Die heilige Pflicht der SVP

Nach der deutlichen Attacke, die FDP-Präsident Fulvio Pelli an die Adresse der SVP reiten konnte, gibt die NZZ Toni Brunner in der morgigen Ausgabe das Wort für eine Replik. Die SVP sei unschuldig, müsse die Machtbewahrer in der Mitte anklagen und habe die heilige Pflicht, alleinige Mahnerin auf weiter Flur zu sein.

SWITZERLAND/
Toni Brunner: Die FDP soll zuerst ihre Positionen klären, bevor sie anderen Parteien Vorschriften macht.

Der Allianz der Mitte gehe es nur um Machterhalt, kritisiert SVP-Präsident Toni Brunner seine bürgerlichen Kollegen unter den Parteipräsidenten. Vom Wähleranteil her sei der zweite Sitz im Bundesrat viel ausgewiesener als die vier der Mitte-Parteien. Doch stehe namentlich Pelli wegen seinem Lavieren in der Frage der Weissgeld-Politik unter Druck, gibt der SVP-Chef zurück. Deshalb schlage er momentan wild um sich, treffe er die Falschen.

Die SVP arbeite im Bundesrat loyal mit, habe aber als stärkste Partei nur einen Bundesratssitz, gibt Brunner zu bedenken. Deshalb müsse sie ihre Vorstellung auch anderweitig vorbringen und umsetzen. Man bleibe aber berechenbar, wenn auch unbequem, wie etwa bei der EU-Beitrittsfrage oder tabuisierten Migrationsthemen. Das alles sei “die heilige Pflicht der SVP”, gibt der SVP-Präsident der NZZ zu Protokoll.

Wie schon lange nicht mehr fliegen seit Tagen die Fetzen zwischen den Schweizer Parteispitzen. Denn seit die SVP im Winter 2009/2010 bekundet hat, bei einem Rücktritt von Hans-Rudolf Merz den zweiten Bundesratssitz der FDP anzugreifen, sieht sich der Partner in zahlreichen Kantonen national neu um. Von der Umklammerung der Lobbies versucht man sich seit Wochen zu lösen, und politische sucht man das Heil im Zentrum. Genau das ärgert die SVP. Denn ohne Verbündete in Regierung und Parlament sind ihre Position trotz hohem Wähleranteil für die Partei politisch nicht umsetzbar. Und so bleiben nur die Wahlen 2011, die eine Klärung bringen könnten. Bis dahin ist zu erwarten, dass die SVP ihrer heiligen Pflicht unvermindert nachkommt.

SVP provozieren, um dereinst gemeinsam der SP drohen zu können

Rechtzeitig aufs Wochenende geht Fulvio Pelli in Sachen bürgerlicher Allianz via Interview in der NZZ in die Offensive. Er setzt die SVP unter Druck, nicht zuletzt aber, um gemeinsam die SP fordern zu können.

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Fulvio Pelli: Für eine liberale Allianz der Regierungswilligen (Quelle: NZZ)

FDP-Präsident Fulvio Pelli nimmt dem Treffen seiner Partei mit der CVP und der BDP im Gespräch mit Martin Senti den Nimbus des Anrüchigen. Eingeladen habe die CVP, welche die Teilnahme von BDP eingebracht und die Auslassung von glp und EVP alleine entschieden habe. Die Treffen nennt er einbe bürgerliche Allianzbildung unter Parteien, welche die Schweiz mitregieren wollen. Ausgangspunkt sei die Instabilität des Regierungssystems, weil sich die SP nicht auf vernünftige Positionen einigen könne, und weil die SVP gar nicht mitregieren will.

Die bürgerliche Ausrichtung der Bundesregierung funktioniere sachpolitisch nur noch, weil die drei Parteien vier Sitze hätten. Die SVP verlange nicht zu unrecht einen weiteren Sitz, müsse dafür aber auch bereit sein, gemeinsame Positionen mitzutragen. Denn ohne das erleichtere man das Spiel der SP, von den bürgerlichen Parteien Konzessionen zu erzwingen.

Die jetzigen Gespräche seien in der Sache produktiver gewesen als frühere. Bei Personenfragen müssen man mit offenen Karten spielen, weil sonst nur mehr Probleme entstehen. Beschlossen habe man, dass Profilierungsübungen zwischen FDP, CVP und BDP aufhören. “Denn nur so könne man verhindern, dass unheilige Allianzen dereinst auch die Regierungspolitik blockieren.”

Die Schilderung der Gespräche aus Pellis Sicht nimmt ihnen die Dramatik. Seitenhiebe, vor allem an die Adresse der SVP wegen ihrer abnehmenden Regierungswilligkeit, geben ihr dennoch einen drive.

Das ganze erinnert an die Geburtsstunde der Zauberformel. Damals erpresste die BGB (Vorgängerpartei der SVP) die FDP und KK (Vorgängerpartei der CVP) mit Referendumsdrohungen, welche sich namentlich gegen die aussenwirtschaftliche Offenheit der Schweiz wandten. Das führte zur Inkorporierung der SP ins Regierungslager, was zwar Konzessionen ans linke Lager mit sich brachte, die Veto-Position der BGB aber schmälerte. Denn das bürgerliche Zentrum hatte nun zwei Möglichkeiten, einen Ausgleich zu finden.

Zwischenzeitlich drohen SVP und SP wieder regelmässig mit Referenden, und markieren sie und auch ihre Bundesräte abweichenden Position vor und nach gemeinsamen Entscheidungen. Das bringt das bürgerliche Zentrum regelmässig in die Bedrouille, aus der es sich befreien will. Sachpolitisch ist das gut nachvollziehbar, machtpolitisch hat man diese Woche einiges hinzugelernt.

Nun ist die SVP im Zugzwang, denn ihr gilt das Interview Pellis in erster Linie. Zu lachen hat die SP dabei nicht, denn der Preis für mehr gemeinsame Politik auf bürgerlicher Seite könnte sein, die Linke zu schwächen, durch parteipolitische Umbesetzungen des Stuhls von Moritz Leuenberger, sei es in Richtung einer bürgerlichen Regierung oder unter Einbezug der Grünen ins Regierungslager.

“Arena” von morgen: Allianzen ja, Machtansprüche nein!

Die Arena-Sendung zum Machtpoker im Bundeshaus ist noch gar nicht gesendet. Doch schon werden die Ergebnisse der gestern abend aufgezeichneten Diskussionsrunde bereits übers Internet verbreitet. Mein Kommentar.

Fulvio Pelli, FDP-Präsident, geht in die Offensive. Er habe zum Schulterschluss von FDP, CVP und BDP eingeladen. Begründung: Angesichts der Blockierungen durch SVP und SP sei die Schweiz gegenwärtig nicht führbar. Dem widersprechen die angeschuldigten Parteipräsidenten: Toni Brunner von der SVP und Christian Levrat von SP sind der Auffassung, im Zentrum beabsichtige man, sich schon vor den Parlamentswahlen die Mehrheit im Bundesrat zu sichern.

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Letztlich dreht sich alles um den Sitz von Evelyne Widmer-Schlumpf. Die klarste Aussage hierzu macht Martin Bäumle, Präsident der Grünliberalen: Wenn die bürgerlichen Zentrumsparteien der BDP einen Sitz zugestehen, müssen sich FDP und CVP mit je einem Sitz im Bundesrat begnügen. Mehr als drei Sitze stehen ihnen im siebenköpfigen Bundesrat nicht zu.

Fulvio Pelli insistiert darauf, die Nachfolge von Bundesrat Hans-Rudolf Merz stellen zu können, solange man drittstärkste Partei sei. Mit einem baldigen Rücktritt sei übrigens nicht zu rechnen. Abgerechnet werde nach den Parlamentswahlen.

Ich werde mir die Sendung morgen ansehen. Unvernünftigt scheinen mir diese Aussagen nicht. Denn bei solchen Sendungen entscheiden auch die Zwischentöne.

Mehr Allianz-Bildung im Zentrum ist angesichts der Magnete links und rechts sinnvoll, Machtansprüche über Gebühr anzumelden, goutiert man hierzulande nicht. In einer Konkordanzregierung ist die SVP sicherlich untervertreten.

Wer etwas anderes anstrebt, sollte mit offenen Karten spielen. Verwerflich ist es nicht, sich nach neuen Regierungsformeln umzusehen. Denn die Zahl der Ansprüche liegt klar über der der Sitze. Doch sollten diese nicht aufgrund unsicherer Opportunitäten und abzuwählender Personen diskutiert werden, denn Regierungsstabilität bleibt eines der wichtigsten Kriterien der Demokratie – genauso wie die Frage, wer im Rahmen einer Regierungsreform welchen Beitrag zur Lösung aktueller und kommender Probleme leisten will.

FDP und CVP: das Schicksal des LdU vermeiden

Anton Schaller war mal Chefredaktor des Schweizer Fernsehens. Doch dann zog es ihn in die Politik. Die erhofften Wahlerfolge für sich und für seine Partei blieben indessen aus. So war er der letzte Parteipräsident des Landesrings der Unabhängigen – vor dessen Auflösung im Jahre 2000. Seither wirkt es als Kommunikationsberater, und als solcher greift er, eingeladen von der NZZ, in die Debatte über die Neuformierung der politischen Mitte ein.

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Anton Schaller: keine Fusion, aber eine gemeinsame Fraktion auf FDP und CVP

Vielleicht dramatisiert er aus seinem eigenen Trauma heraus. Seine Aussage ist dafür umso klarer: “Noch nie waren die Chancen so gross, noch nie lag so brach, was jetzt beackert werden könnte: die politische Mitte. Er steht offen, der dritte Weg. Der Weg zwischen dem rechten und dem linken Lager, der Weg der Vernunft.” Mit diesen Worten eröffnet Schaller seine Analyse der Parteienlandschaft, die es im politischen System der Schweiz braucht, die er aber nicht mehr findet. Statt wie der LdU vor 10 Jahren zu enden, empfiehlt er der geschwächten FDP und CVP sich zusammen zu raufen.

“Der Ausweg liegt im Zusammenschluss der aufrechten liberalen Kräfte in den beiden Parteien FDP und CVP. Im Bündnis der modernen, weltoffenen Geister, die mehr wollen als nur sich selber genügen.” Damit ruft er ZentrumspolitikerInnen auf, die weder im Isolationismus noch im Sozialromantismus erstarren wollen auf, sich zusammen zu tun. Ganz im Sinne des “sozialen Kapitals” empfiehlt er ein Wirtschaftsordnung, die den wilden Kapitalismus der Banker im Zaun hält, und dem immer wieder auflebenden Sozialismus die Realitäten vorrechnet. Verbindend soll sein, die humanitäre Tradition der Schweiz in der globalen Welt nicht aufs Spiel zu setzen.

Die neue Mitte muss aus den bestehenden Parteien hervorgehen, postuliert Schaller. Vor Fusionen warnt er aber. Vielmehr empfiehlt er eine gemeinsame Fraktion in der Bundesversammlung, welche offensiv politisiert, und nicht wartet, bis sie verzweifelt zum letzten Zug ansetzen darf.

Provokationen, die sitzen

Die Provokation: Am Sonntag wurden Planspiele ruchbar, wonach sich die Parteispitzen von FDP, CVP und BDP absprechen, minimal für Themen, maximal für die Wahlen in den Bundesrat. Ziel sei es, die vier Sitze der drei Partei in der Bundesregierung zu wahren, allenfalls untereinander zu tauschen.

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Blocher, Hayek und Levrat im gemeinsamen Auftritt: Szene, welche die bürgerliche Mitte irritierte und Anlass bot, eine liberale Allianz zu lancieren, auf die widerum SVP und SP aufgeschreckt reagieren.

Die Reaktionen: Die Antworten der so herausgeforderten Polparteien blieben heute nicht aus. Für SVP-Parteipräsident Toni Brunner ist es klar, die Sitze im Bundesrat müssen nach der Parteistärke verteilt werden, und die SVP hat als wählerstärke Gruppe im Bundeshaus Anspruch auf 2 Sitze. Deshalb werde man bei jedem Rücktritt eigene Kandidaten stellen. Im Vordergrund steht Caspar Baader, der Fraktionschef, der sowohl bei einer FDP- wie auch bei einer SP-Vakanz antreten werde. Das dabei die Konkordanz-Verteilung gestört werden könnte, kümmert den St. Gallen Nationalrat kaum. Vor allem die SP habe sich mehrfach nicht an die Regeln der einvernehmlichen Sitzverteilung nach Parteistärken gehalten; sie könnte dafür büssen müssen.

Für Christian Levrat, den SP-Präsidenten, stellt sich die Frage noch deutlicher. Er droht den anderen Regierungsparteien mit dem Rückzug seiner Partei aus dem Bundesrat, sollte Evelyne Widmer-Schlumpf zu Lasten der SP wiedergewählt werden. Weder von der Parteienstärke sei das gerechtfertigt, noch sie die Justizministerin eine Linke. Wer das übersehe, soll klar stellen, dass der die Konkordanz abschaffen und zugunsten eines Mehrheitssystems umfunktionieren wolle.

Nichts zu verlieren haben die Grünen. Sie schwiegen denn heute zum Vorhaben der Mitte-Parteien. Diese wiederum halten sich zurück. Fulvio Pelli von der FDP und Hans Grunder von der BDP äusserten sich öffentlich gar nicht, und Christophe Darbellay reduzierte die Ansprüche der Allianz auf thematische Absprachen, um unheiligen Allianz vorzubeugen. Ins gleiche Horn stiess auch FDP-Generalsekretär Stephan Brupbacher, der den Ball möglichst tief halten wollte.

Meine Bilanz von heute: Die Provokation sitzt. Wäre an der Geschichte nichts dran, wäre sie wohl auch sofort gestorben. Dass sie diskutiert wird, zeigt, dass der eingeschlagene Nagel getroffen hat. Die Verwunderung darüber ist eigentlich erstaunlich. Die SVP fordert schon länger, die SP im Bundesrat zu schwächen. Grünen ihrerseits wollen eine Konkordanz ohne SVP. Und das liberale Zentrum will eine Mitte und Bundesrat, die stärker ist als ihr Wähleranteil.

Interessant, dass bisher kaum jemand nachgerechnet hat: Das sich neuformierende Zentrum kommt in der Bundesversammlung auf 105 Sitze. Ohne die EVP und glp sind es 99. Das gilt letztlich auch für die SVP, die auf 65 Sitze kommt, während es für rot-grün für maximal 76 Sitze reicht. Bei einer Dreiteiligung der Stimmen in die genannten Blöcke hat niemand wirklich gesicherte Mehrheiten, um den eigenen Willen gegen den der anderen durchzusetzen. Oder anderes gesagt: Wenn SVP, SP und Grüne nicht wollen, dass Evelyne Widmer-Schlumpf Bundesrätin bleibt, kann die Zentrums-Allianz sie nicht halten.

Einen Ausweg anderer Art verkündete heute das Tessiner Parlament. Um ihre Sprachminderheit im Bundesrat besser vertreten zu können, regt sie im Rahmen der laufenden Regierungsreform an, die Sitzzahl des Bundesrates von 7 auf 9 zu erhöhen. Womit wieder alles anders wäre!

FDP, CVP und BDP auf dem Weg zu einer Wahlallianz 2011

Via Sonntagspresse künden FDP, CVP und BDP an, für die Wahlen 2011 eine gemeinsame Wahlallianz anzustreben. Was könnte die Gründe, was die Aussichten des Projekts sein?

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Lange war alles klar in der Schweizer Politik: FDP, CVP, SP und SVP bildeten im Konkordanzsystem gemeinsam die Regierung. Mit den Wahlen 1995 begannen sich die Parteistärken jedoch dramatisch zu ändern. Die Regierungszusammensetzung änderte sich, ohne dass sich dabei ein neues Gleichgewicht eingestellt hätte. Vielmehr besteht der siebenköpfige Bundesrat heute aus 5 Parteien, und drei Fraktionen erheben den Anspruch neu oder verstärkt vertreten zu sein.

Vom Auslaufen der scharfen Bi-Polarisierung des Parteiensystem war auf diesem Blog schon mehrfach die Rede. Geortet wird seit 2007 eine elektoral wiedererstarkte Mitte. Denn nicht nur CVP mit EVP und Grünliberalen, vermehrt auch die FDP und die BDP drängen (wieder) ins Zentrum. Im Bundesrat hat man zusammen eine numerische Mehrheit, im Ständerat auch. Doch im Nationalrat können die Polparteien Projekte gezielt auflaufen lassen, wenn sie ihre Stimmkraft auspielen. Und da im Zentrum keine Partei den Lead für sich beanspruchen kann, wird man so nicht selten hin- und hergerissen und politisiert man gegen- statt miteinander.

Will man bei jetzigen Regierungssystem bleiben, braucht es vermehrt Zusammenarbeit, selbst wenn es unverändert personelle und elektorale Hindernisse gibt. Denn die direkte Demokratie gibt gelegentlich den Opponenten recht, ohne dass daraus ein Regierungsprogramm entsteht. Und der Föderalismus mässigt Positionen, die sich in einer klar rechten oder linken Regierung realisieren liessen.

Genau das könnte die Spitzen der FDP, CVP und BDP bewogen zu haben, nach einem Ausweg zu suchen. Wie in der heutigen Sonntagszmedien bekannt wurde, trafen sich Fulvio Pelli, Christophe Darbellay und Hans Grunder verstärkt durch Wirtschaftsvertreter ihrer Parteien mehrfach, um dem Vernehmen nach folgenden Plan vorzubereiten:

Erstens, gemeinsame Gremien sollen die politische Kooperation der drei Parteien vorbereiten in den zentralen Politikfeldern vorbereiten.
Zweitens, im Wahlkampf 2011 soll man sich nicht gegenseitig bekämpfen, vielmehr Listenverbindungen eingehen.
Drittens, im Bundesrat soll die Mehrheit mit vier von sieben Sitzen über 2011 hinaus gewahrt bleiben.

Dafür würden Bundesrat Hans-Rudolf Merz noch vor den Parlamentswahlen zurücktreten. Evelyne Widmer-Schlumpf könnte ins Finanzdepartement wechseln und Karin Keller-Sutter als neue FDP-Bundsrätin kandidieren und Justizministerin werden. Die SVP, die angekündigt hat, der FDP den 2 Sitz in der Landesregierung streitig zu machen, würde so wohl ins Leere laufen. Die BDP würde 2011 mit der Wiederwahl von Widmer-Schlumpf bedient, und die CVP könnte die BDP beerben, wenn Widmer-Schlumpf zurücktritt.

Das tönt alles nach “Vorteil FDP”, was nicht nur gut sein muss. Denn die zahlreichen bisherigen Versuche der Koordination im Zentrum scheiterten, wenn sie eine Partei über den Tisch gezogen fühlte. Der Kern dürfte die thematische Zusammenarbeit sein, und darüber hinaus eine Allianz, welche bei Wahlen spielt, um sich das Geschehen weder von rechts noch links diktieren zu lassen.

Gerade deshalb ist die Koordination im erweiterten Zentrum nötig: Die SVP tritt homogen auf, und die rotgrünen Parteien kennen solche Absprachen schon länger. Und: Ohne einen gemeinsamen Leistungsausweis droht der FDP eine folgenreiche Wahlniederlage, könnte die BDP Wahlsiegerin werden und trotzdem aus der Regierung fliegen, und die Zentrumsfraktion aus CVP, EVP und glp an der inneren Konkurrenz ganz scheitern.

Mit einer ordentliche Arbeit in der Sache könnte die Kooperationsbereitschaft unter den schweizerischen Parteien, die regieren wollen, wieder steigen. Zuerst im Zentrum selber, dann aber auch an den Polen, die gezwungen würden, Farbe zu bekennen, ob sie nur Trittbrettfahrer des Konkordanzssystems oder Teile der Bundesregierung ohne Wenn und Aber sind.

Polarisierung der Schweiz trotz Konkordanz zwischenzeitlich extrem

Der EU-Profiler, der bei den jüngsten europäischen Wahlen die thematischen Positionen der Parteien analog smartvote untersucht hat, lässt die Profile der schweizerischen Parteien im EU-Vergleich bestimmen. Fazit: Trotz Konkordanzkultur positionieren sich die schweizerischen Parteien, insbesondere die SVP und die SP, für ihre “Familie” extrem.

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Die Positionierung der CVP entspricht ziemlich genau der der europäischen Volksparteien. Für eine europäische liberale Partei ist die FDP etwas zu stark wirtschaftsliberal, gleichzeitig auch zu konservativ. Die SP hat ein sozialdemokratisches Profil, wenn sie auch extremer als das Mittel positioniert ist. Bei den Grünen ist die Uebereinstimmung mit den verwandten Parteien fast perfekt. Die SVP schliesslich passt am ehesten zu den nationalkonservativen Partei, mit einem verstärkten Hang zu wirtschaftsliberalen Positionen.

Die SVP ist mit ihren Wahlsiegen die stärkste politische Kraft in der europäischen Parteienfamilie der Nationalkonservativen. Die FDP liegt im Mittel; ihren Bonus als Staatsgründerin hat sie nach ihren Wahlniederlagen der letzten Jahrzehnte verloren. CVP und SP sind eher schwächer als das europäische Mittel, die Grünen eher stärker.

Kombiniert man Position und Stärke der Parteien miteinander, hat die Schweiz das am stärksten polarisierte Parteiensystem Europas. Die wird vor allem durch die Positionen von SVP und SP bestimmt. Einen direkten Zusammenhang zwischen Polarisierung und Wahlerfolg gibt es aber nicht. Hierfür müssen gemäss Studie sowohl die Wahkämpfe mit ihrem Themen berücksichtigt werden, als auch die soziologischen Voraussetzungen. Zu ihnen zählen der Wohlstand, die Beschäftigtenstruktur, die dominante Konfession und die geografische Lage.

Aus Schweizer Sicht interessiert vor allem das Resultat zum Polarisierungsgrad. Demnach beeinflussen institutionelle Strukturen die Positionierung der Parteien nur bedingt. Vielmehr hängt das von den Konkurrenzsstrategien im Parteienwettbewerb ab. Die Polarisierung das parteipolitischen Landschaft in den letzten 20 Jahren hat der Profilierung der Parteien genutzt, ihre Kooperationsfähigkeit aber geschwächt.

Gemäss Andreas Ladner, dem Hauptautor der Studie, verhindert Konkordanzkultur Positionsbezüge nicht. Sie stele aber erhöhte Anforderungen an die Parteieliten, parteiübergreifend thematischen Konsens nach den Wahlen herzustellen. Nur auf der Basis dieses Willens könne die Konkordanzkultur der Schweiz erneuert und gestärkt werden.

Bundespräsidentin Doris Leuthard kommt gut an

Doris Leuthard, die aktuelle Bundespräsidentin, führt das neueste Bundesratsranking von Isopublic an. 77 Prozent der für die Sonntagszeitung resp. Le Matin Dimanche befragten 1003 Wahlberechtigten sind der Meinung, sie sollte in der Bundespolitik eine wichtige Rolle spielen. Damit verbesserte sie sich in den letzten 5 Monaten um 3 Punkte.

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Didier Burkhalter, gerade mal solange im Amt, nimmt mit 68 Prozent Zuspurch neu den zweiten Platz ein, vor Eveline Widmer-Schlumpf (65%, -7 Prozentpunkte) und Micheline Calmy-Rey (61%, +5 Prozentpunkte) und Ueli Maurer (59%, +4%).

Leuthard und Burkhalter polarisieren in der Wahlbevölkerung kaum, Widmer-Schlumpf, Calmy-Rey und Maurer beschränkt, bei positivem Saldo. Genau das ist bei den beiden Schlusslichern nicht der Fall. Denn Hans-Rudolf Merz (44%, -3 Prozentpunkte) und Moritz Leuenberger (43%, -7 Prozentpunkte) ecken bei mehr Wahlberechtigten an, als sie Unterstützung finden. Damit polarisieren sie erheblich.

Eigentliche Gewinnerin der letzten Monate ist die Genfer Sozialdemokratin Calmy-Rey; sie legte am meisten zu. Ihr Parteikollege Zürcher Leuenberger verlor dafür mit der Bündnerin Widmer-Schlumpf von der BDP am meisten. Insgesamt verlieren die BundesrätInnen leicht an Zustimmung.

Bei den Wahlabsichten der Parteien halten sich die aktuellen Veränderungen der Messung vom 4. bis 17. Februar 2010 in engen Grenzen. Eine klarere Sprache ertönt, wenn man die jüngsten Messwerte mit den Wahlergebnissen 2007 vergleicht. Demnach gewinnt Calmy-Reys SP (+1,9%) und Leuthards CVP am ehesten hinzu (+1,4%). Die FDP, neu durch Burkhalter repräsentiert, verliert weiter (-1,2%). Noch grösser wären die Einbussen der SVP (-4,8%). Davon profitieren würde vor allem dei BDP (+4,3%, 2007 aber noch gar nicht existent).

Die Trends bei den BundesrätInnen sind klarer und plausibler. Jene bei den Parteien widersprechen teilweise den kantonalen Wahlergebnisse diametral, und auch den Messwerten von Isopublic für die Gemeindewahlen in der Stadt Zürich. Diese sehen bei der SVP keine wirkliche Trendwende zum Schlechteren, und bei der SP keine gesicherter zum Besseren.

Regierungsvertrauen 2009 wieder rückläufig

2009 war nicht das Jahr des Bundesrates. Das zeigt auch der Langzeitvergleich der VOX-Analysen. Erstmals seit 2004 sinkt das Regierungsvertrauen in der Schweiz wieder.

Anfangs 2009 vertrauten noch 53 Prozent der Regierungsarbeit auf Bundesebene. Ende Jahr waren es noch 42 Prozent. Es überwog das Misstrauen mit 44 Prozent (+9%).

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Das wirtschaftliche und politische Umfeld können als Ursachen gelten. Hinzu kommen umstrittene Entscheidungen des Bundesrates, etwa im Fall der UBS, beim Bankgeheimnis und im Steuerstreit. Höhepunkt der medialen Kritik gegen den Bundespräsidenten war die Libyen-Affäre.

Eingebrochen ist vor allem das Regierungsvertrauen der SVP-Wählerschaft. Es ist tiefer als in der Phase, als die Partei in der Opposition war. Zwischenzeitlich ist es dem der parteipolitisch ungebundenen BürgerInnen vergleichbar. Anders verhält es sich bei den Wählerschaften von SP, FDP und CVP. Die Hälfte vertraut dem Bundesrat. Bei der SP ist kein eigentlicher Trend sichtbar. Bei FDP und CVP lässt die Unterstützung nach.

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Bei Volksabstimmungen zeigten sich vorerst keine Auswirkungen. Die Verlängerung der Personenfreizügigkeit anfangs 2009 passiert noch glatt. Knapper war es bei den Biometrischen Pässen und der IV-Zusatzfinanzierung. Beim Minarett-Verbot Ende Jahr kippte dann die Stimmung. Es siegte die Opposition.

Das Ausmass des Misstrauen 2009 muss jedoch relativiert werden. Insbesondere nach der UNO-Beitrittsabstimmung begann es zu sinken. 2004 erreichte es den bisherigen Tiefststand. Bis zu 52 Prozent Misstrauen zeigten die Umfragen damals, während das Vertrauen auf einen Viertel der BürgerInnen zusammenschmolz. Die Stimmungslage verbesserte sich ab 2006 sukzessive. Selbst angesichts der beginnenden Finanzkrise nahm es 2008 unverändert zu.

Das ist wieder passé. Und es gilt nicht nur gegenüber dem Bundespräsidenten. Die Langzeitbetrachtung anhand der VOX-Analyse mit bis zu 4000 BürgerInnen-Interviews jährlich lehrt, dass Wendepunkte im guten wie im schlechten nicht aus der Tagesaktualität entstehen. Vielmehr braucht es eine eigentliche Umkehr in der Politik, um das Grundverhältnis zwischen Bürgerschaft und Behörden zu verändern. Das ist gegenwärtig nicht in Aussicht.

Der Berner Bär wählt – mit Interesse über den Bärenpark hinaus

Mehr und mehr klärt sich die Situation vor den Berner Regierungs- und Grossratswahlen vom 28. März 2010. Aus mehreren Gründen kommen
diesen Wahlen kantonale und nationale Signalwirkungen zu.

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Neue Wahlkreise für die Grossratswahlen machen die Einschätzung der Berner Kantonalwahlen 2010 unsicherer.

Ausgangslage bei den Regierungsratswahlen
Rot-Grün will die Mehrheit in der Kantonsregierung verteidigen. SP und Grüne haben ein Wahlabkommen unterzeichnet und empfehlen die bisherigen 4 RegierungsrätInnen wechselseitig. Bei den Grossratswahlen gehen sie Listenverbindungen ein. Die Grünen erwägen, im Einzelfall auch mit den Grünliberalen Verbindungen zu schliessen.

Im bürgerlichen Lager ist die Blockbildung erschwert, denn es gibt verschiedene Wege zur Wende im Regierungsrat. SVP will auf jeden Fall den Lead auf der rechten Seite und empfiehlt die BDP-Kandidatin nicht. Eine Allianz mit der FDP reiche für den Mehrheitswechsel. Doch der Einzelgang kann zu drei oder vier Sitzen in der Exekutive führen. Bei drei ist es möglich, dass die SVP zwei, die FDP einen und die BDP keinen hat. Denkbar ist auch, dass alle drei Parteien wie bisher je einen bekommen. Bei vier Sitzen dürfte der Gewinn über den speziell berechneten Jura-Sitz erfolgen und an die FDP gehen. Zwei SVP, zwei FDP sind dann wahrscheinlich; 2 FDP und je eine SVP und BDP nicht ganz auszuschliessen.

Letzte Vorbereitungen bei den Grossratswahlen
In der Regel nehmen nur gut 30 Prozent der Wahlberechtigten an den kantonalen Wahlen teil. Schon kleinere Zusatzbeteiligung können die Parteiengewichte nachhaltig durcheinander bringen. Deshalb wird es, wie schon 2006 um die Mobilisierung der Wählerschaft gehen. 2006 verloren die SVP, die SP und die FDP, während die Grünen, die EVP und beschränkt auch die CVP zulegten.

Achten wird man sich vor allem auf die BDP und Grünliberalen. Wo sie bei den jüngsten Gemeindewahlen antrat, machte sie vorwärts. Sie brachte es minimal auf 5 bis 10 Prozent, maximal auf fast 20 aus dem Stand heraus. Kantonal ist ein tiefer, zweistelliger Wert beim Wähleranteil denkbar. Dabei ist unklar ist, auf wessen Kosten das geht. Bei den kommunalen Wahlgängen bekam man den Eindruck, dass sich die SVP trotz BDP meist recht gut hielt, während im bürgerlichen Zentrum verschiedene Gruppierungen, meist aber die FDP, die Zeche bezahlten. Diese ist zwischenzeitlich bürgerlichen Listenverbindungen gegenüber skeptisch, will solche entweder mit allen oder mit niemandem. Letzteres würde der Eigenprofilierung am meisten wünschen.

Mit Veränderungen in den Wahlentscheidungen ist vor allem auch Mitte-Links zu rechnen. Die Grünliberalen haben sich namentlich in den grossen Städten platzieren können. Sie erreichen da schnell einmal 5 und mehr Prozent der Stimmen. Kantonal dürfte der Wert indessen tiefer liegen, weil sie auf dem Land kaum vertreten sind. Dabei machte es auf komunaler Ebene eher den Eindruck, das gehe zu Lasten der SP als der Grünen. Ein Teil der Wählenden stammt aber auch aus dem Zentrum, wo man sich selber am liebsten sieht.

Die Signifikanzen der Wahlen

Das nationale Interesse an den Berner Kantonalwahl ist mehrfach: Zunächst geht es um das Abschneiden der BDP in einem der drei Gründungskantone. Bei den Regierungsratswahlen ist sie in der Defensive, bei den Grossratswahlen dürfte sie Wahlsiegerin werden. Das ist denn auch der Hauptgrund, weshalb die SVP ihre Wahlziele aus der eigenen Optik definiert hat und mit einer frühzeitig lancierten Kampagne bereits zum Jahres die Aufmerksamkeit auf sich ziehen will. Nach der leichten Trendwende bei den Nationalratswahlen 2007 könnte eine Schwächung der Berner SVP ihre Position in der SVP Schweiz mindern, ja das Winner-Bild der SVP Schweiz trüben.

Man wird Ende März auch auf das prekärer gewordene Verhältnis zwischen Rot und Grün schauen. Bei den Regierungsratswahlen sind die Aussichten vorhanden. Die neue SP Schweiz-Führung kündigte an, ab 2010 wieder zur Siegerpartei werden zu wollen. Da sind die Wahlen in der Stadt Zürich und im Kanton Bern der Momente des Tatbeweise. Ohne das dürfte der Konkurrenzkampf zwischen SP und Grünen mit Blick auf 2011 klar zunehmen. Die Grünen, die erstmals seit 1990 wieder als Regierungspartei antreten, sehen sich durch die gemässigteren Grünliberalen herausgefordert – auch das ein Signal für die nationalen Wahlen 2011.

Der Berner Bär wählt also, und man schaut auch ausserhalb des Bärenparks genau hin!