Zur Zukunft des Regierungssystems der Schweiz.

Der Aargauische Jugendparlament, Juvenat genannt, lud mich ein, eine Auslegeordnung über die Zukunft des Regierungssystems der Schweiz zu machen.

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Das Referat hatte drei Teile: Eine Herleitung der Konstanten im Regierungssystem der Schweiz, ein summarischer Ueberblick über die aktuelle Kritik, und eine Auslegordnung von Reformvorschlägen für den Bundesrat.

Bei den Vorbereitungen hierzu wurde mir wieder einmal klar, wie deutlich die Schweiz den Weg einer bürgerlichen geprägten Republik gegangen ist, dass diese früh und weitergehend als andere demokratisiert worden ist und dass das in hohem Masse zum heutigen Konkordanzsystem geführt hat.

Von Konsensdemokratie mag ich nicht mehr sprechen. Denn die Polarisierung der Schweizer Politik, namentlich unter dem Eindruck der europa- und aussenpolitischen Oeffnung verträgt sich nicht mehr mit dieser Kennzeichnung. Dennoch sprechen die plurikulturelle Zusammensetzung des Landes und der Referendumsdruck unverändert dafür, das Regierungssystem auch inskünftig nach den Spielregeln der Konkordanz auszugestalten.

Das sehe ich allerdings nur als äusseren Rahmen. Der innere Rahmen sollte durch die aktuellen Herausforderungen bestimmt sein. Und diese leitenden sich aus dem Handlungsbedarf der dauerhaften Interessenvertretung in einer interdependenten Welt ab.

Die aktuellen Reformvorschläge habe ich neutral vorgestellt, sie aber in diese Rahmungen gestellt; konkret habe ich behandelt:

. Veränderungen in der Führung des Bundesrates (gestärktes Präsidium, Einführung einer zweiten Ministerebene für Sachgeschäfte, Erhöhung des Zahl des Bundesrates)
. Veränderungen in der Wahl des Bundesrates (Listenwahl, Volkswahl)
. Veränderungen in der parteipolitischen Zusammensetzung des Bundesrates (Proportionalisierung, kleine Konkordanz).

Klar wurde mir dabei, dass die Focussierung der Reformvorschläge auf arithemtische Konkordanzregeln nicht genügen. Es braucht eine umfassendere Betrachtungsweise und den Einbezug von inhaltlichen Ueberlegungen, wie der Bundesrat strukturiert, konstituiert und bestückt wird.

Die Diskussion mit den VertreterInnen des Jugendrates war ganz anregend. Sie zeigte mit, dass die öffentliche Diskussion gerade bei den Interessierten der kommenden Generationen den Eindruck geweckt hat, dass etwas gehen muss. Bis eine konsolidierte Stossrichtung vorliegt, braucht es aber auch in diesem Bevölkerungsteil noch viele Diskussionen.

Claude Longchamp

Churchill wollte die Schweiz bombardieren lassen.

Winston Churchill und die Schweiz: Das ist in unserer Erinnerung die berühmte Rede in der Aula der Zürcher Universität, wo er der britische Premier den Europa-Gedanken erstmals öffentlich propagierte. Doch das ist auch ein Plan, die Alpen zu bombardieren, um den Kohletransport zwischen Deutschland und Italien zu stoppen, wie wir seit heute wissen.

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Der Auftrag

Michael Bloch, Doktorand der Internationalen Beziehungen an der Uni Genf, berichtet in der heutigen NZZ am Sonntag über Erstaunliches: Demnach hat der britische Prmier am 27. Januar 1941 dem Luftfahrtministerium eine Anweisung geschickt, einen Bericht zu erstellen, wie die Kohlelieferungen Deutschland an Italien – immerhin 200 000 Tonnen wöchentlich – gestoppt werden könnten.

Die Pläne
Das angefragte Luftfahrtministerium sah drei Möglichkeiten: Unterbunden werden könnten die Transporte aus der Luft, indem man

. die Rangierbahnhöfe oder elektrischen Kraftwerke in Norditalien angreift,
. die Eisenbahnlinie in den Alpen bombardiert, oder
. die Rangierbahnhöfe der Ruhr und der Schweizer Grenze unterbindet.

Bomben über den Alpen abzuwerfen, wurde ausdrücklich begrüsst, aber auch problematisiert. Denn man müsse Bergstürze auslösen, welche die Tunnels verschütteten. Das setze Präzisionarbeit voraus, die nachts nicht möglich sei. Deshalb empfahl das Ministerium, die zentralen Eisenbahnknoten Köln, Duisburg und Mannheim regelmässig anzugreifen.

Hugh Dalton, der Minister für wirtschaftliche Kriegsführung, hatte bereits 1940 vorgeschlagen, bei der Entsendung des neuen Ersten Sekretärs der britischen Botschaft einen Geheimdiestagenten mitfliegen zu lassen, der Sprengstoff schmuggeln solle. Diesen solle man sozialdemokratisch gesinnten Arbeitern der Schweizer Eisenbahnen übergeben, um die Geleise zu sprengen und so Unfälle auszulösen.

Die verbindliche Antwort an den Permier verfasst Oxford-Professor Frederick A. Lindemann zwei Wochen nach der Anfrage: Er verstehe die Einwände des Luftfahrtministeriums gegen eine Bombardierung aus der Luft, und er sehe, dass ein Sabotageplan als ebenso schwierig erachtet werde.

Nur drei Tage später visierte Churchill dieses Dokument. “Von da an sollten die Bombardierung oder die Sabotierung des Alpentransits durch die Schweiz auf unbestimmte Zeit vertagt bleiben”, hält Michael Bloch fest.

Der Kommentar
Von Angrifftsplänen Hitlers auf die Schweiz weiss man heute genügend, solche aus Churchills Hauptquartier haben aber Neuigkeitswert. Jedenfalls haben sich die Historiker mit der geschilderten Episode anfangs 1941 bisher nicht befasst.

Der junge Politologe kommentiert sie wie folgt: Die Zerstörung der schweizerischen Eisenbahnlinie durch die Alpen wäre eine Verletzung der Schweizer Neutralität gewesen; die denkbare Reaktion Deutschlands wäre wohl gewesen, die schweizerischen Bahnlinien unter die eigene Kontrolle der Achse zu bringen.

Und: Er legt Wert darauf, dass die schweizerische Neutralität in diesen Dokumenten aus dem Jahre 1941 mit keinem Wort erwähnt werde. Den Ausschlag hätten realpolitische Überlegungen gegeben.

Claude Longchamp

Dank Lernprozessen lebensfähig bleiben.

Die Kritik an und in der Schweiz ist beträchtlich. Die Steuerpolitik ist umstritten, Institutionen wie Miliz- und Konkordanzsystem zeigen Erosionserscheinungen. Da weckte Wolf Linders Abschiedsvorlesung an der Uni Bern hohe Erwartungen. Denn sie war dem “Zustand der Republik” gewidmet. Und hielt nur streckenweise, was sie versprach.

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Dank soliden Institutionen blieb die Schweiz bis heute lebenfähig. Fraglich ist aber, ob sie auch in Zukunft eigene Wege gehen kann. (Bildquelle)

Seinen letzten Auftritt als Politologie-Professor in Bern begann Wolf Linder vor einer vollen Aula der Berner Alma mater mit einer Kritik am Zeitgeist-Surfen. Dieses überzeichne in der Regel, sei es wegen der Staatsgläubigkeit der Linken, die jeden Interventionismus gut finde, oder wegen der Staatsdistanz der Rechten, welche jede Privatisierung befürworte. Lange habe ersters überwogen, jetzt dominiere zweiteres.

Gesicherte Befunde!
Die politologische Analyse kommt nach Linder zu deutlich weniger aufgeregten, dafür gesicherten Befunden. Mit schöner Regelmässigkeit hat der Professor für Schweizer Politik diese auch in die Oeffentlichkeit getragen.

Die zentralen Institutionen der schweizerischen Innenpolitik sind nach Linder in der Bevölkerung unverändert gut verankert. Zu direkter Demokratie, Föderalismus, Milizssystem und Konkordanz zeichne sich in der Schweiz keine Alternative ab. Unterschätzt werde aber das Mass an politischer Institutionalisierung der Schweiz, welche im letzten Vierteljahrhundert stattgefunden habe. Das internationale Recht wachse schneller als das Binnenrecht, was einen Anpassungsdruck erzeuge, der Exekutivstaat nehme rasant zu und lasse die politische Entfremdung anwachsen.

Nutzniesser sei ausgerechnet die SVP, welche die Prozesse am wenigsten kontruktiv mitentwickle. Denn sie gewinne mit Abschottungsparolen Wahlen. Doch können sie diese politische Macht nicht umsetzen. In Parlament und Regierung würde unverändert die Kooperationen der Mitte den Ausschlag geben. FDP und CVP setzten mehrheitlich ihre Politik durch, ergänzt durch Mitte/Rechts und Mitte/Links-Allianzen.

Den Wechsel der Mehrheiten hält Politologe Wolf Linder für einen Segen in der Konkordanz. Denn fixe Mehrheitsbildungen, wie sie bis in die 80er Jahre durch die bürgerlichen Parteien gebildet worden seien, schränkten die Lernfähigkeit des politischen Systems ein. Doch gerade diese sei entscheidend, weil kontinuierliche personelle und materielle Erneuerungen der Politik zwingend seien, wenn man nicht auf Machtwechsel setze.

Gesicherte Folgerungen?

So treffend sachlich Linders Beobachtungen zum Zustand der Republik waren, seine Folgerungen für ihre Zukunft blieben vage. Denn die reichhaltige Empirie, die in den zwei Jahrzehnten, während denen Linder die Professur für Schweizer Politik inne hatte, entstand, fand in dieser Zeit keine Krönung in einer erhellenden Theorie der Konkordanz, die politikwissenschaftlich anerkannt Interessierten Möglichkeiten und Grenzen des Staatshandelns à la suisse aufzeigen würde.

So bleibt das Credo Linders, die Schweiz überlebe, wenn sie lernfähig bleibe, letztlich ohne tiefere Gewissheit die Folgerung aus seinem Wirken.

Claude Longchamp

Wo sich Qualifizierung in Politikwissenschaft lohnt.

Die Universitäten von Uppsala, Helsinki und Aarhus schneiden im neueste Excellence Ranking des Centrums für Hochschulentwicklung bezüglich für vertiefende Studien in Politikwissenschaft am besten ab. Bern, Lausanne und Zürich rangieren gemeinsam auf dem 20. Rang.

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Universität Uppsala, beherbergt das besten Angebote, um sich in Politikwissenschaft qualifizieren zu können.

Erstmals veröffentlicht wurde das Universitätsranking für qualifizierende Lehrgänge 2007. Damals beschränkte es sich auf die naturwissenschaftlichen Fächer. Mit der eben publizierten Ausgabe 2009 sind auch die sozialwissenschaftlichen Disziplinen intergriert worden. Vergeben wurden Sterne für relevante Buchpublikationen, Zitierungen von Artikeln aus Forschungsprojekten, Mobilität von Studierenden resp. Dozierenden, die Vernetzung in den Erasmus-Programmen und zitierte Fachbücher.

Politikwissenschaftliche Exzellenz in Europa

Die schwedische Universität Uppsala erhielt fünf der sechs Empfehlungen im Fach Politikwissenschaft. Auf vier Sterne bringen es die Hochschulen von Helskini in Finnland und Aarhus in Dänemark. Damit sind alle drei Top-Universitäten für Qualifizierungslehrgänge in Politikwissenschaften im hohen Norden.

16 weitere Lehrgänge in Politikwissenschaft rangieren gemeinsam auf dem 4. Platz. 7 davon sind in Grossbritannien (LSE, Cardiff, Mnachester, Strathclyde, Warwick, York, Belfast), 3 in Deutschland (FU Berlin, Jena, Potsdam), 2 in Belgien (Louvain, Loewen), je ein Lehrgang befindet sich in Italien (EUI in Florenz), Polen (Warschau), Norwegen (Oslo) und Tschechien (Prag).

Drei schweizerische Universitäten empfohlen
Aus europäischer Sicht werden von den schweizerischen Studiengängen für einen politikwissenschaftlichen Master oder Doktor diejenigen in Bern, Lausanne und Zürich empfohlen. Sie alle befinden sich auf Platz 20 von 51 aufgenommenen Kursen. Aus schweizerischer Sicht überraschend ist Genf nicht dabei.

Das Profil der Ausgezeichneten ist ähnlich: Positiv beurteilt werden jeweils die Zitierungshäufigkeit von Artikeln aus Forschungsprojekte und die Mobilität der Studierenden in Bern und Zürich resp. der Dozierenden in Lausanne. Keine Punkte sammeln die Politikwissenschaften in der Schweiz bei der Vernetzung mit Erasmus-Studiengängen und bei Buchpublikationen aus der Lehre, die andernorts zitiert werden oder Verwendung finden.

Fazit
Insgesamt liegt die Schweiz in Europa an 8. Stelle, wenn es um qualifizierende universitäre Lehrgänge geht. Beschränkt man sich auf die Politikwissenschaft, schneidet die Schweiz noch etwas besser an. Sie rangiert hinter Grossbritannien, Deutschland und Schweden auf dem guten vierten Platz.

Die hiesige politikwissenschaftliche Forschung kann sich demnach europäisch durchaus sehen lassen. Bei der Mobilität ist der Anschluss parziell geschafft, bei der Vernetzung mit Erasmus-Projekten indessen nicht. Schwachpunkt sind politkwissenschaftliche Bücher, die in der Schweiz geschrieben werden. Sie bräuchten klar mehr Support, um auf europäischem Top-Niveau mithalten zu können.

Claude Longchamp

Arbeitsmarkt-Rating für universitäre Studiengänge.

In seiner heutigen BZ-Kolumne kritisiert Rudolf Strahm, Ex-Preisüberwacher der Schweiz, SP-Nationalrat aus den Kanton Bern und seit Jahren erfolgreicher Sachbuchautor die Hochschulautonomie. Als Korrektiv der vorherrschenden Selbstreferenz schlägt er unter anderem ein Arbeitsmarkt-Rating für universitäre Studiengänge vor.

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Rudolf Strahm will nicht die einzelnen Besetzungen von Professuren beeinflussen, die Kriterien der Professorenwahlen Richtung Praxistauglichkeit erweitern.

Anlass der Kritik ist der Berner Universitätsgesetz, das 2010 beraten und in Kraft gesetzt werden soll, um den Autonomiegrad der Universität zu erhöhen.

Rudolf Strahm, Chemiker und Volkswirtschafter, Dozent an verschiedensten Hochschulen, weiss, dass gerade seine Generation, die 68er, die Hochschulautonomie hochgehalten hatte. Denn die obersten Bildungsanstalten sollten Orte der Ideenentwicklungen sein, um gesellschaftliche Innovationen auszulösen. Heute werde Autonomie jedoch anders verstanden, schreibt Strahm: als Selbstreferenz des Bildungswesens, um Universitätskarrieren zu erleichtern.

Das müsse mit dem Universitätsgesetz korrigiert werden, fordert Strahm mit Hinweis auf die 280 Mio. Franken Steuergelder, welche der Kanton jährlich an die hiesige Uni leiste. Konkret verlangt er, Praxiserfahrung, Lehrbefähigung und Organisationskompetenz zusätzlich zum wissenschaftlichen Ausweis als Kritierien für die Wahl auf eine Professur aufzunehmen.

Zudem schlägt er ein Rating vor, dass die Arbeitsmarktfähigkeit von Fakultäten und Studiengängen aufzeigt. Dieses soll der Oeffentlichkeit klar machen, wie viele StudienabgängerInnen eine Anstellung gefunden haben, die ihrem Studienabschluss entspricht.

Eine Diskussion hierzu ist sicher zu begrüssen: einmal, weil das Bildungssystem den Doppelcharakter der Wissenproduktion an sich, aber auch der Ausbildung von SpezialistInnen ausserhalb des Hochschulsystems hat; sodann auch, weil die lokalen Entwicklungen nachhaltig von der globalen und regionalen Ausstrahlung einer Uni abhängen.

Ein Gespräch, das ich diese Woche mit einem Kollegen einer süddeutschen Uni bestätigt mich darin. Denn die Schaffung des neuesten Lehrstuhls für Politologie sei direkt an den Nachweis geknüpft worden, das man die Brauchbarkeit des Wissens für den Arbeitsmarkt beweise.

Claude Longchamp

US-Political Science: Bald ohne öffentliche Forschungsgelder?

Tom Coburn, republikanischer Senator aus Oklahoma, sorgt für Aufregung unter amerikanischen Politikwissenschafternen. Denn er will inskünftig sämtliche “öffentlichen Mittel für politologische Forschungsprojekte an wirkliche Wissenschaften umverteilen”.

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Thomas B. Coburn, Arzt, Prediger und Politiker, verlangt, die öffentlichen Forschungsbeiträge für Politikwissenschaften gänzlich zu streichen.

Noch vor Kurzem war die Welt der US-PolitologInnen in bester Ordnung, hatte doch mit Elinor Ostrom eine der ihren den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften gewonnen. Doch nun müssen die Grössen des Fachs amerikanischen Zeitungen Fragen beantworten, wofür ihr Fach gut sei.

Denn Senator Coburn hat mächtig provoziert, als er naturwissenschaftlichen Fächer wie Biologie, Chemie, Geologie und Physik mit der Begründung, als förderungswürdig empfahl, die Politikwissenschaft aber ausschloss. Denn sie sei schlicht nicht wissenschaftlich, nicht umsetzbar und nicht innovativ.

Speziell angegriffen wurde das grösste politikwissenschaftliche Projekt, das seit drei Jahrzehnten öffentlichen Mittel erhält. Ueber die bekannten “American National Election Studies” meinte er lakonisch: “The University of Michigan may have some interesting theories about recent elections, but Americans who have an interest in electoral politics can turn to CNN, FOX News, MSNBC, the print media.”

Arthur Lupia, Hauptgesuchsteller für die amerikanische Wahlforschung, widerspricht der Provokation frontal. Die Politikwissenschaft biete Methoden an, mit denen man die Wirkungen staatlicher Institutionen bestimmen könne. 700 Wissenschafter und Tausende von Forschern würde mit den Daten der National Election Studies arbeiten, um zu erfahren, wie Demokratie heute funktioniere. Nicht zuletzt beim Aufbau neuer Demokratien nach dem Fall des Kommunismus sei das ein entscheidender Beitrag gewesen.

Selbstkritischer geben sich prominente Politikwissenschafter wie Joseph Nye. Nach ihm bestehe die Gefahr, “that political science is moving in the direction of saying more and more about less and less.” Kritisch beurteilt er, dass sich die Forschung zu stark von den Möglichkeiten statistischer Techniken leiten lasse. “The motivation to be precise, has overtaken the impulse to be relevant.”

Im Hintergrund schwingt mit, dass seit dem Jahre 2000 in der amerikanischen Politikwissenschaft eine Debatte immer wieder aufflackert. Lanciert wurde sie von einem Kollegen, der anonym bleiben wollte und sich Mr. Perestroika nannte. Anhand angenommener und abgelehnter Beiträge im Flagschiff der Forschung, dem American Political Science Review, wies er nach, dass die Mathematisierung die Entwicklung der Forschung beeinflusse, nicht die Suche nach Antworten auf grosse Probleme.

Seither gibt es Spannungen unter den Politikwissenschaftern selber. Es stehen sich Anhänger harter und weicher Methoden, quantitativer und qualitativer Forschung gegenüber, und es herrscht Uneinigkeit, ob man nah oder fern der Politik Politikwissenschaft betreiben solle, – und erleichtern Angreifern wie Coburn ihr Spielchen.

Claude Longchamp

Politikwissenschafterin gewinnt Wirtschaftsnobelpreis

Mit Elinor Ostrom gewinnt nicht nur erstmals eine Frau den Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften. Es erhält ihn, was selten genug ist, eine Vertreterin der Politikwissenschaft – und eine Forscherin, die sich für die nachhaltige Nutzung der Umwelt interessiert.

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Elinor Ostrom, Professorin für Politikwissenschaft und Trägerin des Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften 2009

Elinor Ostrom habe die übliche Auffassung verändert, wonach Allgemeingüter schlecht verwaltet würden und deshalb entweder durch den Staat verwaltet oder privatisiert werden müssten, schreibt die Akademie der Schwedischen Wissenschaften in ihrer Mitteilung zur Preisverleihung. Gestützt auf zahlreiche Studien zu Alpweiden, Wäldern, Seen und Quellen sei sie zum überzeugenden Schluss gekommen, dass die Leistungen von Korporationen besser seien, als es in den gängigen Theorien vorhergesagt werde, weil sie entwickelte Mechanismen für Entscheidfindungen entwickeln würden, um Interessenkonflikte unter Wahrung der Ressourcen zu regeln. Zu den Beispielen, die Ostrom zur Untermauerung ihrer Theorie beizog, gehört auch die Walliser Gemeinde Törbel (bei Visp).

Die Geehrte ist 76jährig. Ihr Studium der Politikwissenschaft schloss sie 1954 ab; 11 Jahre später doktorierte sie. Seither wirkt sie als Professorin für Politikwissenschaft an der Indiana University in Bloomington. 1973 begründet Elinor Ostrom gemeinsam mit ihrem Mann Vincent Ostrom einen eigenen Workshop für Politische Theorie und Politikanalyse, der sich zum globalen Netzwerk für Studien zur Nutzung von Allgemeingütern entwickelte. Nach 1980 war sie die erste Frau, die in den USA einem Department für Politikwissenschaft vorstand. 1996/7 präsidierte sie auch die weltweit führende Fachvereinigung, die American Political Science Association.

Vielleicht ist es zeittypisch, dass 2009 nicht nur eine Frau den Nobelpreis gewinnt, sondern auch eine Politikwissenschafterin, welche die nachhaltige Nutzung der Oekologie mehr interessierte als die Möglichkeit des Staates oder des Marktes. Das ist mit Sicherheit sinnvoll!

Claude Longchamp

Ausgewählte Schriften:
Ostrom, Elinor (1990). Governing the Commons: The Evolution of Institutions for Collective Action. New York: Cambridge University Press.
Ostrom, Elinor (1992). Crafting Institutions for Self-Governing Irrigation Systems. San Francisco: Institute for Contemporary Studies.
Ostrom, E., Schroeder, L. & Wynne, S. (1993). Institutional Incentives and Sustainable Development: Infrastructure Policies in Perspective.
Boulder, CO: Westview Press.
Ostrom, E., Walker, J. & Gardner, R. (1994). Rules, Games, and Common-Pool Resources. Ann Arbor: University of Michigan Press.

Politologische Intervention

Wenn Franz Walter ausholt, wird es gefährlich. Denn der Göttinger Parteienforscher beherrscht die politologische Intervention wie kaum ein anderer. Seine Aufsätze im “Spiegel” sind mit spitzer Feder geschrieben, – am liebsten in Sachen SPD, der er selber angehört.

M. Lengemann
Franz Walter, Professor für Politikwissenschaft an der Universität Göttingen, versteht die politologische Intervention als Beitrag zur Entwicklung der Politik und wird dafür von Fachkollegen gerne der Unwissenschaftlichkeit bezichtigt.

Unmittelbar nach der Bundestagswahl schrieb Walter treffsicher: “Alle Welt wird über Namen raunen, wird über den künftigen starken Mann/die starke Frau orakeln. Wowereit oder Gabriel oder Nahles oder Scholz – das wird die Sozialdemokratologen beschäftigen. Doch dass dieses Spiel keinen politischen Ertrag abwirft, haben all die zahlreichen Vorsitzwechsel in der Partei während der letzten Jahre hinlänglich bewiesen.”

Walters Analyse ist anders: Der SPD schlägt er einen Fünf-Punkte-Plan für eine innerparteiliche demokratisch Kultur vor:

1. “Die Sozialdemokraten haben endlich anzuerkennen, dass sie weder die Mutter noch die alleinige politische Repräsentanz des Spektrums links von der Mitte sind.”
2. “Die Anführer der SPD haben grundsätzlich ihren fatalen, ja entwertenden Umgang mit den eigenen Mitgliedern, Multiplikatoren, Anhängern zu überdenken. Mit Ausnahme der letzten sechs Wahlkampfwochen sind diese Gruppen für die SPD-Spitze nämlich nicht mehr wichtig.”
3. “Die Kandidaten der Sozialdemokratie sollten künftig durch das Säurebad eines großen demokratischen Nominierungsprozesses gehen müssen.”
4. “Die Sozialdemokraten haben zu klären, was sie eigentlich wollen. Alle Organisationsreform, alle neuen Leute an der Spitze allein werden nicht das Geringste bewegen, wenn die Partei nicht weiß, wer sie ist, für wen sie Politik machen will, auf welchem Wege, zu welchem Ziel und mit welchen Weggenossen.”
5. “Die SPD wird diesen Klärungsprozess anders als in früheren Jahren nicht als Scharmützel von Cliquen und Clans führen dürfen, sondern als eine wirklich ernsthafte Auseinandersetzung gesellschaftsbezogener Strömungen.”

Während viele akademischen WahlforscherInnen seit Sonntag abend 18 Uhr schweigen, mischt sich Walter lustvoll ein, sagt, was er denkt, und schreibt es, dass man es versteht. Damit trägt er viel zu Verbreitung politikwissenschaftlicher Erkenntnisse bei.

Genau das ertragen nicht alle KollegInnen auf den Lehrstühlen. Der ausgewiesene Parteienforscher mit Standardwerken zur SPD und FDP muss sich regelmässig Kritik gefallen lassen, seine Popularisierungen gingen auf Kosten der Wissenschaftlichkeit. Anerkennt wird, dass er mit seiner Fachkenntnis die tektonischen Verschiebungen in der Gesellschaft genau verstehe, aber nicht aber theoretisch verorten könne.

Die Universität Göttingen versuchte gar, das Seminar für Politikwissenschaften zu streichen. Da wusste Walter in eigener Sache politisch zu intervenieren. Das Wissenschaftsministerium bezeichnete ihn 2007 als „Aushängeschild der niedersächsischen Hochschullandschaft“ und baute seinen Lehrstuhl aus.

Claude Longchamp

Forschung ist vor Fälschung nicht gesichert!

Das Staunen war gross, als die Oeffentlichkeit heute vernahm, an der renommierten ETH könnten wissenschaftliche Arbeiten auf manipulierten Daten basieren. Statt Zitiersindices aus akademischen Fachjournalen braucht es Uebersichten, die zeigen, welche theoretischen Erkenntnisse sich in der Praxis bewähren. Denn das ist fälschungssicher.

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Die ETH Zürich, die angesehenste Forschungsanstalt der Schweiz, hat ihren ersten Fälschungsfall in der Forschung offengelegt

Es sei der erste Fall solcher Art, beteuerte der Rektor der ETH. Und die Selbstregulierung habe funktioniert, schob der Vizerektor, selber in den inkrimierten Fall verwickelt, nach. Denn der Verdacht auf Fälschung kam auf, als man die Ergebnisse eines Forschungsprojektes nicht wiederholen konnte.

Eine Schuldigen hat man nicht gefunden. Die Unterlagen, die das beweisen könnten, sind verschwunden. Vielleicht ist das sogar gut so. Denn damit hätte man auch die Ausrede gehabt, dass es auch unter ForscherInnen einzelne schwarze Schafe gibt – wie überall!

Das Problem liegt wohl tiefer: Akademische Karrieren kann man heute nur noch machen, wenn man Entdeckungen macht, die man auch unter seinem Namen publizieren kann. “Publish oder perish”, zu deutsch: “Veröffentliche oder verschwinde!”, lautet die Devise.

Nichts gegen Leistungsnachweise! Sie objektivieren subjektive Einschätzungen, die es auch in der neutralen Wissenschaft gibt. Doch geht die Polarisierung heute so weit, dass man nicht nur das publik macht, was die Sache wert, sondern auch Sachen darüber hinaus.

Das Ganze wird durch Zitierindices verschärft. Gemäss Hirsch-Index – der ausgehend von der Physik in immer mehr Fachbereichen als Referenz akzeptiert wird -, bestimmt sich der Wert eines Forschers oder einer Forscherin an der Häufigkeit zitierter Publikationen: Ein 10 bedeutet, dass man 10 Veröffentlichungen hat, die je 10 mal in anderen Veröffentlichungen erwähnt wurden.

Symptomatisch hierfür ist die Aussage im Untersuchungsbericht, der heute publik wurde. Das Forschungsteam, das jetzt angeklagt wird, hat zwei Artikel in angesehenen Journalen publiziert, und es entstand eine Doktorarbeit aus diesem Projekt. Und jetzt kommt’s: Da die gemachten Messungen mit den vorgeschlagenen Modellerwartungen nicht übereinstimmten, wurden diese nicht in Frage gestellt, sondern die Daten angepasst.

Denn auch das lernt man in der wissenschaftlichen Forschung: Um im heutigen Wissenschaftsbetrieb zitiert zu werden, braucht man nicht der Wahrheit auf der Spur zu sein, wie das Karl R. Popper seinerzeit forderte. Wichtiger ist die richtige Vernetzung und die Lancierung von Thesen, Modelle und Theorien, die in diesen im Schwange sind. Denn das garantiert interne Reputation, positive Gutachten, Zulassungen zur Veröffentlichungen, wissenschaftes Ansehen und damit neue Fördergelder. Selbst wenn man die Untersuchungen, welche die Annahmen bestätigen sollen, hierfür frisiert hat.

Ich habe ein andere Vision: Statt den selbstreferenziellen Zitierindices hätte ich gerne Uebersichten, die zeigen, wie aus wissenschaftlichen Entdeckungen eine Praxis entsteht, die dadurch, dass sie sich ausserhalb der akademischen Zirkeln bewährt, glaubwürdig ist und bleibt!

Claude Longchamp

Angebliche Studentin schreibt Seminararbeit, horcht aber politische Gegner aus: Was tun?

Es ist eine unappetitliche Geschichte, welche die aktuelle Wochenzeitung unter dem Titel “Studentin in fremden Diensten” präsentiert. Den Universitäten kann es nicht egal sein, wenn studentischen Qualifikationsarbeiten für andere als vorgesehene Zwecke missbraucht werden.

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Laut WOZ hat eine Freelancerin der Zürcher PR-Firma Farner AG, seit Jahren gegen armeekritische Volksinitiativen aktiv, an einem Strategieseminar der pazifistischen “Gruppe für eine Schweiz ohne Armee” teilgenommen, bei dem es um die Kampagnenplanung zur anstehenden Volksabstimmung über die Kriegsaterialausfuhr ging.

Seitens der PR-Firma beteuert man, mit der privaten Aktion nichts zu tun zu haben. Die Agentur werte nur aus, was allgemein greifbar ist. Das Initiativkomitee seinerseits wehrt sich gegen den Vorwurf, mit der Ausschreibung der Veranstaltung auf Internet zur Bespitzelung geradezu eingeladen zu haben; Es sei auf die Mitarbeit von vielen Gleichgesinnten angewiesen.

Aus Sicht der Politikwissenschaft als Fach darf die Diskussion nicht dabei stehen bleiben. Vielmehr muss interessieren, dass das unübliche Vorgehen seitens der Freelancerin mit der tatsachenwidrigen Aussage begründet wurde, sie studiere in Bern Politologie und bereite eine Seminararbeit über Abstimmungskämpfe vor.

Es ist fast schon symptomatisch, wie wissenschaftliche Ausbildungsvorschriften zu politischen Zwecken missbraucht werden können. Denn universitären Qualifikationsarbeiten geht der Ruf voraus, ohne Hintergedanken gemacht zu werden. Das verschafft notwendige Freiräume, die es auch für die Zukunft zu schützen gilt.

Angesichts der Vielzahl Seminar- und ähnlicher Arbeiten, die in den Sozialwissenschaften auch zu aktualitätsbezogenen Fragen verfasst werden müssen, entsteht ein kollektives Forschungssystem, das individuell leicht missbraucht werden kann. Letztlich können sich wissenschaftliche Institute nur so schützen, indem sie als Institutionen die bewilligten Arbeiten und deren VerfasserInnen auf Internet publizieren. Damit kann jeder und jede, der oder die Verdacht schöpft, einen einfachen Kontrollckeck machen. Und die Tarnung der Politik als Wissenschaft entfällt.

Claude Longchamp