Grünes Glücksstreben

Bastien Girod ist ohne Zweifel einer der kreativsten JungparlamentarierInnen bei den Grünen. Rechtzeitig um die programmatische Debatte vor den kommenden Wahlen beeinflussen zu können, legt er unter dem Titel “Green Change” ein Buch zur Zeitdiagnostik vor, dass er keck “Strategien zur Glücksmaximierung” nennt.

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Drei Teile hat das 200seitige Werk des jungen Zürcher Umweltwissenschafters: Der erste ist dem ökologischen Engagement für Veränderungen gewidmet. Es wirkt ein wenig wie ein grünes Handbuch für angehende PolitikerInnen. Der zweite Teil, das eigentliche Herzstück, analysiert die Glückbilanzen welt- und schweizweit. Dabei stützt sich Girod in vielem auf die Glücksforschung des Zürcher Oekonomen Bruno S. Frey. Der dritte Teil widmet sich den Folgerungen grüner Politik, wie sie der Nationalrat schon jetzt vor Augen hat.

Girod grenzt sich von Verständnis ab, wonach wegen eines angenehmen Zufalls man Glück gehabt habe. Ihm geht es um ein “gewolltes glücklich sein resp. werden”, das er aus einer allgemeinen Lebenszufriedenheit einerseits, der spezifischen Befindlichkeit anderseits ableitet. Die Maximierung dieses Glücksbewusstsein rückt er in die Nähe der Nachhaltigkeitsforderungen, wie sie die Oekologen schon lange fordern.

Hierfür behandelt der Autor die wirtschaftlichen, sozialen und menschlichen Faktoren, die glücklich machen, zieht er Bilanz zum “hier und jetzt” in der Schweiz und fragt nach auf anregende Art und Weise der Perspektive für das “morgen” und “anderswo”. Dann outet sich Girod als (gemässigter) Linker, der zur Emanzipation aufruft. Denn die Menschen auch in Staate mit hohem Glückempfinden müssten sich “aus dem Gefängnis des bisherigen Glücks” befreien.

Chancen sieht Girdo darin, dass das Menschbild der Wirtschaft und Politik zu einseitig sei, und ökologische aufgeklärte Menschen nicht nur egostisch, sondern auch anteilnehmend handeln wollen. Das zentrales Potenzial erscheint ihm in grünen Märkten, die neuartiges Wachstum versprechen würden, welche die Grünen in deren dynamischen Phase schnellstmöglich beeinflussen sollten.

Für den so begründeten grünen Wandel benennt er im abschliessenden Teil die Leitlinien, beschreibt er das Leben in der nachhaltigen Gesellschaft, und macht er Vorschläge mit welchen Allianzen, das alles zu bewerkstelligen sei. Vielleicht ist das der umstrittenste Buchteil, sicher aber der praktischste: Denn Girod postuliert, die Grünen dürften sich nicht alleine auf eine grün-soziale Allianz (“Solidarität und Fairness”) bschränkten, sondern müssten auch eine grün-liberale (“Green Economy”) und eine grün-konservative (“Umwelt- und Naturschutz”) suchen. Dabei sind ihm grüne Strömungen in den verschiedensten Parteien als Allianzpartner willkommen.

Der Schluss ist dann ein Appel für Girods grünes Glücksprojekt ohne Berühungsängste: Einspannen will er die zukunftsfähige Wissenschaft, die selbstbewussten Lobbyisten und populäre Sportlerinnen, Musiker und Kulturschaffende. Menschen wie Melanie Winiger, Stress und Co. sollen daran arbeiten, dass jede und jeder seinen Beitrag zum Green Change bewerkstelligen wird – bei den Wahlen 2011 und darüber hinaus.

Das Buch “Green Change” ist ideenreich gemacht, flüssig geschrieben, bisweilen aber salopp in der Herleitung und Begründung der Gedanken. Trotzdem gehört zum Anregendsten, was man gegenwärtig zu neuen grünen Projekten aus Schweizer Sicht lesen kann. Diskussionen hierzu sind erwünscht!

Nobelpreiswürdige Oekonomie

Wenn das Rätselraten über den nächsten Nobelpreisträger (aus der Schweiz) losgeht, fällt fast sicher der Name des (österreichischen) Wirtschaftswissenschafters Ernst Fehr von der Uni Zürich. Was ihn gegenüber anderen Oekonomen auszeichnet, verrät er dem heutigen “Bund“.

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Ernst Fehr, vielfach top-gesetzter Professor für empirische Wirtschaftsforschung an der Uni Zürich

Verhaltensökonom Ernst Fehr steht den Annahmen des homo oeconomicus’ aus zwei Gründen skeptische gegenüber: Er lehnt das Axiom des immer eigennützig handelnden Mensch ab, und er setzt auf Laborexperimente, um Einflussfaktoren auf Verhaltensweisen zu bestimmen.

Der Spitzenforscher verdeutlicht das so: Im Labor kann ich “einen Tausch simulieren, der nur einmal via Internet stattfindet, mit einem Partner, den ich nicht kenne, über den ich keine Informationen habe und den ich nie im meinem Leben treffen werde.” Ohne diese Bedingung gäbe es für einen klassischen Oekonomen keinen Grund, nicht zu schummeln. Und trotzdem klappt der Tausch in viele Fällen.

Weil Menschen zugunsten der Ehrlichkeit auf einen materiellen Vorteil verzichten, folgert der Zürcher Professor. Denn Menschen sind nicht wegen eines Vorteils ehrlich, sondern auch wegen der Norm, ehrlich sein zu wollen.

Doch ist Ehrlichkeit nicht nur eine individuelle Eigenschaft, weiss Fehr; sie muss auch eine kollektive sein. Denn Normen, wissen Soziologen schon lange, sind Teile der Kultur, die durch Institutionen gestützt werden muss.

Institutionellen Anreizssystem kommt deshalb in der Verhaltensökonomie eine zentrale Bedeutung zu. Oder in den Worten des Könners: “Als Oekonom muss ich mich deshalb immer Fragen: Wie ändere ich die Institutionen, damit ich eigennützige Motive in sozial nützliche Bahnen lenken kann?”

Darauf angesprochen, ob Fehr für oder gegen Obergrenzen für Gehälter von Angestellten in Unternehmen sei, lässt er klar durchblick: dagegen, denn sie würden den Wettbewerb behindern. Doch ist er dafür, dass es eine Finanzmarktaufsicht gibt, die Vorschriften macht, wie die Anreizssystem für die Entlöhnung strukturiert sein sollen.

Was mir daran gefällt? Dass ein Spitzen-Oekonom hingeht und sagt, Gerechtigkeit entsteht nicht von alleine, sie muss ermöglicht werden. Und dasselbe gilt auch für Ehrlichkeit, denn auch sie muss gefördert werden. Und wenn man das alles tut, verstösst man vielleicht gegen den homo oeconomicus, nicht aber gegen die gesellschaftlichen Interessen der Menschen.

Noch vor kurzem wäre das auch ein Verstoss gegen die Grundsätze der Oekonomie gewesen. Jetzt ist es auf dem Weg, die höchste Anerkennung zu bekommen. Oder wie sagt es Fehr: Individueller Nutzen muss so gelenkt werden, dass er sozial nützlich wird!

Joe Stiglitz’ Stimme: Kritik des Ersatzkapitalismus’

Im Interview mit der heutigen “Sonntagszeitung” nimmt Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz kein Blatt vor den Mund. Er kritisiert Wirtschaft und Politik für ihr Fehlverhalten in der Finanzkrise. Er wirft dem Staat vor, einen Ersatzkapitalismus zu betreiben, und geisselt das Verhalten der Banker, die während der Krise ein Time-out genommen hätten.

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Joe Stiglitz: Kritiker des Ersatzkapitalismus, indem sich die Wirtschaft darauf verlässt, vom Staat gerettet zu werden.

“Das System hat nicht funktioniert. Wir konnten einzig mit Ach und Krach verhindern, dass es nicht kollabiert”, bilanziert Joesph E. Stiglitz das Verhalten der Regierungen auf die Finanzkrise. Der dafür bezahlte Preis sei hoch, “Menschen stehen auf der Strasse, weil sie ihr Haus verloren haben, und die Löhne des Mittelstandes stagnieren, ja sie fallen sogar”, fährt der Oekonomieprofessor fort, um zur Bilanz zu gelangen: “So haben sich die Menschen einen funktionierenden Kapitalismus weiss Gott nicht vorgestellt.”

Stiglitz hat für die Kritik der gängigen Markttheorien mit anderen den begehrten Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaften bekommen. Effizient wären die Märkte, doziert er, wenn die Information perekt wäre, das heisst alle Marktteilnehmer alles wüssten. Doch das stimme in der Praxis nie; vielmehr seien die Informationen ungleich verteilt, was zu Verzerrungen und zu Blasen führe.

Führende Oekonomen, vor allem in der US-amerikanischen Notenbank unter Alan Greenspan und Ben Bernanke, würden das gerne übersehen, täuschten sich erstens jedoch, verklärten zweitens das Marktverhalten zur Religion und begründeten drittens ein Anreizsystem, das mit riesigen Boni zu dummem Handeln anleite.

Stiglitz wendet sich vor allem gegen den Ersatzkapitalismus, weil in dem vor allem die Banker risikolos mit der Herde laufen könnten. Letztlich hätten sie immer darauf gesetzt, dass der Staat sie retten würde. “Wir waren alle Keynsianer – für sechs Monate”, scherzt er im Interview, und doppelt gleich noch nach: Nach dem Ausbruch der Krise hätten die Waalstreet-Banker ein Time-out genommen, seien nach Florida gegangen, um Ferien zu machen. Jetzt, wo sie dank Rettungsplänen wieder Boden unter den Füssen hätten, kämen sie wieder an die Börse und würden vom Staat verlangen, den Gürtel enger zu schnallen, um die Staatsdefizite zu senken.

Die Antwort des kritischen Oekonomen ist anders: Der Staat müsse intelligent investieren, um Wachstum zu ermöglichen, mit dem man Schuldenabbau betreiben könne. Besser Schulen und bessere Infrastrukturen empfiehlt er hierfür; Ausgaben für Militär bezeichnet er dagegen als Geldvernichtung, um Feinde zu bekämpfen, die nicht existierten. Generell plädiert er für eine sinnvolle Partnerschaft zwischen Staat und Markt, wie sie etwa in Kanada praktiziert werde.

Der frühere Berater Bill Clintons rechnet damit, dass die Vereinigten Staaten in absehbabrer Zukunft die grösste Volkswirtschaft bleiben, ihr politischer Einfluss in der Welt aber abnehmen werde, nicht zuletzt weil der soziale Zusammenhant in der amerikanischen Gesellschaft schwinde, Interessengegensätze zwischen Banken und Gewerbe zunähmen. Das blockiere nun die Politik.

Ein erhellendes Interview, das die Gegenwartspolitik in ihren Zusammenhängen und einer vertieften Diskussion Wert ist, füge ich (nach einer Ferienwoche und Abwesenheit auf dem Blog) hinzu.

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Jan-Egbert Sturm ist der Schweizer Oeffentlichkeit kein Unbekannter, nimmt der Leiter des KOF doch regelmässig Stellung zu den Konjunkturaussichten. Nun hat er das Projekt “Oekonomenstimme” mitinitiiert, mit dem er und seine Kollegen mit einem Blog in den wirtschaftspolitsischen Diskurs der Oeffentlichkeit eingreifen will. Eine Rundschau “vor Ort”.

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Die Präsentation der KOF-Zahlen hat zwar grosse Ressonanz. Doch erfolgt sie nach einem streng ritualisierten Medienschema. Das hinterlässt Lücken, ungedeckte Erwartungen und Mängel in der Vermittlung, die von Tageszeitungen und Wirtschaftsmagazinen nur ansatzweise behoben werden. Blogs eröffenen darüber hnaus bisher kaum vorhandene Möglichkeiten, die Expertendiskurse sichtbar zu machen.

Genau mit diesem Ziel ist die Plattform www.oekonomenstimme.org jüngst begründet worden. Pate stand das Forum www.voxeu.org, das sich konsequent in Englisch innert kurzer Zeit zum prominenten Treffpunkt für die Diskussion ökonomischer Themen entwickelt hat. 34 Oekonomen haben sich nun verpflichtet, ebenso konsequent auf Deutsch ihre Gedanken in Kolumnenform als Oekonomenstimme in die hiesige Oeffentlichkeit einfliessen zu lassen.

Die Erwartungen an das Blog sind hoch, das zeigt sich unter anderem auch daran, dass die Tags zu den Beiträgen nach der JEL-Klassifiaktion erfolgen, die für die Verortung von Fachartikeln nach amerikanischen Muster gebräuchlich ist. Bis das wirklich Sinn macht, wird es aber noch einige Zeit brauchen.

Vorläufig interessanter sind die Nutzungszahlen, die zeigen, dass die erste Kontroverse mit Ressonanz den Auftritt von Oekonomen in der Oeffentlichkeit selber betrifft. Rüdiger Bachmann,deutscher Forscher an der University of Michigan, fasst dabei zusammen, wie sich alte Ordinarien und Jungspuntökonomen verbale Gefechte zur Profilierung des Faches bei Gegenwartsfragen lieferen. Der “neue Methodenstreit“, wie er das nennt, macht zwei Ausrichtungen des Fachs deutlich, die generationenabhängig sind:

Das sind auf der einen Seite die ordnungspolitisch beeinflussten Traditionalisten, ganz bewusst normativ ausgerichtet, die mit Interventionsgeschick in den öffentlichen Diskurs intervenieren, sei es in die Finanzpolitik, die Wirtschaftspolitik, oder auch die Mehrung des Glücks von Menschen. Auf der anderen Seite finden sich die Modelltheoretiker, stark empirisch ausgerichtet, die beanspruchen, an der Spitze des Fachs zu stehen, gleichzeitig aber auch eine Fachsprache pflegen, die abstrakt, formal und mathematisch ausgerichtet ist, und im öffentlichen Diskurs nicht ankommt.

Mehr als 2000 Mal ist der Beitrag im ersten Monat angeklickt worden. Das verspricht einiges. Dafür habert es noch mit den Kommentaren. Gerade mal drei Anmerkungen wurde bis anhing öffentlich gemacht. Damit bleibt die grösste Verheissung des neuartigen Fachblogs vorerst uneingelöst.

Das braucht es sich noch einen Entwicklungszyklus. Wer weiss, vielleicht propheizeit und Jan-Egbert Sturm bald, wann der einsetzt!

Volles Haus, voller Erfolg

Gestern staunte ich nicht schlecht, als ich als Referent an dere Seniorenuniversität Schaffhausen (SUS) in der Vortragssaal trat. Gestuhlt war für 250 Personen, und bis eine Handvoll Plätze in der hintersten Reihe waren bei Veranstaltungsbeginn alle besetzt.

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Foto: Monique Menk

Gerechnet habe ich mit 30, vielleicht 50 Interessierten. Gekommen sind dann fast 250, und dies trotz 15 CHF Einzeleintritt und Alterslimite von 60+. Ich begriff schnell, von einer Veranstaltung mit direktem Sichtkontakt zu allen musste ich zum Referat vom Rednerpult aus umstellen. Die Thesen behielt ich bei, die Form änderte ich spontan.

In den 45 Minuten zum Thema “Aus dem Alltag eines Politikwissenschafters in der Praxis” ging es mir um Beispiele aus meiner Tätigkeit, die das Spektrum aufzeigen sollten. Vor allem sollten sie sich nicht bloss auf Abstimmungen beziehen, denn unserer Institut leistet in de Gebieten Politik und Kommunikation Einiges mehr. Und so ging es darum, Politikwissenschaft in der Praxis verständlich zu machen:

… als Disziplin, die sich mit politischen Entscheidungen, ihren Formen, Ursachen und Folgen beschäftigt.
… als Theorien zu Entscheidungen, wie sie in der Wahlforschung am entwickeltsten sind,
… als Empirie von Entscheidungen, wie sie in der Umfrageforschung ermittelt wird,
… als Umfeldanalyse von Entscheidungen, die mit Monitoring-Projekten geleistet werden,
… als Teil der political science, wie sie sich im Gefolge der amerikanischen Politikwissenschaft seit den 70er Jahren auch in der Schweiz ausbreitete und
… als Teil der praxisorientierten Sozial-, Politik- und Kommunikationsforschung, wie sie am gfs.bern betrieben wird.

Das Interesse war gross. An der anschliessenden Diskussion beteiligten sich gegen 100 Personen, die dann spezifischen Fragen stellten, beispielsweise wie eine Hochrechnung funktioniert, was der Stand der Dinge bei den SRG-Umfragen ist, wie ich den gegenwärtigen Bundesrat beurteile, und welches meine Prognosen für die Abstimmungen vom 7. März 2010 seien. Auf alles gab ich bereitwillig Auskunft, – bis auf Letzteres. Da resultiert ein kurzes: “No comment!”

Trotzdem war man sich beim Veranstalter und Medienberichterstatter rasch einig: Volles Haus und ein voller Erfolg für die SUS!

PS: Das Referat selber wird am Donnerstag aufgeschaltet werden. Hier ist er.

Luzerner PolitikwissenschafterInnen: yes, you can!

Die Politikwissenschaft in Luzern geht publizistisch in die Offensive. Mit guten Gründen.

“Das im Jahr 2006 eingerichtete Seminar für Politikwissenschaft an der Universität Luzern befindet sich unter den besten politikwissenschaftlichen Instituten der Schweiz, wenn es um die wissenschaftliche Produktivität und die internationale Sichtbarkeit geht”, konnte man gestern in der “Luzerner Zeitung” lesen.

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In der Tat figuriert das junge Seminar an der jungen Universtität mit Publikationen, die von der Fachwelt auch zitiert werden, weit vorne, wie die Bibliometriestudie der Schweizerischen Vereinigung für Politische Wissenschaft, die vor einem Monat präsentiert wurde, zeigt.

Das hat verschiedene Gründe: zunächst die beiden initiativen ProfessorInnen Sandra Lavenex und Joachim Blatter, die sich wissenschaftlich in Fragen der Internationalen Beziehungen und der Politischen Theorie gut platziert haben; dann die Neugründung der Universität, die veränderte Rahmenbedingungen für die Lehre von Beginn weg erlaubt haben. Und schliesslich, das Lernklima, das in Luzern ausgesprochen kooperativ ist.

Das sieht man auch daran, dass just im Moment der Medienmitteilung der Institutsleitung die Studierenden einen Falzprosepkt herausbringen, der seinerseits zur Imagebildung beiträgt: “Yes, you can”, ist das Motto, das sie von Barack Obama, Politologe und Jurist, übernommen haben. Darin gibt es keinen Protest gegen Bologna-Reformen, sondern Optimismus, was man in der grossen und kleinen Welt als PolitikwissenschafterIn alles werden kann: Aussenministerin, Nationalratspräsidentin oder Leiter eines Forschungsinstituts …

Polikwissenschaftliche Institute in der Schweiz im Publikationsvergleich

Erstmals wurde eine Studie über die publizistische Produktivität der 52 politikwissenschaftlichen ProfessorInnen in der Schweiz erstellt. Sie macht Karriereverläufe anhand von transparenter und lässt Profile der Institute erkennen, in denen sie heute arbeiten.

Thomas Bernauer, einer der beiden Studienleiter, verschwieg die Ursache der Studie nicht: Immer häufiger werde bei der Vergabe finanzieller Mittel an Personen und Institute auf Instrumente wie Publikationen in Journals oder auf dem Web abgestellt. Um eine solche Bewertung von aussen zu vermeiden, habe sich die Schweizerische Vereinigung für Politische Wissenschaften entschieden, selber eine Bibliometrie der Schweizer Politikwissenschaft zu erstellen.

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“Institutsvergleiche” in der Schweizer Politikwissenschaft hinsichtlich Publikationen und Zitierungen in Fachzeitschriften, Boxplot, sortiert nach Medianwerten. Ein(e) ProfessorIn in der Schweiz hat demnach im Schnitt 6 international registrierte Publikationen und 55 Zitierungen auf Google Scholar.

Wissenschaftlich gesehen interessierte die Frage, wann ein Professor oder eine Professorin hinsichtlich Publikationen den Karrierehöhepunkt erreicht. “15 bis 20 Jahre nach der Doktorarbeit” lautet die Antwort. Wer es innert 5 bis 10 Jahre zu einer Professur bringe, brauche noch eine Etablierungsphase, um mittels Veröffentlichungen in Journals und mit Büchern selber breit genug präsent zu sein und von KollegInnen hinreichend verwendet und empfohlen zu werden. Internetpräsenz ist neuerdings davon nicht unabhängig, entwickelt sich vielmehr parallel dazu.

Bei der Präsentation im Rahmen des Jahreskongresses interessierte vor allem der Vergleich der Institute untereinander. Führend sind (in alphabethischer Reiehenfolge) die Institute der Universitäten Bern, Luzern und Zürich gemeinsam mit der ETH in Zürich. Es folgen Genf (Uni und IHEID) und St. Gallen, während die Politikwissenschaft in Lausanne (Uni und IDHEAP) am wenigsten präsent ist. Zum Teil lässt sich das mit einer stärkeren Ausrichtung auf Lehre und angewandte Forschung begründen.

Die Diskussion der neuartigen Studie am Jahreskongress der PolitologInnen-Vereinigung konzentrierte sich zuerst auf methodische Eigenheiten. Bemängelt wurde, dass Selbstzitierungen und Co-Autorenschaften gleich wie Fremdzitierungen von Einzelbeiträge gezählt wurden; eine anerkannte Lösungen des Problems zeichnete sich nach Fabrizio Gilardi, dem zweiten Autor, nicht ab. Eine Präzisierung war hart: Da die Publikationsbiografien von Individuen untersucht wurden, sind die Vergleiche keine Aussage über den Output politikwissenschaftlicher Institutionen, sondern der in ihnen tätigen WissenschafterInnen, – egal, wann sie ihren Publikationspeak hatten.

Sichtbar werden dank der Studie Unterschiede in der Nachwuchsförderung: Die Hälfte der 28 qualifizierten, universitären ForscherInnen ohne Professur sind in Zürich an der Uni oder an der ETH tätig. Die Konzentration wirkt sich offensichtlich auf die Produktivität aus, denn diese ist auf dem Platz Zürich doppelt so hoch wie in der übrigen Schweiz.

Da bibliometrische Platzierungen in den kommenden Generationen üblicher sein werden, ist damit zu rechnen, dass die kommenden Professoren schwergewichtig aus Zürich kommen werden, und sich die Scheu, verglichen zu werden, damit auch abnehmen wird.

Quelle: Th. Bernauer, F. Gilardi: Publication Output of Swiss Political Science Departments, SVPW (noch unveröffentlicht)

40 Jahre Politikwissenschaft an der Universität Genf

40 Jahre alt wurde dieser Tate das Département de science politique der Universität Genf. Die Feier hierzu fand am Donnerstag im Rahmen des Jahreskongresses für Politikwissenschaft, in der Calvin-Stadt abgehalten, statt.

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Pascal Sciarini, Direktor des Départements de science politique in Genf, bei der Präsentation des ersten Mitarbeiterteams 1969/70(foto: cal)

Stefano Bartolini, Leiter des Robert Schuman Instituts an der Universität Florenz, rüttelte die gelehrte Gesellschaft gleich zu Beginn auf: Die Frage, was Politik sei, werde gar nicht mehr gestellt, klagte er. Selber nähert er sich einer Lösung auf zwei Arten an: Das Feld der Regierungpolitik sei das, von dem man sich nicht entfernen können und in dem gemeinsame Regeln gelten würden. Das sei nicht das der Anarchie, das der Autorität und das der Natur. Aber eben das der Politik, und damit müsse sich das Fach beschäftigen, sagte der vormalige Professor in Genf.

Dusan Sidjanski, der erste Direktor des Departements zeichnete die Anfänge der universitären Politikwissenschaft in Genf nach. Man sei unter dem Vorbild, aber auch der Vorherrschaft von Geschichte und Recht gestanden. 1968 sei ein Ruck durch die Uni gegangen, aus dem das Kernteam des späteren Départements entstanden sei. Begonnen habe man in Genf mit lokalen, dann mit nationalen Themen. Erst mit der Zeit sei die europäische Dimension hinzu gekommen. Heute sei sie aber entscheidend. Besonders gefreut hat Sidjanski deshalb, dass ihm sein füherer Assistent, José Emanuel Barroso, heute Präsident der EU-Kommission, zur Imstitutsgeburtstag gratuliert und ihn zum Berater erhoben habe.

Pascal Sciarini, der jetzige Direktor, kündigte eine Umbenennung des Departementes an. Bald schon werde es “Département de science politique et de rélations intérnationales” heissen. In der nachträglichen Diskussion wurde sogar darauf verwiesen, es könnte ein eigene Fakultät “Rélation intérnationales” entstehen, mit science politique im Zentrum. Grund sei der Erfolg des 2005 lancierten Lehrgangs, einem eigentlichen Renner an der Universität.

Dennoch ergaben sich an dieser Veranstaltungen Fragezeichen zur Perspektive des Fachs. Auf der einen Seite wurde darauf verwiesen, die Professonalisierung sei vor allem mit Spezialisierung erreicht worden. Auf der anderen Seite sei nicht zu übersehen, dass die Akademisierung schneller vorangeschritten ist, als die Bewährung der Politikwissenschaft in der Praxis. Das ist sicher richtig; die Spezialisierung hat die Einsichten näher zu konkreten Problemen gebracht. Vielleicht könnte man sagen, konzentriert man sich heute aber zu sehr um technisch-methodische Fragen, als um das, was die Politik unverändert spannend macht.

Links/Rechts-Polarisierung, Parteibindungen und Werthaltungen bei Wahlen und Abstimmungen

Zu den wichtigen Veränderungen der Schweizer Politik der Gegenwart zählt ihre parteipolitische Polarisierung. Wer sich klar positioniert und das im Alltag zu kommunizieren weiss, gewinnt Wahlen, und der scharfe Gegensatz prägt auch eine wachsende Zahl von Sachentscheidungen.

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Genau dem ist Thomas Milic , heute Lehrbeauftragter für politische Psychologie an der Uni Zürich, in seiner Dissertation jüngst nachgegangen. Entwickelt hat er seine Fragestellung aus der internationalen Literatur. Ueberprüft hat er sie aufgrund von Schweizer Wahl- und Abstimmungsnachbefragungen.

Die zeitgenössische Veränderung
Lange herrschte in der Politikwissenschaft zur Schweiz die sog. Surrogatsthese vor. Demnach seien Positionierungen der BürgerInnen auf der Links/Rechts-Achse nur ein Ersatz für ihre Parteiidentifikation. Wer mit der SP sympathisiert, ist links; bei Verbindungen mit der CVP, ist man in der Mitte, und wer hinter der SVP steht, versteht sich als Rechte(r). Wer keiner Partei nahesteht, verortet sich mit Vorliebe im Zentrum. Dieser Vorstellung widersprochen haben vor allem WertforscherInnen: Mit der Entwicklung neuer Werte wie Oekologie oder Selbstverwirklichung verschwinde die Bedeutung der Parteibindung für die Selbstdefinition, argumentieren sie bis heute unverändert.

Milic gibt eine differenzierte Antwort: Typisch für die ideologischen Teile der Wählerschaft sind Parteibindung und Wertemuster, die zu einer eindeutigen Position auf der Links/Rechts-Achse führen. Bei den Un- oder Ueberparteilichen findet sich ähnliches, gibt es aber keine feste Parteibindungen. Und bei den Unpolitischen (mit oder ohne Parteibindungen) entsteht kaum eine ausgeprägte und konsistente Verteilung auf der Links/Rechts-Achse.

Die Surrogatsthese, folgert Milic, trifft bei BürgerInnen ohne ausgeprägtes politisches Interesse zu, während die These des Wertedeterminismus bei den Unparteilichen Gültigkeit beanspruchen kann. Miteinander kombiniert erscheinen beide These bei den ideologischen WählerInnen erfüllt.

Die Konsequenzen bei Wahlen und Abstimmungen

Die weltanschauliche Polarisierung zwischen den Parteien spricht die IdeologInnen unter den Wählenden an, die thematische Auseinandersetzung ist für die Ueberparteilichen wichtig, während die Unpolitischen wohl am meisten auf die Aktualität reagieren.

Komplexer sind die Folgen der Links/Rechts-Positionierung bei Abstimmungen. Hier bringt Milic nicht Ideologien, sondern Heuristiken ins Spiel – Entscheidungsroutinen, die mehr als nur einmal angewendet werden. Typisch hierfür sieht die Position zum EU-Beitritt, die in zahlreichen weiteren Themen Antworten gibt. Vertrautheit mit der Fragestellung einerseits, die Konflikthaftigkeit bei Auftauchen entsprechender Probleme sieht er für die Entscheidungen wichtiger an als Parteiparolen. Auf diese greift man vor allem dann zurück, wenn ein Thema unbekannt oder unwichtig ist.

Bei bekannten Themen folgt man nach Milic nicht blind einer Partei, orientiert sich aber an ihnen. Der Forscher vermutet, dass sich die BürgerInnen jenen Argumenten zuwenden, die von ihrer Partei kommen und die ihre eigenen Werthaltungen stützen. Kurz streift er auch die Bedeutung neuer Reizwörter, zu denen man “Privatisierung/Liberalisierung”, “Ueberreglementierung/Bevormundung” und “Verschwendung/Steuerlast” zählen kann. Sie dürften insbesondere für das wenig politische Publikum entscheidend sein.

Würdigungen
Die Links/Rechts-Dimension, eine Folge der Erschütterungen in europäischen Parteiensystem nach der Russischen Revolution, ist nach Milic als überlebensfähig, weil sie politische Komplexität reduziert. Doch ist sie periodischen Transformationen unterworfen, sodass die Inhalte ändern. Diese Veränderungen sind wichtiger als die Dimension selber. Neueinbindungen entstehen über neu auftretende Themen, die man mit Parteien in Verbindung bringt, und für bestimmte (Werte)Konflikte typisch sind.

Mit Grund, fügt er an: Denn links und rechts fehlt in der Schweiz letztlich das Affektive, dass Personen, Parteien und Werten eigen ist, weshalb sie mehr zu politischen Entscheidungfindung beitragen als Worthülsen.

Ich staunte, als ich mich das erste Mal mit den Thesen von Thomas Milic auseinandersetzte. “Ideologie im Stimmverhalten” hielt ich für überzeichnet. Gut fünf Jahre danach habe ich meine Meinung geändert, denn der Zürcher Politikwissenschafter hat so frühzeitig ein Thema aufgegriffen, das sich in der politischen Realität der Schweiz wandelt, âber weder von der Wahl- noch in der Abstimmungsforschung der Schweiz bisher systematisch untersucht worden ist. Mehr davon, vor allem für die Entscheidungsmechanismen der Unpolitischen angesichts der Offensive des Nationalkonservatismus beispielsweise wäre wünschenswert.

“Ja. Nein. Schweiz.”

Knapper geht ein Titel nicht. Vor allem nicht, wenn es sich um eine Doktorarbeit handelt. Doch in diesem Fall macht das Plakative Sinn. Denn die Zürcher Dissertation von Sascha Demarmels handelt von “Schweizer Abstimmungsplakaten im 20. Jahrhundert”. Ihr Thema sind Emotionen in der Massenkommunikation.

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Der Anlass
Das politische Plakat ist ein Kind des 19. Jahrhunderts. Bei Schweizer Volksabstimmungen tauchte es nachweislich während der national(istisch)en Begeisterung im Jahre 1898 erstmals auf. Seine erste Blüte erlebte es mit dem Ersten Weltkrieg und dem Aufbrechen des sozialen Gegensatzes zwischen Bürgertum und Arbeiterschaft.

Quantitativen Höhepunkte des politischen Plakatierens gibt es viele. In den 20er, 30er, 50er und 80er Jahren des 20. Jahrhunderts. Und heute. Das “schnelle Denken” (Daniel Kahneman), das gerade die politische Kommunikation der Gegenwart fördert, hat zu einem Revival des Plakates im Abstimmungskämpfen geführt. Konkret: Nie in der Schweizer Politgeschichte gab es so viele Abstimmungsplakate wie seit 2003.

Grund genug, sich wissenschaftich damit zu beschäftigen.

Die Studie
Sascha Demarmels, eine Kolleginnen an der Zürcher Hochschule für angewandte Wissenschaft, hat es als Erste eine Uebersicht zur politischen Plakatkommunikation gewagt. 2004 hat sie mit ihrer Doktorarbeit begonnen; in diesem Jahr ist sie in Buchform erschienen. Entstanden ist so eine knapp gehaltene Geschichte des politischen Plakates, die ein zentrales Thema verfolgt: die Emotionalisierung politischer Diskurse während Abstimmungskämpfen.

Auf Plakaten vermutet Sascha Demarmels Reizwirkungen auf drei Ebenen:

erstens auf der materiellen Ebene, wobei es um Farben und Schriften auf dem Plakat geht,
zweitens auf der kognitiven Ebene, wobei Ueberraschungen oder Widersprüche Aufmerksamkeit sichern soll, und
drittens auf der emotinalen Ebene, die kulturübergreifend, kulturspezifisch, gruppenspezifisch oder individuell erzeugt werden, um die Meinungen zu beeinflussen.

Letzteres ist am interessantesten, denn hier geht es beispielsweise um Schlüsselreize bei besonders plakatierbaren Themen wie “Kinder”, “Geld”, “Freiheit” und “Gerechtigkeit”. Es zählen aber auch Archetypen der politischen Kommunikation wie “Hintergangene”, “Uebermächtige”, “Gute und Böse” hierzu, die dank radikalen Vereinfachungen in Bild und Text eine klare Zuordnung im politischen Kampf ermöglichen. Die Emotionalisierungsstrategien beziehen sich auf den Raum und die Landschaften, die Mythen und Geschichten, und auf die eigene Gesellschaft. Denn sie schaffen gerade bei Volksabstimmungen Identifikationsmöglichkeiten, um kollektive und individuelle Adressaten wie “Arbeiter”, “Mieter”, aber auch “Schweizer” ansprechen zu können.

Die fast 1000 Plakate, welche Sascha Demarmels für ihre Doktorarbeit untersucht hat, erschliessen den Interessierte die ganze Palette der Plakatkultur in der Schweiz. Materielle Emotionalisierungen finden sich in 80 Prozent der Fälle; sie konstituieren die Kommunikationssorte quasi. Gut belegt sind Emotionalisierungen auf sozialer Ebene (in drei Viertel der Fälle, vor allem mittels Verunsicherung und Angst) resp. mittels Schlüsselreizen (in zwei Drittel der Fälle).

Auch wenn sie nicht einfach zu quantifizieren sind, die Autorin hält die kulturspezifischen Strategien der Emotionalisierung für die wichtigsten, insbesondere, wenn es um Mythen geht – klassischen wie “Tell”, “Gessler” und “Helvetia”, aber auch neue wie “Unabhängigkeit”, “Neutralität” und “Steuerparadies”.

Der Schluss
Drei Paradigmen von Botschaften bestimmen gemäss Studie die übergeordneten Themen, die mittels Plakaten in der Schweiz effektvoll vermittelt werden können: nationale Werte, ihre Kritik und der Zusammenhalt der Schweiz in der komplexen Welt. Das macht das Plakat seit mehr als hundert Jahren mit welchselnden Inhalten für die emotionale Kommunikation besonders attraktiv.

Diesem Hauptergebnis kann man ohne Zweifel zustimmen, selbst wenn man unterwegs Fragezeichen in der Durchführung des empirischen Teils der Arbeit hat. Das Verdienst der linguistisch ausgerichteten Studie ist es, das Plakat erstmals systematisch als Mittel der Emotionalisierung der Bürgerschaft untersucht zu haben.

Denn das ist gerade heute wieder von Belang, weshalb sich auch PolitikwissenschafterInnen ein Stück davon abschneiden und sich dem Thema schnell und gründlich beschäftigen sollten.

Claude Longchamp