Im gegenwärtigen Abstimmungskampf legen die Gegner aller Vorlagen zu

Harte Zeiten für InitiantInnen und Behörden. Denn im laufenden Abstimmungskampf legen die Gegner aller drei Vorlage teils kräftig zu.

Bei Volksinitiativen überrascht der negative Trend nicht wirklich. Es ist eine bekannte Regel, dass sie gut starten und schlechter enden. Stets nimmt der Nein-Anteil in Umfragen zu und der Ja-Anteil meist insbesondere bei jenen ab, die eher dafür waren. Hauptgrund ist der Szenenwechsel: Am Anfang eines Meinungsbildungsprozesses beurteilt man vor allem das mit der Initiative angesprochene Problem, am Schluss die mit dem Begehren vorgeschlagene Lösung.
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Bei der 1:12 Initiative heisst das: Zuerst dominierte die Problematik der aufgegangenen Lohnschere, quantitativ, aber auch ethisch. Entsprechend führten die InitiantInnen einen Diskurs zur Lohngerechtigkeit. Je länger die Kampagne dauert, umso mehr spricht man über die Schwächen der Initiative: die Regelung der Löhne durch den Staat und die Folgen für Steuern und Sozialversicherung. Die Befragung zeigt, dass sich die Meinungsbildung genau in diesem Dreieck von ersterem zu letzteren verlagerte und so auch die Stimmabsichten von rechts bis über die Mitte hinaus veränderte.
Bei der Familieninitiative kann das allgemeine Gesetz wie folgt ausgedeutscht werden: Begünstigungen bestimmter Familienmodell durch den Staat sind den Stimmberechtigten ein Dorn im Auge. Mit genau diesem Anker ist die Initiative gestartet, und sie hatte breite Sympathien. Seither holt die Gegnerschaft auf: Mit den Steuerausfällen für Bund und Kantone, aber auch mit der Nebenwirkung der Initiative auf die gewollte Förderung der Vereinbarkeit von Beruf und Familie. Das begründet den Meinungswandel namentlich bei (links)liberalen Wählerschichten vom anfänglichen Ja ins heutige Nein.
Bei der Autobahnvignette überraschen die Befragungsergebnisse jedoch. Denn der Normalfall bei einer Behördenvorlage besteht darin, dass sich die Unschlüssigen (in einem offenen Verhältnis) auf beide Seiten verteilen. Wäre das geschehen, hätte der Ja-Anteil mindestens leicht ansteigen müssen und die Vignetten-Vorlage wäre wohl angenommen worden. Angesichts der jetzigen Umfragewerte muss genau das offen bleiben. Denn auch hier nahm die Ablehnungsbereitschaft zu, und es verringerte sich die Zustimmungstendenz.
Erster Grund dafür sind Elite/Basis-Konflikte. Für die Zunahme der Opposition ist der Trend in der FDP relevant: Als Partei befürwortet sie die Vorlage; ihre Wählerschaft konnte sie aber mehrheitlich nicht überzeugen. Zweitens: Von der Nein-Botschaften mitgenommen werden auch die parteipolitsche Ungebundenen. Hier vergrösserte sich nicht nur der Nein-Anteil überdurchschnittlich, es nimmt auch die Teilnahmebereitschaft gerade dieser Bevölkerungsgruppe zu. Drittens, die Betroffenheit als AutofahrerInnen wirkt sich in der Meinungsbildung zugunsten der Opponenten aus. Je mehr Autos man hat, desto eher ist man dagegen.
Damit ist die SVP, welche das Referendum lancierte, nicht mehr allein; vielmehr tragen weite Teile der rechtsbürgerlich gesinnten StimmbürgerInnen und AutofahrerInnen die generelle Kritik an Gebühren und Abgaben. Etabliert hat sich so ein Diskurs, der von jenem im Parlament und der federführenden Bundesrätin abweicht. Die Behördenposition prägte somit auch den Medientenor und thematisierte primär die Sicherheit auf den Strassen. Dieser Diskurs rechtfertigte die einmalige Erhöhung des Vignettenpreises nach fast 20 Jahren Stillstand.
Claude Longchamp

Neidharts KollegInnenschelte

Von allen guten Geistern verlassen seien die Kommentatoren der jüngsten Bundesratswahl und der nachfolgenden Departementsverteilung gewesen, schimpfte Politologe Leonhard Neidhart in der jüngsten NZZamSonntag und rügte einfältige Journalisten, altlinke Historiker und oberclevere Politikwissenschafter in einem schriftlichen Rundumschlag. Eine Entgegnung.

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Spätwerk von Neidhart zur polity der Schweiz – von alt Bundesrat Kaspar Villiger beispielsweise hoch geschätzt

Unsere Verfassungsväter hätten keine Superregierungsmitglieder gewünscht, dafür einen Rat an der Spitze des Staates eingerichtet, der Mann für Mann gewählt worden sei. Um das Kollegium vor Ansprüchen zu schützen, habe man die Verteilung der Departemente dem Bundesrat überlassen. Vielleicht, so schliesst der 75jährige Politologe, sei das politische System der Schweiz nicht stringent aufgebaut, dafür lasse es flexible Lösungen zu. Denn die “lose Koppelung der Elemente” garantiere seit Jahrzehnten Stabilität.

Nun sind die Verdienste des emeritierten Konstanzer Professors gerade hinsichtlich der Analyse des politischen Systems der Schweiz unbestritten. Denn er hat als Erster die inneren Zusammenhängen plurikultureller Gesellschaften, der direkten Demokratie und des Interessenausgleichs in der Konkordanz herausgearbeitet.

Das war allerdings vor 40 Jahren. In seinem Spätwerk ist der Schaffhauser immer abstrakter geworden, denn er hat sich, theoretisch festgelegt, zusehends von den neuen Realitäten abgewendet. Diese werfen zumindest die Frage auf, ob es nicht gerade die lose Koppelung der Elemente ist, welche in der Schweiz zu Blockaden zwischen den Bestandteilen zum Schaden des Ganzen verursachen.

Ein Blick in die letzte Sessionswoche müsste einem zu denken geben. Die Allianz der Mitte setzt sich bei der Departementsverteilung im Bundesrat durch. FDP, CVP und BDP besetzen seither die vier am begehrtesten Departemente, und sie haben im Bundesrat die Mehrheit, wenn sie abgesprochen auftreten. Diese geht ihnen aber im Parlament, namentlich im Nationalarat ab, und in Volksabstimmungen ist ihre Bilanz auch nicht mehr makellos.

Letzte Woche wurden gleich 4 wichtige Projekte der bürgerlichen ZentrumspolitikerInnen gestoppt: die Postmarktliberalisierung, indem die CVP mit der Linken stimmte, die Milchmarktliberalisierung, indem die Linke der SVP half, die 11. AHV-Revision und das Sparpaket im Gesundheitswesen, bei der die gleiche Konstellation mit Mehrheitsentscheid den Bundesratsprojekten ein Ende setzte. Genauso wie der Minarettsentscheid und die vermasselte BVG-Revision ist das mit dem Ideal der viel besungene Stabilität der Schweizer Regierung, die auf der Basis von akzeptablen Kompromissen berechenbare Entscheidungen treffe, nicht dienlich.

Politikwissenschaft muss sich vermehrt auch mit den Schwächen des schweizerischen Politbetriebes kümmern, um ein zukunftstaugliche Vision zu entwickeln, halte ich hier fest.

Altmeister Leonhard Neidhart hat nicht ganz unrecht, dass die heutigen PolitexpertInnen im Hier&Jetzt gefangen seien und zu Taktik-Analytiker verkommen könnten. Er selber muss sich aber den Vorwurf gefallen lassen, zwischenzeitlich soweit im Prinzipiellen der Vergangenheit angelangt zu sein, dass daraus kaum mehr zutreffende Einschätzungen über den den Wandel in der Gegenwart abgeleitet werden können.

Sollten die einen die guten Geister des schweizerischen Politsystem nicht mehr kennen, könnte andere den Fehler begehen, die schlechten Realitäten der Gegenwart schlicht zu ignorieren. Der Zukunft der Schweiz wäre beides nicht zuträglich.

Claude Longchamp

Nochmals: Ist arithmetische oder politische Konkordanz das Richtige?

Politologen unterscheiden gerne zwischen politischer und arithmetischer Konkordanz. Erstere setzt darauf, dass Regierungsentscheidungen im Prinzip im Konsensverfahren gesucht werden, was ohne Kompromissbildung nicht möglich ist. Letztere bevorzugt die Zusammensetzung der Regierung nach einem klar festgelegten Schlüssel. Es gibt jedoch keinen Konsens darüber, sich nur auf eines der beiden Kriterien zu stützen, wenn man gute Politik will. Eine nochmalige Auslegeordnung.

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Nach Phasen der Konstanz ist Bewegung in die Zusammensetzung des Bundesrates gekommen – Zeit, auch als Politikwissenschafter nach neuen Kriterien der Sitzverteilung Ausschau zu halten

Daniel Bochsler, bienenfleissiger Analytiker der Konkordanz auf Kantonsebene, kam in einem 2006 publizierten Aufsatz zum Schluss, dass sich die meisten Kantone an der arithmetischen Konkordanz ausrichten, ohne ganz streng danach zu handeln.

Das hat zunächst mit der Volkswahl der Regierungen zu tun, aber auch mit der Vielfalt der kantonalen Parteien und der geringen Zahl der Regierungssitze. Im Einzelfall kommen deshalb erhebliche Abweichungen vor, wie die Kantone Aargau, St. Gallen oder Luzern im Stichjahr 2004 zeigten. Rasch wachsende Oppositionsparteien, die in der Regierungsratswahl fallieren, aber auch Allianzbildung an einem politischen Pol zur Ausschliessung gewisser Parteien, die nicht auf konsensualer Basis politisieren wollen, sind die Ursachen dafür. Immerhin, die Beispiele sind nicht die Regel, eher die Ausnahme. Kantone wie Wallis, Waadt, Thurgau, Tessin, Neuenburg und Zug funktionieren recht klar nach dem Prinzip der numerisch bestimmten Regierungsbildung.

Aufgrund klassischer theoretischer Annahmen zur Konkordanz bevorzugt Bochsler die arithmetische Konkordanz. Die Repräsentation politischer Minderheiten in den Regierung verhindere, dass sie oppositionelle Politik betreiben würden, ist sein Argument. Das ist in der Schweiz nicht ohne, denn die Möglichkeiten, die das Referendum bieten, zwingen zu konsensförderndem Verhalten, um Referenden zu vermeiden, und damit die Chance von Blockierungen zu verringern.

Neue Analysen des Funktionierens von Regierungssysteme lassen aber auch gegenteilige Argumente zu. Demnach sind Blockierungen von Regierungen umso wahrscheinlicher, je mehr Vetogruppen in die Regierung eingebunden sind, denn sie erschweren die Konsensbildung, vielleicht sogar die Mehrheitsbeschaffung. Bei breiten Allianzen ist es so gar möglich, dass sich verschiedene Vetogruppen aus unterschiedlichsten Gründen zur Blockierungsmehrheit vereinigen. Das kann nicht das Ziel von Regierungen sein.

Das ist denn auch der zentrale Einwand gegen Allparteienregierungen, welche das Repräsentationsprinzip aus der Parlamentswahl auf die Regierungswahl direkt übertragen. Sie maximieren die Integration politischer Minderheiten jeder Grösse in der Exekutive ohne zu fragen, ob das Ganze ein effektive Regierung abgibt. Denn gleichzeitig minimieren sie das Erfordernis der Entscheidungsfähigkeit in einer Grosszahl von politischen Fragen.

In der Tat konnte Bochsler bisher nicht zeigen, dass es eine nachweisliche Kausalkette von der arithmetischen Konkordanz zur politischen gibt, und beides zusammen bessere Entscheidung bewirkt. Entsprechend haben die Politikwissenschafter die rein arithmetischen Regeln der Regierungsbestimmung eher kühl aufgenommen. Andreas Ladner neigt am klarsten dazu; Iwan Rickenbacher lässt sie indessen kaum gelten. Pascal Sciarini bevorzugt zwischenzeitlich die Modell der kleinen Konkordanz, die auch Mitte/Rechts- oder Mitte/Links-Allianzen zulässt. Und Michael Hermann hängt der Volkswahl des Bundesrates an. Ich selber kann da nur beifügen: Wählerstärken und Sitzverteilungen sind sicherlich ein wesentliches Kriterium der Bestimmung Regierungsfähigkeit von Parteien. Die einzige Vorgabe sind sie weder in Konkordanz- noch in Allianz-Regierungen.

Denn nichts ist bewiesen, dass der Rechenschieber alleine zu einer guten Politik führt.

Claude Longchamp

Bundesratwahlen und die Politikwissenschaft

Bundesratswahlen sind auch eine Leistungsschau für die Politikwissenschaft. Nötig wäre es, bald einmal ein politologisches Handbuch der Bundesratswahlen zu haben, dass den Wissensstand repräsentieren, die Forschung anregen, und die Politberetatung befruchten würde.

Bundesratswahlen kommen zwischenzeitlich häufiger vor als Parlamentswahlen. Und sie sind für die Politikwissenschaft eine gute Gelegenheit, die eigene Sache zu profilieren.

Iwan Rickenbacher in der deutschsprachigen Schweiz, Pascal Sciarini in der Romandie und Oscar Mazzoleni im italienischsprachigen Landesteil sind die Favoriten der Medien. Hinter ihnen sind Andreas Ladner, Michael Hermann, Regula Stämpfli, Georg Lutz, Hans Hirter und Silvano Möckli in Position.

Den Takt der öffentlichen Diskussion geben die Journalisten vor. Sie treiben die Parteien und KandidatInnen. Sie formulieren auch die Thesen, was ist, und lassen diese durch ExpertInnen deuten, manchmal bewerten – und lassen gelegentlich auch Spekulationen meist zu mehr oder minder aussichtsreichen Personen zu.

Eigentliche sollte es gerade umgekehrt sein: Es wäre die Aufgabe der Wissenschaft(en), die Thesen zu den Herausforderungen der Politik, Leistungen (und Misserfolge) des Regierungssystems zu formulieren resp. die Möglichkeiten und Grenzen der Wahlverfahren aufzuzeigen. Das gäbe dann die Basis, auf der einer wissenschaftlich angeleitete Berichterstattung über Wahlen, Kampagnen, Parteien und KandidatInnen erfolgen könnten.

Der Durchbruch zu einer inspirierteren und faktenreichereen Kommentierung von Bundesratswahlen durch PolitologInnen will indessen nicht. Das hat wohl auch selbstverursachte Gründe, denn die politologische Grundlagenforschung zu Bundesratswahlen hinkt der Realität hinten nach, statt sie zu befruchten!

Was der Wahlforschung bei Legislativwahlen in den letzten 20 Jahren teilweise gelang, und sie in eine gute Position vor, während und nach Nationalratswahlen brachte, blieb bei Exekutivewahlen bisher weitgehend aus,

Konkret: Wir sollten ein verbessertes Rating der politischen Parteien haben, das aufzeigen würde, wie die verschiedenen BewerberInnen organisatorisch, programmatisch und personell unterwegs sind, welche politischen Einflüsse zu erwarten sind, wenn sich Partei A oder B, KandidatIn X oder Y in einer Wahl durchsetzt.

Wir sollten auch vermehrt Wissen, welche Kriterien nebst der Parteizugehörigkeit bei einer Wahl effektiv Ausschlag gebend sind, und ob es Zusammenhänge gibt zwischen diesen und den Erfolgen während der nachfolgenden Regierungsarbeit. Ohne das spekulieren wir nur über die Bedeutung von Exekutiverfahrungen, Kenntnissen des Bundes(rats)mechaniken, erworbenen Kommunikationskompetenzen oder mitgebrachten Netzwerkverbindungen.

In den US beispielsweise hat sich die politologische und historische Präsidentschaftsforschung soweit spezialisiert, dass man Einflussfaktoren der Wahlchancen einzeln recht zuverlässig kennt und dass Heerscharen von ExpertInnen das Wirken der Präsidenten in Vergangenheit und Gegenwart nach explizit begründeten Kriterien beurteilen. Das hilft, objektivierte Bewertungen aufzugeben, gerade auch durch WissenschafterInnen und PolitbeoachterInnen.

In der Schweiz greift man bei solchen Gelegenheiten maximal auf das Standardwerk von Urs Altermatt zurück, dass Wahlen und Leistungen unserer Bundesräte in historischer Zeit zusammengestellt hat. Das Handbuch des politischen Systems der Schweiz bietet für die Gegenwart nichts vergleichbares an, sodass der eben emeritierte Freiburger Historiker angekündigt hat, in den nächsten zwei bis drei Jahren eine vollständig überarbeitete Neufassung herauszugeben.

Wann, frage ich, wagen sich die Politologien an eine Lexikon zu Schweizer Bundesratswahlen aus ihrer Perspektive, das den Forschungsstand abbilden und die mediatisierte Politbeobachtung anleiten würde?

Volles Haus, voller Erfolg

Gestern staunte ich nicht schlecht, als ich als Referent an dere Seniorenuniversität Schaffhausen (SUS) in der Vortragssaal trat. Gestuhlt war für 250 Personen, und bis eine Handvoll Plätze in der hintersten Reihe waren bei Veranstaltungsbeginn alle besetzt.

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Foto: Monique Menk

Gerechnet habe ich mit 30, vielleicht 50 Interessierten. Gekommen sind dann fast 250, und dies trotz 15 CHF Einzeleintritt und Alterslimite von 60+. Ich begriff schnell, von einer Veranstaltung mit direktem Sichtkontakt zu allen musste ich zum Referat vom Rednerpult aus umstellen. Die Thesen behielt ich bei, die Form änderte ich spontan.

In den 45 Minuten zum Thema “Aus dem Alltag eines Politikwissenschafters in der Praxis” ging es mir um Beispiele aus meiner Tätigkeit, die das Spektrum aufzeigen sollten. Vor allem sollten sie sich nicht bloss auf Abstimmungen beziehen, denn unserer Institut leistet in de Gebieten Politik und Kommunikation Einiges mehr. Und so ging es darum, Politikwissenschaft in der Praxis verständlich zu machen:

… als Disziplin, die sich mit politischen Entscheidungen, ihren Formen, Ursachen und Folgen beschäftigt.
… als Theorien zu Entscheidungen, wie sie in der Wahlforschung am entwickeltsten sind,
… als Empirie von Entscheidungen, wie sie in der Umfrageforschung ermittelt wird,
… als Umfeldanalyse von Entscheidungen, die mit Monitoring-Projekten geleistet werden,
… als Teil der political science, wie sie sich im Gefolge der amerikanischen Politikwissenschaft seit den 70er Jahren auch in der Schweiz ausbreitete und
… als Teil der praxisorientierten Sozial-, Politik- und Kommunikationsforschung, wie sie am gfs.bern betrieben wird.

Das Interesse war gross. An der anschliessenden Diskussion beteiligten sich gegen 100 Personen, die dann spezifischen Fragen stellten, beispielsweise wie eine Hochrechnung funktioniert, was der Stand der Dinge bei den SRG-Umfragen ist, wie ich den gegenwärtigen Bundesrat beurteile, und welches meine Prognosen für die Abstimmungen vom 7. März 2010 seien. Auf alles gab ich bereitwillig Auskunft, – bis auf Letzteres. Da resultiert ein kurzes: “No comment!”

Trotzdem war man sich beim Veranstalter und Medienberichterstatter rasch einig: Volles Haus und ein voller Erfolg für die SUS!

PS: Das Referat selber wird am Donnerstag aufgeschaltet werden. Hier ist er.

Luzerner PolitikwissenschafterInnen: yes, you can!

Die Politikwissenschaft in Luzern geht publizistisch in die Offensive. Mit guten Gründen.

“Das im Jahr 2006 eingerichtete Seminar für Politikwissenschaft an der Universität Luzern befindet sich unter den besten politikwissenschaftlichen Instituten der Schweiz, wenn es um die wissenschaftliche Produktivität und die internationale Sichtbarkeit geht”, konnte man gestern in der “Luzerner Zeitung” lesen.

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In der Tat figuriert das junge Seminar an der jungen Universtität mit Publikationen, die von der Fachwelt auch zitiert werden, weit vorne, wie die Bibliometriestudie der Schweizerischen Vereinigung für Politische Wissenschaft, die vor einem Monat präsentiert wurde, zeigt.

Das hat verschiedene Gründe: zunächst die beiden initiativen ProfessorInnen Sandra Lavenex und Joachim Blatter, die sich wissenschaftlich in Fragen der Internationalen Beziehungen und der Politischen Theorie gut platziert haben; dann die Neugründung der Universität, die veränderte Rahmenbedingungen für die Lehre von Beginn weg erlaubt haben. Und schliesslich, das Lernklima, das in Luzern ausgesprochen kooperativ ist.

Das sieht man auch daran, dass just im Moment der Medienmitteilung der Institutsleitung die Studierenden einen Falzprosepkt herausbringen, der seinerseits zur Imagebildung beiträgt: “Yes, you can”, ist das Motto, das sie von Barack Obama, Politologe und Jurist, übernommen haben. Darin gibt es keinen Protest gegen Bologna-Reformen, sondern Optimismus, was man in der grossen und kleinen Welt als PolitikwissenschafterIn alles werden kann: Aussenministerin, Nationalratspräsidentin oder Leiter eines Forschungsinstituts …

Polikwissenschaftliche Institute in der Schweiz im Publikationsvergleich

Erstmals wurde eine Studie über die publizistische Produktivität der 52 politikwissenschaftlichen ProfessorInnen in der Schweiz erstellt. Sie macht Karriereverläufe anhand von transparenter und lässt Profile der Institute erkennen, in denen sie heute arbeiten.

Thomas Bernauer, einer der beiden Studienleiter, verschwieg die Ursache der Studie nicht: Immer häufiger werde bei der Vergabe finanzieller Mittel an Personen und Institute auf Instrumente wie Publikationen in Journals oder auf dem Web abgestellt. Um eine solche Bewertung von aussen zu vermeiden, habe sich die Schweizerische Vereinigung für Politische Wissenschaften entschieden, selber eine Bibliometrie der Schweizer Politikwissenschaft zu erstellen.

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“Institutsvergleiche” in der Schweizer Politikwissenschaft hinsichtlich Publikationen und Zitierungen in Fachzeitschriften, Boxplot, sortiert nach Medianwerten. Ein(e) ProfessorIn in der Schweiz hat demnach im Schnitt 6 international registrierte Publikationen und 55 Zitierungen auf Google Scholar.

Wissenschaftlich gesehen interessierte die Frage, wann ein Professor oder eine Professorin hinsichtlich Publikationen den Karrierehöhepunkt erreicht. “15 bis 20 Jahre nach der Doktorarbeit” lautet die Antwort. Wer es innert 5 bis 10 Jahre zu einer Professur bringe, brauche noch eine Etablierungsphase, um mittels Veröffentlichungen in Journals und mit Büchern selber breit genug präsent zu sein und von KollegInnen hinreichend verwendet und empfohlen zu werden. Internetpräsenz ist neuerdings davon nicht unabhängig, entwickelt sich vielmehr parallel dazu.

Bei der Präsentation im Rahmen des Jahreskongresses interessierte vor allem der Vergleich der Institute untereinander. Führend sind (in alphabethischer Reiehenfolge) die Institute der Universitäten Bern, Luzern und Zürich gemeinsam mit der ETH in Zürich. Es folgen Genf (Uni und IHEID) und St. Gallen, während die Politikwissenschaft in Lausanne (Uni und IDHEAP) am wenigsten präsent ist. Zum Teil lässt sich das mit einer stärkeren Ausrichtung auf Lehre und angewandte Forschung begründen.

Die Diskussion der neuartigen Studie am Jahreskongress der PolitologInnen-Vereinigung konzentrierte sich zuerst auf methodische Eigenheiten. Bemängelt wurde, dass Selbstzitierungen und Co-Autorenschaften gleich wie Fremdzitierungen von Einzelbeiträge gezählt wurden; eine anerkannte Lösungen des Problems zeichnete sich nach Fabrizio Gilardi, dem zweiten Autor, nicht ab. Eine Präzisierung war hart: Da die Publikationsbiografien von Individuen untersucht wurden, sind die Vergleiche keine Aussage über den Output politikwissenschaftlicher Institutionen, sondern der in ihnen tätigen WissenschafterInnen, – egal, wann sie ihren Publikationspeak hatten.

Sichtbar werden dank der Studie Unterschiede in der Nachwuchsförderung: Die Hälfte der 28 qualifizierten, universitären ForscherInnen ohne Professur sind in Zürich an der Uni oder an der ETH tätig. Die Konzentration wirkt sich offensichtlich auf die Produktivität aus, denn diese ist auf dem Platz Zürich doppelt so hoch wie in der übrigen Schweiz.

Da bibliometrische Platzierungen in den kommenden Generationen üblicher sein werden, ist damit zu rechnen, dass die kommenden Professoren schwergewichtig aus Zürich kommen werden, und sich die Scheu, verglichen zu werden, damit auch abnehmen wird.

Quelle: Th. Bernauer, F. Gilardi: Publication Output of Swiss Political Science Departments, SVPW (noch unveröffentlicht)

40 Jahre Politikwissenschaft an der Universität Genf

40 Jahre alt wurde dieser Tate das Département de science politique der Universität Genf. Die Feier hierzu fand am Donnerstag im Rahmen des Jahreskongresses für Politikwissenschaft, in der Calvin-Stadt abgehalten, statt.

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Pascal Sciarini, Direktor des Départements de science politique in Genf, bei der Präsentation des ersten Mitarbeiterteams 1969/70(foto: cal)

Stefano Bartolini, Leiter des Robert Schuman Instituts an der Universität Florenz, rüttelte die gelehrte Gesellschaft gleich zu Beginn auf: Die Frage, was Politik sei, werde gar nicht mehr gestellt, klagte er. Selber nähert er sich einer Lösung auf zwei Arten an: Das Feld der Regierungpolitik sei das, von dem man sich nicht entfernen können und in dem gemeinsame Regeln gelten würden. Das sei nicht das der Anarchie, das der Autorität und das der Natur. Aber eben das der Politik, und damit müsse sich das Fach beschäftigen, sagte der vormalige Professor in Genf.

Dusan Sidjanski, der erste Direktor des Departements zeichnete die Anfänge der universitären Politikwissenschaft in Genf nach. Man sei unter dem Vorbild, aber auch der Vorherrschaft von Geschichte und Recht gestanden. 1968 sei ein Ruck durch die Uni gegangen, aus dem das Kernteam des späteren Départements entstanden sei. Begonnen habe man in Genf mit lokalen, dann mit nationalen Themen. Erst mit der Zeit sei die europäische Dimension hinzu gekommen. Heute sei sie aber entscheidend. Besonders gefreut hat Sidjanski deshalb, dass ihm sein füherer Assistent, José Emanuel Barroso, heute Präsident der EU-Kommission, zur Imstitutsgeburtstag gratuliert und ihn zum Berater erhoben habe.

Pascal Sciarini, der jetzige Direktor, kündigte eine Umbenennung des Departementes an. Bald schon werde es “Département de science politique et de rélations intérnationales” heissen. In der nachträglichen Diskussion wurde sogar darauf verwiesen, es könnte ein eigene Fakultät “Rélation intérnationales” entstehen, mit science politique im Zentrum. Grund sei der Erfolg des 2005 lancierten Lehrgangs, einem eigentlichen Renner an der Universität.

Dennoch ergaben sich an dieser Veranstaltungen Fragezeichen zur Perspektive des Fachs. Auf der einen Seite wurde darauf verwiesen, die Professonalisierung sei vor allem mit Spezialisierung erreicht worden. Auf der anderen Seite sei nicht zu übersehen, dass die Akademisierung schneller vorangeschritten ist, als die Bewährung der Politikwissenschaft in der Praxis. Das ist sicher richtig; die Spezialisierung hat die Einsichten näher zu konkreten Problemen gebracht. Vielleicht könnte man sagen, konzentriert man sich heute aber zu sehr um technisch-methodische Fragen, als um das, was die Politik unverändert spannend macht.

Zur Zukunft des Regierungssystems der Schweiz.

Der Aargauische Jugendparlament, Juvenat genannt, lud mich ein, eine Auslegeordnung über die Zukunft des Regierungssystems der Schweiz zu machen.

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Das Referat hatte drei Teile: Eine Herleitung der Konstanten im Regierungssystem der Schweiz, ein summarischer Ueberblick über die aktuelle Kritik, und eine Auslegordnung von Reformvorschlägen für den Bundesrat.

Bei den Vorbereitungen hierzu wurde mir wieder einmal klar, wie deutlich die Schweiz den Weg einer bürgerlichen geprägten Republik gegangen ist, dass diese früh und weitergehend als andere demokratisiert worden ist und dass das in hohem Masse zum heutigen Konkordanzsystem geführt hat.

Von Konsensdemokratie mag ich nicht mehr sprechen. Denn die Polarisierung der Schweizer Politik, namentlich unter dem Eindruck der europa- und aussenpolitischen Oeffnung verträgt sich nicht mehr mit dieser Kennzeichnung. Dennoch sprechen die plurikulturelle Zusammensetzung des Landes und der Referendumsdruck unverändert dafür, das Regierungssystem auch inskünftig nach den Spielregeln der Konkordanz auszugestalten.

Das sehe ich allerdings nur als äusseren Rahmen. Der innere Rahmen sollte durch die aktuellen Herausforderungen bestimmt sein. Und diese leitenden sich aus dem Handlungsbedarf der dauerhaften Interessenvertretung in einer interdependenten Welt ab.

Die aktuellen Reformvorschläge habe ich neutral vorgestellt, sie aber in diese Rahmungen gestellt; konkret habe ich behandelt:

. Veränderungen in der Führung des Bundesrates (gestärktes Präsidium, Einführung einer zweiten Ministerebene für Sachgeschäfte, Erhöhung des Zahl des Bundesrates)
. Veränderungen in der Wahl des Bundesrates (Listenwahl, Volkswahl)
. Veränderungen in der parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesrates (Proportionalisierung, kleine Konkordanz).

Klar wurde mir dabei, dass die Focussierung der Reformvorschläge auf arithemtische Konkordanzregeln nicht genügen. Es braucht eine umfassendere Betrachtungsweise und den Einbezug von inhaltlichen Ueberlegungen, wie der Bundesrat strukturiert, konstituiert und bestückt wird.

Die Diskussion mit den VertreterInnen des Jugendrates war ganz anregend. Sie zeigte mit, dass die öffentliche Diskussion gerade bei den Interessierten der kommenden Generationen den Eindruck geweckt hat, dass etwas gehen muss. Bis eine konsolidierte Stossrichtung vorliegt, braucht es aber auch in diesem Bevölkerungsteil noch viele Diskussionen.

Claude Longchamp

Churchill wollte die Schweiz bombardieren lassen.

Winston Churchill und die Schweiz: Das ist in unserer Erinnerung die berühmte Rede in der Aula der Zürcher Universität, wo er der britische Premier den Europa-Gedanken erstmals öffentlich propagierte. Doch das ist auch ein Plan, die Alpen zu bombardieren, um den Kohletransport zwischen Deutschland und Italien zu stoppen, wie wir seit heute wissen.

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Der Auftrag

Michael Bloch, Doktorand der Internationalen Beziehungen an der Uni Genf, berichtet in der heutigen NZZ am Sonntag über Erstaunliches: Demnach hat der britische Prmier am 27. Januar 1941 dem Luftfahrtministerium eine Anweisung geschickt, einen Bericht zu erstellen, wie die Kohlelieferungen Deutschland an Italien – immerhin 200 000 Tonnen wöchentlich – gestoppt werden könnten.

Die Pläne
Das angefragte Luftfahrtministerium sah drei Möglichkeiten: Unterbunden werden könnten die Transporte aus der Luft, indem man

. die Rangierbahnhöfe oder elektrischen Kraftwerke in Norditalien angreift,
. die Eisenbahnlinie in den Alpen bombardiert, oder
. die Rangierbahnhöfe der Ruhr und der Schweizer Grenze unterbindet.

Bomben über den Alpen abzuwerfen, wurde ausdrücklich begrüsst, aber auch problematisiert. Denn man müsse Bergstürze auslösen, welche die Tunnels verschütteten. Das setze Präzisionarbeit voraus, die nachts nicht möglich sei. Deshalb empfahl das Ministerium, die zentralen Eisenbahnknoten Köln, Duisburg und Mannheim regelmässig anzugreifen.

Hugh Dalton, der Minister für wirtschaftliche Kriegsführung, hatte bereits 1940 vorgeschlagen, bei der Entsendung des neuen Ersten Sekretärs der britischen Botschaft einen Geheimdiestagenten mitfliegen zu lassen, der Sprengstoff schmuggeln solle. Diesen solle man sozialdemokratisch gesinnten Arbeitern der Schweizer Eisenbahnen übergeben, um die Geleise zu sprengen und so Unfälle auszulösen.

Die verbindliche Antwort an den Permier verfasst Oxford-Professor Frederick A. Lindemann zwei Wochen nach der Anfrage: Er verstehe die Einwände des Luftfahrtministeriums gegen eine Bombardierung aus der Luft, und er sehe, dass ein Sabotageplan als ebenso schwierig erachtet werde.

Nur drei Tage später visierte Churchill dieses Dokument. “Von da an sollten die Bombardierung oder die Sabotierung des Alpentransits durch die Schweiz auf unbestimmte Zeit vertagt bleiben”, hält Michael Bloch fest.

Der Kommentar
Von Angrifftsplänen Hitlers auf die Schweiz weiss man heute genügend, solche aus Churchills Hauptquartier haben aber Neuigkeitswert. Jedenfalls haben sich die Historiker mit der geschilderten Episode anfangs 1941 bisher nicht befasst.

Der junge Politologe kommentiert sie wie folgt: Die Zerstörung der schweizerischen Eisenbahnlinie durch die Alpen wäre eine Verletzung der Schweizer Neutralität gewesen; die denkbare Reaktion Deutschlands wäre wohl gewesen, die schweizerischen Bahnlinien unter die eigene Kontrolle der Achse zu bringen.

Und: Er legt Wert darauf, dass die schweizerische Neutralität in diesen Dokumenten aus dem Jahre 1941 mit keinem Wort erwähnt werde. Den Ausschlag hätten realpolitische Überlegungen gegeben.

Claude Longchamp