Wahlkämpfe in der Schweiz: amerikanisch oder modernisiert schweizerisch?

Eine neue Untersuchung beschäftigt sich mit der Amerikanisierung der politischen Kommunikation in der Schweiz. Und bejaht den Trend für die Wahlkämpfe weitgehend. Eine Buchbesprechung.

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Im Fazit zu seiner Untersuchung der Modernisierung politischer Kommunikation in der Schweiz kommt der Freiburger Kommunikationswissenschafter Benjamin Weinmann zu folgendem Schluss: Die Amerikanisierung von Wahlkämpfen ist weiter fortgeschritten, als wie es uns bewusst sind. Das hat viel damit zu tun, dass man in der Schweiz dem Begriff “Amerikanisierung” aus kulturellen Gründen kritisch gegenüber steht, die Phänomene selber, die damit gemeint seien, jedoch einiges neutraler beobachtet.

“Amerikanisierung” der politischen Kommunikation definiert Weinmann anhand von vier Eigenschaften:

. der Professionalisierung,
. der Emotionalisierung,
. der Personalisierung und
. der Wettbewerbsorientierung

der politischen Kommunikation.”

In einem Rundgang durch die Medienberichte und Auswertungen hierzu, die sich vorwiegend auf die Nationalratswahlen 2007 stützen, zeigt Weidmann für alle vier Bereiche Evidenzen auf. Dabei ist viel von der Offensive die Rede, welche die SVP mit ihrem Wahlkampf lanciert hat. Das so gewonnene Material bleibt aber nicht für sich stehen; vielmehr wird es in der eben publizierten Untersuchung anhand von 10 Experteninterviews gewichtet und bewertet. Je fünf Spitzenfunktionäre der Parteien resp. zentrale Akteure der Massenmedien gaben ihm hierfür unmittelbar nach dem Wahlkampf Auskunft.

Die Bilanz am Schluss des Buches ist auf der Ebene der Befunde eindeutig. “Eine Amerikanisierung der politischen Kommunikation in der Schweiz gibt es auf jeden Fall.” In der Diskussion wird diese These dann aber differenziert: Weinmann zieht, um die Trends übergreifend zu charakterisieren, den Begriff der “Modernisierung” der politischen Kommunikation jenem der Amerikanisierung vor. Denn die realen Veränderungen reflektierten sowohl vom System wie auch von der Kultur her nur bedingt die amerikanischen Voraussetzungen. Sie werden auch nicht zwingend direkt aus den USA kommend in die Schweiz importiert; häufiger kommen sie als Adaptationen aus Nachbarländer in unser Land.

Was das Ausmass betrifft, hält Weinmann drei der vier ausgewählten Kriterien der Transformation politischer Kommunikation in der Schweiz für erfüllt: Einzig bei der Wettbewerbsorientierung resp. dem damit verbundenen negative campaigning ist er sich nicht so sicher, ob es stattfindet oder nicht.

Pointiert ausgedrückt kommt die aktuelle Veränderung von Wahlkämpfen für den Kommunikationswissenschafter darin zum Ausdruck, dass es der SVP gelungen sei, werberisch und medial die Parlamentswahlen ’07 in eine Quasi-Bundesratswahl umzugestalten. Ein eigentliches Pferderennen um die politische Macht sei daraus aber nicht geworden, denn dafür spräche die politische Kultur mit ihrem Beharrungsvermögen dagegen.

Man kann bei einigem, das Benjamin Weinmann präsentiert, Fragezeichen anbringen. Das hat vor allem mit der Begriffsdefinition und ihren Folgen zu tun. Denn diese wird etwa von den Innsbrucker PolitikwissenschafterInnen Fritz und Gunda Plasser in ihrer weltweit führenden Uebersicht über die Amerikanisierung von Wahlkämpfen radikaler vorgenommen: Amerikanisierung sei der Uebergang von der parteien- zur kandidatengetriebenen Kampagne, verbunden mit der Kommerzialisierung der Aktion, mit der forschungsgestützten, von externen Beratern geführten Kampagne, die sich auf die Fernsehpräsenz ausrichtete. Davon sind wir in der Schweiz wohl noch einiges mehr entfernt, als es hier bilanziert wird. Plasser würde denn auch nicht von Modernisierung sprechen, eher von der Diffusion von Techniken aus der amerikanischen politischen Kommunikation in die anderer Systeme und Kulturen. Und schon diese bleiben nicht ohne Wirkung, wo sie den Verhältnissen angepasst eingesetzt werden.

Trotz dieses Einwandes kommt Weinmann das Verdienst zu, sich erstmals in einer Publikation mit den Phänomenen der Amerikanisierung politischer Kommunikation in der Schweiz auseinander gesetzt zu haben.

Claude Longchamp

Benjamin Weinmann: Die Amerikanisierung der politischen Kommunikation in der Schweiz. Verlag Ruegger, Zürich/Chur 2009

Wider die Negierung der Ethik des Marktes

Die öffentliche Kontroverse über Wirtschaftsethik, die von Ulrich Thielemann an der Universität St. Gallen entfacht wurde, geht weiter. Es schaltet sich via Weltwoche auch das Liberale Institut aus Zürich ein und verteidigt die Ethik des freien Marktes.

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Pierre Bessard, Direktor des Zürcher Liberalen Instituts, sieht im freien Markt den besten Garanten für ethisches Handeln.

Mit Verve vertritt Pierre Bessard, neuer Direktor des Liberalen Instituts wortreich die These, der freie Markt sei die umfassendste moralische Institution des Menschen überhaupt. Denn nur der freie Markt respektiere die individuelle Eigentumsrechten, weil hier in jeder nur mit seinem Wissen, seinem Geld, kurz: mit seinen Produktionsfaktoren handeln könne.

Die unversale Ethik des Marktes setze sich, fährt Bessard fort, immer und überall durch, – selbst wenn sie unterdrückt werde. Deshalb entstünden mit dem freien Markt überall Werte wie Ehrlichkeit, Zuverlässigkeit, Friedfertigkeit, Gerechtigkeit – und Effizienz.

Bessard hält den Markt für die grösst möglich denkbare menschliche Gemeinschaft überhaupt, verbunden durch das Netzwerk des Tasuches. Die Wahlfreiheit der Konsumenten sei es, welche den Anbieter diszipliniere. Wer unehrlich oder rücksichtslos tausche, setze sein Vermögen aufs Spiel.

Mit der Ausbreitung des Marktes, folgert der liberale Vordenker, zivilisiere auch die Welt. Der Wettbewerb löse den Kampf ab. Deshalb bringe der freie Handel auch Frieden, im Binnenmarkt, wie auch international.

“Gäbe es einen Freidensnobelpreis für Ordnungen und Institutionen, keine hätte ihn so sehr verdient wie der freie Markt”, empfiehlt sich Pierre Bessard als Verkünder der Wahrheit selber. Denn er unterlässt es nicht, gegen die Universitäten zu polemisieren, denen nicht nur ein fundiertes Verständnis des freien Marktes abhanden gehe. Man sei an Schweizer Hochschilen auch versucht, sich gerade mit Wirtschaftethik dem grössten Produzenten von Ethik, dem Markt an sich, zu entziehen.

Ohne Zweifel, klare Worte, mit klaren Absichten, die nicht nur gehört, sondern auch kommentiert werden dürften.

Claude Longchamp

Deutsche Bundestagswahlen als Blog

“Wahlen nach Zahlen” ist ein Blog und bietet empirisch fundierte, wissenschaftliche Beiträge rund um das Wahljahr 2009 in Deutschland.

Die online-Ausgabe der Zeitung “Die Zeit” hat verschiedenste ForscherInnen unterschiedlicher Universitäten eingeladen, im Vorfeld der deutschen Bundestagswahlen kurz und prägnant zu Wahlkämpfen, Wahlausgängen und Koalitionsverhandlungen Stellung zu nehmen. Das Blog “Wahlen nach Zahlen” will aktuell, informativ und empirisch fundiert sein. Es leistet damit eine willkommene Vermittlung zwischen Forschung und Journalismus.

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Nützliche Kurzinfos zu den deutschen Bundestagswahlen: Die Positionierung der Parteiprogramm im Zeitvergleich lässt für 2009 eine verbreitete Links-Entwicklung im aktuellen Wahljahr erkennen.

Zu den AutorInnen zählen bekannte Grössen aus der Literatur zur deutschen Wahlforschung wie Rüdiger Schmitt-Beck, Kai Arzheimer und Harald Schön. Schaut man sich die neueren Beiträge an, finden sich tatsächlich nützliche Informationen aus der aktuellen Forschung. Besprochen werden etwa die Positionen der Parteiprogramme auf der Links/Rechts-Achse, die Vernetzung der SpitzenkandidatInnen in sozialen Netzwerken auf Internet und die Bedeutung länger- resp. kurzfristiger Parteibindungen bei den Wahlentscheidungen 2005. Es lassen sich aber auch Besprechungen von Stellungnahmen finden, wie etwa die Kritik am kaum existenten Europa-Wahlkampf oder an den Schwierigkeiten der CDU/CSU, sich in der Steuerfrage zu positionieren.

Man wird noch mehr auf dieses überparteiliche Blog zu den kommenden Bundestagswahlen zurück greifen!

Claude Longchamp

Die deutschen Parteistärken im Spiegel der Demoskopie

Mit Blick auf die Bundestagswahlen vom 27. September 2009 nimmt die Bedeutung von Umfragen zu den politischen Parteien in Deutschland schnell zu. Spiegel-Online bietet hierzu eine nützliche Dokumentation an, die Einblicke in die Tätigkeit der demoskopischen Institute gibt.

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Auf den ersten Blick könnte man meinen, die Umfragewerte für die deutschen Parteien seien instabil. Doch resultiert der Eindruck nur, weil auf der Hauptgrafik die Resultate aller Institut miteinander verarbeitet sind.

Im Prinzip machen alle Institute die gleiche Arbeit mit der gleichen Zielsetzung. Sie wollen wissen, wie stark die Parteien mit Blick auf die Bundestagswahlen sind und verwenden hierfür in ihren Repräsentativ-Erhebungen die Sonntagsfrage. In der Praxis unterscheiden sich die Vorgehensweisen von TNS Emnid, Forsa, Forschungsgruppe Wahlen, Infratest dimap und Allensbach jedoch leicht. Das gilt namentlich für die Gewichtungsverfahren und Stichprobenbildungen.

Vergleicht man nur die Ergebnisse von Trendbefragung innerhalb eines Instituts entstehen viel klarere und konstantere Resultate. Ihnen gemeinsam ist, dass sie alle die CDU/CSU als vorläufige WahlgewinnerInnen sehen, und die SPD an zweiter stelle ranigert, gefolgt von der FDP. Derweil liegen je nach Institut die Linke oder die Grünen auf dem 4. Platz.

Am uneinheitlichsten wird gegenwärtig die CDU/CSU bewertet. Allensbach gibt aktuell einen Wert von 37,5 % aus, TNS Emnid und Infratest dimap kommen auf je 34 Prozent. TNS Emnid hat dafür die SDP bei rekordverdächtigen 28 Prozent, während Allensbach für diese Partei auf 24,5 Prozent kommt. Die Unterschiede bei FDP, der Linken und den Grünen liegen im Ein-Prozent-Bereich.

Die Kadenzen der Veröffentlichung von Befragungsergebnissen sind allerdings nicht gleich, weshalb der punktgenaue Vergleich täuscht. Die letzte Publikation von Allensbach basiert auf Daten, die zwischen dem 3. und 17. April erhoben wurden, während jene von TNS Emnid zwischen dem 4. und 11. Mai entstanden.

Alle Institute arbeiten heute mit computergestützten Telefonumfragen, doch unterscheiden sich die Befragtenzahlen beträchtlich. Bei der Forschungsgruppen Wahlen reichen rund 1300 Personen, während sich TNS Emnid auf 3207 stützt.

Zwei technische Sachen sind im Institutsvergleich bemerkenswert: Alle Institute runden auf ganze oder halbe Prozentwerte, verzichten aber auf die Publikation von Bandbreiten für die Parteistärken, die sich aus den statistischen Fehlermargen von Stichprobenerhebungen ergeben.

Wie die Wahlergebnisse am 27. September 2009 sein werden, kann man daraus abschätzen. Wie hoch die Aussagegenauigkeit effektiv sein wird, wird man jedoch erst am Wahlabend selber wissen.

Claude Longchamp

German Longitudinal Election Study gestartet

In Deutschland wird mit den Bundestagswahlen 2009 eine neue Aera der Wahlforschung eingeleitet, die neue Standards setzen dürfte.

Dieser Tage startete das bisher ambitionierteste Wahlforschungsprojekt in Deutschland. Initiiert von der 2007 gegründeten Deutschen Gesellschaft für Wahlforschung soll die German Longitudinal Election Study die drei Bundestagswahlen von 2009 bis 2017 aus einem Guss beobachten und analysieren.

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In diesem Projekt geht es darum, wie die Wählerschaft auf die komplexe Konstellation elektoraler Politik reagiert. Die bisherigen Fragestellungen der (deutschen) Wahlforschung werden deutlich erweitert: Kurz- und Langfristeffekte werden speziell untersucht. Parteien- und KandidatInnen-Survey kommen zu Einsatz. Und der Wahlkampf wird mit den Mitteln der Demoskopie, aber auch der Medieninhaltsanalyse analysiert. Gearbeitet wird dem obenstehenden Untersuchungsdesign.

Die Leitung des Grossforschungsprojektes haben Hans Rattinger (Uni Mannheim), Sigrid Rossteutscher (Uni Frankfurt), Rüdiger Schmitt-Beck (Uni Mannheim) und Bernhard Wessels (Wissenschaftszentrum Berlin) inne.

Claude Longchamp

Spaltungen der Schweiz bei Volksabstimmungen systematisch untersucht

Ein Forschungsprojekt von Berner PolikwissenschafterInnen hilft, die Vielfalt von Gegensätzen in den Abstimmungsergebnissen historisch und typologisch zu überblicken.

Wer erinnert sich nicht an die Volksabstimmung vom 6. Dezember 1992, als die Schweiz in einer denkwürdigen beim Volksmehr knapp, beim Ständemehr deutlich entschied, dem EWR nicht beizutreten. Vom “Röschtigraben” war damals sinnbildlich die Rede, weil die Trennlinie zwischen mehrheitlicher Zustimmung und Ablehnung praktisch mit der Sprachgrenze zwischen deutsch- und französischsprachiger Schweiz zusammenfiel, und die Sprachregionen (mit Ausnahme der deutschsprachigen Grossstädte) fast gänzlich gegensätzlich stimmten.

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Cleavages oder Konfliktlinien nennt die Sozialwissenschaft gesellschaftlich bedingte Spaltungen, die historisch zurückliegende Konflikte reflektieren, nachwirken, verschiedenen Interessen oder Identitäten zum Ausdruck bringen und durch entschprechende Organisationen immer wieder mobilisiert werden. Das kann man erfolgreich für die Entstehung der Parteiensysteme verwenden, aber auch für Analyse von Volksabstimmungsergebnisse verwenden.

Ein Forschungteam der Universität Bern, geleitet von Wolf Linder, hat sich dieses Raster auf alle Volksabstimmungen seit 1874 angewendet und die raumbezogenen Resultate erstmals eine systematischen statistischen Analyse über die Zeit unterzogen. Die Ergebnisse ihrer Studie wurde vor kurzer Zeit im Band “Gespaltene Schweiz – Geeinte Schweiz. Gesellschaftliche Spaltungen und Konkordanz bei den Volksabstimmungen seit 1874″veröffentlicht (und ist teilweise auf via Web abrufbar).

Konfliktlinie “Stadt vs. Land” bei Volksabstimmungen
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Regula Zürcher und Christian Bolliger, welcher die empirischen Arbeiten geleistet haben, kommen zum Schluss, dass der Stadt/Land-Gegensatz nicht nur der wichtigste über die ganzen Betrachtungsperiode ist. Er nimmt auch klar zu. Oder anders gesagt: In Volksabstimmung der Schweiz ist die Konfliktlinie zwischen Stadt und Land am häufigsten relevant, um Zustimmung und Ablehnung zu kennzeichnen.

Konfliktlinie “Kapital vs. Arbeit” bei Volksabstimmungen
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An zweiter Stelle figuiert bei ihnen die Konfliktlinie “Arbeit/Kapital”; sie war zwischen 1895 und 1925 ausgeprägt wirksam und bei Volksabstimmungen die wichtigste. Seit 1986 ist die wieder zunehmend, bleibt aber hinter der erstgenannten zurück.

Konfliktlinie “deutschsprachige vs. französischsprachige Schweiz” bei Volksabstimmungen
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Damit sind die beiden interessenbezogenen Spaltungen an der Spitze. Die beiden identitätsorientierten Konfliktlinien, die ebenfalls untersucht wurden, folgen danach: Zuerst erwähnt wird der Sprachengegensatz (hier vereinfacht dargestellt durch die Spaltung zwischen deutsch- und französischsprachiger Schweiz), während die konfessionelle Teilung der Schweiz (gemessen an der Polarität zwischen Katholizismus und Protestantismus) an letzter Stelle folgt.

Konfliktlinie “Katholisch vs. reformiert” bei Volksabstimmungen
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Der grosse Vorteil dieser Art von Analyse ist, die Uebersicht zu erhalten und zu bewahren, wobei die Aufgeregtheit, mit der einzelne Phänomene gelegentlich kommentiert werden, relativiert wird. Das gilt notabene auch für die “Spaltung” der Schweiz beim EWR, die aus der Sicht der Abstimmungsgeschichte nur eine vorübergehende Episode war: ein Grund mehr, diese Konfliktlinie nicht bei jeder Gelegenheit zu bemühen!

Claude Longchamp

Das Ende der Politik?

“90:60:90”, sei, spottete diese Woche der “Spiegel”, die einzige Frauenquote, die Silvio Berlusconi, Italiens Ministerpräsident, kenne. Damit spielte das deutsche Magazin auf die Nominierung für die Europawahlliste seiner Partei, bei welcher der Parteichef von “Volk und Freiheit” Frauen wie der “Big Brother”-Teilnehmerin Angela Sozio, der Soap-Opera-Darstellerin, Camilla Ferranti, der Schauspielerin Eleonora Gaggioli und Fernsehansagerin Barbara Matera vorschlug. Deren Gemeinsamkeit bestand nicht im politischen Programm, das sie erst in einem Crahs-Kurs kennen lernten, sondern ihrem medientauglichen Aussehen.

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Silvio Berlusconi, Italiens Ministerpräsident: In seiner Partei gäbe es gut kultivierte und kompetente Menschen, sagt er, die anders als bei den andern nicht schlechtgekleidet und übelriechend seien.

Der so angestrebte Coup misslang allerdings ziemlich gründlich. Veronica Lario, Berlusconis derzeitige Ehefrau, diskreditiert die Aktion als “Unverschämtheit und fehlende Zurückhaltung der Macht”, die “einzig und alleinder Unterhaltung des Imperators” diene. Der so bloss gestellte Berlusconi erklärte, seine Gattin sei Opfer einer linken Desinformationskampagne geworden. Seine Kandidatinnen seien “kultivierte und kompetente Personen” und anders als die Vertreter anderer Parteien keine “schlecht gekleideten und übelriechenden Meschen”.

Am EAPC-Kongress 2009 mehrfach aufgenommen

An der gestrigen Tagung der Europäischen Politischen BeraterInnen in Zürich wählte ich diese Episode aus dem italienischen Nationaldrama der Gegenwart als Einstieg in mein Referat, – und war damit im Workshop zu den Beiträgen der Schweiz und der EU füreinander nicht allein: Auch Hanspeter Kriesi, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Zürich, brauchte den Fall, um seine Thesen zur wachsenden Bedeutung von Medien einzuleiten.

In der Tat ging es auch mir um eine ähnliche Frage, jener nämlich, ob wir heute in einer Mediengesellschaft leben würden, wie das insbesondere verschiedenen Medienwissenschafter nahelegen. Ihr neuerdings bevorzugtes Phänom definieren sie als Vordringen der Massenmedien ins Herz der Gesellschaft, das dadurch neu konstituiert werde. Alle von den Medien erfassten Bereiche würden öffentlich und beobachtbar, gleichzeitig durch die Anpassung an die Logik der Medien in ihrer Substanz verändert.

Pro und Kontra zur These “typisch für die politische Kommunikation in der Mediengesellschaft”

Ohne Zweifel wirft das gewählte Beispiel die Frage auf, ob die Nominationen für die italienischen Europawahlen, der gegenwärtig bestmögliche Ausdruck für die Zerstörung der Politik durch die Medien sei. Dafür spricht, dass Silvio Berlusconi nicht einfach einer von vielen Politikern, sondern ein Medientycoon ist, der mit seinem privatem Kommunikationsimperium ein Vermögen von knapp 10 Milliarden Euro aufgebaut hat. Sicher ist auch, dass Berlusconi mit der Definitionsmacht seiner Medien regiert, Themen besetzt und verschwinden lässt, und Wahlkämpfe für seine Partei führt. “Forza Italia”, wie seine ursprüngliche Partei, entstanden insbesondere nach der Auflösung der Democrazia Cristiana, hiess, ist, seit der Fusion mit der “Alleanza nationale”, die einzig relevante Rechtspartei in Italien.

Für die These spricht auch die enorme Medialisierung von Wahlen und Wahlkämpfen, die dadurch immer mehr der Medienlogik unterworfen werden. Denn immer weniger geht es um die Legitimierung politischer Programm durch organisierte Akteure, die gesellschaftliche Interessen bündeln und nach gewonnen Wahlen vertreten wollen. Zum wichtigsten Kriterium der massenmedial vermittelten politischen Kommunikation wird, wer die höchste Medienaufmerksamkeit gewinnt, die Medienthemen strategisch setzen kann, welche die emotionale Grundierung legen, die Wahlentscheidungen bestimmen sollen. Der Kampf zwischen Programmen und Ideologien tritt dabei im Umfeld von Wahlen in den Hintergrund, während die Identifizierung mit Person, Lebensstilen und Geschichten massgeblich wird. Man ist geneigt zu sagen, das Ende der Politik in der Oeffentlichkeit sei gekommen.

Der Fall “Berlusconi” zeigt allerdings auch, wie anfällig die reine Kontrolle der Politik durch Medien selbst in Italien bleibt. Denn mit Berlusconis Gattin Veronica Lario, einer bekennenden Wählerin der linken Opposition, stolperte der Imperator nicht zum ersten Mal über ein Person, die vormals private, heute gänzlich öffentliche Angelegenheiten medial ebenso wirksam thematisieren, kann wie er das in gewohnter Manier überspielen möchte. Schon als ihr Ehemann dem früheren Topless-Modell Mara Carfagna, zwischenzeitlich Ministerin für Gleichstellungsfragen im vierten Kabinett Berlusconis, öffentlich einen spontanen Eheantrag machte, kam es zum Rosenkrieg, während dem sich Berlusconi bei seiner Frau entschuldigen musste. Nun hat eine bestrittene Liaison mit der minderjährigen Neapolitanerin Noemi Letizia die politische Macht des Ministerpräsidenten ins Wanken gebracht. Gleichzeitig mit der Einreichung der Scheidung durch seine Gattin, musste Berlusconi auf Druck seiner Partei die umstrittenen Kandidatinnen für die anstehenden Europawahlen zurückziehen.

Meine Bilanz: typisch für eine bestimmte politsiche Kommunikation der Mediendemokratie
Politik, könnte man daraus folgern, lässt sich selber in der perfektionierten italienischen Mediokratie nicht ganz auf Medienherrschaft reduzieren, sondern folgt, wenn auch erheblich transformiert, ihren eigenen Logik: der Eroberung der politischen Macht, die danach durch ein politisch eingebundenes und geschultes Personal auch gesichert werden muss. Die politische Kultur, welche diese Eroberung bestimmt, wird allerdings immer mehr durch eine politische Kommunikation, die den Gesetzmässigkeit der Mediengesellschaft folgt, beeinflusst. Das ist meine These.

Claude Longchamp

Mehr dazu:
Parteien in der Mediendemokratie, hgg. von U. von Allemann und Stefan Marschall, Verlag für Sozialwissenschaften 2002
Otfried Jarren, Patrick Donges: Politische Kommunikation in der Mediengesellschaft. Eine Einführung, Verlag für Sozialwissenschaften, 2006 (2. Auflage)
Plasser, Gunda
Fritz Plasser, Gunda Plasser: Global Political Campaigning: A Worldwide Analysis of Campaign Professionals and Their Practices, Greenwood Pub Group Inc, 2002

Erprobt und entwicklungsfähig, lautet die Bilanz nach 10 Jahren mit der neuen Bundesverfassung

Am 18. April 2009 jährt sich die Entscheidung zur neuen Bundesverfassung der Schweiz zum zehnten Mal. Der Basler Historiker Georg Kreis hat das zum Anlass für eine Standortbestimmung genommen und 8 JuristInnen sowie 2 Sozialwissenschafter zu Bilanzen aufgefordert. Hier die Uebersicht.

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Auslöser für das kleine Büchlein, das es seit einigen Tagen gibt, ist der Stolz, dass es nach jahrelangen Vorarbeiten zu einer eindeutigen Zustimmung in der Volksentscheidung gekommen ist. Der reicht allerdings nicht so weit, um von kritischen Gedanken zum Potenzial der Verfassungsrevision für weitere Reformarbeiten abzulenken.

Die Stimmen der JuristInnen

Magistral eröffnet als Bundesrat Arnold Koller die Uebersicht über die vollbrachten Leistungnen. Die formelle Nachführung des Verfassungsrechts habe mehr als erwartet gebracht, sagt der Vater der Reform. Die neue, übersichtliche Systematik habe die Einfügung weiterer Reformpakete wie die Justizreform, den Finanzausgleich und die Bildungsartikel wesentlich erleichtert. In den Schulen würde die lesbarer gewordene Verfassung vermehrt eingesetzt, und im Ausland habe sie Respekt und Anerkennung gefunden. Heinrich Koller, weiland sein Chefbeamter, doppelt nach: Wenn man bedenke, dass viele der damals am Werk Beteiligten es später in Verwaltung, Gerichten, an Universitäten und im Journalismus zu Ruhm und Ehre gebracht haben, werde deutlich, über welch beeindruckendes Potenzial die Bundesverwaltung während dieses Reformprozesses verfügte (und immer wieder verfüge).

Lob bekommt die Revision der Bundesverfassung Bernhard Ehrenzeller, St. Galler Professor für öffentliches Recht, weil sie die Kantone zu einer starken Vereinheitlichung ihres Verfassungsrechts veranlasst habe. Als Ergebnis der jahrenlangen Reformbemühungen in Bund und Kantonen zeige sich heute das Verfassungsbild eines koordinierten schweizerischen Bundesstaates, der genügend Platz für Experimente in den Kantonen, zwischen ihnen und im Verhältnis zum Bund lasse.

Aehnliches konstatiert auch Thomas Cottier auf dem Gebiet der Integrationspolitik. Deshalb sei die Bundesverfassung kein Hemmschuh, vielmehr die Basis für die Beteiligung der Schweiz am europäischen Grossprojekt. Wenn das nicht auf Anhieb gelinge, sei das eher in der poltischen Kultur der Schweiz begründet als im Verfassungsrecht. Vielleicht, lässt der Berner Europarechtler gelten, habe die neue Bundesverfassung aber zu wenig traditionsorientierten Staatsbildern, politisch motivierte Mythen und Ideologien aufgeräumt.

Damit ist man im Sammelband fast nahtlos an die Schwelle der kritischen Betrachtungen geführt worden. Zuerst fällt einem da die von alt Ständerat Rene Rhinow (und Martin Graf) auf. Die anlässlich der Reform ’99 angekündigte Staatsleitungsreform sei bis heute nicht verwirklicht worden; sie scheitere unverändert am nachhaltigen Widerstand des Bundesrates. Die nachgelagerten Bereichsreformen für direkte Demorktie, Justiz und Finanzen seien nur teilweise erfolgreich gewesen, und der Funke der Verfassungspflege aus der Nachführung sei gar nicht institutionalisiert worden. Schlimmer noch, man habe mit der neuen Bundesverfassung nicht vermeiden können, dass die gegenwärtige politische Landschaft bedenkliche Tendenzen eines verminderten rechtsstaatlichen Bewusstseins zeige.

Kritisch stuft auch der Bundesbeamte Luzius Mader das Verhältnis zwischen Bund und Kantonen ein. Das 2008 geschaffene Haus der Kantone – ein Symbol der gestärkten Bedeutung des Föderalismus – könne nicht darüber hinweg täuschen, dass die Kompetenzverteilung zwischen Bund und Kantonen unbefriedigend geblieben sei. Höchst umstrittene rechtspolitische Debatten über Massnahmen des Bundes gegen Hooliganismus, gegen gefährliche Hunde oder über Rauchverbote seien beredete Beispiele für den gegenwärtigen Zustand, den man nicht totschweigen könne. Gleiches gelte auch für die Vernachlässigung von Kantonsaufgaben, etwa der inneren Sicherheit, die fast bedenkenlos bisweilen an den Bund, bisweilen an private Schutzorganisationen delegiert werde.

Schliesslich verweist auch die Freiburger Europarechtlerin Astrid Epiney auf ungelöste Probleme im Verhältnis zum Integrationsprozess der Schweiz. Aufzeigen lässt sich das an der Behandlung völkerrechtswidriger Initiativen. Ihr bleibt angesichts verbliebener Lücken vor allem die Hoffnung auf befriedigende Lösungen in der Zukunft, während der vormalige Präsident des Bundesgerichts Giusep Nay konkrete Vorschläge prüft, wie das Rechtsstaatsprinzip unter Achtung der direktdemorkatischen Rechte verwirklicht werden solle.

Die Stimmen der Sozialwissenschafter
Vor diesem spannenden tour d’horizont von Möglichkeiten und Grenzen der Verfassungsreform in der Schweiz übernimmt Georg Kreis die Aufabe, den konkreten Entscheidungsprozess bis 1999 nachzuvollziehen. Kurt Imhof, Soziologe in Zürich, reiht das in die bisherigen Verfassungsrevision auf Bundesebene ein, um die Pfadabhängigkeit der jüngsten Reform im Lichte der Veränderungen von 1848 und 1874, nicht aber von 1935 zu spiegeln.

Die eigentliche Pointe setzt aber der Politologe Leonhard Neidhard im anregenden Band: Dem Palaver über Institutionenreform, wie sie aktuell beim Bundesrat geführt werde, mag er kein weiteres Wort hinzufügen. Viel wichtiger ist ihm, warum es sich ein Land wie die Schweiz leisten könne, Verfassungsrevisionen fast gänzlich ohne das Volk durchzuziehen. Sein Schluss besteht im Hinweis auf eine stabile Metaverfassung, die es in der Schweiz gebe und die auf der kommunalen und kantonalen Ebene auf intensiver Eingrenzung basiere. Sie lasse kleine Veränderungen regelmässig zu und bestimme so das effektive politische Leben. Deshalb würden Reformvorhaben immer mehr versprechen als einhalten.

Die mentale der Verfassung der Schweiz sei in jüngster Zeit auch nicht durch den Nachvollzug des eigenen Verfassungsrechts beeinflusst worden. Vielmehr sei die gut regulierte Willensnation Schweiz zeitgeschichtlich gesehen nur mit der EWR-Entscheidung von 1992 wirklich aufgerüttelt worden. Doch auch da beginne inzwischen jener Bilateralismus zu wirken, der das schweizerische Verhältnis von Kulturräumen und Kantonen zueinander präge. Man sei klein, meist unbedeutend und störe nur selten. Das erlaube es, flexibel mit allen zusammenzuarbeiten. Und so gehöre man faktisch dazu, ohne es zu merken – ganz wie es die Appenzeller in der Eidgenossenschaft schon lang machen würden.

Ein wirklich kunterbuntes Geburtstagsgeschenk, das die Prominenz der Bundesverfassung da gemacht hat!

Claude Longchamp

Georg Kreis (Hg.): Erprobt und entwicklungsfähig. Zehn Jahre neue Bundesverfassung, NZZ-Verlag, Zürich 2009

Wahlforschung in Theorie, Empirie und Praxis.

Ankündigung der Vorlesung von Claude Longchamp im Herbstsemester (18.9.-18.12) 2009 am Institut für Politikwissenschaft der Universität Zürich

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Ziele und Vorgehen
Die Vorlesung will die Teilnehmenden in drei Bereiche der Wahlforschung einführen:

. in die Theorien der Wahlforschung,
. in die Empirie der Wahlforschung und
. in die Praxis der Wahlforschung,

Hauptsächliches Anschauungsmaterial sind schweizerische Wahlen auf nationaler Ebene. Gelegentlich werden auch Wahlen auf kantonaler Ebene miteinbezogen resp. kommen auch Wahlen im Ausland, insbesondere in den USA, zur Sprache.

AbsolventInnen der Veranstaltung sollen am Schluss einen Ueberblick über die relevanten Themen in den genannten Bereichen und die Leistungen der Wahlforschung hierzu haben. Das soll nicht nur abstrakt, sondern auch konkret aus der gelebten Wahlforschung heraus vermittelt werden.

Inhalt und Aufbau der Vorlesung
Wahlen gelten als wichtigstes, wenn auch nicht einziges Kriterium von Demokratien, denn sie regeln periodisch die politische Machtverteilung. Die sozialwissenschaftliche Wahlforschung beschäftigt sich dabei mit verschiedensten Fragestellungen. Von diesen greifen wir in der Vorlesung eine heraus: Wie bildet sich der WählerInnen-Wille heraus, der die Wahlergebnisse bestimmt und in Mandate in Parlamenten (beschränkt auch Regierungen) transformiert wird.

Wahlforschung wir bei weitem nicht nur von der Politikwissenschaft alleine betrieben. Die ganzen Sozialwissenschaften beschäftigen sich damit, namentlich die (Sozial)Psychologie, die Oekonomie, die Soziologie, die Kommunikations- und Medienwissenschaft, aber auch Geschichte, Geografie Jurisprudenz und Statistik. Wahlforschung ist deshalb in hohem Masse ein interdisziplinär betriebenes Wissenschaftsfeld, was sich in der Vorlesung spiegeln soll. Wahlforschung wird darüber hinaus nicht nur von der theoretischen Seite aus betrieben; sie entsteht immer wieder von neuem aus der (sozialwissenschaftlich inspirierten) Bedarfsforschung.

Zur Sprache kommen in der Vorlesung nebst der Fachliteratur auch Projekte, welche aus universitären resp. ausseruniversitären Forschung entstanden sind resp. diese befruchten. Namentlich erwähnt seien Selects, fög-Medienanalysen, das SRG-Wahlbarometer, smartvote und die sotomo-Studien. Speziell behandelt wird auch das weltweit führende Prognoseprojekt „PollyVote“.

Damit erweitert sich die übliche, akademische Betrachtungsweise von Wahlen hin zur praktischen. Das soll aufzeigen, zu was theoretisch-empirische Wahlforschung fähig ist, durch was diese aber auch beeinflusst wird, und wie weit sie Wahlen selber beeinflusst.

Inhaltlich hat die Vorlesung 6 etwas ungleiche Teile:

– Die Einführung (2 Stunden)
– Der Ueberblick über die Themen (2 Stunden)
– Die Präsentation ausgewählter Theorien der Wahlforschung (6 Stunden)
– Die Präsentation zentraler empirischer Vorgehensweisen in der Wahlforschung (6 Stunden)
– Die Besprechung von Forschungsprojekte der politikwissenschaftlichen der angewandten Wahlforschung (8 Stunden)
– Der Ausblick zum Stand der Wahlforschung und zu Forschungslücken (in der Schweiz) (2 Stunden)

Hinzu kommt die Prüfung während der letzten Sitzung.

Die Vorlesung versteht sich als Vorbereitung für PolitikwissenschafterInnen, die in die Wahlforschung einsteigen möchten, sei dies in der universitären Grundlagenforschung oder in der ausseruniversitären Anwendungsforschung. Die Vorlesung ist mehr als eine Einführung in die politikwissenschaftliche Betrachtungsweise von Wahlen. Sie ist gleichzeitig auch weniger als ein Forschungsseminar hierzu.

Auswahlbibliografie (empfohlene Lektüre)
Klöti, U. et al. (Hg.): Handbuch der Schweizer Politik, Zürich 2006. (insbesondere: “Die nationalen Wahlen in der Schweiz”, p. 427-457
Rosenberger, S., Seeber, G.: Wählen. Wien 2008.
Bürklin, W., Klein, M.: Wahlen und Wählerverhalten, Opladen 1998 (2. Auflage).
Roth, D.: Empirische Wahlforschung. Urpsrung, Theorie, Instrumente, Methoden, Wiesbaden 2008 (2. aktualisierte Auflage).
Falter, J., Schoen, H.: Handbuch Wahlforschung, Wiesbaden 2005.

Vorsicht gegenüber Titeln

Ich schätze wissenschaftliche Berichte mit einem klaren Titel. Klar heisst für mich aber nicht wunsch-, sondern sachgemäss.

Wenn WissenschafterInnen und JournalistInnen über Titel zu einem Report sprechen, ist das nicht immer unproblematisch. Die Kunst der Zuspitzung ist die Sache der Medien; nach ihren ungeschriebenen eigenen Gesetzen dürfen sie dabei auch übers Ziel hinaus schiessen. Der Titel darf suggerieren, das Erhoffte für möglich erscheinen lassen, das Erwartetbare in ein klares Bild bringen.

Viele WissenschafterInnen können damit nichts anfangen. Denn sie sind sich lange, stelzerne, wortlastige Titel gewöhnt. Aritkel in Wissenschaftspublikation tragen die merkwürdigsten Titel. Immerhin haben sie einen Vorteil: Sie sind sachorientiert, geben das Thema verkürzt, aber korrekt wieder, selbst wenn dabei nichts Memorierbares resultiert.

Ich habe da eine Zwischenposition. Fragen in Titeln zu Tatsachen-Berichten an die Oeffentlichkeit sind bei mir verpönt. Ich ziehe positiv formulierte Aussagen, die das Hauptergebnis widerspiegeln, vor. Sie sollen einfach und gut verständlich sein. Aber sie müssen den Inhalt korrekt wiedergeben, kein X für ein Y vormacht. Und: Sie dürfen nicht voreingenommen sein!

Beim letzten Bericht zur SRG-Repräsentativbefragung vor den Eidg. Volksabstimmungen vom 17. Mai 2009 einigten wir uns – nach kurzem hin und her – auf “Neue Biometrische Pässe umstritten – Breite Sympathie vor Komplementärmedizin”. Das war vorsichtig und korrekt.

Der zweite Teile wurde bei den Publikationen in- und ausserhalb der SRG weitgehend übernommen. Klar, gerichtet, erwartbar, dürften die Gründe für den erfolgreiche transport gewesen sein. Beim ersten happerte es mir der Veröffentlichung, denn fast schon zwangshaft scheint der Druck zu sein, eine Aussage in die eine oder andere Richtung zu machen. Der “Bund”, in der Berichterstattung zu den Biometrischen Pässe dafür, etwa schrieb “Ja zu den Biometrischen Pässen”. Die Berner Zeitung, mit einer gewissen Affinität zur SVP, formulierte: “Viele Nein Stimmen zu den neuen Pässen”.

Die Liste liesse sich fast beliebig verlängern. Denn nicht nur politische Optiken beeinflussen die Titelei. Auch die sprachregionalen Kultur sind hier ein Thema.

Obwohl es immer um den gleichen Bericht geht!

Claude Longchamp