aufgrund der KandidatInnen oder gewisser Themen vermuten.

Mit dem starken Ergebnis der GLP wird die Mitte insgesamt gestärkt. Rückt man damit weiter vom bipolaren Links-Rechts Schema ab und spielt die Mitte künftig eine entscheidende Rolle bei der Bildung von Mehrheiten?
Im längerfristigen Vergleich hat sich das Parteiensystem der Stadt Bern in den letzten 20 Jahren zweimal verändert: 1992, als RGM entstand, und die SP mit dem Bündnis ihre isolierte Position im bürgerlichen Bern durchbrechen konnte. Seither wird Bern von links regiert, mit einer vorherrschenden Polarisierung zwischen den beiden weltanschaulichen Lagern. Mit 2008 zeichnete sich ab, dass das bürgerliche Lager in Auflösung begriffen ist, sich auf der einen Seite eine Mitte formiert, auf der anderen ein rechtsbürgerlichen Bündnis. Die Akzente haben sich da Richtung Mitte verschoben, und innerhalb der Mitte sind heute BDP und GLP gleichauf. Ob daraus ein schlagkräftiges Lager wird, muss sich noch weisen. Im Moment würde ich eher von einer Allianz aus vier Parteien mit einem Gemeinderat sprechen, die sich sachpolitisch auf die eine oder andere Seite entscheidet und nicht gesichert als Block auftreten kann.

Die Grünen Parteien haben insgesamt zugelegt. Verbessern sich damit die Chancen auf eine geeinte grüne Kraft?
Das gilt letztlich nur arithmetisch. Grüne Parteien haben knapp 3 WählerInnen-Prozente hinzugewonnen, und sie stellen zwei ParlamentarierInnen mehr. Doch ist die Einigkeit damit nicht grösser geworden, eher umgekehrt: Die GLP ist im Mitte-Lager, die GBP und die AL sind ausserhalb von RGM und GB und GFL im Regierungslager harmonieren nicht reibungslos. Zusammen repräsentieren die verschiedenen grünen Parteien genau einen Drittel der Wählenden, und man wäre damit grösser als die SP. Doch die strategisch relevanten Gemeinsamkeiten in thematischen und personellen Frage sind gering.

Die SP hat auf nationaler Ebene ihren langjährigen Sinkflug 2010 auffangen können. Inwiefern ist ihr Abschneiden bei den Berner Gemeindewahlen richtungsweisend für die nationalen Wahlen 2015?

Überzeichnen würde ich die Momentaufnahme nicht, denn der Stadt-/Landgraben in Sach- und Parteifragen geht mitten durch die SP durch. In den grossen Städten hält sie sich gut oder legt zu, auf dem Land verliert sie eher. Für die SP wird massgeblich sein, ob sie ihren Schub aus den Grossstädten auf weitere, mittelgrosse Zentren übertragen kann oder nicht.

Die Wahlbeteiligung bei der Stadtratswahl lag bei 37,6 Prozent – fast 6 Prozent tiefer als 2008. Worauf ist das zurückzuführen und wem hat es geholfen?
Hauptgrund sind die Stadtpräsidentenwahlen. Ihnen fehlte diesmal das Spannungsmoment. Alex Tschäppät war in der Mitte nicht wirklich bestritten, und die Konkurrenz war zu schwach, um einen ernsthaften Anspruch auf das Amt anmelden zu können. Damit fehlte die Mobilisierungswirkung, wie sie 2008 mit dem Kampf zwischen Tschäppät, Hayoz und Hofer bestand. Zudem kam die denkbare Wendestimmung nicht auf. Anders als 2008 erneuerte sich Rot-Grün diesmal personell, während die Querelen im bürgerlichen Bündnis um die Nominationen für Gemeinderat und Stadtpräsidium so stark waren, dass eine programmatische Alternative nicht wirklich sichbar wurde. Ohne Machtansprüche und wirklichen Personen- und Sachentscheidungen mobilisieren Wahlen seit einiger Zeit nicht mehr.

Claude Longchamp

Bern wählt – das Stadtparlament, die Stadtregierung und das Stadtpräsidium

Bleibt Alexander Tschäppät Berns Stadtpräsident? Kommt es zu einem Mehrheitswechsel im Gemeinderat, der Stadtberner Exekutive? Und wie stark wird das neue Zentrum im Stadtrat, dem Stadtparlament? Das beantworten die Berner und Bernerinnen morgen, wenn sie ihre Behörden für die kommenden vier Jahre bestellen.


Alle wollen in die Stadtregierung – Karikatur zur Berner Wahl 2012 (via Wahlkampfblog)

Die bisherigen Stärkenverhältnisse
Alexander Tschäppät ist bis zur Wahl sicher Berns aktueller Stadtpräsident. Er steht einer mehrheitlich rotgrünen Regierung vor; die SP hat 2 Sitze, das Grüne Bündnis einen, genauso wie FDP und CVP. Im Berner Stadtparlament sind die Mehrheitsverhältnisse etwas offener, denn nach der letzten Wahl hatte sich eine Mitte gebildet, zu der heute frühere Exponenten des linken wie rechts Pols zählen. Die Fraktionen des RotGrünMitte-Bündnisses kommen seither auf 30 Sitze, plus 3 linke Fraktionslose. Die Rechte bringt es auf 19 Sitze plus 1 rechter Fraktionsloser. Die Mitte wiederum vereinigt 17 Sitze, und es verbleibt ein Parteiloser. Nicht eindeutig ist die Zuordnung von Grüner Freien Liste und Evangelischer Volkspartei, die eine gemeinsame Fraktion bilden, welche die Mehrheit ausmacht, wenn sie mit dem linken, resp. mit dem rechten Ratsteil stimmt.

Blöcke und Personen
Trotz 3 Rücktritten im Gemeinderat, Spannung kam vor den Wahlen 2012 nicht auf. Mit einer hohen Wahlbeteiligung ist nicht zu rechnen.
Nach Diskussionen fand sich RGM wieder zusammen und schickte mit Bern-hoch-4 ein Quartett für die fünf Regierungssitze ins Rennen. Einzig bisheriger ist Stadtpräsident Alex Tschäppät. Aussichtsreiche Kandidatinnen sind die bekannten Nationalrätinnen Ursula Wyss (SP) und Franziska Teuscher (GB).
Die Mitte, angeführt vom bisherigen CVP-Gemeinderat Reto Nause, nominierte breit; es kandidieren 5 Personen; 2 von der CVP und je eine von der BDP, GLP, EVP.
Auch auf der bürgerlichen Liste bewerben sich 5 KandidatInnen, 3 von der SVP und 2 von der FDP.
Ambitionen fürs Stadtpräsidium haben 3 Männer angemeldet: Der Bisherige Alex Tschäppät von der SP; Herausforderer sind Alexander Schmidt von der FDP und Beat Schori aus den Reihen der SVP.

Ein Vor-Wahlkampf voller Tücken
Interessanter als der ausgesprochen themenarme Wahlkampf war das Nominierungsverfahren, insbesondere für die Exekutive. Von rechts her hätte man gerne wie 2008 ein gemeinsames bürgerliches Päckli geschnürt, um die Mehrheit zu erringen. Doch die CVP mochte nicht mehr mitmachen und zimmerte die neuen Mitte-Allianz. Zwischen FDP und SVP entstand in der Folge ein Gerangel um die Führung im verbliebenen bürgerlichen Tandem, nicht zuletzt wegen der Kandidatenauswahl, die bei der SVP zur Posse verkam. Aufgewühlt wurde die Situation schliesslich durch den Vorschlag aus der Mitte, für das Stadtpräsidium zu kandidieren. Dies führte umgehend zu weiteren Vorschlägen aus SVP- und FDP-Kreisen, worauf BDP verzichtete und FDP und SVP mit je einer Kandidatur da standen, die sich schon im eigenen Lager konkurrenzieren und kaum Aussichten auf Mehrheiten haben.

Szenarien der Wahlen
Wenns ums Stadtpräsidium geht, rechnet man in Bern allgemein mit der Wiederwahl von Alex Tschäppät. Selbst wenn er mit seinem Lebenswandel bisweilen aneckt; dank seiner Popularität ist er in einer Majorzwahl nur schwer zu schlagen. Auch diesmal war sein Auftritt um Längen besser als der seiner Konkurrenten, sowohl persönlich als auch werberisch. Die höchste denkbare Hürde für den Stadtpräsidenten ist seine Wahl in den Gemeinderat. Denn es ist gut möglich, dass Ursula Wyss und Franziska Teuscher von der frauenfeundlichen RGM-Wählerschaft top gesetzt werden. Sollte es in der Proporzwahl wider Erwarten nur für 2 der 5 Sitze im Gemeinderat reichen, könnte Tschäppät als Ueberzähliger ausscheiden, selbst wenn er die Wahl zum Stadtpräsidenten gewinnen würde. Denn der Einzug in den Gemeinderat ist in Bern Voraussetzung, um diesen auch präsidieren zu können.
Sollten alle drei Bewerber für das Stadtpräsidium Gemeinderäte werden und bei der Stadtpräsidentenwahl keiner das absolute Mehr erreichen, kommt es am 13. Januar 2013 unter den drei Kandidaten zu einer Stichwahl. Sollte es keiner von ihnen schaffen, Mitglied der Stadtregierung zu werden, findet am gleichen Datum ebenfalls zu einer Stichwahl, allerdings wären nur noch die 5 gewählten GemeinderätInnen wahlberechtigt.

Berner Wahlen als Ausdruck des urbanen Wählens in der (Deutsch)Schweiz
Die Ausgangslage für die Gesamterneuerung der Stadtberner Behörden gleicht jener in anderen Grossstädten der deutschsprachigen Schweiz. In den Regierung legt Rotgrün dank geschickter Personalplanung den Takt vor. Die Rechte ihrerseits bekundet Mühe, Allianz zu schliessen, und es mangelt an regierungsfähigen Kandidaten. Immer deutlicher schiebt sich zwischen diese Pole ein buntes Gemisch aus verschiedenen Parteien, das namentlich in den Parlamenten von Belang ist. Deshalb stehen sich bei der Berner Wahl 2012 erstmals drei Blöcke gegenüber.
Der Wandel setzte 1992 ein, als die SP, traditionell Berns stärkste Partei, im bürgerlichen Bern aber isoliert, dazu überging, ein Bündnis aus roten, grünen und Mitte-Parteien zu schmieden. Damit kippten die Mehrheiten im Stadtrat, aber auch im Gemeinderat. Für ihren Strategiewechsel wurde die SP nicht nur belohnt. Zwar stellt sie seither stets den Stadtpräsidenten, doch verliert sie seit 2000 WählerInnen an das Grüne Bündnis auf der linken Seite und an die Grüne Freie Liste rechts von ihr. Verstärkt wurde der Umbau 2008, als die BDP, eine Abspaltung der SVP, genauso wie die GLP, eine Abtrennung von den Grünen, ins Stadtparlament einzogen und mit ihren WählerInnen-Stärken wesentliches zur Bildung der neuen Mitte beitrugen. Die kommende Legislatur wird zeigen müssen, ob daraus eine schlagkräftigen Allianz wird, welche mit eigenen starken Personen die polarisierte Politik mehr als nur fallweise durchbrechen kann.
Bisher sind Bemühungen in diese Richtung in der Regel daran gescheitert, dass vor allem die rotgrünen Parteien die Zeichen der urbanen Politik konsequenter als alle anderen erkannt haben: ohne Frauen in Spitzenpositionen und bei Nominationen für Regierungssitze, aber auch ohne familienfreundliche Politik kann man heute in Grossstädten keine Mehrheiten erringen. Die Rechte hat sich da kaum verändert, die Mitte ist dabei, sich zu wandeln. Doch zeichnen sich jetzt schon die Konturen der nächsten Wahl ab: 2016 dürfte es um die Nachfolge von Alex Tschäppät gehen, für die sich dannzumal regierungserfahrene Politikinnen aus dem rotgrünen Lager jetzt schon in Stellung bringen!

Claude Longchamp

PS: Resultate morgen über Stadt Bern

Le dernier cri

52,8 für Hollande, 47,2 für Sarkozy. Das ist ergeben die letzten Umfragen in Frankreich für die zweite und entscheidende Runde bei den Präsidentschaftswahlen 2012.

Die Schelte an die Umfrageforschungsinstitute von Karikaturist Plantu auf der Frontseite von Le Monde nach der ersten Runde war hart. LePen (sondages): 14%, LePen (réel): 18%. 4 Prozent Abweichung – das war viel.
Aber auch bewusst herausgegriffen. Denn es war, die grösste Abweichung bei allen KandidatInnen bei allen finalen Umfragen der Institute.
Das Mittel war deutlicher präziser: 1,6 Prozent Abweichung, wobei TNS Sofres, Harris, OpinionWay und Ifop einen Schnitt von 1.1 bis 1.3 aufwiesen.
Besser als der Schnitte getroffen wurden die beiden Spitzenkandidaten: Sarkozys Schätzfehler über alle Institute hinweg betrug 0.8 Prozentpunkte, jener für Hollande lag bei 1.2.
Damit lagen die Umfragewerte insgesamt innerhalb des Stichprobenfehlers, und sie waren, von Ausreissern abgesehen, zuverlässig.

Für die zweite Runde liegt das Mittel der 8 Institute, die sich diese Woche noch betätigten, bei 52.8 Prozent für Hollande, derweils Sarkozy auf 47.2 Prozent. Gross sind die Unterschiede zwischen den Institute nicht. TNS Sofres neigt mit 53.5 am stärksten zu Hollande, Ifop sieht mit 52 Prozent einen etwas geringeren Wert.

Keine Umfrageserie sieht Nicolas Sarkozy vorne, wenn auch der rechte Amtsinhaber seinen (hypothetischen) Rückstand auf den linken Herausforderer seit dem ersten Wahlgang etwas verkürzten konnte. Dafür spricht auch, dass die letzte finalisierte Umfrage, die von IfoP die knappeste von allen ist.

Bei aller Vorsicht: Francois Hollande hat gemäss Umfragen die besseren Aussichten, morgen Sonntag zum neuen Präsidenten Frankreichs gewählt zu werden.

Bei aller Annäherung der Vorhersagen für die beiden Rivalen: Eine neue Dynamik, wie angekündigt, zu entfachen, gelang es Präsident Sarkozy nach der ersten Runde nicht. Die aufschlussreichen Hintergrundsinformationen, beispielsweise in der Serie von Ifop zeigt, dass die Bevölkerungseinschätzung umgekehrt verliefen: Nach der ersten Runde nahm der Anteil der Franzosen zu, der von einem Wahlsieg Hollandes ausging, und auch der Prozentwert, der das für wünschenswert hielt, stieg, zu lasten der Unschlüssigkeit an.

Und so haben sich die Karikaturisten (wohl wie alle auf Umfragen stützend) bereits heute verbindlich festgelegt. Gut in der NZZ entschied sich für “Le dernier cri”, ein Bild von scheidenden Präsidentenpaar.

Gemeinsames und Trennendes in der Umfragen zu den französischen Präsidentschaftswahlen

Frankreich wählt. Am Sonntag findet der erste Wahlgang statt. Der Wahlkampf ruht seit gestern Abend Mitternacht. Ein guter Moment, Bilanz zu ziehen, was die Umfragen festhalten.

Acht Institut beteiligten sich an der Messung der Wahlabsichten zu den französischen Präsidentschaftswahlen. Zwischen Dienstag und Freitag stellten sie ihre Erhebung ein. Bilanziert man die Ergebnisse, überwiegen zuerst die Gemeinsamkeiten.

Alle Umfragen gehen gesichert von einem zweiten Wahlgang aus. In allen ist dafür François Hollande der Favorit. Selbst für den kommenden Sonntag sieht keine Institut mehr Nicolas Sarkozy als eigentlicher Sieger. In zwei Umfragen liegen die beiden Spitzenkandidaten gleich auf, in sechs führt der Herausforderer mit kleinem oder grösserem Vorsprung auf den amtierenden Präsidenten.

Die Ergebnisse der Umfragen variieren nicht wirklich nach dem letzten Erhebungsmoment. Eher dürften Eigenheiten der Institute massgeblich sein. Ifop, TNS Sofres und Opinion Way bilanzieren ein Unterschiedene zwischen den Kontrahenten, LH2 und Harris halten einen Vorsprung für Hollande fest, der jedoch im Sichtprobenfehler liegt. Klare sind die Aussagen dagegen bei Ipsos, BVA und CSA, die von einem Unterschied in der Grössenordnung von mindestens 3 Prozentpunkten ausgehen.

Was den zweiten Wahlgang angeht, bleiben die Abweichungen zwischen den Instituten ähnlich. Ifop und Harris gehen von einem 54:46 für Hollande aus, was der am knappesten erwartete Ausgang ist. Grösser ist der Vorsprung insbesondere bei BVA und CSA, die von einem 57 zu 43 sprechen.

Letzteres bleibt ein wenig hypothetisch. Denn das Ergebnis der ersten Runde kann sehr wohl die Dynamik der Sammlung zur zweiten Runde beeinflussen. Das gilt sowohl für die KandidatInnen, die sich zurückziehen müssen, aber Wahlempfehlungen machen können, als auch für die Wählenden. Dennoch: 8 bis 14 Punkte Vorsprung für den Neuen auf den Alten sind viel.

Ersteres bleibt aus einem Grund etwas vage: Die Sicherheit der Entscheidungen bleibt in allen Umfragen zurück: Zwischen einem Viertel und einem Drittel gibt sich nicht restlos entschlossen. Das hat weniger mit schlecht gemachten Umfragen zu tun, aber viel mit Taktieren der BürgerInnen, was in einem Wahlsystem, das letztlich auf zwei Runden angelegt ist, fast immer der Fall ist. Denn nebst der eigentlich beantworteten Kardinalfrage, wer noch einmal antreten darf, geht es am Sonntag um Geschmacksfragen, wer wie gut abgeschnitten hat und sich in anstehenden Verhandlungen für Ministerien und Aktionsschwerpunkten wie stark einbringen kann.

Claude Longchamp

Im Kanton Thurgau legt die BDP am meisten zu – es verliert vor allem die SVP.

Der Kanton Thurgau hat gewählt. Gestärkt worden ist damit in erster Linie die neue Mitte. Elektoral verloren hat vor allem die Rechte. Die Wahlbeteiligung ist auf dem historischen Tiefststand.

Die Wahlsiegerin im Kanton Thurgau heisst BDP. Sie erobert 5 der 130 Grossratssitze und erreicht damit auf Anhieb Fraktionsstärke. Gewinne gibt es auch für die GLP (neu 6), EDU (neu 6) und SP (neu 19). Grosse Verliererin der Parlamentswahlen in Ostschweizer Kanton ist die SVP. Zwar bleibt sie grösste Partei, duch verliert sie mit 10 Abgängen einen Fünftel ihrer bisher 51 Sitze. Kleine Verluste gibt es auch für die GP (-2/9), EVP, CVP (je -1/5 resp. 21). Halten kann sich die FDP (18).

Wahlanalysen im eigentlichen Sinne liegen aus dem Kanton Thurgau noch keine vor. In den ersten Kommentaren wird auf die neue Wahlkreiseinteilung verwiesen, welche kleinere Parteien begünstige, und auf die BDP als neue Partei, welche das Lager rechts der Mitte neu aufgemischt habe. Für die Verluste der SVP werden auch äussere Faktoren verantwortlich gemacht, so die Involvierung eines (wiedergewählten) SVP-Mitgliedes des Parlamentes in die Hildebrand-Affäre.

Festhalten muss mab zu allererst, dass die Wahlbeteiligung sank. Mit 30.8 Prozent erreichte sie den historischen Tiefstwert für den Kanton. Gegenüber 2008 bedeutet dies einen Rückgang von 3,1 Prozentpunkten, oder anders gesagt: Ueberschlagsmässig hat sich jeder 10. Wähler, jede 10. Wählerin vor vier Jahren nicht mehr beteiligt. Demobilisierung wird damit zum wichtigste Stichwort jeder Analyse.

Doch der Reihe nach: Stellt man nicht auf die Sitzzahlen, sondern auf die Prozentwerte zu den Parteistärken ab, resultieren die gleiche Gewinnerinnen- und Verliererinnen. Indes, die Proportionen sind anders. So verliert die SVP anteilsmässig weniger; es bleibt aber immer noch ein Rückgang von einem Siebtel. In Prozentpunkten beträgt der Verlust 5.3 Prozent; neu kommt sie auf 30.5 Prozent. Zweitergrösste Verliererin in die CVP. Sie büsst 2 Prozentpunkte ein und kommt neu auf 13.9 Prozent. Die GP hat einen Rückgang von 1.5 Prozentpuntken (neu7.7%), während die EVP von 5.2 auf 4.8 Prozent fällt.

Die grössten Gewinne gibt es wiederum für die BDP, sie kommt bei ihrer ersten Wahl auf 4.8 Prozent. Auch die GLP legt mit einem Plus von 3,4 Prozentpunkten recht kräftig zu; neu hat sie einen Anteil von 5.9 Prozenten. EDU und SP verstärken sich um je 0,6 Prozentpunkte. Die SP ist neu bei 13,6, die EDU bei 4,6 Prozenten. Marginal zulegen kann hier auch die FDP, die sichvon 14 auf 14,2 Prozent verbessert.

Damit überholt die FDP die CVP zwar nicht in der Mandatsstärke; bei der Wählerstärke ist sie neu die Nummer 2, hauchdünn vor der CVP und der SVP. Dahinter folgen GP, GLP, EVP, BDP und EDU. Die GLP überholt damit die EVP und die EDU, letztere wird auch von der BDP überholt.

Die Bilanz lautet damit: Gestärkt worden ist damit in erster Linie die neue Mitte. Elektoral verloren hat vor allem die Rechte, marginal auch die Linke: von Polarisierung, aber auch von Rechtsrutsch keine Spur mehr!

Ohne Wählerstromanalysen bleibt es Spekulation, wer von wem Wählende gewinnen konnte. Aus der Erfahrung heraus kann man aber vermuten: Die Demobilisierung hat namentlich der SVP geschadet, sie hat auch eine negative Wanderungsbilanz zur BDP. Diese und die GLP sind wohl auch Konkurrentinnen für die CVP, letzter in erster Linie auch für die GP.

Wellen geworfen haben die Thurgauer Wahlen 2012 keine. Von einem Aufbruch, wie er noch 2004 und 2008 zu spüren war und die Wahlbeteilgung ansteigen liess, war diesmal nichts mehr zu spüren. Gestoppt worden ist dafür der Rechtsruck des Kantons, wie die SVP auf Spitzenwerte kam.

Die erheblichen Wahlverluste für die wählerstärkste Partei reihen sich in die Serie ein, die spätestens bei den Nationalratswahlen sichtbar wurde. Angefangen hat sie jedoch mit den Parlamentswahlen im Kanton Zürich vor genau einem Jahr. Seither sind verschiedene Hochburgen der SVP erfasst worden. Hauptgrund ist, dass die Mobilisierungsfähigkeit stark nachgelassen hat. Das beginnt bei den Kampagnen, die nicht mehr im gleichen Masse zünden wie man das gewohnt war, was sich negativ auf die Medienaufmerksamkeit auswirkt. Es setzt sich aber auch bei den umstrittenen Personen fort, die vor allem vom Durchschnitt der WählerInnen kritischer beobachtet und beurteilt werden als auch schon. Neu ist, dass dieser Trend weg von der Homogenisierung auch eine Kantonalpartei erfasst haben, die als gemässigt galt, am ehesten noch wie eine traditionelle Volkspartei politisiert.

Profitiert haben davon verschiedene Parteien, im Thurgau beispielsweise die EDU; sie füllt einen kleine Teil des entstandenen Vakuums. Darüber hinaus wiederholt sich das Wahlergebnis bei den gesamtschweizerischen Nationalratswahlen 2011 auch in anderer Hinsicht. Denn mit der BDP und GLP haben zwei neue, unverbrauchte Parteien, die im Zentrum politisieren Erfolg. Den vermisst vor allem die CVP, er bleibt aber auch bei der GP aus, während FDP und SP etwas besser wegkommen als dies gesamtschweizerisch der Fall war.

Claude Longchamp

Wer Sarkozy und wer Hollande favorisiert.

Jeden Abend, punkt 18 Uhr, erklärt IfOP den Stand der Dinge bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen. Sarkozy hat gewisse Chancen im ersten Umgang die Nase vorne zu haben. Für den zweiten ist er einzig bei den Rechten, Rentnern und Landwirten der Favorit.

IfOP setzt 2012 ganz auf die Methoden „rolling“. Befragten wird jeden Tag, zuerst 333 innert 24 Stunden, jetzt, gegen den Schluss, 900 täglich. Erhoben werden die Daten via Telefon und Internet. Die erhaltenen Ergebnisse werden gewichtet, nach Geschlecht, Alter, Beruf und Region und Agglomeration, um ein quotengetreues Abbild Frankreichs zu haben.

Jeden Tag werden die aufsummierten Resultate der letzten drei Befragungsscheiben veröffentlicht. Aktuell ergibt dies:

1. Umgang: Sarkozy (28.5%) vor Hollande (27%)
2. Umgang: Hollande (54%) vor Sarkozy (46%)
3. Wunschpräsident: Hollande (38%) vor Sarkozy (33%)
4. Wahrscheinlicher Präsident: Hollande (39%) vor Sarkozy (26%).

Hauptproblem des amtierenden Präsidenten ist demnach, dass ihm letztlich nur seine überzeugte Anhängerschaft noch eine Trendwende zutraut. Hoffnungsträger der Nation ist der glänzende Sieger von 2007 keineswegs mehr. Vielmehr riskiert er, in der Ballotage als Präsident der Franzosen und Französinnen gar abgewählt zu werden.

Der Wahlkampf hat diese Bilanz nicht wirklich ändern können. Einzig was den ersten Wahlumgang angeht, ist es dem Rechten Sarkozy gelungen, den linken Widersacher zu überholen. Indes, der Vorsprung bleibt, mit 1,5 Prozentpunkten, gering. Zudem war es, mit den Attentaten in Toulouse als Auslöser, keine Kampagnenereignis, dass das einleitete.

Hoch ist die Polarisierung zwischen beiden Favoriten gemäss Detailanalysen in politischer Hinsicht. Beschränkt fällt sich nach Berufsgruppen aus, wo die Landwirte klar zum Präsidenten halten, derweil namentlich obere und mittlere Kader eher hinter dem Herausforderer stehen. Bloss noch gering ist sie nach Alter, denn beide haben, für den ersten Wahlgang, Defizite bei den jüngeren Altergruppen. Kaum nennenswerte Unterschiede gibt es in den Wahlabsichten der Geschlechter; Sarkozy hat einen minimen Vorsprung bei den Frauen, wenigstens am Anfang.

Was die zweite Runde angeht, liegt Sarkozy, nebst bei den WählerInnen seiner UMP und jenen des FN einzig noch bei Landwirten und RentnerInnen vorne. Sie bilden den Kern seiner Unterstützung. Alle anderen Gruppen neigen eher zu seinem wahrscheinlichen Nachfolger, insbesondere auch die Modem-Wählenden aus dem politischen Zentrum.

Mit der neuen Methode hat IfOP auf die Herausforderungen der Instant-Analysen via Internet-Befragungen reagiert. Zudem wollte man Ereignis-Anlaysen betreiben. Ersteres ist gelungen; die Web-Seite von Paris-Match, welche die Resultate exkulisv präsentiert, wird gut frequentiert. Zweiteres hat bis jetzt kaum etwas gebracht, aber eigentlich eher deshalb, weil es an wirklichen Ereignissen im Wahlkampf fehlte.

Gross sind die Unterschiede zu den Resultaten mit der bisher verwendeten Methode übrigens nicht. Vielleicht sind die Ergebnisse von IfOP ein Pulsschlag rechter als die der anderen Institute. So sah die Erhebung von BVA, die ebenfalls heute veröffentlicht wurde, François Hollande selbst im ersten Umfang knapp vorne. (Heute doppelt CSA nach und sieht Sarkozy ebenfalls schon von Beginn weg in Rücklage).

Claude Longchamp