Le dernier cri

52,8 für Hollande, 47,2 für Sarkozy. Das ist ergeben die letzten Umfragen in Frankreich für die zweite und entscheidende Runde bei den Präsidentschaftswahlen 2012.

Die Schelte an die Umfrageforschungsinstitute von Karikaturist Plantu auf der Frontseite von Le Monde nach der ersten Runde war hart. LePen (sondages): 14%, LePen (réel): 18%. 4 Prozent Abweichung – das war viel.
Aber auch bewusst herausgegriffen. Denn es war, die grösste Abweichung bei allen KandidatInnen bei allen finalen Umfragen der Institute.
Das Mittel war deutlicher präziser: 1,6 Prozent Abweichung, wobei TNS Sofres, Harris, OpinionWay und Ifop einen Schnitt von 1.1 bis 1.3 aufwiesen.
Besser als der Schnitte getroffen wurden die beiden Spitzenkandidaten: Sarkozys Schätzfehler über alle Institute hinweg betrug 0.8 Prozentpunkte, jener für Hollande lag bei 1.2.
Damit lagen die Umfragewerte insgesamt innerhalb des Stichprobenfehlers, und sie waren, von Ausreissern abgesehen, zuverlässig.

Für die zweite Runde liegt das Mittel der 8 Institute, die sich diese Woche noch betätigten, bei 52.8 Prozent für Hollande, derweils Sarkozy auf 47.2 Prozent. Gross sind die Unterschiede zwischen den Institute nicht. TNS Sofres neigt mit 53.5 am stärksten zu Hollande, Ifop sieht mit 52 Prozent einen etwas geringeren Wert.

Keine Umfrageserie sieht Nicolas Sarkozy vorne, wenn auch der rechte Amtsinhaber seinen (hypothetischen) Rückstand auf den linken Herausforderer seit dem ersten Wahlgang etwas verkürzten konnte. Dafür spricht auch, dass die letzte finalisierte Umfrage, die von IfoP die knappeste von allen ist.

Bei aller Vorsicht: Francois Hollande hat gemäss Umfragen die besseren Aussichten, morgen Sonntag zum neuen Präsidenten Frankreichs gewählt zu werden.

Bei aller Annäherung der Vorhersagen für die beiden Rivalen: Eine neue Dynamik, wie angekündigt, zu entfachen, gelang es Präsident Sarkozy nach der ersten Runde nicht. Die aufschlussreichen Hintergrundsinformationen, beispielsweise in der Serie von Ifop zeigt, dass die Bevölkerungseinschätzung umgekehrt verliefen: Nach der ersten Runde nahm der Anteil der Franzosen zu, der von einem Wahlsieg Hollandes ausging, und auch der Prozentwert, der das für wünschenswert hielt, stieg, zu lasten der Unschlüssigkeit an.

Und so haben sich die Karikaturisten (wohl wie alle auf Umfragen stützend) bereits heute verbindlich festgelegt. Gut in der NZZ entschied sich für “Le dernier cri”, ein Bild von scheidenden Präsidentenpaar.

ParteipräsidentInnen und Wahlenentscheidungen

Wer nüchtern analysiert, geht von sachpolitischen Präferenzen aus, mit denen WählerInnen Parteiprogramme beurteilen. Wer etwas impulsiver ist, weiss, das Parteiidentifikation heute über Köpfe mit Ausstrahlung hergestellt wird. Ich empfehle den heute gewählten PräsidentInnen und ihren Parteien einen Mix!

Eine systematische Analyse der Einflussfaktoren auf Wahlentscheidungen zeigt, dass bei vier der fünf grössen Parteien in der Schweiz das Profil des Präsidenten die Wahl mitbeeinflusst hat. Einzig bei den Grünen war das nicht der Fall. So gesehen ist die GPS der Sieger des samstäglichen Wahlmarathons, denn FDP, CVP und eben die GPS bestimmten heute ihre Parteispitzen neu.

Die Grünen entschieden sich für Frauenpower. Die beiden neuen Nationalrätinnen, Adèle Thorens aus der Waadt und Regula Rytz aus Bern, sollen die Partei (sprachregional differenziert) in die Zukunft führen. Damit wurde der bisherige Präsident, Ueli Leuenberger, abgelöst, dem es, trotz perfekter Zweisprachigkeit, nicht gelang, die verschiedenen Sensibilitäten dies- und jenseits des Röschtigraben gewinnbringend zu vereinen. Das letzte Wahlbarometer 2011 zeigte nämlich nur bei den Grünen keine nachweislichen Effekte des Präsidenten auf die Wähleransprache. Mit der Rückkehr zu Präsidentinnen, knüpft die GPS dort an, wo sie bis vor 4 Jahren stand und Wahlerfolge feierte, und sie kann sich in Präsidentenrunden sichtbarer von SP und GLP abgrenzen.

Anders beurteilen muss man die Präsidentenwahlen bei FDP und CVP. Die CVP bleibt bei Christophe Darbelley, dem Walliser Nationalrat, während die FDP neu auf Philipp Müller, dem Aargauer Volksvertreter, setzt. Beide Parteien punkteten gemäss der gleichen Untersuchung 2011 beschränkt mit ihren PräsidentInnen im Wahlkampf. Die CVP verbessert sich mit dem heutigen Entscheid nicht, während die FDP den Anfang sucht. Symptomatisch für die FDP, dass sie ihren mit ihrem bisherigen Leutchturm den Anker in der deutschsprachigen Schweiz auswirft, und ihn in die Richtung auswirft, wo sie bisher von der SVP konkurrenziert wurde. Themenkorrekturen in Migrations- und EU-Fragen haben diesen Schritt vorbereitet, jetzt geht es um einen neuen kommunikativen Auftritt, um einige der bisherigen Schwächen anzugehen. Nur bei der CVP dominiert das Bisherige. Wohl setzt man darauf, dass der mediengewandte Christophe Darbelley vorerst nicht gleichwärtig ersetzt werden kann, die grosse Rochade in ein bis zwei Jahren stattfindet und für den Neustart der Partei eh die frühere Präsidentin und heutige Bundesrätin Doris Leuthard zuständig ist.

Die systematische Auswertung des Wahlbarometer 2011 lässt erkennen, dass jenseits der Persönlichkeiten von ParteipräsidentInnen ein Mix die Wahlausgänge bestimmt: Momentan will man Parteien, die sich ungebefangen von Geschichten und Geschichte den Herausforderungen der Zeit annehmen. Diese orten, wie es in der Natur der Sache liegt, nicht alle gleich! Aber alle spüren, dass nach den Brüchen in der jüngsten Vergangenheit mehr als nur Bewährtes braucht, das angesichts unsicherer gewordener Verhältnisse in der EU-Frage, in der Energieversorgung, bei Migationsproblemen und belastendenen Frankekursen Zukunftsbewältigung angesagt ist. Mehr oder weniger ist auch klar geworden, dass das Tagesgeschäft viel Flexibilität braucht, diese aber nicht beliebig interpretiert werden darf, sondern in eine werteverankerte Politik eingebettet sein muss. Von den Grünen erwartet man längst ein Feuerwerk zur Erneuerung ökologischer Werte, von der FDP ein Engagement für vernünftige Wirtschaftswachstum und von der CVP mehr Nachdruck für eine zeitgemässe Gemeinschaft. Denn alles, was man dazu gesehen hat, reicht nicht mehr, wirkt etwas abgedroschen und muss schleunigst von den Protagonisten erneuert werden. Das müssen sich Adèle Thorens, Regula Rytz, Philipp Müller und ganz besonders Christophe Darbelley hinter die Ohren schreiben!

Last but not least: Die zentrale Herausforderung für alle neu gewählten PräsidentInnen von heute sind die kommenden Nationalratswahlen. Denn von ihnen erwartet man, dass sie ihre Parteischiffe auf Kurs bringen, 2015 wieder mehr Passagiere befördern. Das beginnt mit der kohärenten politischen Positionierung, vor allem gegenüber der Konkurrenz im Parlament, wenn es um Themen und Mehrheiten geht, aber auch auf den Märkten volatil gewordener BürgerInnen. Der Aufschwung von GLP und BDP zeigt, dass es vor allem im Zentrum einiges zu verbessern gibt.

Die Kursbestimmungen setzen sich in den Wahlkampfvorbereitungen fort, die schonungslos Stärken und Schwächen, Chancen und Risiken aufzeigen müssen, damit die Wahlkämpfe nicht nur die bisherige Wählerschaft anspricht, sondern auch neue Schichten unter Nichtwählenden, PersonenwählerInnen und parteipolitischen Schwankenden erschliessen.

Denn das ist eine der grossen Gemeinsamkeiten der heutigen Präsidiumswahlen: Mit ihnen hat ein Teil der Wahlverliererinnen 2011 die Segel Richtung 2015 gestellt, der aufbauend an der Schweizer Politik arbeiten und nicht einfach vom Misstrauen in die Zukunft, den Staat und die Politik profitieren will!

Claude Longchamp

Zur Transformation der Parteiidentifikationen in der Schweiz.

Die siebte Vorlesung zur Wahlforschung in Theorie und Praxis an der Uni Zürich beschäftige sich mit der Transformation der Parteiidentifikation in der Schweiz. Hier einige thesenartige Aussagen von der gestrigen Veranstaltung.

Die Wahlnachbefragung 2007 zeigte, dass zwei Drittel der heutigen CVP-Wählenden Väter haben, die Gleiches tun. Bei der FDP beträgt derAnteil die Hälfte, bei SP, und SVP noch einen Drittel, und bei den Grünen ist das gerade bei jedem 20. der Fall.

Die klassischen Theorien der politischen Sozialisation in der Familie zur Entstehung von Parteiidentifikation bilden damit in der Schweiz eher den Spezial-, weniger den Normalfall ab. Zudem, Parteien, bei denen in der überwiegenden Zahl der Fälle gilt, dass die Familie die Zelle der Parteibindungen ist, gehören meist zu den Verlierer-Parteien. Denn sie stützen sich auf die immer gleichen Gesellschaftsgruppen, bei denen sie einen abnehmenden Erfolg haben.


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Parteien, denen die Erneuerung am besten gelingt, haben heute Wählende, die nicht mehr das Gleiche wählen wie ihre Eltern. Vielmehr haben sie gelernt, neue Gesellschaftsgruppen, anzusprechen, die eine Generation zuvor noch kaum Entsprechendes gemacht hätte. Zudem gelingt es ihnen Individuen als Wählende anzusprechen, die sich, abgekoppelt von ihrem sozialen Hintergrund für sie entscheiden. Weltweit analyisiert man das unter dem Aspekt von Dealigment, der Erosion von Parteibindungên, was in der Schweiz aber wenig Sinn macht.

Thomas Milic, der Zürcher Parteienforscher, hat in seiner Dissertation eine der interessantesten Ansätze vorgeschlagen, um solche Phänomen zu untersuchen. Er unterscheidet zwischen unparteilichen, parteilichen und überparteilichen BürgerInnen. Erstere kommen vor allem in den Unterschichten vor, bei Jüngerem, insgesamt bei Unpolitischen, die sich in der Parteienlandschaft nicht wirklich orientieren können, vielleicht hie und da abstimmen gehen, an Wahlen aber kaum teilnehmen. Die Stammwählerschaft der Parteien rekrutiert sich im Wesentlichen aus den parteilichen BürgerInnen. Sie haben eine gefestigte Parteiidentifikation, wie auch immer die entstanden ist. Im Normalfall wählen sie so und stimmen sie auch entsprechend der Parteiparole ab. Die Ueberparteilichen sind das eigentlich neue Phänomen: Anders als die Unparteilichen sind sie absolut befähigt, sich politisch zu orientieren. Sie verarbeiten am meisten Informationen, definieren sich aber nicht mehr eindeutig über Parteien, vor allem über Werthaltungen. Sie sind Feministinnen, Wertkonservative oder Wirtschaftsliberale. Ihre Parteienwahl ist noch gerichtet, aber kaum mehr eindeutig an einer Partei festzumachen, die man auf dauer unterstützen würde. Vielleicht haben sie noch eine Parteibindung, zum Beispiel die aus früheren Zeiten, aber sie entscheiden sich bei Abstimmungen immer häufiger selbständig, und sie wählen mit Vorliebe Personen aus verschiedenen Parteien.

Leider weiss die Wahlstatistik darüber nicht allzu viel, und die empirische Wahlforschung hat erst wenig hierzu zu Tage gefördert. Immerhin, man hat Anhaltspunkte: So wählen, je nach Wahl, 5-10 Prozent der Teilnehmenden mit der leeren Liste, ohne übergeordnete Parteibezeichnung, KandidatInnen, meist querbeet aus den Wahllisten aus. Rund 50 Prozent der Wählenden nutzen die Möglichkeiten des hiesigen Wahlrechts aus und panaschieren. Man könnte es auch so sagen: Sie kennen eine Parteibindung, aber keine exklusive Orientierung mehr. Dabei zeigt, sich, dass diese Phänomene bei CVP und FDP am häufigsten vorkommt, ausgerechnet bei den Parteien also, bei denen die familiale Sozialisation noch am verbreitetsten ist. Mit anderen Worten: Die Parteientscheidung ist ein Ritual, das bei der Personenentscheidung stark ausgehöhlt wird.

Die stärkste exklusive Neueinbindung hat heute die SVP, das wichtigste Gegenprojekt zu den bestehenden Parteien. Ich schätze, dass sie knapp 20 Prozent Wähleranteil bei BürgerInnen macht, die nur sie Partei wählen; hinzu kommen 5-10 Prozent Stimmen, die sie via KandidatInnen auf Listen mit Bewerbungen mehrerer Parteien macht. Bei der CVP liegen die Vergleichswerte bei rund 5 Prozent Exklusiver Parteiwählerschaft, und 5-10 Prozent weitere Stimmen kommen von Panaschierlisten.

Auf der linken Seite ist nur beschränkt eine neue Ausschliesslichkeit in den Parteibindungen entstanden. Etabliert hat sich eine neue Art der Ueberparteilichkeit. Die reicht zwar nicht bis rechts. Man fühlt sich schon noch als Wählerin, als Wähler, die, der rotgrün wählt, mal mehr rot, mal mehr grün, aber auch offen für KandidatInnen anderer Parteien, seien es solche der GLP, der FDP, der CVP, aber auch der EVP, ja selbst der BDP.

In den Termini der Wahlforschung könnte man sagen: Einzig der SVP ist es in den letzten 20 Jahren gelungen, einen neue affektive Parteibindung aufzubauen, die ihren Kern nicht in der Herkunftsfamilie hat. Vielmehr nährt sie sich aus dem täglichen Frust mit der Politik und dem System. Die Neuerung reicht aber nicht aus, um dauerhaft sehr hohe Wähleranteile garantiert zu haben. Speziell mit der Abspaltung der BDP ist eine, via Personenbildungen, relevante Alternative entstanden. Auf linker Seite gibt es eher Strömungen in der Wählerschaft, die mehr sozialistisch, liberal oder konservativ sind, über die sich die Parteien und ExponentInnen links der Mitte mehr oder minder konstant profilieren, um von den Wählenden in einem Mix aus kognitiv-emotionalen Entscheidungen honoriert zu werden. Von alle dem merkt man jedoch noch fast nicht, wenn man sich mit der Wählerschaft der FDP oder CVP beschäftigt.

Claude Longchamp

Gemeinsames und Trennendes in der Umfragen zu den französischen Präsidentschaftswahlen

Frankreich wählt. Am Sonntag findet der erste Wahlgang statt. Der Wahlkampf ruht seit gestern Abend Mitternacht. Ein guter Moment, Bilanz zu ziehen, was die Umfragen festhalten.

Acht Institut beteiligten sich an der Messung der Wahlabsichten zu den französischen Präsidentschaftswahlen. Zwischen Dienstag und Freitag stellten sie ihre Erhebung ein. Bilanziert man die Ergebnisse, überwiegen zuerst die Gemeinsamkeiten.

Alle Umfragen gehen gesichert von einem zweiten Wahlgang aus. In allen ist dafür François Hollande der Favorit. Selbst für den kommenden Sonntag sieht keine Institut mehr Nicolas Sarkozy als eigentlicher Sieger. In zwei Umfragen liegen die beiden Spitzenkandidaten gleich auf, in sechs führt der Herausforderer mit kleinem oder grösserem Vorsprung auf den amtierenden Präsidenten.

Die Ergebnisse der Umfragen variieren nicht wirklich nach dem letzten Erhebungsmoment. Eher dürften Eigenheiten der Institute massgeblich sein. Ifop, TNS Sofres und Opinion Way bilanzieren ein Unterschiedene zwischen den Kontrahenten, LH2 und Harris halten einen Vorsprung für Hollande fest, der jedoch im Sichtprobenfehler liegt. Klare sind die Aussagen dagegen bei Ipsos, BVA und CSA, die von einem Unterschied in der Grössenordnung von mindestens 3 Prozentpunkten ausgehen.

Was den zweiten Wahlgang angeht, bleiben die Abweichungen zwischen den Instituten ähnlich. Ifop und Harris gehen von einem 54:46 für Hollande aus, was der am knappesten erwartete Ausgang ist. Grösser ist der Vorsprung insbesondere bei BVA und CSA, die von einem 57 zu 43 sprechen.

Letzteres bleibt ein wenig hypothetisch. Denn das Ergebnis der ersten Runde kann sehr wohl die Dynamik der Sammlung zur zweiten Runde beeinflussen. Das gilt sowohl für die KandidatInnen, die sich zurückziehen müssen, aber Wahlempfehlungen machen können, als auch für die Wählenden. Dennoch: 8 bis 14 Punkte Vorsprung für den Neuen auf den Alten sind viel.

Ersteres bleibt aus einem Grund etwas vage: Die Sicherheit der Entscheidungen bleibt in allen Umfragen zurück: Zwischen einem Viertel und einem Drittel gibt sich nicht restlos entschlossen. Das hat weniger mit schlecht gemachten Umfragen zu tun, aber viel mit Taktieren der BürgerInnen, was in einem Wahlsystem, das letztlich auf zwei Runden angelegt ist, fast immer der Fall ist. Denn nebst der eigentlich beantworteten Kardinalfrage, wer noch einmal antreten darf, geht es am Sonntag um Geschmacksfragen, wer wie gut abgeschnitten hat und sich in anstehenden Verhandlungen für Ministerien und Aktionsschwerpunkten wie stark einbringen kann.

Claude Longchamp

Desaster für Initiativkomitee gegen Aufklärung in der Volksschule – (k)ein Grund zum Jubeln für Widersacher?

Der Aufklärungsunterricht in der Primarschule ist ein heiss diskutiertes Thema. Mit einer Volksinitiative soll der umstrittene Sex-Koffer, von dem mehr und mehr die Rede ist, untersagt werden. Nur, die Intianten haben sich ein eigenes Ei gelegt: Eines ihrer Mitglieder wurde vor Jahren wegen sexuellen Uebergriffen bei einer Minderjährigen bestraft.

“Fehlerstart einer Volksinitiative”, titelte die NZZ in ihrer Online-Ausgabe gestern. Heute erkundigte sich die (neuerdings konservativ ausgerichtete) BaslerZeitung bei mir, was vom ganzen zu halten sei. Bange Frage: Ist die Intiative diskreditiert, bevor sie wirklich zum Thema geworden ist?

Ein wenig erinnere mich das an Sarah Palin, antwortete ich der Journalistin. Die ehemalige Kandidatin für das Amt des amerikanischen Vizepräsidenten habe sich, ganz dem konservativen Trend folgend, gegen Sex vor der Ehe ausgeschlossen. Mitten im Wahlkampf musste sie bekannt geben, dass ihre eigene, unverheiratete Tochter ein Kind erwarte. Scheinheiligkeit pur! Der Glaubwürdigkeit Palins hat das nicht genützt, den Republikanern indessen nicht wirklich geschadet!

Ganz vergleichbar sind die beiden Beispiele indessen nicht. Denn Sarah Palin hatte sich als Kandidatin der Republikaner in Kürze ein globales Image verschafft. Sie war breit bekannt, als die Gunrühmliche eschichte bekannt wurde: als beigesterte und fürsogliche Hockey-Mom, die ihre Kinder zum Training fährt und abholt! Politisch hatte sie damit nicht wirklich punkten können, kommunikativ hatte sie ein perfektes Bild von sich entworfen. Das fehlbare Mitglied aus dem Initiativ-Komitee gegen den umstrittenen Sex-Untericht auf der Unterstufe der Schweizer Schulen ist dagegen nicht nur weitgehend unbekannt; es gibt kein gesellschaftlich verankertes Bild von ihr. Und so wird es in der Versenkung enden!

Die entscheidende Frage ist indessen, ob das nun auch die Volksinitiative diskreditiert oder nicht?

Ich habe hier eine eigene Position, entwickelt aus dem Dispositionsansatz zur Entscheidfindung gegenüber Volksintiativen; diese lautet: Der Unterschriftenstart ist erschwert; in erster Linie aber durch die Negativ-Presse, die auf die Exponenten der Initiative wirkt. Ob eine Intiative die nötigen 100’000 Unterschriften zusammenbringt oder nicht, hängt jedoch nicht davon ab. Vielmehr ist entscheidend, ob es eine genügend grosse Zahl Sammlungswilliger gibt oder nicht. Und das wird nicht durch das mediale Image einer Initiative beeinflusst; nein, es hängt von der Klarheit der Stossrichtung eines Volksbegehrens ab, das eine Forderung aus der Gesellschaft aufnimmt. Das traue ich dem Initiativ-Komitee auch nach dem Desaster zu. Ja, man könnte noch einen Schritt weiter gehen: Attacken aus den (Elite)Medien motivieren die fordernden Minerheiten mit starker Ueberzeugung erst recht, für eine (aus ihrer Sicht) besser Welt aktiv zu werden!

Eine nochmals andere Frage stellt sich, wie ein solches Volksbegehren in den Behörden aufgenommen wird; wie Bundesrat und Parlament reagieren. Zudem will man zurecht wissen, wie die Chancen in der Bevölkerung, sprich, bei einer Volksabstimmung, sind. Da lohnt es sich von drei Gruppen auszugehen:

. der Kernwählerschaft, die das klar Anliegen unterstützt, aus weltanschaulichen Gründen oder aus Interesse;
. der Kerngegnerschaft, die dem Anliegen sicher nicht zustimmen wird, aus ebensolchen Gründen, und
. der schwankenden, wenig entschlossenen Wählerschaft.

Ersterer ist die Initiative wichtiger als die Zusammensetzung des Komitees. Man wird sich da nicht beeinflussen lassen – weder heute noch morgen. Bei letzerer ist alles umgekehrt – aber gleich. Bleiben die schwankenden BürgerInnen, denn letztlich die Sache nicht so wichtig ist: Sie legten sich erfahrungsgemäss erst im Abstimmungskampf fest. Der findet voraussichtlich in 4 Jahren statt. Und dann zumal wird man die Panne beim Initiativ-Start vergessen haben.

Für mich schlüssige Analysen der Unzufriedenheit mit der Schule ausgehend von den Harmos-Abstimmungen zeigen, dass das Kernpotenzial der neuen Initiative beim gesellschaftskonservativen BürgerInnen liegt, die sich mit ihrem Familienbild vom mainstream abgrenzen wollen. Sie finden sich heute nicht nur in religiösen Kreisen, auch in der ländlichen Bevölkerung vor allem der deutschsprachigen Schweiz. Profitieren kann die Initiative auch von einer gewissen Reformmüdigkeit gerade im Umfeld der betroffenen Lehrer und Schulbehörden.

Eine gesicherte Mehrheit sei das nicht, sagte ich Andrea Fopp von der BalserZeitung heute – aber eine respektable Minderheit. Ihre Gegenfrage lautete: Könnte mit dem Volksbegehren daraus eine Mehrheit werden? Mein Antwort lesen sie morgen im Interview mit der BaZ …

Claude Longchamp

Volksinitiativen: Stolpersteine und Erfolgsfaktoren

Das ist kein Seminar, das sich speziell an die FDP richtet. Denn es geht bei den Stolpersteinen und Erfolgsfaktoren für Volksinitiativen nicht bloss um die Unterschriftensammlung. Vielmehr bietet sich das Berner NPO-Forum an, Akteuren in diesem Bereich generell einen Spiegel vorzuhalten und Empfehlungen für eine gute Politik zu formulieren.

Die Themenpalette des Seminars, das am 15. Mai 2012 in Bern stattfindet, ist gegeben: Behandelt werden die rechtlichen Voraussetzungen von Volksinitiative, eine Checkliste zu Fehlern, die man beim Texten vermeiden sollte, eine Uebersicht über (Miss)Erfolgsfaktoren im ganzen Prozess, eine Analyse der Unterschriftensammlung, der Umgang mit den Behörden zwischen Einreichung und Abstimmung sowie Kampagnenführung.

Die Referentin sind bunt gemischt zusammengesetzt: Es sprechen Barbara Perriard von der Bundeskanzlei, Heribert Rausch, Professor für öffentliches Recht an der Uni Zürich, Aline Trede, Kampagnenleiter beim VCS, Meinrad Vetter, Kadermann der economiesuisse, und Stefan Batzli, Campaigner.

Selber werde ich eine Uebersicht geben, von der Initiierung bis zur Umsetzung einer Volksinitiative. Es geht mir um Benmarks und Fallstricken. Um gute und schlechte Beispiele aus der jüngeren Vergangenheit.

Sicher, ich werde von der Abstimmung ausgehen, das kenne ich am besten und es ist und bleibt das Nadelöhr eines jeden Volksbegehrens. Ich will indessen nicht dabei stehen bleiben, vielmehr eine Volksinitiative als (Lern)Prozess der Meinungsbildung für InitiantInnen deuten, welche die Politik, die Behörden und die Oeffentliche Meinung mit ihrem Anliegen wirksam beeinflussen wollen.

InteressentInnen für diese Anlass finden mehr Informationen – und Anmeldeunterlagen unter NPO-Forum.

Claude Longchamp

Im Kanton Thurgau legt die BDP am meisten zu – es verliert vor allem die SVP.

Der Kanton Thurgau hat gewählt. Gestärkt worden ist damit in erster Linie die neue Mitte. Elektoral verloren hat vor allem die Rechte. Die Wahlbeteiligung ist auf dem historischen Tiefststand.

Die Wahlsiegerin im Kanton Thurgau heisst BDP. Sie erobert 5 der 130 Grossratssitze und erreicht damit auf Anhieb Fraktionsstärke. Gewinne gibt es auch für die GLP (neu 6), EDU (neu 6) und SP (neu 19). Grosse Verliererin der Parlamentswahlen in Ostschweizer Kanton ist die SVP. Zwar bleibt sie grösste Partei, duch verliert sie mit 10 Abgängen einen Fünftel ihrer bisher 51 Sitze. Kleine Verluste gibt es auch für die GP (-2/9), EVP, CVP (je -1/5 resp. 21). Halten kann sich die FDP (18).

Wahlanalysen im eigentlichen Sinne liegen aus dem Kanton Thurgau noch keine vor. In den ersten Kommentaren wird auf die neue Wahlkreiseinteilung verwiesen, welche kleinere Parteien begünstige, und auf die BDP als neue Partei, welche das Lager rechts der Mitte neu aufgemischt habe. Für die Verluste der SVP werden auch äussere Faktoren verantwortlich gemacht, so die Involvierung eines (wiedergewählten) SVP-Mitgliedes des Parlamentes in die Hildebrand-Affäre.

Festhalten muss mab zu allererst, dass die Wahlbeteiligung sank. Mit 30.8 Prozent erreichte sie den historischen Tiefstwert für den Kanton. Gegenüber 2008 bedeutet dies einen Rückgang von 3,1 Prozentpunkten, oder anders gesagt: Ueberschlagsmässig hat sich jeder 10. Wähler, jede 10. Wählerin vor vier Jahren nicht mehr beteiligt. Demobilisierung wird damit zum wichtigste Stichwort jeder Analyse.

Doch der Reihe nach: Stellt man nicht auf die Sitzzahlen, sondern auf die Prozentwerte zu den Parteistärken ab, resultieren die gleiche Gewinnerinnen- und Verliererinnen. Indes, die Proportionen sind anders. So verliert die SVP anteilsmässig weniger; es bleibt aber immer noch ein Rückgang von einem Siebtel. In Prozentpunkten beträgt der Verlust 5.3 Prozent; neu kommt sie auf 30.5 Prozent. Zweitergrösste Verliererin in die CVP. Sie büsst 2 Prozentpunkte ein und kommt neu auf 13.9 Prozent. Die GP hat einen Rückgang von 1.5 Prozentpuntken (neu7.7%), während die EVP von 5.2 auf 4.8 Prozent fällt.

Die grössten Gewinne gibt es wiederum für die BDP, sie kommt bei ihrer ersten Wahl auf 4.8 Prozent. Auch die GLP legt mit einem Plus von 3,4 Prozentpunkten recht kräftig zu; neu hat sie einen Anteil von 5.9 Prozenten. EDU und SP verstärken sich um je 0,6 Prozentpunkte. Die SP ist neu bei 13,6, die EDU bei 4,6 Prozenten. Marginal zulegen kann hier auch die FDP, die sichvon 14 auf 14,2 Prozent verbessert.

Damit überholt die FDP die CVP zwar nicht in der Mandatsstärke; bei der Wählerstärke ist sie neu die Nummer 2, hauchdünn vor der CVP und der SVP. Dahinter folgen GP, GLP, EVP, BDP und EDU. Die GLP überholt damit die EVP und die EDU, letztere wird auch von der BDP überholt.

Die Bilanz lautet damit: Gestärkt worden ist damit in erster Linie die neue Mitte. Elektoral verloren hat vor allem die Rechte, marginal auch die Linke: von Polarisierung, aber auch von Rechtsrutsch keine Spur mehr!

Ohne Wählerstromanalysen bleibt es Spekulation, wer von wem Wählende gewinnen konnte. Aus der Erfahrung heraus kann man aber vermuten: Die Demobilisierung hat namentlich der SVP geschadet, sie hat auch eine negative Wanderungsbilanz zur BDP. Diese und die GLP sind wohl auch Konkurrentinnen für die CVP, letzter in erster Linie auch für die GP.

Wellen geworfen haben die Thurgauer Wahlen 2012 keine. Von einem Aufbruch, wie er noch 2004 und 2008 zu spüren war und die Wahlbeteilgung ansteigen liess, war diesmal nichts mehr zu spüren. Gestoppt worden ist dafür der Rechtsruck des Kantons, wie die SVP auf Spitzenwerte kam.

Die erheblichen Wahlverluste für die wählerstärkste Partei reihen sich in die Serie ein, die spätestens bei den Nationalratswahlen sichtbar wurde. Angefangen hat sie jedoch mit den Parlamentswahlen im Kanton Zürich vor genau einem Jahr. Seither sind verschiedene Hochburgen der SVP erfasst worden. Hauptgrund ist, dass die Mobilisierungsfähigkeit stark nachgelassen hat. Das beginnt bei den Kampagnen, die nicht mehr im gleichen Masse zünden wie man das gewohnt war, was sich negativ auf die Medienaufmerksamkeit auswirkt. Es setzt sich aber auch bei den umstrittenen Personen fort, die vor allem vom Durchschnitt der WählerInnen kritischer beobachtet und beurteilt werden als auch schon. Neu ist, dass dieser Trend weg von der Homogenisierung auch eine Kantonalpartei erfasst haben, die als gemässigt galt, am ehesten noch wie eine traditionelle Volkspartei politisiert.

Profitiert haben davon verschiedene Parteien, im Thurgau beispielsweise die EDU; sie füllt einen kleine Teil des entstandenen Vakuums. Darüber hinaus wiederholt sich das Wahlergebnis bei den gesamtschweizerischen Nationalratswahlen 2011 auch in anderer Hinsicht. Denn mit der BDP und GLP haben zwei neue, unverbrauchte Parteien, die im Zentrum politisieren Erfolg. Den vermisst vor allem die CVP, er bleibt aber auch bei der GP aus, während FDP und SP etwas besser wegkommen als dies gesamtschweizerisch der Fall war.

Claude Longchamp

Wer Sarkozy und wer Hollande favorisiert.

Jeden Abend, punkt 18 Uhr, erklärt IfOP den Stand der Dinge bei den anstehenden Präsidentschaftswahlen. Sarkozy hat gewisse Chancen im ersten Umgang die Nase vorne zu haben. Für den zweiten ist er einzig bei den Rechten, Rentnern und Landwirten der Favorit.

IfOP setzt 2012 ganz auf die Methoden „rolling“. Befragten wird jeden Tag, zuerst 333 innert 24 Stunden, jetzt, gegen den Schluss, 900 täglich. Erhoben werden die Daten via Telefon und Internet. Die erhaltenen Ergebnisse werden gewichtet, nach Geschlecht, Alter, Beruf und Region und Agglomeration, um ein quotengetreues Abbild Frankreichs zu haben.

Jeden Tag werden die aufsummierten Resultate der letzten drei Befragungsscheiben veröffentlicht. Aktuell ergibt dies:

1. Umgang: Sarkozy (28.5%) vor Hollande (27%)
2. Umgang: Hollande (54%) vor Sarkozy (46%)
3. Wunschpräsident: Hollande (38%) vor Sarkozy (33%)
4. Wahrscheinlicher Präsident: Hollande (39%) vor Sarkozy (26%).

Hauptproblem des amtierenden Präsidenten ist demnach, dass ihm letztlich nur seine überzeugte Anhängerschaft noch eine Trendwende zutraut. Hoffnungsträger der Nation ist der glänzende Sieger von 2007 keineswegs mehr. Vielmehr riskiert er, in der Ballotage als Präsident der Franzosen und Französinnen gar abgewählt zu werden.

Der Wahlkampf hat diese Bilanz nicht wirklich ändern können. Einzig was den ersten Wahlumgang angeht, ist es dem Rechten Sarkozy gelungen, den linken Widersacher zu überholen. Indes, der Vorsprung bleibt, mit 1,5 Prozentpunkten, gering. Zudem war es, mit den Attentaten in Toulouse als Auslöser, keine Kampagnenereignis, dass das einleitete.

Hoch ist die Polarisierung zwischen beiden Favoriten gemäss Detailanalysen in politischer Hinsicht. Beschränkt fällt sich nach Berufsgruppen aus, wo die Landwirte klar zum Präsidenten halten, derweil namentlich obere und mittlere Kader eher hinter dem Herausforderer stehen. Bloss noch gering ist sie nach Alter, denn beide haben, für den ersten Wahlgang, Defizite bei den jüngeren Altergruppen. Kaum nennenswerte Unterschiede gibt es in den Wahlabsichten der Geschlechter; Sarkozy hat einen minimen Vorsprung bei den Frauen, wenigstens am Anfang.

Was die zweite Runde angeht, liegt Sarkozy, nebst bei den WählerInnen seiner UMP und jenen des FN einzig noch bei Landwirten und RentnerInnen vorne. Sie bilden den Kern seiner Unterstützung. Alle anderen Gruppen neigen eher zu seinem wahrscheinlichen Nachfolger, insbesondere auch die Modem-Wählenden aus dem politischen Zentrum.

Mit der neuen Methode hat IfOP auf die Herausforderungen der Instant-Analysen via Internet-Befragungen reagiert. Zudem wollte man Ereignis-Anlaysen betreiben. Ersteres ist gelungen; die Web-Seite von Paris-Match, welche die Resultate exkulisv präsentiert, wird gut frequentiert. Zweiteres hat bis jetzt kaum etwas gebracht, aber eigentlich eher deshalb, weil es an wirklichen Ereignissen im Wahlkampf fehlte.

Gross sind die Unterschiede zu den Resultaten mit der bisher verwendeten Methode übrigens nicht. Vielleicht sind die Ergebnisse von IfOP ein Pulsschlag rechter als die der anderen Institute. So sah die Erhebung von BVA, die ebenfalls heute veröffentlicht wurde, François Hollande selbst im ersten Umfang knapp vorne. (Heute doppelt CSA nach und sieht Sarkozy ebenfalls schon von Beginn weg in Rücklage).

Claude Longchamp

Präsidentschaftswahlen in Frankreich: Ergebnis wird in der Schweiz schneller bekannt sein als in Frankreich

In Frankreich schaut man gebannt auf den 22. April 2012. Punkt 20 Uhr soll das Ergebnis der ersten Runde in den Präsidentschaftswahlen vermeldet werden. Eine Neuigkeit wird es dann insbesondere für die Webcummunities kaum mehr sein.

Die Publikation der Wahlergebnisse ist in Frankreich gesetzlich geregelt. Verstösse französischer Medien dagegen können teuer werden. Doch was in Frankreich ein Muss ist, ist in der Schweiz nicht einmal ein Kann. Denn die juristischen Vorschriften aus Paris binden die Medien insbesondere in Genf nicht.

So kündigte Jean-Jacques Roth, Nachrichtenchef des französischsprachigen Radio- und Fernsehens der SRG, gestern abend an, Ergebnisse zu Wahlausgang zu vermelden, sobald sie greifbar und glaubwürdig seien. Das werde ab zirka 17 30 der Fall sein; auf der Website der Sender werde man die verschiedenen intern verfügbaren Hochrechnung veröffentlichen. Um 19 30 werde die französischsprachige Ausgabe der Tagesschau des Schweizer Fernsehens die vorläufigen Resultate der Fernsehnation bekannt geben.

Viel Spielraum haben seine Sender nicht. Denn auch 20min kündigt, wenigstens in der welschen Ausgabe an, die Informationen zu verbreiten, sobald sie verfügbar sei. Schliesslich habe man, angesichts der grossen Nachfrage 2007, viel in die Kapazitäten investiert.

So wird Frankreich punkt 20 00 erfahren, was es schon wissen kann.
A suivre …

Claude Longchamp

Wenn Piraten im Wind der Zeit segeln …

Die Analyse der Piratenpartei entwickelt sich, fast von Tag zu Tag. Den bisher grössten Bogen spannt Historiker Paul Nolte in der Berliner „taz“. Er deutet die aktuellen Entwicklungen als zeitgemässe Demokratie-Entwicklung, denn diese könne und dürfe nicht mehr auf den Parlamentarismus beschränkt bleiben.


Prof. Paul Nolte, Berlin, über die Piratenpartei als Teil des gegenwärtigen Demokratiewandels

Zuerst war sie ein rein lokales Phänomen, getragen von der Politikverdrossenheit im roten Berlin. Dann wurde sie zum Lebensgefühl einer ganzen Generation, die mit dem etablierten Parteiensystem nicht mehr anfangen kann. Jetzt deutet Paul Nolte, 49, Geschichtsprofessor in Berlin, die aktuellen Veränderungen in der “taz” als ein Symptom des gegenwärtigen Demokratie-Wandels.

Joseph Schumpeter, der Oekonom, interpretierte Demokratie als zeitgenössisches Verfahren zur Bestimmung der Herrschaft. Politökonomen in seinem Gefolge propagieren bis heute das Gleiche: Hauptsache ist, man kann die Regierung direkt oder indirekt wählen, um so periodisch das politische Programm bestimmten zu können.

Daran zweifeln verschiedene Interpreten der Demokratien schon länger. Sie sprechen, wie Benjamin Barber, von „starker Demokratie“, oder wie Jürgen Habermas von „deliberativer Demokratie“. Paul Nolte schliesst sich diesem Diskurs an. „Für eine Entpolitisierung kann ich aber weit und breit keine Anzeichen erkennen. Ich sehe viel eher neue Handlungs- und Artikulationsformen in der Demokratie.“

Historiker Nolte orten einen langfristigen Trend weg von Parteiendemokratie, mit Wahlen und Parlamenten. Die sei in der Nachkriegszeit notwendig gewesen, als Ueberwindung von Diktatur: heute jedoch sei sie angesichts neuer Partizipations- und Transparenz-Forderungen unzureichend geworden.

Dabei ist der Berliner alles andere als blauäugig: „Eine komplizierte Materie wie die Schuldenkrise wird man nicht mit Mitteln … des Straßenprotests lösen können. Dafür brauchen wir nationale Regierungen und europäische Institutionen, die demokratisch legitimiert sind. Auf die derzeitige Krise muss eine Vertiefung der europäischen Integration folgen.“ Dennoch empfiehlt er mehr direkte Demokratie.

Das klassisch-deutsche Argument gegen mehr Bürgerentscheidungen lässt Nolte nicht gelten. Denn direkte Demokratie führe nicht zu Bonapartismus und von da in Faschismus oder Nationalsozialismus. Gerade das Beispiel Deutschland zeige dies. Zwar hätten die sozialen Ungleichheiten in den letzten 20 Jahren zugenommen, einen Trend zum Rechtspopulismus gäbe es aber nicht. Die negativen Erfahrungen mit dem Nationalsozialismus würden das verunmöglichen. Vielmehr rückten Volksparteien nach links, auch Grüne und Piraten, und bildeten, ganz anders als in den polarisierten Vereinigten Staaten, eine Art ideele Gesamtpartei.

Damit die elektoral bestimmte Politik nicht abhebe, propagiert Nolte Volksentscheidungen, wie jüngst die zu Stuttgart 21. Mit ihr könne das Volk stärker miteinbezogen werden und auch über konkrete Sachfragen entscheiden. Direkte Demokratie sei unabhängig von Einzelentscheidungen wichtig, beispielsweise als Trend gegen die Aushandlung von Politik in Gerichtsverfahren.

Oder anders gesagt: Demokratie können nicht mehr auf den Parlamentarismus beschränkt werden. Sie werde vielfältiger. Die Piraten reagierten dabei am klarsten auf den technologischen Wandel der Gegenwart. „Das Internet bezeichnet den tiefsten Kommunikationswandel seit der Erfindung des Buchdrucks. Es wäre doch erstaunlich, wenn sich das nicht auch in politischen Bewegungen niederschlägt.“

Nicht alles, was ich da gelesen habe, ist neu. Einiges ist, gerade aus Schweizer Sicht, auch typisch deutsch. Doch finde ich das Bild, das Paul Nolte von der heutigen Demokratieentwicklung komponiert, ausgesprochen stimmig. Einmal mehr, erweist sich direkte Demokratie Janus-köpfig: Für die einen ist sie eine konservative Tradition, für die anderen die modernste Politikform. Auf jeden Fall ist sie eine Antwort auf demokratische Herrschaftsformen durch Parteien, die sich bei weitem nicht auf das Parlament beschränkt, sich vielmehr immer deutlicher auch auf Regierungen und Gerichte ausdehnt. Und dazu braucht es, wie Nolte treffend sagt, Gegenkräfte die nicht nur Geschichte haben, nein!, auch für die Zukunft taugen.

Claude Longchamp