Supinos Konter gegen Imhof

Pietro Supino, Verleger der Tamedia AG, kontert die Kritiken an der Qualität der Medien, wie sie beispielsweise Kurt Imhof diesen Sommer prominent vorgetragen hat.

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Pietro Supino, Verleger der Tamedia AG, antwortet Kurt Imhof, Mediensoziologe an der Uni Zürich, in einer bisweilen persönlich gehaltenen Entgegnung.

“Medien spielen in unserer Gesellschaft eine wichtige Rolle. Es ist deshalb begrüssenswert, wenn über Fragen der Qualität debattiert wird. Die Vorstellungen darüber, was Qualität ausmacht, gehen allerdings weit auseinander”, schreibt Pietro Supino im Magazin seiner Zeitungen in Zürich und Bern. Wahrhaftigkeit, Unabhängigkeit, Eigenständigkeit und Fairness zählen für ihn generell dazu. Darüber hinaus liessen sich die verschiedenen Mediengattungen zurecht von anderen Qualitätskriterien leiten. Diese erarbeiteten sie gemeinsam intern mit ihren Redaktionen, und institutionalisierten externen Vertretern der Qualitätssicherung.

Analysen, wie die von Kurt Imhof und seinen MitarbeiterInnen am fög, die diesen Sommer in Buchform erschienen sind, hält Supino für unnötig. Da wurden namentlich die online-Medien und die Pendlerzeitungen kritisiert. Der Tamedia-Verleger hält nun dagegen: sachlich überzogen und wissenschaftlich fragwürdig ist sein Antwort. Grund: Die Mediennutzung, ihre Konstanten und ihre Veränderungen, seien nicht hinreichend erfasst worden, weshalb man die Neuerungen in der Medienwelt auch nicht richtig verstanden würden.

Deshalb schlägt für Supino auch der lautstarke Alarm ins Leere, Demokratie könne nur funktionieren, wenn in den Medien ein rationaler Diskurs über die gemeinsam zu lösenden Probleme stattfinde. Hier kontert er unmissverständlich: Das sei Unsinn, und ärgerlich dazu, heisst der Gegenschlag. “Für die Gesellschaft entscheidend ist etwas anderes – nämlich die Frage, ob das Angebot insgesamt genügt, damit die Medien ihre Forums-, Kontroll- und Integrationsfunktion erfüllen können.” Und genau das sieht Supino, mit Verweis auf politologische Studien (unter anderem auch von mir) nicht in Frage gestellt.

Selber plädiert der Verleger für mehr Gelassenheit gegenüber neuen Medien, denen gebildete Oberschichten seit jeher zu skeptisch begegnet seien. Selbstkritisch merkt er an, dem Aktualitätsdruck sollte man nicht immer gleich alles unterordnen. Bei der Auswahl von Themen und Köpfen könnte man mutiger werden. Personalisierung, Skandalisierung und Zuspitzungen ärgerten auch ihn gelegentlich.

Die eigentliche Problematik ortet Supino jedoch weder bei der Gratiskultur der neuen Medien und den Folgen für die etablierten Medien. Vielmehr klagt er die PR-Industrie an, die ihre Mittelgeber und wahren Interessen anonym halten, gleichzeitig aber rasch an Definitionsmacht gewinnen und in unverhältnismässiger Grösse gegen verkleinerte Redaktionen antreten würde.

Immerhin, an dieser Stelle kommen sich Supino und Imhof etwas näher. Der Journalismus brauche wirtschaftlich starke Medienhäuser, heisst es im Magazin – um sich gleich auch wieder vom Widersacher abzusetzen: Qualität sichere man nicht mit mehr Stellen im Journalismus, sondern mit mehr intelligenten Kooperationen, wie sie beispielsweise die Tamedia anstrebe.

Die Auseinandersetzung, die man sich hüben und drüben wünscht, ist eröffnet: über zutreffende Diagnosen, wahrscheinliche Ursachen und geeignete Vorschläge für Verbesserungen – auch via Blogosphäre, die das Magazin einen Ort der Debatte im klassischen Sinne der Aufklärung nennt, auch wenn es nicht immer ganz gelinge. Beweisen sie hier und jetzt das Gegenteil.

Claude Longchamp

Polit-kultureller Wandel in der Mediengesellschaft

Resümee eines Tages unter Managern, Funktionärinnen und Kommunikatoren über Veränderungen im Vetrauen der SchweizerInnen zu ihren politisch-medialen Institutionen.

Ich war gestern an der Retraite eines grossen Verbandes der Schweiz. Ein anderer Referent zitierte aus dem Sorgenbarometer, welches ich mit meinem Team jährlich für die Credit-Suisse erstelle, und bei dem es um kurzfristige Sorgen einerseits geht, um längerfristige Bindungen in Institutionen anderseits.

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Quelle: CS/gfs.bern, Sorgenbaromter 2009

Verschiedene Aspekte des Vertrauens in Institutionen aus der Erhebung von 2009 gaben zu Diskussionen Anlass: So werden Bezahlzeitung durch Gratiszeitungen überholt. Printmedien rangieren einiges hinter elektronischen Medien. Oder der Nationalrat rangiert klar vor dem Ständerat. “Ausgerechnet”, beklagten es die Einen; “typisch” war dies für die Anderen.

Was steckt dahinter? Die genannten Veränderungen begannen sich, eine um die andere, nach 2003 abzeichnen. Die meisten der genannten Entwicklungen sind konstant, das heisst die Veränderungen dauern mehr als über einen Jahresvergleich an.

Die traditionelle politische Kultur der Schweiz, auf konkordante Politik ausgerichtet, an der Zusammenarbeit Aller aufgrund bekannter und berechenbarer Positionen orientiert, ist in vielerlei Hinsicht in Bewegung geraten. Was zunimmt, ist nicht nicht einfach eine Streitkultur, wie man in der Theorie häufig annimmt. Wachsend ist die fallweise Repolitisierung der Bürgerschaft über Ereignisse, Emotionen schüren und Auseinandersetzung provozieren. Sie allen machen Politik zum medialen Marktgeschehen, was Aufmerksamkeit generiert.

Man kann die Schnellebigkeit von Ankündigungen beklagen, die zu einer oberflächlichen Auseinandersetzung des raschen Positionsbezug mit grossen Folgenlosigkeit führt. Man kann auch den Zwang zur Polarisierung und Personalisierung, die damit verbunden sind, schlecht finden. Denn das alles hat zur Entsachlichung der Politik geführt, macht sie spektakulärer, gleichzeitig aber auch virtueller.

Auffällig ist dennoch, dass das genau bei jenen Institutionen das Vertrauen zunimmt, welche sich offensiv den neuen Entwicklungen stellen: den Gratiszeitungen im Medienbereich, dem Nationalrat unter den politischen Organen; demgegenüber stagniert der Ständerat in der Vertrauenszuschreibung, und die Bezahlmedien haben mühe.

Nochmals: nicht wegen ihrer Arbeit als solcher, aber wegen ihrer geringeren Nähe zur Masse.

Am Ende des gestrigen Tages spührte ich zwei Tendenzen im Publikum:

. die einen sehen darin das Ende der Politik, wie sie bei den griechischen Philosophen begründet wurde, in der Aufklärung zugespitzt und in der westlichen Welt als Ausdruck der Vernunft installiert wurde;

. die anderen nimmt alles gelassener, schickt sich in die Trends und ist bestrebt, sich so zu arrangieren, dass sie daraus ihren Mehrwert für sich und ihre Organisationen ziehen können.

Der Vulkan, die Politik und die gegenwärtigen Stimmungslagen

Der Eyjafjalla-Vulkan war dieser Tage in aller Leute Mund. Wahrscheinlich hat sein überraschender Ausbruch mit den unerwarteten Folgen wie kaum ein anderes Ereignis der jüngsten Zeit uns beeindruckt. Zurecht, ja gerade treffend für die Eruptionen in der politischen Landschaft, sage ich da!

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Ausbruck des Eyjafjalla-Vulkans im April 2010

Fulvio Pelli, der Präsident der FDP, brachte es am Samstag auf den Punkt: Die innerparteilichen Spannungen um das Bankgeheimnis und Schwarzgelder seien “explodiert wie ein Vulkan”. Losgetreten wurde die Debatte durch FDP-Unternehmer. Sie fürchteten, die Partei könnte angesichts des Abzocker-Images untergehen. Die Partei müsse sich von Bankeninteressen emapnzipieren, und gleichwert an der Werkplatz Schweiz denken. Das rief umgehend die Vertreter der Banken und Versicherungen auf den Plan, die der verlangten Weissgeld-Strategie eine Abfuhr erteilen. wollten. Ganze Kantonalparteien empörten sich, und unter den Parteimitgliedern brodelte es mächtig, ja kam es bei den Berner Wahlen zu einer eigentichen Explosion. 10 Wochen dauerte die Auseinandersetzung an.

Zurecht verglich Fulvio Pelli die Lage der FDP mit der eine Vulkans. Denn tief unten in der Partei sind unverändert starke Ueberzeugungen aktiv. Angesichts der Verkrustung an der Oberflächte kommen sie aber kaum mehr zum Tragen. Das erhöht den innern Druck seit längerem. Dieser verschaffte sich Raum, als die Parteispitze in der Bankenpolitik eine Kehrtwende vollzog. Das legte allseits die Emotionen offen. Die Medien feuerten die verschiedene Protagnisten an, sodass alles ausser Kontrolle geriet. Der angerichtete Schaden zwang zur inneren Einkehr, wie es der Parteipräsident gestern formulierte.

Erstmals das Gefühl einer vulkanartigen Stimmung hatte ich letzten Herbst bei den Genfer Wahlen 2009. Der grosse Ueberraschungssieger war damals das MCG, eine rechte Protestbewegung, die bei den Parlamentswahlen richtiggehend Wählerstimmen absahnte. Mit der Grenzgängerproblematik nahm sie ein Thema auf, das im Lokalen seit längerem für erhebliche Spannung sorgte, die von keiner Partei aufgenommen und einer Lösung zugeführt wurden. So brauchte es nur einen Strassenwahlkampf des Aussenseiters während einigen wenigen Wochen, und schon stand Genf Kopf. Die Volksseele kochte,und bei der Neubesetzung des Genfer Grossen Rates entlud sie sich eruptiv. Doch schon bei den nachfolgenden Regierungsratswahlen scheiterte der Spitzenkandidat des MCGs, und die bisherigen Regierungsparteien setzten sich wieder durch. Der Genfer Vulkan war schnell wieder erloschen.

Man könnte hier auch die Minarett-Initiative anfügen, um ein nationales Beispiel zu haben. Und sicherlich gibt es in vielen Städten ähnliche Stimmungslagen, die zu vergleichbaren Ausbrüchen führen. Ihnen allen ist gemeinsam, dass die Ausbrüch kaum vorhersehbar sind. Wenn sie erfolgen, beeindrucken sie uns gewaltig, um auch recht schnell wieder an Strahlkraft einzubüssen.

Wer solche Eruptionen auslösen, wer sie steuern und wer sie zu seinem Instrumenten machen kann, der ist sich des politischen Erfolgs gegenwärtig sicher. Davor scheint fast niemand mehr sicher zu sein. Doch wen es trifft, den rüttelt es gründlich durcheinander. In seinem Umfeld kommt es zu erheblichen Schäden. Und so fragt sich natürlich, wer 2011 rechtzeitig vor den Wahlen nicht nur 1. August-Kracher loslassen wird, sondern ganze Vulkane zum bersten bringen kann. Das Ausland? Die Wirtschaft? Oder die SVP?

Mit Leidenschaft gegen den Zerfall der Medienkultur

Zu den Ingredenzien der Forschung zählt Kurt Imhof, führender Mediensoziologe der Schweiz, gute ForscherInnen, viele Datensätze, Theorien, Methoden und … Leidenschaft.

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Kurt Imhof, wie er leidenschaftlich lebt und forscht

Auf seine Leidenschaft angesprochen, spricht der Zürcher Professor Kurt Imhof am liebsten über sein Projekt, ein Medien-Observatorium für die Schweiz einzurichten. Dieses soll untersuchen, wie Medien Politik und Wirtschaft beeinflussen. Dabei geht es ihm um den Auf- und Abbau von Zukunftsvertrauen, weil dieses Investitionen lenkt. Es treibt ihn an zu zeigen, wie durch Heroisierung und Skandalisierung die Reputation von Wirtschaftseliten entsteht un vergeht. Und er will bestimmen, wie sich die Veränderung der Qualität im ökonomisierten Mediensystem auswirkt.

Bisher wurden die Ergebnisse summarisch auf einer Online-Plattform veröffentlicht. Mitte 2010 soll das erste Jahrbuch “Qualität der Medien Schweiz” erscheinen. Denn davon ist Imhof überzeugt: Die Medien, die alles und jedes in Frage stellen, sind es sich nicht gewohnt, dasselbe mit sich zu machen.

Kontrollieren will Imhof die Medien nicht – zur Selbstreflexion verführen indessen schon. Indem der Medienexperte Medienkritik als Medienevent vermarktet. Zum Pudding seien die Medienberichte geworden, erklärte Imhof jüngst der NZZ, seit Information und Unterhalten vermischt würden, um in der Gratiskultur bestehen zu können. Widerspruch dazu gabs nicht, denn die Pointe gefiel. Doch eigentlich meinte Imhof, dass sich Universalität, Ausgewogenheit, Objektivität und Relevanz der Medienberichterstattung über die Zeit verschlechtert haben. Diese Botschaft wäre so schwieriger zu vermitteln gewesen.

Sein Observatorium müsste eigentlich durch die Medienverlage finanziert werden, meint Imhof. Doch das funktioniere in der Praxis nicht. Schon Einwände in der Theorie gibt es, wenn der Staat das machen würde, denn der lebt von der demokratischen Willensbildung, die zivilgesellschaftlich begründet sei. Unabhängigkeit der Medienforschung am Observatorium will er deshalb durch Wissenschaft, Stiftungen und Donatoren sichern. Zwei Millionen Schweizer Franken sind so schon zusammengekommen.

Als man begonnen habe, das Jahrbuch zu entwerfen, habe er noch nichts davon gehabt – und sei doch gestartet, sagt Imhof mit gewohntem Schalk, “weil letztlich die Leidenschaft die Forschung treibt!”

5 Jahre Medienpapst – eine kritische Zwischenbilanz

5 Jahre ist Benedikt XVI. nun Papst. Und seit fünf Jahren nutzt er Medienauftritte ganz bewusst. Was den Medienpapst ausmacht, analysiert ein neues Buch, das noch vor der laufenden Pädophilen-Debatte geschrieben wurde, ihre Charakteristik letztlich aber genau vorwegnimmt.

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Andreas Hepp und Veronika Krönert sind als MedienwissenschafterInnen an der Uni Bremen tätig. Im Rahmen eines grösseren Forschungsvorhabens haben sie die Kommunikation von Papst Benedikt XVI. (von Papst “Gutgesagt” also) aus kritischer Distanz untersucht.

Ausgangspunkt ihrer umfangreichen Abhandlung ist der Weltjugendtag von 2005, gleichsam der Beginn des neuen Pontifikates, das sie religionssoziologisch und medientheoretisch hinterfragen. Ihre These ist: Die katholische Kirche tritt neu systematisch auf dem medial vermittelten Sinnmarkt auf, um das Potenzial zu nutzen, begibt sich dabei aber in Abhängigkeiten. Die sehen die AutorInnen vor allem darin, dass sich der Papst als wichtigster Kommunikator der einmal gewollten Medieninszenierung kaum mehr entziehen kann – auch dann nicht, wenn er und seine Kirche es wünschten.

Dabei muss man nicht einmal an unrühliche Problemlagen der Aktualität denken. Denn hinter ihnen liegen Mechanismen verborgen, die sich auch bei anderen Protagonisten mit anderen Eigenschaften zeigen würden. Hepp und Krönert sehen das in drei Konsequenzen der Mediatierung von Religion begründet:

. in der sozialen Dimension der Individualisierung,
. in der räumlichen Dimension der Deterritorialisierung und
. in der zeitlichen Dimension zunehmender Unmittelbarkeit.

Was das heisst, erfährt man in den Verallgemeinerungen zur Beschreibung des Weltjugendtages: Denn wo Medien zum Ort des persönlichen Aushandelns von Sinnangeboten werden, wächst der Zwang, sich stets mediengerecht zu präsentieren: heterogen, um Teilöffentlichkeiten und Zielgruppen zu gefallen; translokal, um Netzwerker für sich zu gewinnen und markenorientiert, um sich von anderen Religionen abzugrenzen.

Unweigerlich kommen einem da die Probleme des gegenwärtigen Pontifikates in den Sinn: die umstrittene Polarität von Papst Benedikt zum Islam und Judentum, die durch Annäherung und Provokation gekennzeichnet ist, die heiss diskutierte Integration der Pius-Bruderschaft, die aufgrund falscher Informationen erfolgte, und die Nähe der Kirche zu historischen und politischen Gruppen, denen der Papst einmal nahe stand.

Die AutorInnen sind überzeugt: Das alles muss zwangsläufig in einer Entzauberung des religiösen Zaubers enden. Denn der “Schwarzmarkt der Religion”, wie sie die Medienöffentlichkeit nennen, wird grösstenteils von nicht kirchlichen Akteuren konstituiert, durch ihre Prinzipien bestimmt und durch Zuschauerzahlen legitimiert, die man mit medialen Tricks wie der Eventualisierung erreicht. Religionen werden so zwar populär, aber auch entsakralisiert.

Oder einfacher gesagt: Die Euphorie der Kirchen zu den Chancen eines Medienpapstes ist rasch einer Desillusionierung der Gläubigen gewichen, ohne dass Religion dadurch nachhaltig etwas gewonnen hätte.

“Rettet sie, die Alte Tante!”

Ich lese die NZZ täglich aufmerksam. Denn sie berichtet über Vieles, das mir wichtig ist, zuverlässig. Nur über die NZZ, die mir auch wichtig ist, erfährt man in der NZZ wenig. Jetzt hilft die “Zeit” aus, die Danielle Muscionico, während 18 Jahren bei der “Neuen Zürcher Zeitung” angestellt, den Niedergang analysieren lässt. Hier ihre Thesen des Textes.

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2002 erwischte es das Unternehmen NZZ schwer. 50 Millionen Schweizer Franken Defizit fuhr man ein – und präsentierte der Redaktion drei Jahre später bei der 225 Jahr Feier des Weltblattes auf dem Bellevue Platz Suppe im Zelt. Nun hat das “Kulturgut der Willensnation Schweiz” (Eigenzitat im Geschäftsbericht) einen CEO, was die Redaktion als Bruch mit der statutarisch fixierten Vorrangstellung der Publizistik über die Oekonomie interpretiert.

Autorin Muscionico weiss, was der Grund ist: “Im Aktionariat tobt ein Kulturkampf. Denn aus den früheren altersmilden Idealisten und liberalen Philantropen sind hungrige Investoren geworden”, berichtet sie. Am kommenden Mittwoch treffen sie sich wieder zur ordentlichen Generalversammlung, sodass man sich die bange Frage stellt, was nun geschieht?

Symptom des Niedergangs der NZZ ist für Muscionico die Dezimierung des Netzes an AuslandkorrespondentInnen. Und die Vorverlegung des Redaktionsschlusses, um in günstigere Vertriebssysteme zu gelangen. Bilanz in eigener Sache: “24 Seiten dünn und ein Hybrid aus wenig Aktuellem, viel Aufgebackenem vom Vortag und Agenturmeldungen.” Das hat der NZZ Auslandausgabe wichtige Reputationspunkte gekostet, sodass die Verbesserung der Verschlechterung zwischenzeitlich Chef(redaktoren)sache ist.

Mit Gerhard Schwarz, gerne das ordnungspolitische Gewissen der NZZ genannt, verlässt auf Ende Jahr einer der profiliertesten Redaktoren das Blatt Richtung “Avenir Suisse”. Er sagt: “Mir fehlen die Perspektiven für einen beseelten Journalismus”, sodass Muscionico nachhakt: Wo sitzt die Seele des Journalismus? Im Herzen, im Hirn, oder im Geldbeutel?

Die Frage ist zwar präzise gestellt, erhält eine Antwort aber nur über einem historischen Exkurs zum Phänomen NZZ. Das Blatt sei ein Produkt der Zücher Aufklärung. Den Ruf als unabängiges Weltblatt habe es im deutsch/französischen Krieg sowie im Ersten und Zweiten Weltkrieg erarbeitet. In der Schweiz sei es sie das publizistische Organ des Freisinns gewesen, der einst visionären Kraft. Das habe der NZZ den nötigen Hintergrund gegeben – jedenfalls bis zum Swissair-Grounding.

Eric Honegger, damaliger VR-Präsident der NZZ, gelernter Historiker, gepriesener Bundesratssohn und gescholtener Mitverantwortlicher für das Debakel der nationalen Fluggesellschaft musste in der Folge gehen. Und seither positioniert Conrad Meyer, Ordinarius für Betriebswirtschaft an der Universität Zürich, die NZZ-Mediengruppe neu. Die NZZ als stand alone product hat nach ihm keine Zukunft mehr. Ohne breit verankertes Internet-Portal mit gleichem Namen sieht man entsprechend keine Zukunft für die alte gewordene Tante.

Nun muss die Zeitung sparen, sieht sich als cash-cow, die man melkt, um ihre Kälber zu füttern. Doch eigentlich ist der kritische Reporterin klar: Die Kälber werden überleben, und sich nicht um den armen Hund, der sie ernährt hat, kümmern.

Die virtuos vorgetragene Analyse in der aktuellen “Zeit” entbehrt nicht der Ironie, denn die Revolution frisst bekanntlich ihre eigenen Kinder. Und der Kapitalismus, dozierte einst Nationalökonom Joseph Schumpeter, ist nicht da, um Zeitungen, sondern Gewinn zu schaffen. Und wo dies ausbleibe komme es zur schöpferische Zerstörungen mit Neuanfang. Dies hat man gerade in der NZZ und ihrem Umfeld immer für richtig gehalten. Entweder gilt es auch hier, oder es war immer ein Irrtum.

Erotisches Kapital in der Politik

Ein neues Thema füllt die Feuilletons der Magazine erreicht: das erotische Kapital in der Mediengesellschaft. Die politische Kulturforschung täte gut daran, sich den Veränderungen der politischen Kommunikation auch in der Schweiz vertieft anzunehmen.

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Mara Carfanga, Gleichstellungsministerin in Italiens Regierung, machte das beste Ergebnis aller KandidatInnen bei den jüngsten Regionalwahlen

55700 Stimmen machte Mara Carfanga bei den jüngten Regionalwahlen in Italien. Damit realisierte die Ministerin aus der Reihen der Berlusconi-Partei “Popolo della Libertà” das beste Resultat aller KandidatInnen.

Weit herum bekannt wurde sie durch einen peinlichen Patzer des Cavaliere: “Wenn ich nicht schon verheiratet wäre, würde ich sie sofort heiraten”, soll der Silvio Berlusconi über seine Gleichstellungsministerin gesagt haben. Damit versetzte er seine Frau Veronica in öffentliche Rage, und die Scheidung der Ehe der Berlusconis nahm ihr Lauf.

In den Medien geht Carfanga seither der Ruf der “schönsten Ministerin” voraus. Carfanga ist damit nicht alleine: Präsidenten, die sich wie Nicolas Sarkozy stark wähnen, lieben es, sich mit erotischen Frauen zu umgeben, nicht nur des Vergnügens wegen, sondern auch um Aufmerksamkeit zu mehren und WählerInnen zu gewinnen.

Erotisches Kapital in der Sozialforschung
“Erotisches Kapital” nennt der kanadische Soziologe Adam-Isahia Green das Phänomen. Gemeint ist damit die Energie von Frauen und Männern, die von ihren natürlichen, künstlich geschaffenen oder erlernten Eigenschaften ausgehen und auf andere wirken. Das beschränkt sich nicht nur auf unser Alltagsleben, sexuelle Beziehungen Heirat oder Kinderkriegen. Es erfasst in hohem Masse die mediale Kommunikation in Werbung und Unterhaltung, Sport und Kunst, Arbeitswelt und Politik.

Für die TheoretikerInnen eben dieses gibt es keine einheitliche Form des erotischen Kapitals. Vielmehr ist dies eine Folge der Entwicklungen vor allem von Mediengesellschaft, insbesondere ihrer sexualisierten Oeffentlichkeiten. Dabei werden ökonomisches, soziales und kulturelles Kaptial als tauschbare Handlungsressourcen von Individuen durch das erotische erweitert. Immerhin, die Forschungen zum erotischen Kapital macht mindestens sechs Bestandteile sichtbar: die Schönheit, die Attraktivitäten, die Lebenslust, die Präsentation, die Sexualität und die Vermehrung, insbesondere bei Frauen.

Soziologin Catherine Hakim, Forscherin an der London School of Economics, ist überzeugt: “Women generally have more erotic capital than men because they work harder at it. Given the large imbalance between men and women in sexual interest over the life course, women are well placed to exploit their erotic capital.” Fasziniert von Cleopatra, Madonna, Catherine Deneuve und Tina Turner, kritisiert sie die bisherigen politischen Theorien, denn das Patriarchat habe den Frauen verboten, ihr erotisches Kapital zu nutzen, um in Wirtschaft, Gesellschaft und Politik zu Erfolg zu kommen, und die feministische Theorie habe die moralischen Vorschriften, an die sich Frauen halten müssten, noch verstärkt. Doch das breche in der gegenwärtigen Gesellschaft auf und müsse empirisch untersucht werden, verlangt sie und kündigt für 2011 schon mal ein Buch hierzu an.

Evidenzen auch in der Schweizer Politik?!

Die politische Kulturforschung würde gut daran tun, sich den aktuellen Veränderungen auch in der Schweiz systematisch anzunehmen. Denn Hinweise hierfür gibt es genug, auch wenn sie meist belächelt werden.

So meinte Georg Lutz jüngst unter Verweis auf Adrian Amstutz und Nathalie Rickli, Schönheit werde auch in der Schweiz gewählt, wenn man das Parlament besetze. Feministin Regula Stämpfli kritisierte ihn, und Nationalratspräsidentin Pascale Bruderer dazu, weil die Genossin der Versuchung, sich nicht über das Sein, sondern den Schein zu verkaufen, nicht wiederstehen könne. Klaus Stöhlker wiederum ist sicher, dass Doris Leuthard von ihrer äusserlichen Erscheinung politisch profitiere und Moritz Leuenberger sich nur deshalb im Amt halten könne. Die FDP-Frauen kümmern solche Unterstellungen wenig: Für ihre Geburtstagsparty zum 60. luden sie jüngst mit dem Hinweis ein, ihr erotisches Kapital ganz bewusst in die Politik einzubringen. Karin Keller-Sutter dankt es ihnen!

Der Mechanismus hysterischer Treibjagden

Bemerkenswert offen beschreibt Kolumnist Kurt W. Zimmermann in der heutigen Weltwoche wie das Schema des Thesenjournalismuses funktioniert.

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Top-Journalist Zimmermann zum Thesenjournalismus: Umkehr von Recherche und Schlussfolgerung.

Definiert wird der Thesenjournalismus durch die Umkehrung von Recherche und Konklusion, schreibt der ehemalige Chefredaktor der Sonntagszeitung. Im Normalfall sammelt ein Journalist Informationen, um sich eine Meinung zu bilden. Im Thesenjournalismus bildet er sich eine Meinung und sammelt er Informationen, welche die These stützen resp. lässt alles weg, was der Thesen schadet.

Daraus leitet Zimmermann sechs Phasen der medialen Vorgehensweise des Thesenjournalismus bei seinen Treibjagden auf. Sie lauten:

Skandalisierung: Ein bestimmtes Ereignis wird von Beginn weg in einen Kette von Widerholungen gestellt, um die Tonlage vorzugeben.

Personalisierung: Alles Schlechte wird von einem Monster verursacht dargestellt, auf den sich die Aufmerksamkeit in der Folge konzentriert.

Kampagne: Aktiv gesucht werden Informanten. Zitiert wird, wer ins Schema passt. Wer das nicht unterstützt, fällt ausser Betracht.

Rücktritt: Der Rücktritt des Monsters wird gefordert, von wem auch immer. Mögliche Nachfolger, die ins Gespräch gebracht werden, sollen die Position des Monsters weiter destabilisieren.

Eskalation: Wenn das Monster nicht geht, werden seine Vorgesetzten unter Druck gesetzt. Sie sollen im gewünschten Sinne handeln, um nicht selber in den Strudel von Vorwürfen gerissen zu werden.

Schmutz: Schlammschlachten sollen die Angegriffen diskredieren, bis sie selber das Handtuch werfen.

Die Grundfragen, um die es geht, werden während allen sechs Phasen bewusst nicht gestellt, schreibt der Medienprofi. Damit kommt die eigentliche Diskussion nicht voran, die Scheindiskussion hebt aber umso schöner ab.

Natürlich legt Kurt W. Zimmermann das offen, um den Angriff auf Post-Verwaltungsrats-Präsident Claude Béglé zu analysieren. Das sei eine “hysterische Treibjagd” schreibt die Weltwoche dazu. Doch das ist gar nicht der Punkt, weil das Verfahren auf x andere Vorgänge ähnlicher Art angewendet werden kann. Wo auch immer. Und gegen wen auch immer.

Minarett-Initianten errangen die Medienhoheit.

Die erste Analyse der Medienberichterstattung zur Minarett-Initiative liegt vor. Die Forschungsbereich für Oeffentlichkeit und Gesellschaft/Universität Zürich hat sie aufgrund eines Querschnitts von Medien im Print und elektronischen Bereich erstellt. Ihre generelle These ist: Vor dem Abstimmungssieg errangen die Minarett-Initianten die Medienhoheit.

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Die Islamisierung der Schweiz war das zentrale Thema der Medienberichterstattung, hält die heute publizierte Analyse zur Minarett-Initiative fest.

Erstens, der mediale Abstimmungskampf dauerte aufgrund der Aufmerksamkeit für das Thema rund 10 Wochen. Lanciert wurde er durch die Plakatkampagne einerseits, das Minarettspiel auf Internet anderseits. Die damit ausgelöste Provokationen sicherten den Befürwortern einen auch im Vergleich mit anderen Abstimmungem hohen Startvorteil. Ueberhaupt, kommt die Studie zum Schluss, kamen die Befürworter in den Medien mehr zum Zug als die Gegner. Drei Viertel aller zitierten Akteue stammen von ihrer Seite. Ihnen gelang es damit, das Verhältnis in der Medienpräsenz im Vergleich zum Abstimmungsverhältnis im Parlament genau umzukehren.

Zweitens, der Vorlageninhalt und die juristisch-ethischen Argumente der Gegner, die in den Behörden ausschlaggebend gewesen waren, dominierten die Mediendebatte nicht. Resonanzvorteile holten sich die Befürworter mit generellen Themen wie der schleichenden Islamisierung, dem islamistischen Terror und der Etablierung einer Parallelgesellschaft mit eigenem Schariarecht. So leiteten sich die überwiegend negativen Stereotypisierung des Islams ab. Die Pauschalisierung habe die Vielfalt muslimischer Strömungen befördert und den Konnex Angehöriger dieser Glaubensgemeinschaft mit radikalen Bewegung im Islam unterstützt. Muslime wurden so als fremd und mangelhaft integriert charakterisiert, was bedrohlich wirkte.

Drittens, die Kurzfassung der Studie stellt die Medienberichterstattung zur Initiative auch in einen zeitgeschichtlichen Rahmen. Ausgangspunkt ist der 11. September 2001. Erst damit ist die Präsenz von Muslimen in der Schweiz thematisiert worden. Die Initiativankündigung erfolgte während des Karikaturenstreits in Dänemark. In diesem Umfeld etablierte sich der Eindruck, Meinungsfreiheit werde sowohl durch den Islam wie auch durch die politischen Eliten bedroht. Während des Abstimmungskampfes verfestigte sich das Bild, einerseits durch die Präsenz der Talibans in Afghanistan und Pakistan, durch die Krise in den Beziehungen zwischen der Schweiz und Libyen.

Eine erste Bilanz
Stark quantitativ angelegt, erhellt der Bericht, dass im Abstimmungskampf eine fragmentierte Oeffentlichkeit entstand: Die Gegner und Befürworter kommunizierten jeweils aneinander vorbei. Dass dabei die Befürworter viel wirkungsvoller waren, war kein Vorteil für die Behörden, kann man daraus schliessen.

Sekundärzitierungen von Umfragen sind so eine Sache …

Wer kennt das nicht: 10, 50 oder 100 Menschen stehen in einer Reihe. Der Erste sagt dem Zweiten etwas, sodass es die anderen nicht hören. Dann ist der Zweite gegenüber dem Dritten dran und so fort. Der Letzte berichtet dann dem Ersten, was er über ihn gehört habe. Zum Staunen aller verändert sich die Botschaft durch ihre Weitergabe bis ins Unkenntliche.

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Kommunikationsprobleme sind auch in der Vermittlung von Studienergebnissen häufig, wenn man mehr aus den Resultaten machen will, als möglich ist.

“24 Heures” publizierte letzte Woche eine Umfrage von MIS zum Verhältnis von SchweizerInnen zu Muslimen. Auf einen Nenner gebracht, lautete das Ergebnis: Ein Muslim kann ein guter Schweizer sein. Dem Islam als Ganzes stehen die BewohnerInnen des Landes aber distanziert gegenüber.

“32 – 38 – 24”, so lauten die Zahlen für ein positives, neutrales oder negatives Verhältnis zu Angehörigen des Islams gemäss MIS Befragung. Entsprechend sind die BewohnerInnen der Schweiz in vielen Frage, die den Islam betreffen, gespalten. In der Minarett-Frage sind 46 Prozent dagegen.

Fachmännisch gesprochen sind das alles Einstellungselemente: Bewertungen von Sachfragen, welche den aktuellen Informationsstand und die momentane Gefühlslage reflektieren. Da Entscheidungen auch Informationen und Stimmungen einer Kampagne reflektieren, können Prädispositionen und Entscheidungen identisch sein, müssen aber nicht.

Journalistisch ist das der Knackpunkt. Nicht selten wird alles mit allem gleichgesetzt! Denn besteht ein Zwang in den Medien, aus allen Umfragen vor Abstimmungen eine Prognose zu machen. Egal, ob auf gesicherter oder ungesicherter Basis.

Das konnte man Ende letzter Woche wieder einmal schön feststellen. Die Meinung zu Minaretten, wie sie “24 Heures” richtig wiedergab, wurde in “20 Minuten” zur unvermittelten Stimmabsicht über die anstehende Initiative. Eine Minderheit sei für Minarette, eine relative Mehrheit für die Initiative. “Rund zwei Wochen vor der Abstimmung seien noch 15 Prozent unentschieden”, lautete die Zusammenfassung der Studie.

In der österreichischen “Kleinen Zeitung” kams dann noch dreister: “Die Anti-Minarett-Initiative in der Schweiz hat gute Erfolgsaussichten”, wird der Artikel eingeleitet; übertitelt ist er mit: “Mehrheit für Anti-Minarett-Initiative”!

Quod erat demonstrandum: Mit jeder Weitergabe ändert sich die ursprüngliche Botschaft!

Claude Longchamp