Warum die Wirtschaft für die Personenfreizügigkeit ist

>Die Schweizer Wirtschaft steht klar für die Personenfreizügigkeit ein; ihr Dachverband economiesuisse führt seit geraumer Zeit die Kampagne zugunsten der Volksabstimmung vom 8. Februar 2009.

Der Weg als Ziel
2005 stimmte die Schweiz über die Personenfreizügigkeit mit der EU ab. 56 Prozent der Stimmenden befürworteten diese. Mit SP, CVP und FDP befürworteten damals drei Regierungsparteien die Vorlage, während die SVP sie mit wenigen Ausnahmen bekämpfte. Nun wiederholt sich die Ausgangslage bei der unbefristeten Fortsetzung resp. der Erweiterung auf Bulgarien und Rumänien.

Das Argumentarium des Ja-Komitees ist generell auf die Kooperation mit der EU ausgerichtet. Es geht um den Bilateralen Weg der Schweiz zum europäischen Integrationsprozess. Die Personenfreizügigkeit ist darin ein wesentlicher Bestandteil, in der bisherigen wie auch in der zukünftigen Form. “Nötig und bewährt” sind die Bilateralen, und sie müssen auch nach der Abstimmung fortgesetzt werden können.

Die Kernbotschaften
Die Kernbotschaften im 20seitigen Argumentarium sind:

“Unser Bilateralen – der richtige Weg für die Schweiz: Ein Ja zur Personenfreizügigkeit sichert die bewährten bilateralen Verträge mit der EU. Politisch bleiben wir unabhängig.”

“Bilaterale Verträge nicht aufs Spiel setzen: Mit einem Nein zur Personenfreizügigkeit kündigen wir alle bilateralen Verträge. Dann stehen wir politisch vor einem Scherbenhaufen. Wirtschaftlich wären wir isoliert.”

“Für Arbeitsplätze und Wohlstand: Ein Ja sichert unseren Unternehmen den Zugang zum grossen europäischen Binnenmarkt. Gerade in wirtschaftlich schlechteren Zeiten ist das wichtig.”

“Schrittweise und kontrolliert: Ein Ja sichert dank langer Übergangsfristen und Schutzklauseln eine kontrollierte Öffnung des Arbeitsmarktes. Erprobte flankierende Massnahmen schützen vor Lohndumping.”

Für das Ja-Lager stärkt die Zustimmung zur Vorlage vom 8. Februar 2009 zur Weiterführung und Ausdehnung der Personenfreizügigkeit auf die neuen EU-Mitgliedsstaaten Rumänien und Bulgarien die Arbeitsplatzstabilität der Schweiz, was den eigenen Wohlstand sichert, schreibt economiesuisse.

Claude Longchamp

Warum die SVP gegen die Personenfreizügigkeit ist

Am 8. Februar 2009 stimmt die Schweiz über die unbefristete Verlängerung der Personenfreizügigkeit mit den jetzigen 25 EU-Mitgliedstaaten ab. In einer Abstimmung wird auch über die Erweiterung der PFZ auf die neuen Mitgliedstaaten Bulgarien und Rumänien entschieden. Die SVP legt nun ihr Argumentarium vor, welches das Nein der Partei zum Paket und zur Erweiterung begründet.

Die Position der SVP
Im Schatten der Bundesratswahlen bestimmte die SVP Schweiz ihren Kurs zur Personenfreizügigkeit. Offiziell unterstützte sie die Unterschriftensammlung für ein Referendum nicht. Nur die Junge SVP beteligte sich an der Aktion. Als die nötige Zahl an Signaturen beigebracht wurde, änderte die Mutterpartei ihre Position. Sie entschied sich mehrheitlich, die Paketlösung abzulehnen. Eine erste Minderheit von 24 SVP-ParlamentarierInnen rund um den Unternehmer Peter Spuhler befürwortet das Geschäft. Eine zweite ist für Abstimmungsboykott.

Nun legt die Partei das Argumentarium vor, welches das SVP-Komitee um alt Bundesrat Christoph Blocher und 29 NationalrätInnen der Partei im Abstimmungskampf leiten soll.

Die Argumente
Die Zusammenfassung des 29seitigen Dokumentes hebt 5 Nein-Argumente hervor, die sich gegen die Paket-Lösung und die Erweiterung, nicht aber auf die Fortführung beziehen:

“Nein zur undemokratischen und verfassungswidrigen Verknüpfung der beiden unabhängigen Fragen zur Personenfreizügigkeit mit der EU – Nein zur Sabotage an der Demokratie.”

“Nein zu mehr Kriminalität aus dem Osten: In der Schweiz sind bereits heute immer mehr Roma-Banden aktiv. Hier muss frühzeitig eingeschritten werden!”

“Nein zu Lohndruck und mehr Arbeitslosigkeit: Menschen aus Bulgarien und Rumänien werden bereit ein, zu sehr tiefen Löhnen zu arbeiten, was zu tieferen Löhnen für alle führt. Das muss verhindert werden!”

“Nein zum Recht auf freie Einwanderung in die Schweiz: Für die so genannte Arbeitssuche kann nämlich jeder Rumäne und Bulgare in die Schweiz einreisen. Heute gilt es, diesen Entwicklungen einen Riegel zu schieben!”

“Nein zur Aushöhlung der Schweizer Sozialwerke: Wenn jemand nur schon ein Jahr in der Schweiz lebt und arbeitet, kann er während fünf Jahren von unserem grosszügigen Sozialsystem leben. Das darf nicht sein!”

Wie es bei einem Nein weiter gehen soll
Das Komitee gegen die Ausdehnung der Personenfreizügigkeit bekämpft die Paketvorlage des Parlaments und fordert die Schweizer Bevölkerung auf, es am 8. Februar 2009 abzulehnen. Der Bundesrat solle dann die beiden Vorlagen zur Weiterführung und Ausdehnung der Personenfreizügigkeit dem Parlament separat vorlegen.

Das Argument der Befürworter, wonach bei einem Nein zur Personenfreizügigkeit das gesamte bilaterale Vertragswerk atomatisch entfalle würde, hält die SVP für eine “Ammenmärchen” des Bundesrates.

Claude Longchamp

Die Schweiz ist das 25. Land des Schengener Abkommens

In den meisten Europa-Fragen ist die Schweiz ein Sonderfall. So fällt sie auf Europa-Karten immer auf. Nichts davon sieht man indessen, wenn der Schengener-Raum abgebildet ist. Denn unser Land ist seit gestern das 25. Vollmitglied des Abkommens. Ein kurzer Rückblick der Entstehungsgeschichte.


Schengen-Raum heute (Quelle: wikipedia)

Die Abschaffung der Binnengrenzen

1985 starteten 5 EU-Staaten mit der Abschaffung der Binnengrenzen. Zwischenzeitlich sind 22 der 27 EU-Staaten Teil des Schengen-Raumes. Norwegen, Island sowie Schweiz gehören als Nicht-EU-Mitglieder ebenfalls dazu.

Das Schengener Abkommen regelt drei Bereiche: die Sicherheits-, Visums- und Asylzusammenarbeit. Einreisebstimmungen sind im Schengen-Raum vereinheitlicht. Mehrfache Asylgesuche in den verschiedenen Mitgliedstaaten sind ausgeschlossen. Und die gemeinsame Sicherheit wird durch verstärkten Kontrollen der EU-Aussengrenzen gewährleistet. In Ausnahmefällen können Personenkontrollen an den Binnengrenzen wieder eingeführt werden. Das war beispielsweise während der Euro ’08 der Fall.

Mit dem Schengener-Abkommen entfallen die Personenkontrollen an der Schweizer Aussengrenze, weil diese izur Binnengrenze im Schengen-Raum wird. Wie Eveline Widmer-Schlumpf, die zuständige Justizministerin, herausstreicht, ist das für das Tourismusland Schweiz von besonderer Bedeutung, selbst wenn die Umstellung zeit- und kostenintensiver war als vorgesehen. Einzig gegenüber Liechtenstein, das dem Abkommen nicht beigetreten ist, besteht eine Sonderregelung. An den Flughäfen tritten die Massnahmen des Abkommens am 29. März 2009 in Kraft. Die Warenkontrollen finden unverändert statt, denn zwischen der EU und der Schweiz gibt es keine Zollunion.

Die Schweizer Entscheidung
Die Schweiz ratifizierte das Abkommen am 16. Oktober 2004. In der Volksabstimmung vom 5. Juni 2005 stimmten 54,6 Prozent für den Beitritt zum Abkommen. Größte Unterstützung fand die Vorlage im Kanton Neuenburg (70,9 Prozent). Am klarsten dagegen votierte der Halbkanton Appenzell Innerrhoden (31,5). Von den Grenzkantonen lehnte das Tessin die Vorlage am stärksten ab (38,1 Prozent Zustimmung).

Die Vorbereitung der Volksabstimmung führte in der Schweiz zum üblichen Konflikt in EU-Fragen. Die SP, die CVP und die FDP befürworteten den Beitritt, die SVP als vierte Regierungspartei bekämpfte ihn. Die Nachanalyse zum Abstimmungsentscheid zeigte, dass die Anhängerschaften grossmehrheitlich entsprechend den Parteiparolen stimmten.

Mehr Unterstützung fand der Beitritt zum Schengen-Abkommen in den urbanen Zentren und in den oberen Schichten. In der französischsprachigen Schweiz fiel die Zustimmung generell noch etwas stärker aus. In der italienischsprachigen Schweiz, auf dem Land und in den unteren Schichten überwog die Ablehnung. Für die Annahme in der Volksabstimmung massgeblich war die mehrheitliche Zustimmung in den Mittelschichten.

Hinter den individuellen Entscheidungen waren Werte von Belang. Die Offenheit gegenüber dem Auslang bestimmte die Zustimmung, während die Unabhängigkeit der Schweiz von eben diesem Ausland für die Ablehnung massgeblich war. Wer modernen Werten nahesteht, Chancengleichheit unabhängig von nationaler Zugehörigkeit konzipiert sieht, war ebenfalls vermehrt auf der Ja-Seite. Traditionelle Wertvorstellungen, insbesondere die Ausrichtung an Ruhe&Ordnung führten zu einer verstärken Ablehnung.

Misstrauen gegenüber “Schengen” wird Christoph Blocher zum Verhängnis

Nicht zuletzt verlief die Polarisierung in der Schengen-Beitrittsfrage entlang des Regierungsvertrauens. Wo dieses überwog, teilte man die befürwortenden Argumente mehrheitlich. Wo indessen das Misstrauen überwog, folgte man den zentralen Botschaften der Opponenten.

Im Abstimmungskampf höchst umstritten war das Verhalten von Justizminister Bundesrat Christoph Blocher, der aus seiner persönlichen Ablehnung der Vorlage entgegen dem Kollegialprinzip öffentlich keinen Hehl machte und mitten im Abstimmungskampf bei der 60-Jahr-Feier zum Ende des 2. Weltkrieges die Bedeutung von Grenzen für die Existenz der Schweizer herausstrich.

Wie Trendanalysen der Meinungsbildung zeigten, lancierte er damit als verantwortlicher Minister die Nein-Kampagne. Seither ebbte aber auch die Kritik am Verhalten des SVP-Regierungsmitglieds nicht mehr ab, die am 12. Dezember 2007 schliesslich zu seiner Abwahl aus dem Bundesrat führte, worauf die SVP aus der Bundesregierung austrat.

Just ein Jahr später wurde das Schengener-Abkommen operativ in Kraft gesetzt. So symbolisch kann Politik auch sein.

Claude Longchamp

Für die Bilateralen bloggen

Gleich drei Bundesrätinnen läuteten gestern den Abstimmungskampf zur einzigen gesamtschweizerischen Volksabstimmung vom 8. Februar 2008 ein. Die Parteipräsidenten aller grösseren Parteien ausserhalb der SVP sind ihnen vorausgegangen. Jetzt erhalten sie Unterstützung in der Blogosphäre.


Parteipräsidenten für die Bilateralen werden jetzt vom Bloggern für die Bilateralen unterstützt

Die Anfänge
Seit einigen Tagen hat es auf der Website zu den “erfolgreichen Bilateralen” ein Kampagne-Blog zur Fortführung und Erweiterung der Personenfreizügigkeit gegenüber der EU. Es soll die Besuche auf der Plattform steigern helfen, und es soll den eingeläuteten Abstimmungkampf befruchten.

Die ersten Beiträge sind von den Campaignern selber geschrieben, die seit vielen Jahren in vielen Abstimmungskämpfen, nicht zu letzt in allen Europa-Abstimmungen der Schweiz aktiv waren. Ihnen geht es um Mobilisierung. Um Werbung für die Oeffnung der Schweiz. Um die Beruhigung aufkommender Aengste. Um die eigenen Positiv- und Negativ-Botschaften. Und um Lesehilfen zu aktuellen Ereignissen.

So wie es bisher daher kommt ist es ein Sprachrohr des Komitees, das der Wirtschaftsverband economiesuisse betreut. Es will die Möglichkeiten nutzen, sich im Internet zu äussern, um die rund 4 Millionen SchweizerInnen anzusprechen, die heute einen Bildschirm mit Internetanschluss an ihrem Arbeitsplatz oder zu Hause haben. Dies ist die wohl grösstmögliche Zielgruppe, die sch auf 3-400000 Menschen verringert, welche das Internet während Abstimmungskämpfen zur Information und zur Meinungsbildung nutzen.

Die Perspektiven
Ich kenne zwei Entwicklungswege von Kampagne-Blogs: den direkten, der auf Verbreitung in der Gratispresse als verbreitetster Zeitung unter Stimmenden zielt, und den indirekten, de sich an MultiplikatorInnen in politischen Meinungsbildungsprozessen richtet.

Im ersten Fall gilt es rasch Ereignisse rund um das Blog aufzubauen. Die Gegner der EU, der Bilateralen und der Personenfreizügigkeit sollen gezielt aus der Reserve gelockt werden. Vornehme Zurückhaltung im Auftritt ist das nicht angesagt. Virtuell Krachen soll es, sodass man hinschaut. Zwar hat es gegenwärtig kein eigenes Blog der Nein-Kampagne, doch werden deren Standpunkte auf SVP-nahen Blogs wie die von Snoop oder Smythe Style gut vertreten resp. werden sie von SideEffects schnell vervielfältigt. Das lässt ein Pingpong der Protagonisten hüben und drüben erwarten, die sich im “Blick am Abend” oder im “punkt.ch” spieglen könnte.

Im zweiten Fall zielt vielmehr darauf ab, eine erweiterte Plattform der opinion leader auf der befürwortenden Seite zu werden. Die AktivistInnen in der Kampagne sollen mit kommunikativen Mittel geführt werden. Prominente Unternehmer müssen sich dann äussern, Wissenschafterinnen zu interkulturellen Erfahrungen solten sich outen, und AbstimmungskämpferInnen aus den Kantonen könnten über ihre Erfahrungen mit Argumenten berichtet. Eingeladen werden sollten kritischen BeobachterInnen der Ja-Kampagne, die das Geschehen analyisieren, kommentieren und ihm so ihren Dreh verpassen. Die direkte Verwendung zählt nicht, jedoch der Einfluss durch Multiplikation.

Mein Empfehlung
Im vorliegenden Fall scheint mir der zweite Entwicklungspfad angezeigter. Doch lasse ich mich gerne überraschen. Ich bin jedenfalls gespannt, was aus der Blogosphäre wird, und ob es die Stimmen der drei Bundesrätinnen, die sich engagieren werden, verstärken kann. Ich jedenfalls werde das Experiment des Bloggens für die Bilateralen bis am morgen des 8. Februars 2009 aufmerksam verfolgen.

Claude Longchamp

siehe auch:
Gegen die Personenfreizügigkeit bloggen